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Der Geschmack von Freiheit

Kudus kann man in Namibia fast überall jagen. Abgesehen von den Wüsten und Halbwüsten des Namib-Randes. Einfach am Wasserloch auf der gezäunten Jagdfarm oder sportlich in freier Wildbahn und ungezähmter Natur.

Diese klassische Afrikasafari beginnt in Kirgisien, in der eisigen Pracht des Tien Schan. Hier jage ich gemeinsam mit Kai-Uwe Denker, dem bekannten Berufs- jäger aus Namibia, auf Argali und Steinbock. Und abends diskutieren wir über echte Jagd: reelle Quälerei in ursprünglicher Natur. „Komm in den Erongo“, sagt Kai-Uwe, „das ist das Richtige für dich, wenn Du ursprüngliche Jagd liebst.“ Und auf die Frage, welche Wildarten mich reizen würden, sage ich wie aus der Pistole geschossen:

Kudu
Foto: Eva Pum

„Oryx und Kudu.“ „Wunderbar“, nickt der Afrikaner, „da wirst du deine Freude haben.“ Ein dreiviertel Jahr später sitzen wir auf der Terrasse der Farm „Schlucht“, begeistern uns an der Flugakrobatik zweier Kaffernadler, politisch korrekt heute Felsenadler genannt, und am blitzenden Gefieder der Zwergpapageien. Nach dem herrlichen Mittagessen marschieren wir leichtfüßig los. Kai-Uwe, der aus Prinzip nur über Kimme und Korn schießt, bleibt auch als Outfitter unübertroffen minimalistisch: Buschhemd, Turnhose, barfuß in Halbschuhen – weniger geht nicht. Der schweig- same Buschmann Kashe trägt den kleinen Rucksack mit Wasserflasche, ich meine .300 Winchester Magnum und das Fernglas.

Wachsame Beobachter und gefürchtete Warner: ein Trupp Bärenpaviane

Nach einer Stunde machen wir es uns auf einem hoch aufragenden, wüst zusammengewürfelten Felshaufen gemütlich und beginnen zu glasen. Langsam schälen sich faszinierende Bilder heraus: Zebras ziehen durchs Steppengras, ein Stachelschwein wuselt über eine Lichtung. Und Kudus! Gleich ein ganzer Trupp von Bullen zieht dahin, Kilometer entfernt und hoch am Berg. Viel zu weit, um sie heute noch anzugehen, aber voller Verheißung.

Ich schaue mit glühendem Herzen hinterher. Wesentlich näher stehen Oryx. Eine Kuh und ein Bulle ziehen in unsere Richtung. Ich liebe diese herrlichen großen Antilopen! Draufgängerisch, gesellig, immer zu einem schwungvollen Galopp aufgelegt. Ihre schlanken Hornspieße und die kontrastreiche Zeichnung der Gesichtsmaske machen sie einzigartig. Und obwohl es so viele von ihnen gibt, finde ich die Trophäe eines guten Gemsboks ungeheuer begehrenswert. Die beiden Oryx sind immer näher gebummelt. Plötzlich, im letzten Dämmerlicht, nähern sie sich zügig auf Schussweite. Schnell springen und klettern wir bergab, auf einer abschüssigen Felsplatte gehe ich liegend freihändig in Anschlag. Lauern. Die Kuh ist hinter einem Busch hervorgekommen und bereits vorbei. Sekunden später steht der Bulle halbspitz frei und sichert. Im allerletzten Büchsenlicht reißt ihn die Kugel von den Läufen. Kudus sind anders, sind das evolutionäre Gegenmodell zum Oryx. Graue Eminenzen statt smarte Kraftprotze. Sie sind nicht territorial, streifen frei umher. Äsen nicht, sondern naschen und pflücken, typische Selektionsfresser. Vor allem sind sie Meister der Tarnung. Die fahle Decke mit den weißen Querstreifen lässt sie mit der Vegetation vollkommen verschmelzen – und sie wissen das.
Besonders die altersweisen Bullen beherrschen die Kunst, ihre großen Körper direkt vor den Augen des Betrachters aufzulösen. Der Haarkamm und die Mähne am Unterhals verwischen ihre Silhouette. Gerne stehen sie wiederkäuend regungslos vor Bäumen mit geschnörkelten Ästen. Dort werden selbst die spektakulären Schraubengehörne unsichtbar. Kudus bewegen sich ruhig und elegant. Und wenn sie misstrauisch werden, verschwinden sie unauffällig. Zu Beginn der Jagd hatten wir einen großrahmigen Bullen ausgemacht, dessen rechtes Horn abgebrochen war. „Ein alter Raufer. Den hab ich vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen“, freute sich Kai-Uwe. Wir umschlugen seinen Einstand in weitem Bogen. Kaum hatten wir die richtige Höhe erreicht, wurden wir begeistert begrüßt: „Hao, hao, hao!“ Ein Trupp Bärenpaviane, stets neugierig und wachsam. Wir legten eine Pause ein. Kashe steckte seine obligatorische Buschmann Marlboro in Brand, einen Joint aus Zeitungspapier und Kräutern. Die Affen trollten sich bald, wir pirschten uns auf Schussweite an. Doch zu schießen gab es nichts, der Kudu hatte sich fortgezaubert. So ähnlich ging es auch die anderen Tage.

