Europa Wild Europa Meister Bockert: Biberjagd in Lettland

Meister Bockert: Biberjagd in Lettland

Wer glaubt, dass die Biberjagd einfach sei, der hat sich getäuscht. Meister Bockert ist an seiner Burg sehr vorsichtig, im Wasser bietet er nur ein kleines Ziel und taucht bei dem geringsten Anzeichen von Gefahr sofort unter. Es gibt wohl keine Wildart, bei der so viele Schüsse „daneben gehen“.

Von Roger Joos
Kurz bevor die Maschine aus Prag am 7. April zur Landung ansetzte, meldete sich der Pilot noch mit einer kurzen Mitteilung aus dem Cockpit: „Das Wetter in Riga: leicht bewölkt bei sieben Grad Celsius.“ Ich war nach der Passkontrolle kaum beim Gepäckband angelangt, als Gewehrkoffer und Tasche bereits kamen. Jana kam vom Zollbüro herüber und begrüßte mich freundlich. Sie ist Mitinhaberin des Jagdreisebüros, bei dem ich meine Biberjagd gebucht hatte. Sie hatte die Einfuhrbewilligung für meine Waffe mitgebracht und schon wenig später betraten wir die Empfangshalle, wo zwei weitere Personen auf uns warteten. Haralds, der mit Jana zusammen Inhaber des Jagdreisebüros ist, sowie Iveta, deren Sekretärin.

Auf der Fahrt ins Jagdgebiet holten wir in Riga meine Jagdlizenz ab und waren bald darauf unterwegs ins etwa 40 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt gelegene Murjani. Rund um diesen Ort hat Haralds das Jagdrecht für ein über 20.000 Hektar großes Gebiet gepachtet. Pro Jahr hat er frei: elf Elchbullen und acht Kälber, 60 Stück Schwarzwild, 80 Rehe, drei Auerhähne, 40 Birkhähne, 150 Biber sowie je ein oder zwei Wölfe und Luchse. Zusätzlich Waldschnepfen, viel Flugwild (auch Haselhahn) sowie Raubwild.

Als der Wagen vor meiner Unterkunft hielt, war ich sprachlos! Ein vor drei Jahren direkt an einem Fischweiher erstelltes Blockhaus stand mir zur alleinigen Benutzung zur Verfügung. Auch innen ließ das Haus keine Wünsche offen. Der Hauptraum offen bis unter das Dach, im hinteren Teil des Erdgeschosses das große Badezimmer und die Sauna. Darüber im ersten Stock der offene, über eine Treppe erreichbare Schlafraum mit vielen Fenstern.

Ich sollte mich einrichten, und um 18 Uhr wollte Haralds mich abholen. Ich saß gemütlich auf der Veranda bei einem Bier, als er pünktlich vorfuhr. Wir fuhren zu seinem wenige Kilometer entfernten Haus, wo ich mit der .223 Remington einige Kontrollschüsse machte. Anschließend versuchten wir unser Glück an verschiedenen Bächen, Kanälen und Seen, konnten außer frischen Fraßspuren jedoch nichts finden. Nach 21 Uhr war es so dunkel geworden, dass ein Schuss nicht mehr zu verantworten gewesen wäre.

 

“Schauen anderes Platz“

Pünktlich um sieben Uhr stand Kaspars, ein anderer Jagdführer, mit seinem Pickup vor meiner Unterkunft. Er bog Richtung Wald ab und preschte los, als ob er eben eine Bank überfallen hätte. Mit 80 bis 100 Kilometer pro Stunde raste er über die ungeteerte Straße. Bei einigen Schlaglöchern waren die Erschütterungen derart stark, dass ich vom Sitz abhob. Kurz darauf hielt er an.

Wir stiegen aus und verschwanden, einem kleinen Trampelpfad folgend, im Dickicht. Einige Minuten später erreichten wir einen Steilhang: etwa 20 Meter unter uns eine malerische Auenlandschaft. Kreuz und quer lagen die vom Biber gefällten Bäume, am Ufer eine Biberburg und überall frisch abgenagte Äste. An drei Stellen konnten wir Wellen beobachten, die durch knapp unter der Oberfläche schwimmende Biber verursacht wurden. Ich legte die schussbereite Waffe neben mich und suchte eine geeignete Auflage.

