Asien Wild Asien Giganten – Walross-Jagd auf Tschukotka

Giganten – Walross-Jagd auf Tschukotka

Zwischen dem östlichen Ende Sibiriens, Alaska und den Aleuten liegt die Beringsee. Hier wollten wir, von der Halbinsel Tschukotka aus, auf die Giganten der Nordmeere jagen: die mächtigen Walrosse.

Viele kräftige Arme waren notwendig, das erlegte Walross vor dem Versinken zu bewahren.
Von Roger Joos
Pünktlich landete die Maschine aus Zürich am Nachmittag des 31. Juli auf dem Flughafen Domodedowo, etwa 60 Kilometer von Moskau entfernt. Maxim, der uns als Dolmetscher und Jagdführer begleiten sollte, erwartete mich am Zoll mit dem Waffenpermit und einer schlechten Nachricht: Der für den Abend gebuchte Flug nach Anadyr wurde gestrichen. Somit war von den fünf gebuchten Jagdtagen bereits einer perdu.
Auf Kosten von Domodedowo-Airlines wurde ich ins Hotel „Soyuz“ gebracht, wo ich die drei aus Deutschland angereisten Jäger traf. Zwei Jäger unserer Jagdgruppe aus Österreich hatte man noch rechtzeitig erreichen können, sie konnten die Anreise einen Tag verschieben. Wir verbrachten den ungeplanten Ruhetag mit der Besichtigung einiger Sehenswürdigkeiten und schauten uns den hinter Glas aufgebahrten Staatsgründer an. Das Lenin-Mausoleum soll nur noch wenige Tage pro Jahr besichtigt werden können.
Beim Einchecken am nächsten Tag trafen wir dann mit Hans und Heinz aus Österreich zusammen. Geschäftstüchtig wie die Russen sind, hatte man nach den Ereignissen in den USA vom September 2001 auf Jagdwaffen eine nach Gewicht berechnete Gebühr eingeführt, und schon waren wir für drei Gewehre gut 150 US-Dollar los.

 

Es geht los

Der Flug führte über die endlose Tundra nach Tschukotka, wo wir auf dem auch vom Militär benutzten Flughafen von Anadyr landeten. Eine neben der Piste notgelandete MIG hatte man notdürftig ausgeschlachtet, der Rumpf wird wohl auch in 50 Jahren noch dort liegen. Nachdem ich mehrere Fotos gemacht hatte, wurde ich von einem Uniformierten unfreundlich angeschnauzt. „Fotografieren verboten“, übersetzte Maxim.

Wir wurden von Sergei, dem lokalen Veranstalter, und dessen Bruder Alexej erwartet. Der in Petersburg wohnende Sergei erschien im feinen Anzug, trug Krawatte und hatte einen Aktenkoffer dabei. Wir merkten bald, dass er völlig ungeeignet war für alles, was auch nur im entferntesten mit Arbeit und Organisation zu tun hatte.
Samt Gepäck wurden wir in ein uriges „Großraumtaxi“ verfrachtet, das uns in die Stadt brachte, wo wir letzte Einkäufe tätigten. Im Hafen bezogen wir anschließend Quartier auf einem Schiff, das für die nächsten Tage unser schwimmendes Camp war. Ich wählte mit den drei Jägern aus Deutschland die Kabine im Bug, und wir richteten uns in der engen Behausung so weit ein, wie es zu viert auf etwa fünf Quadratmetern eben möglich ist. Das Schiff sah mit 28 Meter Länge aus wie ein etwas zu kurz geratener Zerstörer und schien recht robust zu sein.
Um 22 Uhr verließen wir den Hafen und fuhren mit zwölf Knoten ostwärts Richtung Jagdgebiet. 13 Stunden später gingen wir irgendwo auf See vor Anker. Obwohl das Schiff wegen der starken Dünung die ganze Nacht arg hin und her schaukelte, war es mir nicht übel geworden, obwohl ich nach den Erlebnissen bei der Robbenjagd in Grönland eigentlich fest damit gerechnet hatte. Auch die anderen Jäger hatten die Nacht gut überstanden. Ich hatte sehr gut geschlafen, doch merkte ich die elf Stunden Zeitverschiebung schon in den Knochen.
Ab zwölf Uhr erwartete man die aus Egvikinot stammenden einheimischen Jagdführer. Mit fünf Stunden Verspätung kam dann deren Boot längsseits und machte fest. Sie hatten an einer anderen Stelle auf uns gewartet. Was sind schon fünf Stunden in einem so großen Land! Sie sprachen mit Sergej und dem Kapitän und zeigten ihnen auf der Karte, wo sie Walrosse gesichtet hatten.

