LÄNDER Amerika Pampas-Hirsche

Pampas-Hirsche

 

4/2012

Wer im Frühjahr auf Brunfthirsche pirschen will, muss nach Argentinien. Die Jagd in der Pampa ist die lange Anreise wert.

Von Frank Rakow

 
Jahrzehntelang verfolgte mich der Traum, einmal auf dem amerikanischen Subkontinent zu jagen. Angefangen hatte er mit Büchern von Tony de Almeida über Großwildjagd in Südamerika. Später folgten Beiträge über die erfolgreiche Ansiedlung des Rotwildes in Chile und Argentinien. Der auch landschaftlich beeindruckende Film von Horst Rohleder über Jagen und Leben in dieser Region (JWW-Video 27) verstärkte den Wunsch weiter. Doch es fehlte der letzte Impuls.
Dann passierten 2 Dinge fast gleichzeitig: Während gemeinsamer Jagd auf Sibirische Rehböcke legten mich die anregenden Gespräche mit Max Mayr-Melnhof erneut auf die Fährte. Seine Familie hat in Südamerika große Besitzungen, die der passionierte Baron natürlich auch jagdlich nutzt. Kurz danach während einer Drückjagd im Sauerland eröffnete mir der großzügige Jagdherr, dass er seit gut einem Jahrzehnt eine Estancia in der Nähe von Santa Rosa de Toay sein Eigen nennt.
Offensichtlich hatte er meine Begeisterung gespürt, denn ein paar Monate später folgte eine Einladung. Zusammen mit anderen Jägern sollten wir Ende März des Folgejahres helfen, den Rotwildabschuss zu erfüllen. Glück muss man haben. Und jetzt war klar, endlich wird dieser Traum Wirklichkeit.
 

Viel Platz, wenig Leute

 
Nur die Schneisen lassen einen tieferen Blick in die grüne Wildnis zu. Foto: F. Rakow
13 Stunden hat der jagdliche Fünfertrupp hinter sich, als der Lufthansa-Jumbo in Buenos Aires aufsetzt. Das geht in die Knochen und verdeutlicht den Reisenden nachdrücklich, wie weit entfernt von der Heimat wir uns befinden. Doch das angenehm warme Wetter und die freundliche Ausstrahlung der Menschen lassen die Strapazen schnell vergessen. Die 10-stündige Fahrt zum Ziel ist dagegen ein Klacks, weil es ständig etwas Neues zu sehen gibt.
Wir bewegen uns Richtung Südwest. Zunächst auf guten Straßen durch eine offene Landschaft, die von großen Feldern bestimmt wird, hauptsächlich mit Mais und Soja. Dazwischen immer wieder Rinderherden. Man sieht, dass Fläche nicht das Problem dieses Landes ist. Alles ist mit reichlich Platz schachbrettartig angelegt.
Unser stilvolles Quartier liegt mitten in der Pampa, wie man bei uns so schön sagt. Hier stimmt es in zweierlei Hinsicht. Von der Rotwildbrunft, die hier ihren Höhepunkt um die Monatswende März/April hat, ist am nächsten Morgen noch nichts zu hören. Das Fährtenbild verspricht jedoch eine hohe Wilddichte. Beinahe hätte es schon am ersten Morgen geklappt. Im frühen Licht entdeckt mein junger Führer Alberto einen älteren Hirsch. Nach Aug-, Eis- und Mittelsprosse folgt lange Zeit gar nichts, bis die starken Stangen in kräftigen Gabeln auslaufen. Da braucht es keinen Dolmetscher, ein Blick genügt, und wir sind uns einig. Doch trotz aller Bemühungen: Wir bekommen diesen Montefürsten nicht.
In Spanien würde man zu dieser Buschlandschaft Macchie sagen. Hier bezeichnet man sie als Monte. Vorwiegend Buschland, deren Vegetation gut mannshoch wird. Darin kann sich auch ein großer Hirsch sehr schnell unsichtbar machen. Viele dieser Büsche sind mit Dornen bewehrt. „Aufpassen und langsam gehen“, heißt die Devise, um keinen Blutzoll abzuliefern. Unterbrochen wird die Buschsteppe von Calden-Bäumen. Knorrige Bäume mit rauer Rinde. Sie sind heimisch – im Gegensatz zum Rotwild, das erst Anfang des vergangenen Jahrhunderts eingeführt wurde
 