Minutenlang nichts. Dann nahe der Burg einige Wellen, aber kein Nager zeigte sich. Das gleiche Spiel wiederholte sich wenig später. Die fast ausschließlich in der Dämmerung und nachts aktiven Tiere hatten sich in ihren Bau verzogen. Nach etwa 15 Minuten sagte Kaspars nur: „Schauen anderes Platz“, und lief zurück zum Auto. Wir kontrollierten an diesem Morgen mindestens zehn verschiedene Plätze, bekamen aber keinen Biber zu sehen.

Gegen zehn Uhr beendeten wir die Morgenpirsch. Außer reichlich Rehwild hatten wir auch zwei Kraniche beobachten können. Da wir nach Kaspars Meinung eher zu spät dran gewesen seien, sollte ich am nächsten Morgen eine Stunde früher bereit sein. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit frischen Eiern und Elch-Pastete fuhr er mich zurück. Um 18 Uhr würde mich Haralds abholen. Ich hatte den ganzen Tag zur freien Verfügung. Nachdem ich geduscht hatte, genehmigte ich mir zwei Stunden Schlaf. Anschließend setzte ich mich mit einem Buch auf die Veranda und genoss die Ruhe.

Aus Knüppeln, zweigen und Pflanzen-Resten werden die Dämme gebaut. So sind Biber von Schwankungen des Wasserstandes unabhängig.

 

 

 

 

 

Fotos: Jürgen Schiersmann, Sven-Erik Arndt, Roger Joos, Hansgeorg Arndt

“Crazy swimmer“

“Crazy swimmer“

Eigentlich endet in Lettland die Jagdzeit für Biber am 30. März. In Gebieten in denen die immer zahlreicheren Biber Schäden anrichten, kann die Jagdbehörde auf Antrag die Jagdzeit verlängern. Auch um Murjani häuften sich die Klagen der Waldbesitzer, und aus diesem Grund durfte ich noch im April auf dieses westeuropäischen Jägern weitgehend unbekannte Wild jagen.

Am Abend standen wir mit dem Auto auf einer Brücke und kontrollierten einen breiten Kanal, als ich einen Biber entdeckte. Er schwamm mitten im Kanal von uns weg auf die nächste Biegung zu. Als er weit genug von uns entfernt war, wendete Haralds und preschte los.

Er hat bis heute an die 1.500 Biber erlegt und kennt deren Verhalten. Der Biber werde nicht weit schwimmen und ans Ufer gehen, um zu äsen sobald er sich sicher fühle. Wir würden weiter vorne warten und ihn anpirschen. Wir lagen am Ufer bereit und sahen ihn näher kommen. Er schwamm jedoch an uns vorbei und war bald über 100 Meter von uns entfernt. Bestimmt hätte ich ihn von hinten tödlich ins Haupt treffen können, doch wäre er in dem etwa 15 Meter breiten Kanal untergegangen, und wir hätten ihn nie bekommen.

Wir rannten zurück zum Auto und fuhren noch weiter vor den „crazy swimmer“, wie mein Guide den kapitalen Nager in der Zwischenzeit nannte. Die Straße war an dieser Stelle jedoch gut 200 Meter vom Ufer entfernt und weit und breit kein Weg dorthin. Kein Problem für Haralds’ Allrad: rein – und schon zog er eine tiefe Spur durch den frisch gepflügten Acker. Raus aus dem Wagen und im Laufschritt hechteten wir hinter einigen Büschen in Deckung. Genau vor uns versperrte ein breiter Damm den Weg; hier müssten wir ihn endlich abpassen. Er schwamm gemächlich bis auf etwa 40 Meter an unser Versteck heran, verhoffte kurz und tauchte dann ab. Haralds vermutete, dass die Biber auch durch diesen Damm einen Tunnel gegraben hätten und er jetzt diesen Durchgang nehmen würde, um zu seinem Fraßplatz zu gelangen. Kurzer Stellungswechsel, und wir warten, warten, warten … doch nichts geschah!

Als wir uns einmal umdrehten, war er bereits wieder unterwegs in die andere Richtung. Der hatte uns aber ganz schön zum Narren gehalten! Ich solle mich wieder umdrehen und bereit sein, sagte Haralds und rannte los. Außer Sichtweite des eifrigen Schwimmers rannte er an ihm vorbei und stellte sich weiter vorn ans Ufer. Ich hörte klatschende Geräusche, dann war Ruhe.

