Nach Alberta ausgewandert und kaum in der neuen Heimat Fuß gefasst, wollte ich mein Glück auf einen Schwarzbär versuchen. Es kam aber anders – Frust und Lust eines „Greenhorns“ in Kanada.
Von Frans Diepstraten
Alles ist von dem Regen der letzten Tage völlig durchnässt. Das Streichholz brennt mit einer kleinen, flackernden Flamme. Vorsichtig halte ich Kienhölzer in das Feuer, das nicht recht angehen will. Immer wieder sträubt sich das Feuerchen, bis längeres Pusten und der Verbrauch einiger Papierschnippsel endlich das gewünschte Resultat erbringen. Schnell baue ich das Zelt auf und lege alles hinein. Als ich mich endlich ans Feuer setze, ertönt aus der Ferne ein Geheul, erst sanft, dann aber schnell anschwellend, bis es unverkennbar ist: ein Wolf!
Die Eindrücke einer Reise im Sommer 2001 haben mich bis hierhin gebracht, in den Schatten der Rocky Mountains, die jetzt in Dunkelheit und Nebel verschwunden sind. Nach jener Reise beschlossen meine Frau und ich, nach Kanada umzusiedeln. Schon lange trieb es vor allem mich dazu, den einem Ameisenhaufen ähnelnden Lebensstil im Westen der Niederlande hinter mir zu lassen. Und jetzt, mit fast 40 Jahren, die Kinder noch keine zehn, ist wohl der richtige Zeitpunkt.
Auf nach Alberta
Wir brauchten einige Monate, um den ganzen Papierkram, den die Beantragung einer permanenten Aufenthaltsgenehmigung für Kanada mit sich bringt, zu erledigen. Unsere Dokumente trafen am 11. September 2001 bei der kanadischen Botschaft in Berlin ein ? am gleichen Tag als in den Vereinigten Staaten diese fürchterlichen Ereignisse stattfanden. Ende Oktober 2002 erhielten wir endlich unsere Reisepässe mit dem lang ersehnten Visum, und im Februar diesen Jahres ließen wir dann, nach unserem Abflug von Frankfurt mit sieben Stunden Verspätung, endgültig Westeuropa hinter uns.
Lange habe ich mir um meine vier Langwaffen Sorgen gemacht. Verkaufen wäre am leichtesten gewesen, aber zu dieser Zeit diskutierten die Jägerschaft und die Behörden in den Niederlanden über die Interpretation des neuen Jagdgesetzes ? des „Flora- und Fauna-Gesetzes“, wie es jetzt heißt. Viele Jäger fürchteten den Verlust ihrer Kugelwaffen. Der Markt für Gebrauchtwaffen war also nicht ideal. Deshalb mussten meine Gewehre mit. Ich führte endlose Telefonate mit den niederländischen und den kanadischen Behörden und verbrachte Stunden im Internet. Keiner konnte mir genau sagen, wie ich vorgehen sollte. Die zuständige kanadische Behörde war derzeit, und ist es noch immer, sehr beschäftigt, die obligatorische Registration der Feuerwaffen zu erledigen und war dadurch unerreichbar. Zwei Waffen habe ich dann an einen Waffenhändler in Britisch Kolumbien geschickt, und die anderen beiden einfach mit auf meinen Flug genommen.
Im November 2002, während eines Besuchs in Alberta, hatte ich die Waffensicherheitsprüfung gemacht und den Waffenschein beantragt. Der Zollbeamte in Calgary hatte dann wieder seine eigenen Regeln und wollte mir die Einfuhr der Waffen verweigern. Ein einfacher Ausdruck einer E-Mail vom „Canadian Firearms Centre“, die abends vor der Abreise eingetroffen war und die Ausstellung meines kanadischen Waffenscheins bestätigte, reichte dann plötzlich aus. Ich brauchte nicht einmal die Waffen vorzuführen.
Die nächsten Schritte waren leicht. An einem Sonntag-Nachmittag holte ich mir bei einer Tankstelle meine WIN-Karte (Wildlife Identification Number), den Jagdschein und die Schwarzbärlizenz. Die WIN-Karte braucht jeder, der in Alberta jagen möchte, auch Ausländer. Dabei betrachtet man jeden, der in Alberta wohnt von Anfang an als „Resident“, was für die Verfügbarkeit und den Preis der Lizenzen (Tags) sehr wichtig ist. Hat man in Alberta „oder irgendwo anders“ einen Jagdsicherheitskurs bestanden, kann man ebenfalls den Jagdschein (Wildlife Certificate) lösen. Dabei wurde nicht nach einem Beleg oder Dokument gefragt, nur die Phrase „oder irgendwo anders“ schlug der Tankstellenwart im Reglement nach. Die WIN-Karte ähnelt einer Kreditkarte, der jährlich zu lösende Jagdschein ist nicht mehr als ein Kassenzettel.
