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Elche in Estland

Im Laufe der Jahrhunderte schwankte der Bestand der großen Hirsche im Baltikum stark. Was waren die Gründe, und wie sieht es heute aus?

Elch
Mehr als 10.000 Elche leben derzeit in Estlands Wäldern.

Von Hans Freiherr von Stackelberg
Als finno-ugrische Stämme in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung in das Baltikum einwanderten, fanden sie neben Bär und Wolf auch den Elch — durch Ausgrabungen in Estland nachweisbar – als einen der markantesten Ureinwohner des Landes bereits vor. Für die Esten war gerade der Elch aufgrund seiner Größe und seiner äußerst vielseitigen Verwertbarkeit, aber auch durch seine überschaubare Lebens- und Verhaltensweise von Anbeginn eine besonders begehrte Jagdbeute.

Seit dieser grauen Vorzeit ist der Elch-Bestand im Lande, trotz zeitweise erheblicher Belastungen, nie gänzlich eliminiert worden und zeigt auch heute wieder durch ständig zunehmende hegerische Maßnahmen der estnischen Jägerschaft eine erfreulich ansteigende Tendenz.

 

Bestandsentwicklung

Während der vergangenen drei Jahrhunderte aber war der Bestand durch Kriege und Revolutionen mit rücksichtsloser „Fleischjagd“ durch Soldaten wie Wilderer, aber auch durch eine sich vielfach wandelnde Forstwirtschaft ganz besonderen Belastungen und daraus resultierenden Schwankungen ausgesetzt. Dadurch wanderten immer wieder große Teile des empfindlich reagierenden, ohnehin wanderfreudigen Elchwildes nach Ostpreußen ab.

Wurden nach intensiven Holzeinschlägen große Gebiete neu aufgeforstet, so führte das meistens zu einer starken Zunahme des Elchwildes. Die dabei entstandenen Wildschäden durch erhöhten Verbiss aber machten dann erneut eine verstärkte Bejagung erforderlich, bis schließlich nach radikaler Reduzierung das Wild gebietsweise wieder vermehrter Schonung bedurfte, um den Bestand nicht ernstlich zu gefährden, Ein besonders starker Rückgang des Elch-Bestandes war auch im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu verzeichnen, als von der zaristischen Militär-Führung angeordnet wurde, sämtliche russischen Kavallerieregimenter mit Elch-Lederhosen auszustatten.

Auf Grund immer wieder praktizierter gewissenhafter und konsequenter Schonung gab es um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert im Baltikum vielerorts noch große Elch-Reviere mit starken Hirschen und natürlich entsprechend passionierten Elchjägern. In der Mehrzahl trugen die Elche allerdings Stangengeweihe, und nur in relativ wenigen Revieren kamen wirklich kapitale Schaufler vor.

Das bis zum Ende des Ersten Weltkrieges im Baltikum gültige russische Jagdgesetz, nachdem nur Elchhirsche geschossen werden durften und das Kahlwild ganzjährige Vollschonung genoss, wirkte sich nämlich sehr negativ auf den Elchbestand aus. Da Elche relativ lange leben, wurde das Geschlechterverhältnis dadurch sehr negativ beineinflusst. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte ? wie man heute meint – diese unvernünftige jagdliche Regelung auch entsprechende Auswirkungen auf die vielfach schlechte Geweihbildung.

Beobachtungen ergaben übrigens, dass die Elchhirsche im Baltikum wie auch im nördlichen Russland in der Regel ihr Geweih später abwarfen als ihre Artgenossen in Ostpreußen.

Ein starker Bestandsrückgang in den revolutionären Unruhen zum Ausklang des Ersten Weltkrieges hinterließ schließlich im neu entstandenen estnischen Freistaat nur noch einen Restbestand von wenig mehr als 50 Elchen. Eine staatlich verordnete, radikale Vollschonung im jungen Freistaat ergab dann aber wieder einen erneuten Anstieg des Bestandes, so dass 1937 bei einer landesweit angeordneten Wilderfassung wieder 320 Elche registriert werden konnten.

Auch der Zweite Weltkrieg brachte dem estnischen Elch-Wild einen weiteren schmerzhaften Aderlass, bis sich danach durch die Errichtung großer sowjetischer Militärsperrgebiete und eine im grenzfreien Raum einsetzende Westwanderung aus den großrussischen Weiten der Elch-Bestand wieder deutlich vermehrte.