Heute ist mein letzter Jagdtag. Wir haben einen abenteuerlich zerklüfteten Felsstock erstiegen – graubrauner Granit, der einst tief im Vulkan aus brodelnder Magma erstarrte, ehe sie die Oberfläche erreichen konnte. Das Erdreich verwitterte und verwehte, bis er immer stärker hervortrat und selbst zum Gebirge wurde. Eine fantastische Landschaft, in dem das Pirschen eine helle Freude bereitet. Auf Schritt und Tritt sind Überraschungen möglich. Schon beim Aufstieg haben wir Anblick gehabt: Scharen von Klippschliefern, die in Deckung flitzen. Schlangenadler, die von einem kahlen Baum abstreichen. Ein Schwarm Hartlaub-Frankoline, hübsche Wildhühner. Einmal ein junger Kudubulle. Eine Herde Bergzebras erschien unter uns wie aus dem Nichts und trabte gemächlich ins Tal. Die Leitstute vorweg, der Hengst als Nachhut – ein pracht- voller Anblick. Und nun sitzen wir hier oben wie in der Mitte eines Amphitheaters, die Ferngläser vor den Augen. Wie jeden Vormittag und jeden Nachmittag, seit einer Woche.

Überall sind Dornen

Eine frische Brise hat das durchgeschwitzte Hemd getrocknet, 34 Grad sind es heute auf 1 200 Meter Höhe. Die grandios karge Kraterlandschaft schwingt sich zu steilen Wänden empor, hinter deren messerscharfen Graten sich weite Talkessel und einsame Ebenen erstrecken. Hunderttausende Akazien und Kameldornbäume sprenkeln die Berge, breiten ihre schirmförmigen Wipfel über gelbem, sonnenverbranntem Gras aus. Es sind niedrige Bäume, durchwoben von Sträuchern, die alle Dornen haben: fingerlange Nadeln, tückische krumme Haken. Wenn es dafür noch einen Beweis bräuchte – meine blutverkrusteten Arme sagen alles. Dennoch ist die Vegetation, die das Bergland so weit das Auge reicht sprenkelt, voller Schönheit. Und sie ist unser Freund, denn wie sollten wir ohne Deckung durch das kratzige Buschwerk an das Wild heranpirschen können?