Die ersten Jagdversuche
Schon am 1. April fängt in einigen Gebieten (Wildlife Management Units, kurz WMU) Albertas die Schwarzbärjagd an. Selbstverständlich fieberte ich diesem Tag entgegen. Ich erhielt viele gute Ratschläge wie „suche nach Südhängen, die schon grün sind“ oder „halte dich an Rohrleitungs-Schneisen“ oder „fahre einfach Waldwege entlang, bis du Spuren siehst“. Alles gute Tipps, aber am 1. April war alles noch völlig vereist. Trotzdem ging ich an diesem Tag hinaus, und in den darauffolgenden Wochen mindestens einmal pro Woche. Dabei vermied ich den Samstag wegen der vielen Spaziergänger in den Bergen. Am Sonntag ist die Jagd in Süd-Alberta generell nicht gestattet.
Außer einer Verbesserung meiner Kondition brachten diese Trips aber nichts. Der Frühling begann in diesem Jahr spät, wodurch die Bären länger Winterschlaf hielten. Als es dann endlich wärmer wurde, endete in der ersten Wildlife Management Unit, die bis dahin Ziel meiner Erkundungen war, die Jagdsaison. Ich musste also in einem anderen Gebiet von vorne anfangen. Aber wohin diesmal?
Ein Großteil des Landes in Alberta gehört Privatpersonen oder Unternehmen. Jagen kann man dort nur mit einer Genehmigung des Grundeigentümers. Es gibt aber ein riesiges Gebiet, das so genannte „Crown Land“, in dem jeder jagen kann, der keine Mühen scheut, dorthin zu gelangen. Für manche Gebiete aber braucht man nicht mehr als eine Stunde zu fahren. Das gilt leider nicht nur für Jäger, sondern auch für Motorrad- und Quadfahrer, die ihr Hobby in diesen Gebieten ausüben wollen. Als ich ausnahmsweise an einem Sonntagmorgen einen kurzen Ausflug machte, kamen mir während meiner Rückfahrt nicht weniger als zwei Dutzend Geländefahrzeuge, mit je zwei oder mehreren Motorrädern oder Quads auf dem Anhänger, entgegen. Was mir von Montag bis Freitag als ein idyllisches Jagdgebiet erschien, war in Wirklichkeit die Spielwiese von Anhängern motorisierten Vergnügens!
Langsam dämmerte es mir, dass ich wohl weiter raus musste. Und zwar mehrtägig, um das wirkliche Wildnisempfinden zu spüren, das mich hierher gelockt hatte. Vielleicht würde ich dann auch mehr Glück haben, Schwarzbären zu finden. Beim ersten Anlauf verirrte ich mich vollkommen und fuhr am gleichen Tag spät abends frustriert wieder nach Hause. Allerhand Termine verhinderten einen zweiten Anlauf in das ausgesuchte Gebiet, bis auch dort die Saison zu Ende ging.
Nun blieb mir noch ein Versuch in der letzten Woche vor dem generellen Abschluss der Schwarzbärjagd in Alberta für diesen Frühling. Frust hatte ich schon eine Menge empfunden, Schweiß in Strömen gelassen, aber gejagt in dem Sinne, dass man das Gefühl hat, Wild anpirschen und möglicherweise auch erlegen zu können, hatte ich noch nicht.
In Alberta liegt der größte Teil des Landbesitzes in Privathand. Aber auf dem „Crown Land“ darf jeder jagen. |
Hinaus in die Wildnis
Am Nachmittag der geplanten Abreise zu der WMU, in der die Jagd noch offen war, wurde eine Gewittersturm-Warnung herausgegeben. Es war schon einige Tage regnerisch, aber jetzt sollten die Naturgewalten erheblich zulegen! Allerdings war alles gepackt, der Himmel noch einigermaßen friedlich, und der Rest der Woche mit Terminen ausgebucht – also los! Nach einer halben Stunde Fahrt wurde ich bereits von einem schrecklichen Gewitter eingeholt. Hagelkörner so groß wie Golfbälle geißelten das Dach meines PKWs.