Einige Minuten später war Haralds zurück. Er hatte versucht den Biber zur Umkehr zu bewegen, doch dieser hätte ihn aus wenigen Metern Entfernung nur interessiert gemustert. Nachdem ihm Haralds einen großen Ast nachgeworfen hatte, klatschte er mit der Kelle aufs Wasser und verschwand. Um eine Erfahrung reicher, traten wir den Rückweg an. Außer viel Rehwild und mehreren Schnepfen sahen wir bis zum Einbruch der Dunkelheit nichts.

Das erlösende “Now“ Am Karfreitag musste ich schon um sechs Uhr bereit sein. Wir schauten zuerst, ob unser „verrückter Schwimmer“ wieder unterwegs war, was jedoch nicht der Fall war. Keinen einzigen Biber sahen wir in den fast vier Stunden, hatten jedoch Anblick von Haselwild, Birkwild und Auerwild. Am Abend fuhren wir an einen See mit breitem Schilfgürtel. Ein gutes Stück liefen wir am Ufer entlang bis an eine Stelle, wo die Biber einen kleinen Bach gestaut hatten, bevor dieser in den See mündete. Durch den Bau eines Dammes hatten die Biber ein etwa zwei Hektar großes Gebiet unter Wasser gesetzt. „Ein sehr interessantes Gebiet“ hatte mir Haralds versprochen.

Wir überquerten den Bach, indem wir über den nur wenige Zentimeter aus dem Wasser ragenden Damm balancierten. Ich war erstaunt, wie stabil so ein Kunstwerk ist, es gab unter unseren Schritten kein bisschen nach. Vorsichtig pirschten wir in dem Sumpfgebiet, das vor seiner „Überflutung“ eine mit Büschen und Bäumen bewachsene Wiese war, Schritt für Schritt weiter. Hinter einem Busch, der uns etwas Deckung bot, blieben wir stehen.

Wir glasten eben die Umgebung ab, als ich eindeutige Fress-Geräusche vernahm. Ich hatte Haralds eben noch mitteilen können, was ich gehört hatte, als ich zwischen den Büschen einen Biber auf uns zuschwimmen sah. Ich hatte das Gewehr bereits in Anschlag. Er schwamm in einem Bogen um uns herum und glitt anschließend lautlos ans Ufer. Ich hatte bereits entsichert, als er sich keine 30 Meter von uns entfernt langsam aus dem Wasser schob.

Das Fadenkreuz hatte das Ziel bereits erfasst, doch Haralds flüsterte „Wait“. Als er fast ganz draußen war und sich breit stellte, kam endlich das erlösende „Now“! Im selben Moment schlug das 3,6 Gramm schwere Geschoss auf dem Blatt ein und warf den Biber zurück ins Wasser. Haralds rannte hin, erwischte den Nager an der Kelle und zog ihn aus dem Wasser. Groß war die Freude über den ersten Biber!

Wir pirschten anschließend vorsichtig noch etwas weiter. Es waren keine 15 Minuten vergangen, als ich wieder Fressgeräusche vernahm. Es dauerte eine Weile, bis wir den Biber zwischen den Büschen entdeckten. Er schwamm langsam in unsere Richtung, genau auf eine leicht aus dem Wasser ragende Stelle zu, an der einige angefressene Äste lagen. Im Zeitlupentempo stieg er aus dem Wasser und schnappte sich einen Ast. Da er von einem Busch verdeckt war, musste ich vorsichtig einen Schritt zur Seite treten, und als der Trägeransatz frei war, schoss ich. Er sackte in sich zusammen und rutschte zurück ins Wasser. Schnell war Haralds am Anschuss und zog den bereits verendeten Nager aus dem Wasser. Was für eine verrückte Jagd! Erst ging zwei Tage überhaupt nichts, und jetzt hatten wir innerhalb weniger als einer halben Stunde gleich zwei erlegt: sie lagen keine 50 Meter auseinander.