1947 wurde zunächst noch von fast elchleeren Landschaften berichtet, danach aber interessanterweise beobachtet, dass im Laufe der 50er Jahre das Elchwild, wie in seinem Gefolge auch die Wölfe, in zunehmenden Maße begannen, das Land erneut zu „besetzen“. Begünstigt durch landesweite Aufforstungen nach einem verheerenden ,,Jahrhundertsturm“ zum Ausklang der 60er Jahre, stieg der Elchbestand – mit entsprechenden Flurschäden – in geradezu sprunghafter Weise an. Neben den immer häufiger registrierten Zwillingsgeburten wurden in den folgenden Jahren wiederholt Drillinge und in zwei Fälle sogar Alttiere mit Vierlings-Kälbern gesichtet. Auf den herbstlichen Feldfluren wurden mehrfach Elch-Ansammlungen von bis zu 40 Stücken gezählt, obwohl der Elch für gewöhlich als Einzelgänger gilt.

Bei der Abspaltung Estlands von der sich auflösenden Sowjetunion zu Beginn der neunziger Jahre wurde bei landesweiten Wildzählungen ein Elch-Bestand von 16.000 Stücken festgestellt, der aber auch gleichzeitig eine starke Zunahme der aus dem Osten zuwandernden Wölfe zur Folge hatte. Das führte schließlich mit bis zu fast 800 Wölfen in der kleinen Baltenrepublik (einem Land in der Größenordnung von Dänemark, Holland oder der Schweiz) zu einer ernsthaften Wolfsplage, die natürlich auch für den Elch-Bestand nicht ohne schmerzhafte Folgen blieb.

Dies wurde durch eine unübersehbare Zahl ebenfalls in Rudeln jagender, verwilderter Hunde verschlimmert, die von den abziehenden sowjetischen Besatzungstruppen herrenlos und unkontrolliert als „Selbstversorger“ zurückgelassen und in den Wäldern und Mooren ausgesetzt worden waren.

Durch diese Entwicklung nahm der Elch-Bestand – wie so oft schon in seiner Geschichte – erneut in erschreckendem Maße ab. Hohe Schneelagen und verletzender Harschschnee machten in strengen Wintern besonders schwächere Stücke den Wölfen wie den verwilderten Hunden (und leider auch Wilderern) gegenüber gleichermaßen verwundbar.

Die aktuelle Situation

Nach Inkrafttreten des neuen estnischen Jagdgesetzes und mit finanzieller staatlicher Unterstützung gelang es Mitte der 90er Jahre, den ausufernden Wolfsbesatz äußerst energisch landesweit zu bejagen. Die Jahresstrecke im Jagdjahr 1995/95 betrug 302 Wölfe. Danach stabilisierte sich der 1990 noch mit 16.000 Stück Elchwild offiziell angegebene, aber bis 1995 um fast 10.000 Elche auf knapp 6.200 Stück zurückgegangene Bestand wieder.

Insider stellen allerdings in Estland inzwischen unmissverständlich fest, dass entgegen anders lautender Schutzbehauptungen in Wirklichkeit dem Wolf allenfalls ein Drittel des Schadens angelastet werden kann, während zwei Drittel des drastischen Bestandsrückganges der allgegenwärtigen Wilderei und der starken Überjagung anzulasten sind. Denn die langersehnte Privatisierung und der Wunsch, durch ausländische Partner schnell an westliches Geld zu gelangen, hat zu dieser 1eichtfertigen Überjagung geführt.

Als Folge konsequent eingeleiteter, intensiver Hege-Maßnahmen konnte inzwischen jedoch wieder ein weitgehend stabiler Elchbestand von rund 10.500 Stück mit sogar leicht ansteigender Tendenz registriert werden. Die Jahresstrecke aus dem Jagdjahr 2001/02 betrug 2.748 Elche (im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 353 Stück).


Fotos: Stefan Meyers, H. Pöldsam, Hansgeorg Arndt, von Stackelberg

Die Jagdzeit

Die Jagdzeit

Die Jagdzeit erstreckt sich für Hirsche wie für Kahlwild vom 15. September bis zum 30. November. Das derzeitige Jagdgesetz gestattet jedoch bis zum 30. September lediglich die Lockjagd mit dem Ruf, die Pirsch und den Ansitz. Ab 1. Oktober kann Elchwild dann zusätzlich auf Drück- und Treibjagden aller Art sowie der Jagd mit dem Hund erlegt werden, wobei das Jagen mit Bracken (auch mit einzelnen Bracken) ausdrücklich verboten ist.