 

Die zweite Verzögerung

Erst jetzt bemerkte Sergei, dass er vergessen hatte, die für die Fahrt in dieses Gebiet nötige Bewilligung einzuholen. Das sollte jetzt per Funk nachgeholt werden. Aber es funktionierte nicht. Das Gerät blieb auch stumm, als es der Funker mit Lötkolben und Schraubenzieher zu reparieren versuchte. Das nächste Telefon war in Kanergino, etwa 20 Seemeilen nördlich. Wir hatten keine andere Wahl. Kurz vor 21 Uhr ankerten wir vor Kanergino, und man brachte Sergej samt Aktenkoffer in einem Rettungsboot an Land. Zwei Stunden später hatte er die Bewilligung, und kurz vor Mitternacht ging es dann endlich los.

Erstmals machte sich Unmut breit wegen der schlechten Organisation. Denn wieder war fast ein ganzer Jagdtag vertrödelt worden. Wenn jetzt noch schlechtes Wetter aufziehen sollte, würde es knapp werden. Um drei Uhr in der Früh gingen wir etwa an der Stelle wieder vor Anker, wo wir am Vortag auf die Jagdführer gewartet hatten. Warum wir, statt weiter zu fahren, hier zweieinhalb Stunden Pause machten, war uns allen ein Rätsel. Die See war ruhig, und so kamen wir anschließend gut vorwärts und erreichten am Sonntag, dem 4. August, bei prächtigem Wetter kurz nach Mittag endlich den Ankerplatz im Jagdgebiet. Fast vier Tage hatte die Anreise gedauert.
Nach dem Mittagessen machten wir uns für den ersten Landgang bereit. Es erstaunte uns immer wieder, was der Koch aus seiner gut zwei Quadratmeter großen Kombüse alles hervorzauberte. Frisches Obst, ja sogar Bananen gab es an Bord.
Bereits zu einem früheren Zeitpunkt war durch das Los entschieden worden, in welcher Reihenfolge wir sechs Jäger geführt werden sollten. Ich bestieg mit Heinz und Andreas das etwa acht Meter lange, sehr robuste Boot der Tschuktschen. Obwohl es von einem neuen japanischen Außenborder mit 115 PS angetrieben wurde, dauerte die Überfahrt zu einer Insel etwa 30 Minuten.
Bei früheren Jagden war Treibstoff Mangelware, und Fahrten mit dem Boot mussten auf das Notwendigste beschränkt werden. Wir hatten in Anadyr mehrere Fässer an Bord genommen und so keinen Mangel. Während wir Probeschüsse machten, raste das Boot mit sicherlich 30 Knoten zurück, um die anderen Jäger zu holen.
Unser Lagerplatz schien schon früher regelmäßig benutzt worden zu sein; er entpuppte sich als wahre Fundgrube. Wo man auch hinsah, lagen verwitterte Knochen von Walen und Walrossen. Es muss hier über Jahrzehnte hinweg erfolgreich gejagt worden sein. Die Insel war an dieser Stelle etwa einen Kilometer breit und erhob sich nur wenige Meter aus dem Meer. Wenn man sich auf eines der vielen am Strand liegenden Fässer stellte, konnte man mit dem Fernglas die auf der anderen Seite der Insel liegenden Walrosse sehen.
In der Zwischenzeit waren die restlichen Jäger eingetroffen. Es wurden auch einige Kartons voll Lebensmittel sowie Trinkwasser und Campingmaterial ausgeladen. Auch ein Funkgerät wurde installiert; aber auch dieses funktionierte später nicht.