”Old beaver‚ very clever”

”Old beaver‚ very clever”

An diesem Abend schmeckte das Bier zum Nachtessen noch besser als sonst. Kaspars ließ mich wissen, dass ich am Morgen bereits um 5.30 Uhr bereit sein solle. Nach dem Essen saßen wir wieder bei mir, und Mitternacht war lange vorbei, als ich mich endlich schlafen legte. Ich glaube das einzige, was die Letten von den Anfang der 90er Jahre abgezogenen Russen übernommen haben, war der ungeheure Durst. Und trotzdem waren meine Führer am Morgen immer fast auf die Minute genau zur verabredeten Zeit bereit. Da hatte ich mich auf einige Tage geruhsame Jagd gefreut, und jetzt musste ich den Wecker auf 5.10 Uhr stellen!

Der Morgen verlief erfolglos, außer einigen Rehen sahen wir nichts. Dunkle Wolken waren aufgezogen, und ein kalter Wind blies. Nach dem Frühstück machten wir in Haralds Garten mit den zwei am Abend erlegten Bibern einige Fotos. Wir waren eben fertig, als wir die ersten Regentropfen spürten.

Abends ging es mit Peteris und Artis, zwei weiteren Jagdführern, wieder auf Biberjagd. Wir wollten auf einen starken Biber ansitzen, der schon mehrfach erfolglos bejagt worden war. Es regnete stark, und der böige Wind machte die Sache auch nicht eben angenehmer. Artis stellte den Pickup auf einen Damm, von dem aus man drei Kanäle beobachten konnte, und zeigte mir die gut 30 Meter vom Auto entfernte Stelle, wo er den unterirdischen Eingang zur Behausung vermutete. Lange passierte nichts. Ich hatte Zeit, um einige Rehe zu beobachten. Wieder war ein Bock dabei mit guter Trophäe. Obwohl er noch im Bast war, konnte man sehen, dass er wohl deutlich mehr als 400 Gramm trug. Artis zischte leise und deutete auf´s Wasser. Wo er den Eingang vermutete, zeigten sich deutliche Wellen und Luftblasen.

Die Luftblasen bildeten eine gerade Linie und diese kam genau auf uns zu. Es sah aus, als ob ein mit Pressluft angetriebener Torpedo auf uns zu steuern würde. Die Blasenbahn „verschwand unter dem Auto“. Ich hatte die Waffe eben in Anschlag gebracht, als Luftblasen auf der anderen Seite aufstiegen. Durch das Zielfernrohr konnte ich die gerade verlaufende Blasenbahn genau verfolgen. Der Biber entfernte sich weiter, …weiter,… noch weiter von uns. Ich sicherte die Waffe und sah nach vorne zu Artis. Der grinste nur und meinte: „Old beaver, very clever.“

Mehr als eine Stunde war anschließend Ruhe, bis wir weit hinten im Wasser einen größeren Ast auf uns zu „schwimmen“ sahen. Der Biber schien eine Mahlzeit mit nach Hause zu bringen. Er kam langsam näher, war jedoch wegen des Astes kaum zu sehen. Er schwamm genau an jene Stelle, wo früh am Abend die ersten Luftblasen aufgestiegen waren. In dieser Gegend sind alle Kanäle miteinander verbunden. Vermutlich war es also der Biber, der uns vor gut einer Stunde unter Wasser entwischt war.

Er dreht sich mit dem Ast, und bevor ich das kleine Ziel erfassen konnte, war er bereits untergetaucht. „Na prima“, dachte ich mir, „die Chance hast Du aber schön verpennt“. Er konnte aber den Ast wohl nicht in seinen Bau schieben, denn Sekunden später tauchte er wieder auf. Während er den Ast elegant umdrehte, versuchte ich ihn ins Glas zu bringen. Bevor ich das Ziel sauber erfassen konnte, war er wieder weg. Während ich mich noch über mich ärgerte, tauchte er wieder auf. Diesmal war ich schnell genug. Im Knall war er verschwunden, nur der Ast schaukelte noch im Wasser. Artis war skeptisch.

Über einen gefällten Baum erreichten wir das andere Ufer. Mit langen Stangen suchte Artis erfolglos den Grund des Kanals ab. Er hatte den Schuss genau beobachten können und war sich sicher, dass ich ihn ganz knapp überschossen hatte. Typisch! Den ziehenden Steinbock auf über 300 Meter sauber getroffen, und jetzt den Biber auf 30 Meter gefehlt! Was soll´s: Knapp vorbei ist auch daneben. Wir suchten trotzdem den ganzen Kanal ab.