 
Pirschpause im Schatten eines alten Calden-Baumes. Foto: F. Rakow
Der verheißungsvolle Auftakt ließ das Erwartungsbarometer nach oben schnellen. Doch wer die erste Chance nicht nutzt… Das trifft zum Glück nicht auf meine Mitjäger zu, die regelmäßig Beute heimbringen. Unser österreichischer Mitjäger Peter darf sich zum Beispiel über einen reifen Kronenhirsch freuen, Jan erlegt einen gut 6-jährigen Sechser. Es fällt auf, dass die Pampas-Hirsche nicht unbedingt Wert auf eine Krone legen. Häufig werden ältere Sechser, Achter oder Eissprossenzehner gesehen und auch erlegt.
Die Ansichten über Qualität und Schönheit der Trophäen sind ja fast eine Glaubensfrage. In Europa gilt nicht erst seit Freverts Zeiten der Kronenhirsch als Hegeziel. Mir gefallen die endenarmen und häufig kronenlosen Vertreter besser. Sie wirken uriger und damit begehrenswerter. Und wo findet man in Europa – dank konsequenter Hege – noch solche alten Kämpen? Bei meiner zweiten Station in der Pampa sollte ich feststellen, dass auch hier kräftig an einer „Etablierung der Krone“ gearbeitet wird.
Die Brunft kommt recht zögerlich in Gang. Ein Melden der Hirsche macht es natürlich einfacher, die Quelle anzugehen. Was mir gefällt, ist die bewegte Jagd. Wir sind meistens unterwegs, richten unser Vorgehen nach Fährten, Hören und Sehen aus. Bei dem Bewuchs bedingt das häufiger den Kriechgang. Die wachen Sinne des Kahlwildes oder drehender Wind sorgen dafür, dass dieser Wettstreit nicht immer zu unseren Gunsten ausgeht.
Auf den wenigen Ansitzen bleibt dafür mehr Zeit, die ungeheuer vielfältige Vogelwelt zu studieren. Ich bedauere, dass ich mir nicht ein ornithologisches Bestimmungsbuch mitgenommen habe. Das lohnt sich wirklich. Viele Taubenarten an den Tränken, Singvögel mit prächtigem Gefieder und eine erstaunliche Vielfalt an Spechten. Optisch und akustisch besonders auffällig die Sittiche. Sie treten stets in kleinen Geschwadern lautstark auf. Und auch ihre Nester sind ein Gemeinschaftswerk: Sie legen sie in Calden-Bäumen ähnlich wie afrikanische Webervögel an – allerdings aus dornenübersäten Zweigen.
 

Hasen, groß und klein

 
„Vizcacha,“ der Pampashase, ein eigentümlicher und äußerst gutmütiger Geselle. Foto: F. Rakow
Fasziniert bin ich aber nicht nur von den südamerikanischen Luftikussen. Vergnügen machen auch die zahlreichen Hasen, die sich teilweise mit einem Höllentempo auf den sandigen Wegen trockenlaufen. Ihrem Verhalten nach scheinen sie die Umsiedlung aus Europa gut verkraftet zu haben. Die einheimischen Vizcachas (Pampashasen) haben stets die Ruhe weg und halten auch eine Annäherung relativ gelassen aus. Sie sind keine Hasenartigen, sondern gehören zur Familie der Nagetiere mit gewichtigen 9 bis 15 kg bei ca. 70 cm Körperlänge. Ihr Kopf wirkt in der Seitenansicht wie Esel en miniature.
Auf der Ausfahrt zur abendlichen Pirsch hören wir einen Hirsch melden. Die Stimme hört sich gut an, und schon tauchen wir in die Monte ein. Zunächst müssen wir geduldig ein Kahlwildrudel mit einem Hirschyoungster austricksen: Sie haben uns schon mitbekommen, können sich aber aus den zwei merkwürdigen Erdhaufen zwischen den Büschen keinen Reim machen. Wir wollen weiterkommen, möchten aber nicht, dass dieses Rudel mit großem Getöse abgeht und damit unsere Pläne auf den rufenden Hirsch zunichte macht. Die Rechnung geht schließlich auf. Wir können voran. Das Kahlwild unseres Rufers haben wir recht bald ausgemacht. Der Hirsch jedoch beschäftigt sich mit einem brunftigen Stück im Hintergrund. Nur Teile eines offensichtlich endenarmen Geweihs sind in dem Grünzeug auszumachen.
 