Fotos: Roger Joos

Jagd

Maxim und einer der Führer rüsteten sich jeder mit einem halbautomatischen SKS-Schnellfeuergewehr aus, und zusammen mit den Jägern, die die Nummern 1 und 2 gezogen hatten, gingen sie los. Ich spazierte den Strand entlang auf der Suche nach verborgenen Schätzen und wurde bald fündig. Backenzähne vom Walross unterschiedlichster Größe, rostige Werkzeuge und Geräte und sogar Reste von alten Harpunen-Spitzen aus Knochen und Elfenbein. Dazu jede Menge alte Patronenhülsen. Innerhalb kurzer Zeit hatte ich über 90 Hülsen in acht verschiedenen Kalibern in der Tasche.
In unmittelbarer Nähe war ein Hügel von einigen Metern Durchmesser und etwa zwei Meter Höhe, der oben ausgehöhlt war. Die Öffnung war mit Holz notdürftig abgedeckt, wie der Eingang zu einem Schacht. Maxim erklärte uns, dass die Tschuktschen früher zeitweise in solchen Höhlen gelebt hatten, die sie oben mit Fellen verschlossen.
Wir sammelten Treibholz und machten Feuer. Ein Guide setzte Wasser auf, es gab Tee und Kaffee. Wir machten ein Picknick am Strand und genossen das herrliche Wetter und die sommerlichen Temperaturen. Auch von erhöhter Stelle aus konnte man nichts erkennen, und Schüsse hatten wir wegen des Windes und der Wellen nicht gehört. Es war etwa 21 Uhr, als die vier wieder zurück waren. Heinz strahlte, Andreas war die Enttäuschung von weitem anzusehen.
Die beiden waren mit je einem Guide an verschiedenen Stellen an die große Herde herangerobbt, und jeder hatte sich einen guten Bullen ausgewählt. Heinz hatte sich einen kapitalen Bullen ausgesucht, und als der wieder einmal still hielt, schoss er auf den Träger. Das mächtige Tier sackte wie vom Blitz getroffen in sich zusammen, kam jedoch nach wenigen Sekunden wieder hoch und versuchte, das Wasser zu erreichen. Ein weiterer Schuss aus der 8x68S ließ ihn erneut zusammensacken. Nach geraumer Zeit erhob er sich erneut, und ein dritter Schuss in den Nacken ließ ihn endgültig verenden.
Nachdem Heinz den ersten Schuss abgegeben hatte, schoss auch Andreas auf einen Bullen. Dieser blieb zunächst regungslos liegen, während alle anderen Stücke zum Meer flohen. Plötzlich kam der beschossene Bulle wieder hoch und setzte sich Richtung Wasser in Bewegung. Umgeben von unzähligen anderen fliehenden Walrossen konnte Andreas nicht nachschießen, der schwerkranke Bulle erreichte das Ufer und verschwand im Meer. Anders als Robben sinken verendete Walrosse auf den Meeresgrund und kommen nicht wieder hoch. Der Bulle war verloren und die Enttäuschung groß. Andreas war sauer, dass sein Guide nicht sofort nachgeschossen hatte.

Jagd 2

Nach einiger Zeit gab Maxim bekannt, dass er in einer Stunde mit den Jägern Nr. 3 und 4 versuchen wollte, zwei Bullen zu erlegen. Ich hatte die 3 und Herbert die 4 gezogen. Nach den Ereignissen vom Nachmittag hatte ich ein etwas flaues Gefühl in der Magengegend, und Herbert ging es, glaube ich, ganz ähnlich. Ich hatte bereits vor Jahren das atlantische Walross bejagt, doch hatte ich diese nicht so schusshart in Erinnerung. Das pazifische Walross ist viel stärker und schwerer, doch dass selbst Trägerschüsse mit der 8x68S die Bullen nicht auf den Platz bannen konnten, gab mir zu denken.
Es war Nebel aufgezogen und an eine Fahrt mit dem Motorboot zurück zum Schiff nicht zu denken. Nur mit einem GPS-Gerät hätten wir es gefunden. Da niemand von uns einen Schlafsack mitgenommen hatte, richteten wir uns auf eine kalte Nacht ein und sammelten eifrig noch mehr Treibholz, um wenigstens die ganze Nacht Feuer zu haben.
Die Sonne war bereits seit geraumer Zeit hinter dem Horizont verschwunden, als wir uns auf den Weg machten. Immer der Wasserlinie entlang liefen wir um die Insel herum. So konnten wir überprüfen, ob die Herde wieder an Land gegangen war. Unterwegs fand ich einen vollständigen Bärenschädel der lose im Kies lag. Da auch die Reißzähne noch vorhanden und in gutem Zustand waren, packte ich ihn kurzerhand ein. Später im Camp konnte ich sie aus dem Knochen herauslösen.
Wir kamen an die Stelle, wo Heinz zu Schuss gekommen war. Wir waren noch etwa 200 Meter entfernt, als wir in der heraufziehenden Dämmerung den von Heinz erlegten Bullen erkennen konnten. Er lag etwa 30 Meter vom Ufer entfernt.
Obwohl Anfang August die Tage sehr lang sind, wurde das Tageslicht immer schwächer, und die kurze Nacht stand bevor. Auf allen vieren krochen wir vorsichtig näher. Vom höchsten Punkt einer Düne, wo wir lagen, ging es flach und ohne die geringste Deckung zum Meer hinunter, der Höhenunterschied betrug hier vielleicht drei oder vier Meter. Wo sich am Nachmittag mehrere hundert Walrosse getummelt hatten, lagen jetzt bestenfalls 15 Stück. Doch sie waren nur wenige Meter aus dem Wasser gekrochen, und ich hatte den Eindruck, dass sie recht nervös und unruhig waren. Ich sollte einen Tag später noch erleben, dass sie selten wirklich ruhig liegen.
In der Zwischenzeit war es schon recht duster geworden, und dies ermöglichte es uns, bis an den toten Bullen heran zu kriechen. Er bot gute Deckung, und ich konnte die nun offen vor mir liegenden Stücke in Ruhe ansprechen. Es stank grauenhaft! Der ganze Strand war durch die Losung der vielen Walrosse braun eingefärbt. Auch Herbert war aufgerückt. Wir hatten abgesprochen, dass wir uns bei Bedarf gegenseitig Schützenhilfe leisten würden.
Ein Bulle war dabei, der meinen Vorstellungen entsprach. Doch in der Zwischenzeit war es fast Mitternacht, und meiner Ansicht nach war ein Schuss bei diesen Lichtverhältnissen auf den so dicht am Wasser liegenden Bullen nicht mehr zu verantworten.