Bordeaux für den dritten Biber Als mich Artis am Ostersonntag um halb sechs Uhr abholte, war alles gefroren. Noch bei Dunkelheit ließen wir den Wagen stehen und pirschten vorsichtig einem Bach entlang, der bis zu zwei Meter tief ausgespült war. Wir waren noch nicht sehr weit gekommen, als wir die bereits bekannten Fressgeräusche hörten.

Da es noch sehr dunkel war, dauerte es einige Zeit, bis ich den Biber auf der anderen Seite des Baches am Ufer entdeckte. Er war so mit Äsen beschäftigt, dass er uns nicht bemerkt hatte, obwohl uns nur gut 25 Meter trennten. Das Rauschen des Wassers hatte wohl unsere Pirsch übertönt, denn bei jedem Schritt knirschte der gefrorene Boden fürchterlich. Ich kniete mich langsam hin und nahm die Waffe in Anschlag. Ich erkannte, dass es sich um ein kleineres Exemplar handelte und er genau spitz stand. Sobald er sich leicht drehen würde, könnte ich schießen. Ich konnte genau erkennen, wie er den Ast, an dem er nagte, fallen ließ und so schnell im Wasser verschwand, dass ich nicht mehr zu Schuss kam. Er war endgültig weg.

Bald darauf fuhren wir den Bach entlang, um in ein anderes Gebiet zu gelangen. Wir passieren eben eine Stelle mit vielen Wirbeln und Strudeln, als wir kurz den Rücken eines Bibers aus dem Wasser ragen sahen. Raus aus dem Wagen, repetieren und zum Ufer rennen. Knieend, die entsicherte Waffe in Anschlag, wartete ich gespannt. Direkt vor mir am Ufer tauchte er nach wenigen Sekunden auf, anscheinend hatte er unsere Anwesenheit bisher gar nicht bemerkt. Ich schoss sofort auf den nur wenig aus dem Wasser ragenden Kopf. Ein hohe Fontäne schoss in die Höhe und er drehte sich mehrmals um die eigene Achse.

Bevor ihn die starke Strömung wegspülen konnte, war Artis ins Wasser gesprungen und hatte ihn an einem Hinterlauf erwischt. Auch er hielt ihn weit von sich weg, um den langen Zähnen nicht zu nahe zu kommen. Als er den Biber am Ufer ablegte, war dieser bereits verendet.

Das neue Gebiet entpuppte sich als das Schönste, das ich während meines Aufenthaltes sah. Ein riesiges Sumpfgebiet mit viel Schilf und hohem Gras, dazwischen immer neue Weiher und Bäche, und überall lagen gefällte Bäume. Die vergangene Nacht war sehr kalt gewesen, und so waren alle Wasserflächen mit einer Eisschicht überzogen. An einer Stelle konnte man genau die von einem Biber stammenden kleinen Luftblasen sehen, die im Eis eingefroren waren. Es war unmöglich, sich hier lautlos zu bewegen, und so brachen wir die Jagd nach etwa einer Stunde ab.

Zuhause wartete Jana bereits mit dem Frühstück auf uns. Es war Ostern, und das wird bei den Letten entsprechend gefeiert. Als erstes wurde eine Flasche Bordeaux entkorkt um auf meinen dritten Biber anzustoßen. Dann gab es ein vorzügliches Frühstück.

Ein Pracht-Exemplar

Ein Pracht-Exemplar

Nach dem Frühstück zeigte mir Jana die Hauptstadt Riga. Aus über 70 Metern Höhe, vom Turm der Petri-Kirche aus, hatte man eine großartige Sicht über die Stadt. Viele Häuser der Altstadt sind in den vergangenen Jahren renoviert worden, und auch sonst machte die Stadt einen sehr guten Eindruck. Um 16 Uhr waren wir zurück in Murjani und machten uns zuerst über die Reste des Frühstücks her. Haralds war fest entschlossen, mit mir auf einen kapitalen Biber zu jagen.

Zwei Tage vorher hatten wir in einem Wald eine interessante Beobachtung gemacht. In diesem ruhig gelegenen Revierteil waren zwei parallel verlaufende, breite Entwässerungskanäle, dazwischen ein befahrbarer Damm. Hier waren die Biber so ungestört, dass sie über den Damm von einem Gewässer ins andere wechselten und nicht wie sonst üblich einen unterirdischen Verbindungstunnel gegraben hatten. Wir zählten auf einer Strecke von weniger als 150 Metern fünf Stellen, wo sie jeweils auf die andere Seite wechseln. Trotz zweier Tage mit viel Sonnenschein waren diese Wechsel nass.