 
Ein mittelalter Sechser. Nicht das Hegeziel, aber jagdlich ein Leckerbissen. Foto: F. Rakow
Endlich passiert er eine kleine Lücke. Zum Schießen reicht es nicht, aber zum Ansprechen: mittelalter Hirsch mit Gabel, wenigen Enden und demolierter Augsprosse. Der passt. Sofort nehmen wir die Verfolgung auf. Immer in dem Zwiespalt: rankommen, aber nicht auflaufen. 2 Stunden bleiben wir dran. Mehrfach spüren wir den Atem seines kleinen Harems, mehrfach liegt die scharfe Büchse auf dem Zielstock. Aber es ergibt sich keine freie Schussbahn. Die Sonne wärmt mehr, als uns lieb ist, das Oberschenkel-Brennen ist eine Quittung für den dauernden Tiefgang.
Ich entdecke eine Schneise in Zugrichtung des Rudels. Alberto und ich umschlagen, wollen den Hirsch dort abfangen. Doch als wir ankommen, sehen wir die Gruppe auf der anderen Seite bereits im Pampa-Dschungel. Hinterher! Doch Alberto schüttelt mit dem Kopf. Nachbar! Auch große Reviere haben irgendwo eine Grenze. Das vergisst man schnell, wenn man sich sonst so frei bewegen kann. Die vielen Zäune stellen für das Wild kein Hindernis da. Erwachsene Stücke überwinden diese Barrikaden mit größter Lässigkeit.
2 Tage später pirschen wir wieder zu dieser Schneise. Alberto vermutet, der Hirsch kommt aus seinem Einstand vom Nachbarn am Abend zurück in unser Revier. Ein Wasserloch dort könnte der Anziehungspunkt sein. Wir bauen uns in die Büsche am Rande der breiten Bahn ein, durch deren Mitte der Grenzzaun läuft. Ob dieses Manöver gelingt? Der Wind steht gut, doch mit Aufziehen der Abenddämmerung schwindet die Hoffnung, dass der Plan gelingt.
Plötzlich entdecke ich am „gegnerischen Rand“ Tier mit Kalb. Nach vorsichtigem Sichern überfliehen die Stücke den Zaun. Gehören sie zum Rudel unseres Hirsches? Schon taucht ein weiteres Tier am Rand auf, orientiert sich ständig zurück. Alberto und ich schauen uns erwartungsvoll an. Folgt jetzt tatsächlich der Hirsch? Als das weibliche Stück auf den Zaun zuzieht, tauchen Geweihstangen im Hintergrund auf. Kurzes Kopfnicken: Ja, tatsächlich. Das ist der Gesuchte! Die Büchse liegt schon lange ausgerichtet auf dem Dreibein. Jetzt nur keine verkehrte Bewegung. Das 2. Tier hat die Barriere bereits locker überwunden. Der Pascha lässt sich verdammt viel Zeit. Beste Voraussetzung, aufgeregt zu werden. Deshalb schaue ich nur aus den Augenwinkeln hin. Erst als der Zehner sich zielstrebig dem Zaun nähert, richte ich den Repetierer konzentriert aus. Sofort nach dem entscheidenden Sprung nehme ich ihn ins Zielfernrohr. Entfernung etwa 100 Meter.
 