Jagd 3

Um das Wild nicht zu beunruhigen, zogen wir uns vorsichtig zurück und traten den Rückmarsch zum Camp an. Obwohl es sich in der Zwischenzeit merklich abgekühlt hatte, schwitzte ich in meiner Wathose fürchterlich. Die Wollsocken saugten den Schweiß auf, und als ich im Camp die Kleider wechselte, roch es ziemlich streng! Nach einem kurzen Imbiss zog ich alle Kleider an, die ich dabei hatte, und gönnte mir in einer windgeschützten Mulde zwei Stunden Schlaf, bevor es kurz vor drei Uhr wieder los ging.
Um nicht gleich wieder in nassen Socken umher laufen zu müssen, hatte ich die Wathose diesmal nicht angezogen. Es war, wie sich heraus stellen sollte, ein Fehler. Zielstrebig gingen wir zurück an die Stelle, wo wir vor einigen Stunden die kleine Gruppe Walrosse zurück gelassen hatten. Wie am Vorabend robbte ich, so nahe es ging, an die Walrosse heran, wobei mir diesmal ein rostiges Fass als Deckung diente. Herbert lag etwa 30 Meter links von mir in einer kleinen Mulde, und Maxim war rechts von mir in Stellung gegangen. Das Ansprechen war von hier aus einfach: Es war ein guter Bulle in der Gruppe. Er lag jedoch so ungünstig, dass er die meiste Zeit verdeckt war. Ich deutete Maxim an, dass ich zu Herbert hinüber kriechen wollte.
Vorsichtig schob ich mich Stück für Stück weiter. Und jedesmal, wenn eines der Tiere das Haupt hob, verhoffte ich regungslos, bis vorn wieder Ruhe einkehrte: die Nase wenige Zentimeter über dem stinkenden Kies, die Kleider von oben bis unten voll Kot und auch die Hände verschmiert mit der braunen Brühe.
Endlich drüben angekommen, schaute ich nochmals durchs Glas. Ich wollte sicher sein, den richtigen Bullen zu schießen. Wenn er sein Haupt hob, konnte ich ihn gut ansprechen, sobald er sich wieder hinlegte, war er hinter einer leichten Erhebung verschwunden. Er würde also nach dem Schuss für mich nicht mehr sichtbar sein, soviel stand fest.
„Wenn Du ihn nicht schießen willst, mir ist er stark genug“, flüsterte Herbert. Auch mir war er stark genug, und ich sagte ihm, er solle sofort nachschießen. Maxim hatte seine Simonov auch im Anschlag. Das ZF war gerade auf 2,5-fach gestellt, als der Bulle wieder sein Haupt hob und seinen Artgenossen drohte. Das Fadenkreuz fand die Stelle am hinteren Ende des Schädels beim Trägeransatz, die Kugel war raus und der Bulle im Knall hinter der Erhebung verschwunden!
Neben mir donnerte Herberts Büchse. Ich sprang sofort auf, repetierte im Rennen und sah nach einigen Schritten, wie der Beschossene sich mit den anderen Walrossen drehte, um ins Wasser zu entkommen. Aus Maxims Waffe peitschten Schüsse herüber, als ich meinen zweiten Schuss raus hatte. Der Bulle sackte am Wasser zusammen, doch es war noch Leben im Körper. Ich war auf wenige Meter heran, als mein dritter Schuss in den mächtigen Leib einschlug.
Er zeichnete gut sichtbar, das Walross lag jetzt aber schon im Wasser. „Sch…… nochmal“, dachte ich mir, das darf doch nicht wahr sein! Warum trug ich jetzt keine Wathose! Ich überlegte noch, ob ich gleich so ins Wasser laufen sollte, um den anscheinend verendeten Bullen fest zu halten, oder ob ich erst die Schuhe ausziehen sollte, da war Maxim schon dran und erwischte ihn an einer Flosse und konnte ihn an den Hauern packen. Da kein Seil zur Hand war, wurden kurzerhand zwei Gürtel verknotet und durch ein in die Flosse geschnittenes Loch gezogen.
