Afrika Wild Afrika Löwen-Lektion

Löwen-Lektion

Auch heute ist, trotz moderner Waffen und Hochleistungsmunition, die Jagd auf „Dangerous Game“ riskant. Deshalb hier die schmerzhafte Erfahrung eines Berufsjägers im Selous (Tansania), aus der einige wichtige Lehren abgeleitet werden können.

Von Rolf Rohwer
Der Schuss war auf ungefähr 70 Meter und der Löwe stand breit. Ich hatte leise meinen Jagdgast gefragt, ob er fertig wäre, und er antwortete, dass es ein einfacher Schuss sei (er hatte eine feste Auflage auf einem abgefallenen Ast, der unmittelbar vor unserer Deckung lag). Auf den Schuss drehte der Löwe sich einfach um und ging hochflüchtig in das Gras ab, aus dem er gekommen war. Kein Laut, kein Hochspringen ? nichts, bis auf die Flucht zurück!

Direkt vor dem Rand des Flussbettes war eine Lücke im Gras. Als der Löwe durch diese Lücke wechselte, meinte ich zu sehen, dass er einen Vorderlauf schonte. Ich fragte darauf den Gast, wie er abgekommen sei. Er sagte: „Auf dem Herz!“

Wegen der völligen Lautlosigkeit (nach meiner Erfahrung grollen tödlich getroffene Löwen zumindest, und die meisten sogar sehr laut) und der schnellen Flucht war ich sehr besorgt. Ich ging zügig zum Anschuss. Nach drei Metern auf der Fluchtfährte fand ich etwas Schweiß, aber nicht genug, um einen Herz-/Lungenschuss zu vermuten.

Meiner Meinung nach hatte der Löwe einen tiefen Laufschuss (was eine spätere Untersuchung bestätigte). Ich hoffte, dass trotz des Tiefschusses der Brustraum verletzt sein könnte, was bedauerlicherweise nicht der Fall war ? der Löwe war nicht tödlich getroffen. Wie auch immer: Der Löwe wäre wahrscheinlich wegen seiner Unfähigkeit zu jagen eingegangen.

Ein verhängnisvoller Fehler

Ich wartete auf die Ankunft des Geländewagens, denn mein Personal ist angewiesen, zehn Minuten nach dem Schuss zum „Bait“ zu fahren. Als der Wagen kam, sagte ich zu dem Gast, dass ich in das Gras gehen und den Löwen nachsuchen würde, und dass er beim Wagen warten solle.

Im Gehen erinnerte ich mich an ein langes Gespräch über Munition mit meinem zweiten Berufsjäger vor einigen Tagen. Der sehr erfahrene PH bestand darauf, dass meine alten Teilmantelgeschosse (.458 Win. Mag., 510 Grains Super X Soft Nose), die ich seit über 20 Jahren benutze, nicht mehr gut seien, und dass ich sie gegen die neuen, härteren 500 Grains Teilmantelgeschosse (zurzeit keine exakten Daten wegen eines laufenden Rechtsstreits), die heute viele Hersteller produzieren, tauschen sollte. Weil ich immer 15 Minuten warte, bevor ich einer angeschweißten Großkatze folge, nutzte ich die Zeit, um meine alte Munition gegen die neue zu tauschen. Zusätzlich packte ich drei alte Teilmantel-Geschosse zusammen mit zwei neuen in meine Tasche als Reserve.

Die Schweißfährte bestand aus kleinen Ansammlungen von Schweißspritzern an den Stellen, wo der Löwe seinen kranken Vorderlauf aufgesetzt hatte. Nach kurzer Zeit führte die Fährte aus dem hohen Gras heraus auf die vom Fluss abgewandte Bergseite, die mit kurzem, dünnem Gras bewachsen war. Die Verfolgung wurde sehr schwierig als der Löwe seine Flucht verlangsamte. Es gab nur noch wenig Schweiß, und der Boden war steinig und sehr hart.

Nach ungefähr drei Stunden sah ich einen verdächtigen Platz mit hohem Gras und niedrigen Büschen. Ich zeigte den Platz meinem Tracker und meinem Waffenträger. Sie stimmten mit mir überein, dass es ein günstiger Ort für den angeschweißten Löwen sei, um sich dort einzuschieben. Meine Männer sind angewiesen, von einem annehmenden Löwen oder Leopard sofort wegzurennen, damit die Attacke direkt auf mich zukommt. Das sorgt für einen „einfachen“ Frontal-Schuss und bedeutet, dass ich mir um den Rückzug meines Personals keine Gedanken machen muss.