Von Dornen gezeichnet. „Wait a bit“ heißt einer der gefürchteten Büsche

Das ist nämlich gerade aufgetaucht. „Vier starke Bullen, ganz oben unter der Steilwand“, murmelt Kai-Uwe und weist die Richtung. „Siehst du den dunkelgrünen Wildfeigenbaum? Geh Richtung fünf Uhr bis zur roten Felsplatte. Da steht einer völlig frei. Die anderen ziehen links davon durch die Felsrinne.“ Wie feine Silberspiralen schimmern die Hörner im Sonnenlicht. So filigran, dass ich sie gerade noch mit dem Fernglas ausmachen kann. Der Bulle ist gut, verdammt gut! Aber weit, weit weg. Wir brechen wortlos auf. Zügig hüpfen, rutschen, klettern wir in die Talsohle hinunter. Unten marschieren wir im tiefen Sand eines ausgetrockneten Flussbettes, folgen Wildwechseln, übersteigen Felsriegel, umgehen Dornendickichte. Nach einer Stunde sind wir am Fuß des „Schlafenden Mannes“, wie das Gebirgsmassiv heißt. Von den Kudus ist nichts zu sehen. Sie müssen noch sehr hoch im Hang stehen, in einer mit Bäumen und Büschen üppig bewachsenen Felsrinne. Wir wollen eine Rinne weiter östlich aufsteigen, um die Antilopen von oben anzugehen.
„198, 199, 200“, zähle ich. Nach 200 Schritten bergauf gönne ich mir ein paar Sekunden Verschnaufpause (unter uns: In Kasachstan waren es 60, aber da lag auch Schnee). Das Gelände ist nicht schwierig, nur steil. Und die Sonne brennt. Wir winden uns weiter empor. Auf ungefähr 1 700 Meter Höhe sind wir jetzt. Ob das Wild noch da ist, irgendwo hinter der Bergrippe steht? Kai-Uwe gleitet geduckt davon, die Lage peilen. Mein Puls pocht wie monotoner Trommelschlag. Ich atme tief durch, bis das Zittern aus den Beinen gewichen ist. Kai-Uwe kommt zurück – nichts zu sehen, aber sie müssen da sein! Langsam und völlig lautlos bewegen wir uns nun parallel zur Felsrinne bergauf. Der dichte Busch über dem Bachbett gibt nichts preis, aber sie können jederzeit auftauchen. In 100 oder 500 Meter Entfernung, oberhalb oder unterhalb. Oder gar nicht.

Sind wir am Wild?

Mein Atem geht flach, die Anspannung ist extrem. Immer wieder wische ich die schweiß- nassen Hände an der Hose ab. Jäh zucke ich zusammen und reiße die Büchse herum, als es im Bachbett heftig prasselt: ein Trupp Zebras. Kai-Uwe ist sicher, dass die Kudus ein Stück weiter oben stehen. Bewegen dürfen wir uns jetzt nicht mehr. Ich setze mich auf den Boden, stütze die Ellenbogen auf die Knie und gehe locker in Anschlag. Der Schweiß strömt. Mein Herzschlag muss am ganzen Berg zu hören sein. Eine beschwörende Stimme flüstert mir ins Ohr: „Oben beim großen Baum kommen sie raus … 300 Meter. Lass dir Zeit.“ Majestätisch, atemberaubend: Vier Kudus steigen gemächlich aus dem Bachbett heraus Richtung Gegenhang. Mein Daumen schiebt weich den Sicherungshebel vor. „Schieß auf den zweiten“, flüstert es hinter mir. Doch ich sehe nur noch drei Bullen im Zielfernrohr, zische „Was macht der zweite?“

Beute gemacht. Jetzt heißt es, sie in den steinigen Hängen des Erongo zu bergen

„Steht frei unter dem Baum und schaut dich an“, wispert es zurück. Das feine Fadenkreuz steht auf dem Bullen. Im Knall macht der Kudu eine letzte Flucht. Die anderen stehen einen Augenblick reglos wie Denkmäler, dann ziehen sie bergauf. Wir bleiben lange sitzen, ohne ein einziges Wort, bis wir in die kleine Schlucht hinab- und drüben wieder emporsteigen. Es ist ein starker Kudu von rund acht Jahren mit asymmetrischem Gehörn: Ein Hornende weist nach vorn, eines nach hinten. Ich streiche über die schwere Trophäe mit ihren Bögen und polierten Spitzen. Ich bin ein glücklicher Jäger, weil es so hart war, dieses Wild zu jagen.

Hartmanns Bergzebras sind im Erongo häufig anzutreffen. Charakteristisch sind der braune Nasenrücken und das Fehlen von braunen Schattenstreifen. Fotos: Ulrich Herzog
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