So konnte der schwere Leib vom Ufer aus zusätzlich gesichert werden. Ich ließ die warmen Kleider am Strand und rannte zurück, um die anderen Führer und ein Seil zu holen. Mir lief der Schweiß nur so herunter. Obwohl es erst kurz vor vier Uhr morgens war, ging die Sonne eben wieder auf. Bald war ich mit dem Seil zurück, und die restlichen Jagdführer folgten wenig später. Eilig wurden der Bulle, so gut es ging, gedreht und Fotos gemacht. Bei sicher 1,5 Tonnen Gewicht ein schwieriges Unterfangen. Dann half ich einem Führer, das Haupt so weit hinten abzuschärfen, dass genügend Haut für das Cape blieb. Zu viert mussten wir das Haupt auf den Strand ziehen. Der Rest versank mit den beiden Gürteln in den Fluten der Beringsee.
Erstmals konnte nun Heinz seinen am Vortag erlegten Bullen näher betrachten. Von der Trophäe war allerdings nichts zu sehen. Als der Bulle nämlich tödlich getroffen zusammengesackt war, hatte er die Hauer mit voller Wucht in den lockeren Kiesboden gerammt. Eine halbe Stunde musste Heinz graben, bis er den ersten Zahn freigelegt hatte. Aber was für ein Zahn. Er war 91 Zentimeter lang: eine Spitzentrophäe! Auch Heinz half mit, das Cape abzuschärfen, der Rest blieb am Strand liegen. Während all dieser Zeit schwammen die Walrosse in kleineren und größeren Gruppen umher, manchmal kaum 100 Meter von uns entfernt.
Wir gingen zurück zu unserem Lagerplatz und wurden kurz darauf zum Schiff gebracht. Der Koch servierte ein kräftiges Frühstück, und dann verzog ich mich trotz herrlichsten Sonnenscheins erst einmal für einige Stunden in meine Koje.

Wieder am Lagerplatz

Nach einem Imbiss am Nachmittag bestiegen wir wieder das Motorboot, das die beiden Schädel mit den Capes inzwischen an Bord gebracht hatte. Gegen 18 Uhr waren wir wieder an unserem Lagerplatz. Die Guides hatten bereits festgestellt, dass die Walrosse noch nicht an den Strand zurückgekehrt waren. So genossen wir den Abend, tranken Tee und saßen gemütlich am Feuer. Ich lag schon lange im Schlafsack, als mich Herbert um Mitternacht weckte. „Der Kadaver des Walrosses von Heinz muss vom Strand weg, die Herde traut sich nicht an Land“, erklärte er. Rund zweieinhalb Stunden dauerte die Nachtübung, fast eine Stunde brauchten wir, um den unförmigen Körper die etwa 30 Meter zum Strand zu rollen. Elf Mann zogen und schoben gleichzeitig. Zurück im Lager verzog ich mich wieder in meinen Schlafsack und wachte…..oh Schreck….erst um die Mittagszeit wieder auf.

Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel, und es war herrlich warm. Um die Walrosse ja nicht zu stören, räumten wir alles zusammen und setzten bis zum Abend aufs Festland über. Da keiner kurze Hosen eingepackt hatte (wer packt schon kurze Hosen ein für Sibirien!) lagen wir in Unterhosen am Strand und ließen uns die Sonne auf den Bauch scheinen. Es folgte ein Picknick und anschließend eine längere Siesta. Das Thermometer zeigte 28 Grad Celsius im Schatten!