Das Elchwild kommt in Estland in allen Landesteilen flächendeckend vor, und die Bestandsdichte ist heute vor allem in den unzugänglichen und teilweise forstwirtschaftlich nur wenig genutzten Wäldern und Mooren wieder erstaunlich hoch. In solchen Revieren ist die Pirsch nicht immer ganz einfach und erfordert oft ausreichende Kondition und guten Jagdverstand.

Ausschließliche und eingefleischte „Hochsitzjäger“ sind, besonders wenn mit Laika-Hunden gejagt wird, bei notwendigem schnellen Ansprechen und freihändigem Schießen dann oft ein wenig überfordert. Etwas leichter sind Pirsch und Ansitz überall dort, wo die Waldflächen kleiner sind und an größere Freiflächen grenzen, wie das vor allem im Westen und Südwesten des Landes vielfach der Fall ist.

Mit gut ausgebildeten „Elch-Spezialisten“ unter den vorrangig eingesetzten Laika-Hunden, kommt es auch zu guten Jagderfolgen, wenn es dem Hund gelingt, das Wild zu stellen und so lange an den Platz zu binden, bis der Jäger auf genügende Schussentfernung herangekommen ist.

Während der Brunft im September ist der Anblick des dann wandernden Wildes eher Glücksache, wenn man die Lockjagd mit ihren nasalen Lautäußerungen nicht in genügendem Maße beherrscht. Vorteilhaft während der Jagd im September ist aber vor allem die Möglichkeit, die am 30. September endende Bockjagd gerade noch mit der Jagd auf den Elch (Beginn 15. September) verbinden zu können.

Von Ende Oktober bis Mitte November finden dann Drück- und Treibjagden statt. In dieser Zeit wird auch das meiste Elchwild gestreckt. Ab Mitte November können ältere Hirsche unter Umständen bereits abgeworfen haben.

Elchbullen in der Brunft Die ernstzunehmende, unberechenbare Aggressivität von Elchbullen während der Brunft hat schon manchen unbewaffneten Zeitgenossen sein Heil in der Flucht auf einen Baum suchen lassen.

Wildbiologen haben mehrfach beobachtet, wie von Elchen während der Brunftzeit beim Äsen Fliegenpilze aufgenommen und dann später wieder erbrochen wurden. Hierbei ist bis heute die Frage unbeantwortet, ob dieses sich vielleicht stimulierend auf das Verhalten brunftiger Elche auswirkt. Fest steht aber, dass ein Schaufler mit stark ausgeprägtem Brunftgehabe auch einem ausgewachsenen Mann in einer entsprechenden Situation durchaus echte Angstzustände vermitteln kann.

So wurde ein Waldarbeiter bei seinem sonntäglichen Pilze-Sammeln plötzlich von einem kaum 20 Meter hinter ihm stehenden, bedrohlich schnaubenden Schaufler überrascht. Lautes Schreien und in die Händeklatschen des erschreckt aufgesprungenen Waldarbeiters, ja selbst das Werfen trockener Äste in Richtung des Bullen, ließen den Elch völlig unbeeindruckt. Langsam versuchte der Pilzsammler den Rückzug anzutreten, wobei ihm der aggressive Elch jedoch ständig folgte.

Blieb der Pilzsucher stehen, verhoffte auch der Elch. Setzte sich der Waldarbeiter wieder in Bewegung, folgte der Elch auf gleichbleibende Entfernung. Das „Spielchen“ wiederholte sich, bis endlich nach etwa einem halben Kilometer der Waldrand erreicht war und der Waldarbeiter in seinen dort abgestellten Wagen steigen konnte.

Auch ein (mir vorliegender) Zeitungsbericht erregte bei der bäuerlichen Bevölkerung landesweites Aufsehen, in dem im wahrsten Sinne des Wortes von der „Vergewaltigung einer Kuh“ durch einen brunftigen Elchbullen berichtet wird. Auf einem einsam gelegenen Waldbauernhof im äußersten Süden des Landes beobachtete ein Landwirt inmitten seiner kleinen Rinderherde einen Stangenelch, der bei einer seiner Kühe, die offensichtlich brünstig war, mehrfach aufritt. Das Bespringen hatte schließlich zur Folge, dass die Kuh stürzte und liegen blieb.

Nach dem Vertreiben des Elches konnte vom herbeigerufenen Tierarzt nur noch festgestellt werden, dass auf Grund der erlittenen schweren Rückenverletzungen die „vergewaltigte“ Kuh notgeschlachtet werden musste.