Noch vor 18 Uhr waren wir an besagter Stelle. Ich saß auf einem kleinen Klappstuhl, Waffe und Zielstock griffbereit neben mir, Haralds etwas weiter entfernt. Jeder beobachtete einen der beiden Kanäle. Über zwei Stunden saßen wir so regungslos, wie es eben ging, als Haralds leise pfiff. Jetzt sah ich den Biber auch, der langsam auf uns zu schwamm. Ich hatte die Waffe hoch genommen und richtete mich ein.

Er war vielleicht noch 80 Meter entfernt, als er tauchte. Vielleicht drei Minuten waren vergangen, als sich Haralds plötzlich erhob und mir bedeutete, ich solle ihm folgen. Nachdem er getaucht war, schwamm der Biber nicht weiter auf uns zu, sondern drehte um und entfernte sich wieder. Wir versuchten, den jetzt wieder an der Oberfläche schwimmenden Nager einzuholen. Wir holten auf und konnten beobachten, wie er immer wieder verhoffte, um dann weiter von uns weg zu schwimmen.

Jedesmal wenn er für einige Sekunden tauchte, rannten wir zehn oder 20 Meter, um sofort inne zu halten, wenn er auftauchte. Wir hatten auf Schussdistanz aufgeschlossen, als er wieder tauchte und wir so nochmals einige Meter aufschließen konnten.

Wenn er wieder auftauchen würde, sollte ich schießen. Nach endlos scheinenden Sekunden sah ich, wie sich nahe am Ufer einige Schilfhalme bewegten. Langsam und ohne auch nur die kleinste Welle zu erzeugen, tauchte mitten im Schilf der Kopf aus dem Wasser auf. Obwohl ich wegen der vielen Schilfhalme, die es verdeckten, etwas skeptisch war, hielt ich mitten auf das etwa bierdeckelgroße Ziel und schoss. In einer riesigen Welle war der Biber verschwunden.

Haralds rannte zum Anschuss. Er zog seine Watstiefel hoch, ergriff einen langen Ast und begann im etwa 1,50 Meter tiefen Wasser nach unserer Beute zu suchen. Haralds zuckte mit den Schultern und stocherte weiter im trüben Wasser herum. Da sah ich plötzlich höchstens 15 Meter von meinem Guide entfernt die mir bestens bekannten feinen Luftblasen aufsteigen. „Da haut er ab“, rief ich Haralds zu und lief der Blasenbahn nach, die Waffe im Anschlag. Haralds kam angerannt und zusammen gingen wir Schritt für Schritt wieder zurück in die Richtung, wo unsere Pirsch begonnen hatte. Immer wieder sahen wir, wie sich einzelne Schilfhalme bewegten oder einige verräterische Luftblasen aufstiegen.

Immer weiter ging es. Ich war so auf die immer weniger werdenden Luftblasen konzentriert, dass ich gar nicht bemerkte, dass wir dem Ende des Kanals immer näher kamen. Hier versperrte ein Biberdamm den Weg. Wenige Sekunden später sah ich, wie der Biber auftauchen wollte, um Luft zu holen. Sein Kopf hatte eben die Wasseroberfläche erreicht, als ihn das Geschoss tödlich traf. Haralds sprang hinunter, stand hüfttief im Wasser und konnte den bereits verendeten Biber ergreifen, bevor der im trüben Wasser versank. Ich stieg hinunter, nahm ihm die Beute ab und zog sie hoch auf den Weg. Erst jetzt sah ich, was für ein Prachtexemplar ich erlegt hatte. Auf mindestens sechs Jahre schätzte Haralds das Alter des über 20 Kilogramm schweren Wildes.

Nachdem der Biber verstaut war, genehmigten wir uns in aller Ruhe ein Bier. Dann fuhren wir zurück zum Blockhaus, wo Jana und Kaspars auf uns warteten. In der Hütte hatte Jana alles für das Nachtessen vorbereitet. „Souvenir for you“ meinte sie lachend und legte mir etwas hin. Sie hatte beim Zerwirken des Bibers doch tatsächlich das Geschoss gefunden. Es steckte auf der Ausschussseite in der Schulter.