 
So stellt man sich einen stolzen Gaucho vor. Foto: F. Rakow
Wie vorher verabredet, bringt ihn Alberto mit einem kurzen Röhrer zum Verhoffen. Schon ist der Schuss draußen und der Hirsch am Boden. Puuh! Auch wenn alles nach Programm lief, durch das lange Vorspiel entweicht aus uns beiden eine mächtige Anspannung. Nach den vielen gemeinsamen Pirschgängen war das ein perfekter Abschluss. Vor uns liegt ein goldrichtiger Abschusshirsch, der Erfolg einer kleveren Strategie.
Bei der langen Anreise erschien mir eine Woche Jagd im Verhältnis recht knapp, deshalb hatte ich eine zweite Woche in der Pampa bei der Familie Viegener verabredet. Dort wollte ich mich lediglich aufs Fotografieren beschränken. Die ebenso abseits gelegene Jagdfarm mit den kleinen, aber feinen Unterkunftshäusern liegt inmitten des ungezäunten 15.000 Hektar großen Reviers. Vieles ist ähnlich, allerdings gibt es keine Rinder, dafür aber deutlich mehr Calden-„Wälder“. Damit auch größeren Einblick innerhalb des Bewuchses. Riesigbreite Schneisen, Wildäcker und Wiesen erhöhen die Chancen. Wild und Jagd stehen hier eindeutig im Vordergrund.
Schon am ersten Morgen hüllen meinen Jagdführer Pedro und mich mehrere intensiv schreiende Hirsche rundherum ein, als wir das Auto verlassen. Wir tauchen ein in die tiefbeasteten Wälder und arbeiten uns an 2 Rivalen mit mächtigen Geweihen heran, die sich (leider verdeckt) ein kurzes Duell liefern. Der Triumphator zieht auf nicht mal 10 Meter an mir vorbei. Ich hatte die letzte Annäherung allein unternommen, um das Geschehen noch formatfüllender vor die Linse zu bekommen. Soviel Nähe war allerdings gar nicht gewünscht, da sie wegen Bewegung und Geräusch ein Fotografieren verbietet.
Der Auftakt war glücklicherweise kein Strohfeuer. In den nächsten Tag
en badete ich förmlich im argentinischen Brunftgeschehen. Betrieb war eigentlich immer. Lediglich in den Mittagsstunden flaute es etwas ab. Die Zeit brauchen die Gäste auch, um sich den Köstlichkeiten der Küche und ihrer Verdauung hinzugeben, die von der Chefin Irene Viegener selbst zubereitet wurde. Ihre Ansage, dass man von hier aus immer ein paar Kilo mehr mit nach Hause nimmt, hielt ich bei den ausgiebigen Fußmärschen für eine klare Fehleinschätzung. Ich habe mich getäuscht.
 

Neuseeland-Blut

 
Neuseeländisches Blut erkennbar: Imposanter Kämpe mit langen Enden in Los Molles. Foto: F. Rakow
Irenes Eltern, Didi und Rodolfo, haben das Anwesen 1978 übernommen und später der Tochter überschrieben. Obwohl ich den Rotwildbestand als hoch empfinde, berichtet mir der Vater, dass die zurückliegenden Trockenjahre dafür gesorgt haben, dass die Dichte von 5.000 bis 6.000 auf 1.500 bis 1.800 zurückgegangen sei. Seit mehr als einem Jahrzehnt wird neuseeländisches Rotwild eingekreuzt. Geweihstärke und Endenfreudigkeit haben sich seitdem sehr positiv entwickelt. Die endenarmen- und kronenlosen Vertreter, die sich aus den früheren Aussetzungen europäischen Rotwildes ergeben haben, versucht man so zu verdrängen.
Aus geschäftlichen Überlegungen ist diese Vorgehensweise verständlich. Mehr imposantes Geweih bringt schließlich auch mehr Geld. Eigentlich schade, da die urigen, alten Sechser, Achter oder Zehner dadurch verschwinden werden. Aber gerade die sind für viele Jäger eine echte Herausforderung. Starke Kronenhirsche findet man auch in Europa reichlich.
Eine solch große Estancia, die sich allein aus Jagd finanzieren muss, orientiert sich natürlich am Markt. Deshalb wird dem weitgereisten Kunden (hauptsächlich aus Europa und Nordamerika) neben Rotwild u.a. Damwild, Axis, Mufflon, Schwarzwild und Puma geboten. Stark ist das Vorkommen der ursprünglich in Indien beheimateten Hirschziegenantilope (Antilope cervicapra), und neben dem Wasserbüffel gibt es noch ein Paket von 4 verschiedenen Schafarten. Für meinen Geschmack ein bisschen zu viel des Guten, aber letztlich ist alles freiwillig. Keiner ist gezwungen, hier die Palette der Exoten abzufeiern.
Für mich bieten die langen (Foto)Pirschen mit Pedro und seinem passionierten Filius Erik nochmal ein tiefes Eintauchen in Landschaft und Wild. Das wäre ein gutes Alternativprogramm zum trüben europäischen März. Wenn es nur nicht so verflucht weit weg wäre! Für den 2. Anlauf sollte ich mir diesmal nicht so viel Zeit lassen.
 

Impressionen der Pampas-Jagd

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