Führende Alttiere und angeschweißte Elche Auch führende Alttiere, vor allem aber angeschweißte Elche sollte man in ihrer Gefahr bringenden Aggressivität keinesfalls unterschätzen. Unvergesslich bleibt mir in diesem Zusammenhang eine Nachsuche. Ein am Tage vorher von einem Jagdgast angeschweißter Stangen-Elch nahm den mit der Nachsuche beauftragten estnischen Berufsjäger ungeachtet des mitgeführten Hundes aus einer Dickung heraus mit solch einer Vehemenz an, dass dieser sich bei seiner eiligen Flucht nur noch mit einem Sprung in einen tiefen Graben retten konnte, an dessen hoher Böschung dann der Elch wenige Schritte von ihm entfernt in seiner Fährte verendet zusammenbrach.

Nicht zuletzt wurde aber auch der Gewehr-Schaft eines unbedachten Jägers durch den Hieb mit dem Vorderlauf eines bereits gestreckt daliegenden Schmaltieres zertrümmert, als sich der unerfahrene Schütze dem vermeintlich schon verendeten Stück zu früh leichtfertig genähert hatte, was ihn leicht selber das Leben hätte kosten können.

Elchjagd in unberührter Natur

Elchjagd in unberührter Natur

Um in Estland den Elch-Bestand weiterhin zu festigen, kommt es bis heute – wann immer erforderlich – in einzelnen Jagdbezirken zu selbst auferlegten jagdlichen Einschränkungen, sowohl was den zahlenmäßigen Abschuss als auch die Jagdzeiten anbetrifft. Die Mehrzahl der Trophäen-Träger sind in der nördlichsten Baltenrepublik nach wie vor Stangen-Elche. Die Zahl der Schaufler beträgt derzeit etwa zehn Prozent, wobei bisweilen eine interessante Variante mit relativ geringer Schaufelfläche aber auffallend langen Enden (meist bei Hirschen mittleren Alters) zu beobachten ist.

Die ansehnliche rotbraune Färbung der Geweihe ist auf das Fegen an Faulbäumen zurückzuführen. Interessant sind auch schriftlich festgehaltene Überlieferungen von einzelnen in der Vergangenheit erlegten Elchen mit „Mischgeweihen“, wobei die Schaufel-Bildung auf der einen Seite einem reinen Stangengeweih auf der anderen Seite gegenüber steht. Ein Exemplar war bis vor kurzem noch in einem Jagdmuseum im Osten des Landes zu besichtigen. Im Jagdjahr 2000/01 wurde dann nach längerer Pause in Mittel-Estland erneut ein Elch mit so einem Mischgeweih erlegt.

Natürlich können die Körpermaße der Elche im Baltikum nicht mit denen ihrer Artgenossen in Alaska oder den endlosen Weiten des nordostsibirischen Raumes verglichen werden. Aber auch nicht jeder Jäger hat für seine Trophäen einen Festsaal zur Verfügung. Nicht zuletzt die im Verhältnis doch sehr kostengünstige Jagdgelegenheit in einem Land, das schon 2004 der EU angehören wird und keine zwei Flugstunden von Deutschland entfernt doch relativ leicht erreichbar ist, dürfte für manchen Jäger bei der Vorplanung seiner Jagdreise eine Überlegung wert sein.

Elchjagd in unberührter Natur! Welcher passionierte Jäger träumt nicht gerne von so einem Erleben mit Anblicken, die einem unvergesslich bleiben, wie der vom gekonnt arbeitenden Hund gestellte Elch, der überlegt und mit Jagdverstand angegangen werden muss. Und dann steht an der nächsten Feldecke der Gesuchte plötzlich in voller Breite vor einem. Ein dunkler kraftstrotzender Wildkörper mitten in der glitzernden Naturschönheit einer tief verschneiten, sonnenbeschienenen Dickung: die schwarzbraune Decke, der markante Widerrist mit struppigem Haar, der urige Kinnbart, die hellen Läufe, das Haupt mit drohendem Geweih vor dem stellenden Hund tief gesenkt. Ein Bild urwüchsiger Kraft!

Aus eigenem langjährigen Erleben kann ich bei solchen Erinnerungen nur sagen, dass das Waidwerk auf einen Elch in den vielfach fast unberührten Wäldern und Mooren Estlands sicher nicht viel weniger Spannung, Naturnähe und jagdliches Erleben bietet, als eine unbestritten in anderer Umwelt mindestens genauso einmalige Begegnung mit diesem faszinierenden Wild, sehr weit weg, irgendwo auf der anderen Seite des Globus.

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