Auf Leben und Tod

Als wir uns dem Gras und den Büschen näherten, hörten wir das berüchtigte Grollen, und dann nahm der Löwe aus etwa 60 Meter Entfernung an. Das Gras war lang (zwei Meter) und dicht. Um während der Attacke sehen zu können, folgte der Löwe einem Büffel-Wechsel und kam deshalb in Schlangenlinien nicht direkt auf mich zu. Ich musste deswegen länger warten als ich wollte, und konnte erst auf zirka sieben Meter schießen.

Ich mache diesen Job seit über 35 Jahren, und jeder Löwe lag in solchen Situationen im Schuss ? nicht immer sofort verendet, aber immer am Boden. Nicht dieses Mal! Im Schuss schwankte er nur und rannte weiter auf mich zu. Als ich nachlud war der Löwe bereits an meinem linken Knie. Ich schoss noch mal aus der Hüfte und hielt dann die Waffe zur Seite, damit er etwas zum Beißen hatte.

Der Löwe biss in mein Gewehr und schleuderte es mit einer Kopfdrehung einfach weg. Danach biss er in mein Knie und warf mich zu Boden. Mit weiteren Bissen arbeitete er sich an meinem linken Bein herauf in Richtung Oberschenkel. Ich schlug ihm mit der gesamten Kraft meines linken Arms auf die Nase. Er biss mir daraufhin in den linken Unterarm. Ich reagierte mit Schlägen mit der rechten Faust und aller Kraft in sein Gesicht. Ich nahm nur noch Schmerzen wahr und die Tatsache, dass der Löwe auf meine Schläge nicht einmal blinzelte!

Als Nächstes schlug der Löwe die Krallen seiner rechten (verletzten) Tatze in mein Kinn und versuchte, meinen Kopf in seinen Fang zu ziehen. Wegen der Verletzung durch den Schuss meines Gastes funktionierte aber die Tatze nicht ordentlich und die Krallen rutschten aus meiner Gesichtshaut, kratzten über meine Wange und schlitzten mein linkes Ohr in zwei Teile. Ich schlug weiterhin mit meiner rechten Faust in sein Gesicht, worauf er sich in die Faust verbiss. Der Löwe versuchte nun meinen rechten Arm aus dem Schultergelenk zu reißen, ich hielt mit aller Kraft dagegen.

Plötzlich öffnete der Löwe seinen Fang und meine rechte Hand war wieder frei. Ich fiel mit ausgebreiteten Armen zurück, worauf die Raubkatze tief in die linke Seite meiner Brust biss. Die Katze beutelte mich heftig auf dem Boden, um seine Fangzähne tiefer in meine Brust zu rammen. Danach spuckte er mich mit einem langgezogenen Seufzer aus, stand langsam auf, drehte sich ein paar mal um die eigene Achse, ohne die Hinterläufe zu bewegen, tat sich dann wieder nieder und legte sein Haupt zwischen die Vordertatzen wie eine Sphinx. In dieser Pose und mit leisen Seufzern verendete der Löwe langsam.

Eine spätere Untersuchung der Verletzungen der Großkatze hat ergeben, dass die „neuen“ Teilmantelgeschosse überhaupt nicht aufgepilzt waren. Es war, als hätte ich mit Vollmantel geschossen: Mein erster Schuss war sicherlich tödlich, hatte den Körper des Löwen durchschlagen, aber ohne ihn zu „schocken“. Trotz der tödlichen Verwundung war der Löwe in der Lage, seine Attacke fortzusetzen und mich schwer zu verletzen. Die ganze Aktion, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, dauerte nicht länger als eine Minute!

Das von mir abgewandte Haupt des Löwen konnte ich keine zwei Meter von mir entfernt sehen. Ich hatte große Angst, dass er zurückkommen könnte, um mich endgültig „fertig“ zu machen. Schließlich fasste ich Mut und schrie um Hilfe. Mein Tracker und Fahrer John antwortete sofort. Er brüllte, dass der Löwe immer noch lebendig sei, und ich antwortete, er wäre so gut wie tot und dass John den Wagen heranfahren solle, weil ich schwer verletzt sei.

Nach ungefähr zehn Minuten kam der Geländewagen. Mein Gast sprang heraus und bestand darauf, nutzloserweise noch mal auf den Löwen zu schießen, um sicher zu gehen. Ich schrie, sie sollten den Wagen ganz heranfahren, um mich aufzuladen, denn ich war nicht fähig zu stehen oder gar zu laufen.

Mit meiner verletzten rechten Hand presste ich ein großes Stück Muskel fest, das fast von meinem linken Arm abgerissen war. Dadurch drückte ich meinen linken Arm fest vor die Brust und verschloss so teilweise das große Loch, das bis in meinen linken Lungenflügel gedrungen war. Man hat später festgestellt, dass ich 40 tiefe Bisswunden hatte (zehn Bisse mit allen vier Reißzähnen), und dass über die Hälfte auf meiner linken Körperseite waren, weshalb ich mein Gleichgewicht nicht mehr halten konnte.