Waidmannsheil für alle

Erst gegen 18 Uhr fuhren wir zurück. Die Führer hatten festgestellt, dass wieder eine große Herde am Strand lag, und eine Stunde später gingen vier Jäger mit ihren Führern ans Wild. Herbert und Andreas mit Maxim und die beiden Österreicher mit zwei Tschuktschen. In zwei Gruppen näherten sie sich vorsichtig von beiden Seiten. Ich kroch auf allen vieren ein Stück weit hinter Andreas her und blieb in sicherer Entfernung hinter einem alten Ölfass zurück. Ich hatte gute Sicht auf die etwa 250 Meter vor mir liegenden Walrosse. Die anderen krochen weiter und waren bald im hohen Gras verschwunden.
Ich hatte einen Logenplatz und konnte beide Gruppen beobachten. Es dauerte noch einige Zeit, bis Herbert einen Bullen beschoss und somit auch die beiden Österreicher schießen durften. Ich stand auf dem Fass und sah, wie die Herde in wilder Flucht sich Richtung Meer drängte. Als ich erkennen konnte, dass am Strand mehrere Walrosse lagen und sich die Jäger erhoben, lief ich rasch nach vorne. Fünf Bullen lagen tot oder schwer getroffen am Strand, ein Tschuktsche rannte hin und gab jedem Bullen zur Sicherheit einen Fangschuss.
Andreas hatte doch noch eine zweite Chance bekommen, die er auch nutzen konnte. Dies jedoch erst, nachdem er Sergei 2.000 US-Dollar in bar bezahlt hatte. Bevor wir gebucht hatten, wurde uns versprochen, dass wir bei „Verlust“ einer Trophäe ohne Aufpreis auf einen zweiten Bullen jagen dürften. Wir hatten uns dies leider nicht schriftlich bestätigen lassen. Die Trophäe des fünften Bullen behielt Sergei für sich.
Es musste wohl an die Guides die Weisung ergangen sein, dafür zu sorgen, dass an diesem Abend bei jedem Jäger ein Walross zu liegen habe. Denn um Geld zu sparen, wollte man so rasch wie möglich nach Anadyr zurück. Das Schiff musste ja für jeden Tag, an dem es auf See war, bezahlt werden. Dies war nach unserer Rückkehr Anlass für erboste Diskussionen. Während die Vermittler in Europa und Moskau ihre Arbeit soweit gut gemacht hatten, versagte der lokale Veranstalter.
Als sich die Situation etwas beruhigt hatte, machten wir eilig einige Fotos und zogen uns dann zurück. Wir sollten den Lagerplatz räumen und mit allem Material zum Schiff zurück fahren. Dort trafen wir um 23 Uhr ein. Obwohl nun doch noch alle Jäger Weidmannsheil gehabt hatten, war die Stimmung seltsam bedrückt. Niemand mochte sich über das „Massaker“ so richtig freuen.

Wieder an Bord

Wieder an Bord

Drei Stunden später kam das Boot mit den Führern und den Trophäen nach. Eine nach der anderen wurde an Bord gehievt. Nicht ganz einfach, denn ein unbearbeitetes Cape wiegt mindestens 70 Kilogramm! Als alles umgeladen war, übergaben wir den Tschuktschen ein angemessenes Trinkgeld und einige Geschenke. Einen großen Sack voll Kleider, die wir nicht wieder mitnehmen wollten, gaben wir ihnen ebenfalls mit.