Wenn das Wetter so weiterginge, wäre die Jagd schnell zu Ende! Das Gewitter ging aber in Nieselregen über. Etwa im gleichen Moment wechselte auch die asphaltierte Straße in eine Schotter- und Schlammpiste über. Bei Trockenheit und Frost sind diese auch mit dem PKW sehr gut zu befahren, aber bei Nässe wird der Untergrund weich und riskant. Des Weiteren hatte ich nicht daran gedacht, so bald schon den Asphalt hinter mir zu lassen. Ich hätte noch bei gutem Licht die Anfahrt ins Jagdgebiet beginnen müssen.
Ich hatte mir ein Gebiet am Ende einer langen Straße ausgesucht. Nur dieser einzige Weg führt dort hinein. Vom Ende der Piste aus wollte ich dann zu Fuß bis zum Einbruch der Dunkelheit weitergehen. Ich hatte aber nicht mit diesem Wetter gerechnet. Der „Highway“ war hier nur noch so breit wie anderthalb Autos, Bäume bogen sich über meinem Auto zusammen und die zunehmende Finsternis, der Regen, der Nebel und der aufspritzende Schlamm sorgten für eine unheimliche Atmosphäre.
Ab und zu sprangen Maultier- und Weißwedelhirsche über die Straße, einmal musste ich für eine kleine Pferdeherde eine Vollbremsung hinlegen und sogar ein Schwarzbär kam in Anblick, was meinen Puls in die Höhe schnellen ließ. Als dann der Weg bis an die Baumgrenze hinauf reichte, fing ich an, mich ein wenig mulmig zu fühlen. Oben am Pass hatte ich aber unter mir einen wundervollen Blick auf das Stromgebiet des Clearwater River, wodurch ich neue Kräfte schöpfte.
Als ich endlich am Ende der Straße ankam, sah ich überraschend einen Geländewagen mit Pferdeanhänger. Beamte der „Alberta Sustainable Resource Development“ Abteilung waren offensichtlich schon vor mir in dem Gebiet angekommen. Schnell durchquerte ich auf bloßen Füßen einen kleinen Fluss, „Cutt-Off-Creek“ genannt, und eilte voran, denn ich hatte nur noch eine Stunde Tageslicht! Ich marschierte in einem fort bis zum Einbrechen der Dunkelheit.
Jetzt sitze ich hier vor meinem Zelt am Lagerfeuer und der Wolf heult mir entgegen! Den Schwarzbären, der während der Anfahrt die Straße überquerte, habe ich längst vergessen. Morgen werde ich dem Wolfsgeheul hinterherpirschen!
Wolf-Pirsch Nach einer kalten Nacht – der Schlafsack kann den versprochenen Komfort nicht bieten – wache ich im Nebel auf. Der Regen hat nachgelassen und es wird Zeit für eine Tasse Tee. Als ich dann aufbreche, zeigt sich andeutungsweise am Himmel die Sonne, und die Nebelschwaden verschwinden schnell. Grau und unüberwindbar erheben sich jetzt die Felsen der Rockies hinter einer Kulisse ununterbrochenen Fichtengrüns.
Ich tauche nun in den Wald ein und folge einem schmalen Pfad, auf dem sich Abdrücke von Pferdehufen mit Hirschfährten mischen. Hin und wieder passiere ich Lichtungen, an denen ich vorsichtig entlang pirsche. Der schlammige Boden ist wie ein Buch. Alles was hier kürzlich vorbeigezogen ist, hat deutliche Fährten oder Spuren hinterlassen.
Nachdem ich einige Kilometer zurückgelegt habe, wird die Landschaft langsam offener. Der Pfad gabelt sich und ich schlage die Richtung ein, aus der ich das abendliche Geheul vernommen hatte. Wieder muss der Cut-Off-Creek durchwatet werden, der, wie der Name sagt, eine Kurve des Clearwater River schneidet. Keine Spur mehr von den Rangern, wahrscheinlich haben sie an der Gabelung die andere Richtung gewählt. Ruckartig gehe ich in die Knie. Deutlich sehe ich frische Wolfsspuren! Ob die von dem „Heuler“ sind? Ich rechne aber nicht wirklich damit, den Wolf zu Gesicht zu bekommen, da er ein viel zu schlaues Wild ist.
Trotzdem bemühe ich mich, noch vorsichtiger zu pirschen. Als ich mich kurz am Kopf kratze und darauf die Kappe wieder aufsetzen will, bewegt sich plötzlich etwas in der Ferne. Ein schneller Blick durchs Fernglas zeigt mir den Wolf spitz von hinten, der gemächlich vor mir wegzieht. Er äugt nicht zurück und ist nach einigen Sekunden hinter einer Kurve verschwunden.