Rückfahrt voller Schmerzen

Nachdem ich auf der Ladefläche des „LandCruisers“ abgelegt worden war, begann sofort die eineinhalbstündige, sehr schmerzhafte Rückfahrt zum „Fly Camp“, wo das Funkgerät stand. Während der Fahrt hielt ich ständig den verletzten Muskel des linken Arms mit den Resten meiner rechten Hand fest. Aber das Einzige, woran ich mich erinnern kann, sind die Schlaglöcher in der Buschpiste, denn bei jedem Schlag spürte ich Höllenschmerzen!

Im Camp angekommen, befahl ich dem Personal, dass Funkgerät im Geländewagen zu verstauen. Wir konnten das Büro in Dar Es Salam sofort erreichen und einen Helikopter für meine Rettung bestellen. Nach 20 Minuten erfuhren wir, dass kein Helikopter verfügbar war, und dass ich mit einem Buschflieger geholt werden sollte. Ich bestätigte dem Beamten, welche Landebahn die nächste sei, und orderte den Buschflieger mit einem Arzt nach Likulu in drei Stunden (der Beamte meinte, es würde vier Stunden nach Likulu dauern).

Wir benötigten tatsächlich fünf Stunden bis zur Landebahn! Die Buschpiste war für diese Saison nicht freigeräumt worden, viele Flüsse mussten durchquert und umgefallene Bäume sowie Steine beseitigt werden, bevor wir passieren konnten. Als wir ankamen, wartete der Buschflieger bereits auf uns. Ich hatte große Hoffnung, dass endlich meine Schmerzen und Blutungen von einem Arzt versorgt würden. Aber man stelle sich meine Enttäuschung vor, als der Pilot herüberkam und mir mitteilte, dass kein Arzt da war, und dass man einfach einen Inlandsflug umgeleitet hatte, um mich aufzusammeln!

Kurz nachdem ich in den Geländewagen gelegt wurde, hatte ich nach etwas Wasser gefragt. Als Antwort erhielt ich, dass der Gast alle drei Flaschen leer getrunken hatte während ich den Löwen nachsuchte. Man gab mir deshalb eine Flasche „Sprite“, von der ich nur die Hälfte austrank, weil mir das Getränk zu sehr sprudelte. Ich sagte zu meinem Fahrer, dass er die halbvolle Flasche aufbewahren solle. Bevor wir an der Landebahn ankamen, fragte ich nach dem Rest des Getränkes, und erhielt wieder als Antwort, dass der Gast ihn ausgetrunken hatte!

Deshalb bekam ich nur einen Schluck warmen Wassers aus einer Flasche im Flugzeug. Ich befahl meinem Hilfskoch, mit in das Flugzeug zu steigen und mir den Rest aus der Wasserflasche über den Kopf zu gießen, falls ich auf dem Flug nach „Dar“ das Bewusstsein verlieren sollte. Ich war überzeugt, dass, wenn ich eingeschlafen wäre, ich niemals wieder aufwachen würde (meine Theorie wurde später von dem Chirurg in Nairobi bestätigt).

In der Tat machte mein Hilfskoch einen super „Job“ und verwendete das Wasser wie befohlen. Er musste mich wohl einige Male „wiederbeleben“, denn als wir in „Dar“ angekommen waren, hatte er eine volle Flasche Wasser über meinen Kopf zum besagten Zweck vergossen.

Es wurde später herausgefunden, dass die Kombination von blutdurchtränkter Leinenkleidung, die durch die Sonne auf meinen Wunden getrocknet war, und wenigen Getränken (weil mein Gast fast alles ausgetrunken hatte!) meine Wunden verschlossen und mich auf diese Weise vor dem Verbluten gerettet hat. Während des gesamten Transports hatte ich meinen linken Arm fest auf meine Brustverletzung gedrückt, was unzweifelhaft meinen linken Lungenflügel vor totalem Kollaps bewahrt und meinen rechten stabilisiert hat.

Erste „Hilfe“

Bei der Ankunft in „Dar“ wurde ich von Mitgliedern des Büropersonals, zwei Sanitätern mit einem Krankenwagen und meinem Freund Jeff Lewis erwartet. Letzterer hatte ein Mobiltelefon dabei, mit dem ich meine Frau Carole in unserem Haus in Spanien anrufen konnte. Ein Arzt von der „Skandinavischen Klinik“ kam kurz nach mir an und gab mir den lange erwarteten „Schuss“ Morphium gegen die Schmerzen. Dabei standen noch zwei Angehörige der amerikanischen Botschaft und diverse Gaffer. Es war eine tolle Begrüßung und ich bekam endlich (7,5 Stunden nach der Löwen-Attacke) die sehr willkommene erste Hilfe!