Diskret, und doch nicht unbeobachtet, reichte Sergei ein größeres Notenbündel ins Boot der einheimischen Führer. Es wäre interessant zu wissen, wieviel vom ursprünglich bezahlten Geld hier ankommt und wie viel unterwegs in welchen Taschen verschwindet.
Sicher aber wird der Großteil des Geldes „unterwegs“ verteilt. Ein Vermittler in Europa, ein „Zwischenhändler“ in Moskau, der die Jagd seinerseits bei Sergeis Firma in Petersburg gebucht hatte, und am Schluss der Kette die einheimischen Führer. Wenn die wüssten, was die Reise in Europa kostet….
Kaum hatten die Guides ihren Lohn erhalten, verabschiedeten sie sich, und Minuten später waren sie mit ihrem Boot in der Dämmerung verschwunden. Kreischend und quietschend zog die Winde den Anker hoch, der Diesel hämmerte los, und 450 PS beschleunigten das Schiff. Fast auf die Stunde genau zweieinhalb Tage hatten wir uns hier aufgehalten. Von den zugesagten fünf Jagdtagen war uns die Hälfte geblieben. Auch dies sorgte später für hitzige Diskussionen mit dem Vermittler und dem „Zwischenhändler“ in Moskau.
Es wurde eine lange Nacht. Wir saßen noch einige Stunden unter Deck im Essraum, das bisher Erlebte wurde besprochen und manch anderes dazu. Ich hatte noch einige Dosen Bier, und die wurden nun nach und nach geleert. Es war schon wieder hell, als ich müde in Richtung Kajüte aufbrach. Wie in einem alten U-Boot ging es durch einen engen Einstieg eine über drei Meter lange Leiter senkrecht nach unten. Bei schwerer See oder einigen Dosen Bier mehr wäre es recht ungemütlich und wohl auch nicht ganz ungefährlich gewesen, in unsere Unterkunft zu gelangen.
Um acht Uhr wurde ich wach und stieg an Deck, denn ich wusste doch, was oben an Arbeit auf mich wartete. Die frische Luft tat gut, und langsam kehrten die Lebensgeister zurück. Mir war nicht nach Frühstück zumute. Ich holte das Skalpell und die Ersatzklingen, schleppte mein Cape zum Heck und machte mich an die Arbeit. Wenige Minuten dauerte es, bis eine Klinge stumpf war und ersetzt werden musste. Acht Stunden und 60 Klingen später war ich fertig und das Cape gut 40 Kilogramm leichter. Und doch wog es immer noch 30 Kilogramm! Walrosshaut ist das zäheste, was ich je bearbeitet habe; diesem Material hält keine Schneide stand! Die Möwen folgten dem Schiff und machten sich gierig über jedes Stück her, das ich über Bord warf.
Um 19 Uhr erreichten wir Anadyr. Erst kam ein Wagen für unsere Trophäen, er brachte sie zu einem örtlichen Präparator, der sie für den Transport nach Moskau weiter verarbeiten sollte. Während wir auf unseren Fahrer warteten, beobachteten wir einige Jungen, die im Hafen mit einfachsten Angeln und einem kleinen Netz Lachse von über einem halben Meter aus dem Wasser zogen. Wir waren guter Hoffnung, denn es sollte am nächsten Tag mit einem kleinen Boot zum Lachsangeln gehen.
Endlich wurden wir abgeholt und ins Hotel gebracht, wo wir uns schnell duschen und umziehen mussten, um im nahe gelegenen Restaurant noch etwas zu bekommen. Bald kehrte an diesem Abend Ruhe ein.

Selbst präparieren

Selbst präparieren

Nach dem Frühstück packten wir unser Angelzeug ein und warteten vor dem Hotel auf Maxim. Als er endlich kam, stand wieder einmal eine kurzfristige Programmänderung an. Der Präparator, bei dem die Trophäen seit dem Abend waren, komme nicht recht voran, wir sollten besser auf den Angelausflug verzichten und statt dessen die Vorpräparation unserer Trophäen überwachen. Bis uns ein Fahrzeug zur Werkstatt des Präparators bringen könne, würden wir noch die beiden örtlichen Museen besichtigen. Nach dem Mittagessen, das wir wieder selber bezahlten, wurden wir endlich abgeholt und waren um 15 Uhr beim Präparator.