Ich komme wieder

Ich komme wieder

Das Essen schmeckte hervorragend! Jana hatte das Wildbret des Bibers in kleine Schnitzel zerlegt. Das Fleisch war dunkelrot, schmeckte etwa wie sehr kräftiges Rindfleisch und war ausgesprochen zart. Das Essen war ein Gedicht! Es wurde reichlich Wein gereicht, und der neue Tag hatte schon lange begonnen, als sich meine Gastgeber endlich verabschiedeten und ich mich mit leicht unsicherem Schritt die Treppe hoch in mein Schlafgemach verzog.

Ich war wie gerädert, als mich der Wecker kurz nach fünf Uhr aus dem Tiefschlaf riss. Als ich fertig angezogen war, setzte ich mich draußen auf die Bank und hoffte, die kalte Luft würde mich endgültig wach bekommen.

5 Uhr 35 fuhr Kaspars vor und entschuldigte sich für die fünf Minuten Verspätung. Und das nach dem Gelage vergangene Nacht! Erfolglos versuchten wir anschließend an verschiedenen Plätzen unser Glück. Heute war es mir manchmal recht mulmig in der Magengegend, wenn Kaspars wieder über die Wege raste. Bald bog er in einen Waldweg ab.

Nach etwa 300 Metern Pirsch durch Büsche und Dornen erreichten wir einen Bach. Kaspars musste sein Revier kennen wie seine Hosentasche! Er deutete mir, ich solle still sein und mich setzen. Ich konnte es kaum glauben, aber keine drei Minuten saß ich da und schon tauchte mitten im Wasser ein großer Biber auf. Als er nahe genug heran geschwommen war und einen Moment still hielt, schoss ich. Eine riesige Wasserfontäne, dann war Ruhe. Eine Weile schaute Kaspars aufs Wasser, dann stand er auf. „Nix getroffen, schauen anderes Platz.“

Als er meinen zweifelnden Blick sah, zeigte er mit der Hand aufs Wasser. Und dort entfernte sich eine mir bestens bekannte Blasenbahn von uns und verschwand bald darauf im dichten Unterholz. Ich konnte es kaum glauben. Schon wieder hatte ich eine 100-prozentige Chance vergeben. Wir fuhren wieder auf einen früher von den Sowjets benützten Truppenübungsplatz. Regelmäßig hatten wir hier Birkwild gesehen, und auch an diesem Morgen zählten wir mindestens zehn Hähne. Alles Suchen half nichts, die Biber waren vorsichtig genug und zeigten sich nicht.

Beim Frühstück wollte Jana wissen, wie die Jagd an diesem Morgen gelaufen sei. Ich erzählte ihr von meinem Fehlschuss und auch von Kaspars sportlicher Fahrweise. „Es gibt Dinge, die kann man nicht ändern!“ seufzte sie. „Das Wetter, den lieben Gott und Kaspars Fahrstil.“

Sehr negativ äußerten sich alle am Tisch über die EU. Obwohl es ja noch rund drei Wochen dauern würde, bis Lettland offiziell Mitglied der EU sein würde, so hatte sich diese schon mächtig in jagdliche Belange eingemischt. Auf Druck aus Brüssel wurde die Jagd im Frühjahr auf Birkwild und Haselwild untersagt. Man habe wohl in Riga nicht gewusst, dass zum Beispiel in Österreich die Balzjagd auf Birkhahn völlig normal ist und sich kein vernünftiger Mensch daran stört. Es bleibt zu hoffen, dass die Baltischen Länder nach erfolgtem Beitritt der EU gegenüber selbstbewusster auftreten und solche unsinnigen, erzwungenen Einschränkungen wieder aufheben.

Die bei bestem Wetter durchgeführte Abendpirsch war erfolglos, doch erfreuten wir uns am Anblick von reichlich Rehwild und Birkwild. Am anderen Morgen packte ich meine Sachen, und nach dem Frühstück bekam ich meine Trophäen. Alles war sauber in Säcke verpackt und verschnürt, die Export-Papiere und Veterinär-Zeugnisse waren bereit.

Eine Jagdreise war zu Ende, bei der es keinerlei Ärger oder Probleme gegeben hatte. Als ich mich auf dem Flughafen in Riga verabschiedete, war mir längst klar, dass ich wiederkommen würde.

Die mobile Version verlassen