Unglücklicherweise waren die Rettungssanitäter nicht darüber informiert, dass man niemals die gewöhnlichen Desinfektionsmittel Detol und Savlon bei Verletzungen wie den meinen verwenden darf. Sie gossen vielmehr das Zeug großzügig über alle meine Wunden. Ich hatte extra meinen fast abgerissenen Unterarmmuskel während des ganzen Transports in die Stadt geschützt, indem ich ihn in seine ursprüngliche Position zurückdrückte.

Dieser Versuch und all die Schmerzen waren umsonst, denn das Gewebe wurde von den verwendeten Desinfektionsmitteln verbrannt. Die wegen des unsachgemäßen Gebrauchs der Desinfektionsmittel verbrannten Muskeln wurden später in Nairobi weggeschnitten.

Aufgrund der Zahlungsmodalitäten der „Fliegenden Ärzte“, die von der zuständigen Versicherung vor dem Abflug bezahlt werden müssen, dauerte es einige Stunden, bis meine Frau und die Leute, die ihr zur Seite standen, den „Fliegenden-Ärzte-Service“ von Nairobi organisieren konnten. Als dieser endlich eintraf, wurde mein Abflug wiederum für einige Stunden aufgeschoben, denn man musste erst genug Serum in meine Venen „pumpen“, um meinen Blutdruck zu erhöhen, damit ich wieder Fliegen konnte.

Schließlich landete ich am Samstag um vier Uhr morgens in Nairobi, 17 Stunden nach der Attacke. Das Nächste, an das ich mich erinnere, war meine Frau, die meine Hand hielt, als ich wieder aufwachte. Ich fragte sie, wie sie so schnell herbei eilen konnte. Sie sagte nur, es sei bereits Sonntag – ich war also einen kompletten Tag bewusstlos!

Ich verbrachte 32 Tage in Nairobi und hatte acht Operationen und Hauttransplantationen. Ich bin nun wieder gesund und kann meinen linken Arm fast wieder normal bewegen. Einiges Muskelgewebe, das weggebissen wurde, wird nicht mehr nachwachsen.

Wie auch immer, ich bin wieder fast der Alte, bis auf die hässlichen Narben auf meinem linken Arm und meiner Brust. Ich danke herzlich allen, die mir bei meiner Rettung und späteren Behandlung geholfen haben.

Überraschendes „Souvenir“

Kurz nachdem ich nach Europa zurückgekehrt war, bemerkte ich, dass eines der Löcher in meiner Brust nicht heilen wollte. Ich benachrichtigte den Arzt in Nairobi, und er sagte mir, dass es sich wohl um einen Splitter eines Zahns oder Knochens handeln müsse, der sich in den nächsten Monaten „an die Oberfläche arbeiten“ würde.

Als ich in unserem Wohnsitz auf der schottischen Insel Skye ankam, besuchte ich den lokalen Chirurgen, der mir nach einer oberflächlichen Untersuchung riet, einen Spezialisten in Glasgow aufzusuchen. Er war der Meinung, dass eine Wunde so nah am Herz von einem „Brustraum-Experten“ untersucht werden sollte. In Glasgow wies man mich sofort ins Krankenhaus ein und operierte mich am folgenden Tag. Der Grund war eine „aufklärende Untersuchung“, um die Ursache für die Infektion nun endlich zu finden.

Man stelle sich meine Überraschung vor, als der Chirurg mit einem Fläschchen in der Hand an meinem Krankenbett auftauchte. Er zeigte es mir und fragte: „Was glauben sie, was darin ist?“ Ich antwortete: „Sieht aus wie ein Knochensplitter oder ein Zahn.“ Worauf der Chirurg sagte: Es ist ein Zahn!“

Tatsächlich, es war einer der kleinen Schneidezähne des Löwen, den er nahe einer Rippe in meiner Brust ausgebissen hatte. Vermutlich hatte er ihn verloren, als er mich beutelte, um bei seinem letzen Biss die Reißzähne tiefer in meine Brust zu rammen. Zur Verdeutlichung der Energie, mit der mich der Löwe auf dem Boden gebeutelt hatte, bemerkte meine Frau, dass noch vier Monate nach der Attacke tiefe Schrammen auf meinen Schultern und meinem Hintern klar zu sehen waren!

Foto: Werner Layher

 

Hansgeorg Arndt

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