Jetzt gilt´s Mein Glück ist anscheinend zurückgekehrt! Den möchte ich mir noch mal „anschauen“. Schnell pirsche ich zu der Kurve und luge vorsichtig um die Ecke. Der Wolf folgt unbeirrt dem Wechsel. Ich bin nun etwa 200 Meter von ihm entfernt. Erst jetzt keimt in mir der Gedanke, dass ich den Wolf schießen könnte. Der Grauhund aber hat meinen Gedanken wohl mitbekommen. Er dreht darauf nach rechts ab und verschwindet im Wald. Nachpirschen ist sinnlos, denn ich kann seinem Tempo nicht folgen, ohne Krach zu machen. Weiter vorne sehe ich eine Lichtung – vielleicht kann ich ihn dort abpassen?
Jetzt geht´s schnell! Die Lichtung ist groß, und zeigt noch weitere offene Flächen tiefer im Wald. Ich pirsche am Waldrand entlang, schlängele um kleinere Büsche herum und blicke immer wieder nach vorn. Selbst wenn ich den Wolf nicht wiedersehen würde, so könnte das doch eine fängische Stelle für einen Schwarzbären sein.
Plötzlich erblicke ich unter einem Baum einen großen grauen Fleck. Der „Fleck“ bemerkt mich auch und wird hoch. Es ist der Wolf! Eindrucksvoll steht er da, offensichtlich überrascht, dass ihm jemand so nah gekommen ist. Es sind nur etwa 30 Meter! Wir schauen uns zwei, drei Sekunden an. Dann dreht Isegrim ab und verschwindet im Unterholz. Bestürzt stehe ich da – das wäre meine Chance gewesen, den sehe ich nie wieder!
Als ich aber in die Richtung schaue, in die der Wolf verschwunden ist, staune ich nicht schlecht. Zirka 50 Meter entfernt verhofft der Graue und sichert zu mir herüber. Ich gehe sofort in Anschlag. Die Bewegung lässt ihn erneut abspringen, aber diesmal in Richtung Lichtung. Ich folge ihm im Fadenkreuz, Entfernung 60, 70 Meter, aber er ist verdeckt. Endlich erscheint der Wolf im Freien und verhofft dann fast breit auf etwa 80 Meter. Jetzt gehört er mir!
Der Schuss ist eigentlich nur noch Nebensache. Die .300 Win.Mag. lässt den Wolfskörper schlagartig aus meinem Blick verschwinden. Erst jetzt kommt das Jagdfieber auf, und ich spüre meinen Herzschlag in den Ohren rasen.
Vorsichtig gehe ich an den Wolf heran, der wie friedlich schlafend daliegt. Er kommt mir ungeheuer groß vor. Ich bin klein gewachsen, bürotrainiert und habe Mühe, ihn hoch zu heben. Mit vielen Pausen schleppe ich die Beute in den Schatten. Jetzt fängt das „Fest“ der Fliegen und Mücken an. Die Sonne hat den Nebel längst vertrieben, und ich gerate ins Schwitzen während ich versuche, den Balg möglichst professionel abzuziehen. Ich nehme deshalb meine Kappe ab, was sich als Fehler erweist, denn mein Haupthaar ist nicht mehr dicht genug, um den blutrünstigen Mücken Widerstand zu leisten. Der Wolfsbalg samt Haupt und Läufen passt in den Tagesrucksack. Was aus dem Rucksack raus muss, findet in allerhand Jacken- und Hosentaschen Platz. Behangen wie ein Weihnachtsbaum trete ich glücklich den Rückweg an.
Halbwegs zurück begegne ich den Verursachern der vielen Pferdespuren. Dabei handelt es sich nicht, wie vermutet, um die Ranger, sondern um eine kleine Herde verwilderter Pferde. Die erste Stute dreht sich um und will von mir wegflüchten, aber der Hengst schneidet ihr wiederholt den Weg ab, beißt sie in die Flanke und treibt sie in meine Richtung. Die ganze Herde geht dann im Galopp ab und überfällt den Cut-Off-Creek etwa 50 Meter entfernt – ein wunderschöner Anblick!
Zurück beim Zelt lasse ich mir noch Zeit für einen Imbiss, packe dann aber ein und erreiche mein Auto kurz vor einem tosenden Gewitter. Es sieht so aus, als hätten die Wetter- und Jagdgötter mit meinen bisherigen Stümpereien Mitleid bekommen und alles Gute für diesem letzten Jagdanlauf in meine Richtung geschickt! Ich schaue noch mal in Richtung Westen. Die grauen Felsen der Rockies werden langsam wieder von den Wolken verdeckt. Ob dort oben wohl Dickhornschafe leben? In zweieinhalb Monaten beginnt die Jagdsaison auf dieses Wild…