Dort lagen die Säcke mit unseren Trophäen noch so vor der Baracke, wie man sie 20 Stunden vorher abgeladen hatte. Man hatte keinen der Säcke auch nur angerührt, geschweige denn daran gearbeitet. Jetzt wurden wir sauer und die Sprache deutlich lauter. Maxim war die Sache sichtlich peinlich. Er versuchte zu retten, was noch zu retten war. Der Zustand der Werkstatt lässt sich mit Worten kaum beschreiben! Das Innere des Gebäudes entpuppte sich als eigentliches Gruselkabinett. Alles war dreckig, schmierig und fettig! Wo man auch hintrat, man drohte auszurutschen. Dazwischen lagen rostige Werkzeuge und Geräte, und es roch entsprechend.
Draußen wurde in aller Eile ein schweres Eisengestell herbeigeschafft und darunter ein Feuer entfacht. Zwei große Eimer mit Wasser und je einem Schädel wurden aufgesetzt. Nach etwa einer Stunde wurden die Schädel herausgenommen und ein dicker Balken zwischen die Hauer gelegt. Zwei Mann mussten den Schädel leicht anheben, dann schlug Maxim mit einem riesigen Hammer auf den Balken, bis wir die Hauer heraus hatten oder der Balken brach.
Drinnen waren Sergeis Bruder und ein weiterer Russe dabei, die Felle zu bearbeiten. Der Chef selber rührte die Felle nicht an. Während sich die beiden mit den Fellen abmühten, saß er in einem Nebenraum am Boden und reparierte ein Fischernetz. Möglich, dass die Bezahlung so gering war und er es vorzog, gar nicht erst mit der Arbeit zu beginnen. Sergei ließ sich den ganzen Tag entschuldigen: Er habe dringende Geschäfte zu erledigen.
Am Abend tauchte der „Warmduscher“, wie er von uns genannt wurde, dann doch noch auf. In Timberland-Schuhen und feinen Hosen. Der Vorwurf, dass wir hier für ihn die Arbeit machten, für die wir bezahlt hatten, ließ ihn unbeeindruckt. Er musste zum Schluss doch noch beim „Zähne ziehen“ Hand anlegen. Zufrieden konnten wir feststellen, dass seine feinen Kleider bald so verspritzt waren wie unsere Jagdhosen.
Nach 22 Uhr brachte man vier von uns in den Ort zurück, damit wir im Hotel noch etwas zu Essen bekamen. Aber auch von uns ernährten sich in der Nacht einige „Tierchen“: Flöhe und Kakerlaken bevölkerten mit den Gästen das Hotelzimmer.

Heimflug

Heimflug

Geplant war eigentlich, dass die Trophäen nach unserer Abreise mit einer Frachtmaschine nach Moskau gebracht werden sollten. Maxim wollte sie nun aber nicht hier zurück lassen. Das Risiko, dass sie Moskau nie erreichen würden, war ihm zu groß. Alles wurde in Säcke verpackt und für den Rückflug vorbereitet. Es waren rund 400 Kilogramm Übergepäck. Wir müssten mit vier US-Dollar pro Kilo rechnen, klärte uns Maxim auf. Als weitere Nebenkosten mussten wir auch die beiden Übernachtungen sowie die Verpflegung in Anadyr selbst bezahlen, obwohl wir gemäß Buchungsvertrag für Unterkunft und Verpflegung bezahlt hatten. Sergei hatte für das Schiff drei Charter-Tagesraten weniger bezahlen müssen, doch fühlte er sich für die Mehrkosten für Unterkunft und Verpflegung nicht verantwortlich.
Statt der erwarteten 1.600 US-Dollar für das Übergepäck „löste“ Maxim das Problem mit 800 Dollar Schmiergeld. Die Säcke verschwanden beim Einchecken ohne weitere Fragen hinter dem Schalter. Auch die Gebühr für die drei Waffen war beim Rückflug geringer. Es zeigte sich wieder einmal, dass Maxim der richtige Mann war, wenn es etwas zu organisieren gab. Schade dass er nicht mehr Befugnisse hatte, den Ablauf der Jagd zu bestimmen. Die Reise wäre anders verlaufen.
Der Flug zurück nach Moskau war eigentlich problemlos. Wegen eines Tankstops irgendwo in Sibirien kamen wir aber viel später als erwartet in Moskau an. Erst gegen 23 Uhr waren wir im Hotel, viel zu spät für das Nachtessen in dem von Maxim empfohlenen Lokal mit ukrainischen Spezialitäten.
Da für die Einfuhr einer Walross-Trophäe in die Schweiz, aus der ich komme, nur eine amtliche Herkunftsbescheinigung (also kein CITES-Dokument) nötig ist, wollte ich diese beim Heimflug gleich als Übergepäck mitnehmen. Ich hatte dies dem Veranstalter in Moskau lange vor Antritt der Reise mitgeteilt, damit er genügend Zeit hatte, die Papiere zu besorgen. Denkste! Seit kurzem sei für die Ausfuhr ein CITES-Dokument nötig, und er brauche etwa zwei Wochen, um dieses zu besorgen. Die Trophäe würde dann per Luftfracht zugestellt.
Inzwischen sind fast sechs Monate vergangen, meine Einfuhr-Bewilligung ist abgelaufen und die Trophäe immer noch in Moskau. Vielleicht klappt es ja zu Ostern …

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