Allgemein Schottland – Pfifferlinge und Brunftböcke

Schottland – Pfifferlinge und Brunftböcke

Pirschen in Schottland auf Rehböcke. Und dies während der Blattzeit. Ein Highlight in den Highlands. – Peter W. Lippert

Es sind die baumlosen Berge der hills, die grünen Täler mit ihren fischreichen Flüssen, die Seen, in denen sich der Wolkenhimmel spiegelt, die riesigen Heideflächen, die sich im August in ein lilablaues Farbenmeer verwandeln. All das zieht mich seit 1976 in ihren Bann. Schottland ist meine 2. jagdliche Heimat, seit nunmehr 36 Jahren, ohne Unterbrechung. Hier zu weidwerken, bedeutet für mich ursprüngliches, aber auch sportliches Jagen. Jagen ohne Hochsitze. Die Anforderungen sind hoch. Seit 1988 jage ich dank meines Freundes George auf eigene Faust, 2012 in 4 Revieren, die nur wenige Kilometer entfernt voneinander liegen. George verlangt bloß, dass das Wild sauber zur Strecke kommt, denn der Wildhändler zahlt bei schlechten Schüssen nur die Hälfte.

Bock
Ein braver schottischer Sechser wurde stilvoll verbrochen Fotos: Peter W. Lippert

Ankunft

Nach 2,5-stündiger Fahrt mit dem Mietwagen ab Edinburgh, erreiche ich mein Ziel in der Nähe von Aviemore. Ein junges Ehepaar, Kate und David, haben ein altes Schulgebäude außerhalb des Ortes erworben und liebevoll umgebaut. Wir kennen uns bislang nur per E-Mail, doch der Empfang ist herzlich. 3 Labradore in Gelb, Braun und Schwarz begrüßen mich stürmisch. Hier fühle ich mich sofort wohl. Bei George leihe ich mir eine Wildwanne und seinen alten Rucksack, in den auch schon mal 2 Rehe hineinpassen. Erwartungsfroh betrete ich am frühen Abend das Revier Tolquhonie, das direkt hinterm Gartenzaun meines Bed-&-Breakfast-Hauses beginnt. Es ist angenehm warm und sonnig. Noch herrscht allerdings kein Brunftbetrieb. Lediglich weibliches Rehwild kommt mir in Anblick, kein einziger Bock.

Pfifferlinge

Am nächsten Morgen um 4.45 Uhr zeigt sich der Himmel in einem Uni-Grau. Es ist absolut windstill. Ich versuche mein Glück in einem anderen Revier, in Glencarnie. Wie am Vorabend kein Brunftbetrieb, kein Bock. Das Revier wirkt wie leergeschossen. Pfifferlinge, die an vielen Stellen massenhaft hellgelb auf dem Waldboden leuchten, wandern in eine mitgebrachte Tüte. Und Kate macht mir statt des traditionellen Full Scottish Breakfast ein wunderbares Pilzgericht, und das Breakfast ein wunderbares Pilzgericht, und das Breakfastvon nun ab jeden Morgen.

Pfifferlinge in Massen. Statt dem Full Scottish Breakfast gibt es jeden Morgen Pilzomelette.

Während des Frühstücks kommt Wind auf, die Sonne vertreibt die Wolken. In Moy, ein paar Kilometer entfernt, findet heute eine Game Fair statt, eine Veranstaltung über alles, was mit Jagd, Angeln, Hunden und Lifestyle auf dem Land zu tun hat. Jedermann kann auf verschieden Wettbewerben zeigen, wie gut er mit seiner Flinte, seiner Angel oder aber seinem Hund umgehen kann. Es ist ein kurzweiliger Nachmittag, doch am frühen Abend zieht es mich wieder in den Wald gleich hinter meinem Domizil. Aber auch dieser Abend sieht mich als Schneider zurückkehren.

Aufs Blatt gesprungen

Morgens ist es so trüb wie tags zuvor. In Glencarnie pirsche ich auf feuchtem Boden fast lautlos. Es geht bergauf, vorbei an einem Uralt-Hochsitz. Als er in die knorrige Kiefer gebaut wurde, gab es hier sicher nur offene Heide. Auf der Kuppe eines Hügels nehme ich auf dem Rucksack Platz und beginne nach 10 Minuten zu blatten. Bereits kurz nach der 1. Strophe erscheint von rechts ein Bock, in typisch suchender, flotter Gangart. Der passt. Das Dreibein habe ich zuvor schon zusammengeschoben, so dass ich darauf in sitzender Position gut auflegen kann. Nach meinem kurzen Pfiff verhofft der Bock.

Starke Stangen und ein eselgraues Gesicht. der macht Freude!

Im Knall sackt er zusammen. Ein braver Sechser wandert in den Rucksack. Nun scheint der Bann gebrochen. Abends will ich den Carn Dubh besteigen, der mit 430 Meter Höhe der höchste Punkt eines Aufforstungsgebietes ist. Von einem Felsen unterhalb des Gipfels habe ich einen guten Überblick auf die darunterliegenden unbepflanzten Freiflächen. Um dorthin zu gelangen, quere ich eine tiefe Schlucht, deren kleiner Flusslauf gerade so viel Wasser führt, dass ich trockenen Fußes hinüberkomme. Der Himmel zieht sich weiter zu, es beginnt zu regnen. Also, Regenzeug aus dem Rucksack, und es geht bergauf. Auf dem Aussichtsfelsen angekommen, bin ich innen und außen nass. Meine Hoffnung, hier oben einen starken Bock zu erlegen, erfüllt sich nicht. Kein rotes Haar ist zu sehen.

Auerwild

Am frühen Morgen starte ich zu Fuß von der Unterkunft aus. Wieder grauer Himmel. Der Wald ist in Dunst und Nebel gehüllt. Nach 2 Kilometern Pirsch endet der Wald, ich erreiche offenes Hochmoor. Hier treibt inzwischen aufgekommener Wind Nebelschwaden vor mir her. Es ist so gut wie nichts zu sehen. Entlang des Waldes führt ein von Heide überwucherter alter Fuhrweg, den ich einschlage. Und plötzlich ragt links neben mir etwas Schwarz-rotes aus den Blaubeeren heraus. Dicht daneben dasselbe.

Schauen und immer schauen, dies ist ein Erfolgsrezept nicht nur bei der Jagd auf den Bock während der Blattzeit.

Fast zeitgleich streichen 2 Auerhähne vor mir ab und verschwinden im Nebel. Als begeisteter Flintenschütze male ich mir in Gedanken aus, eine Doublette auf abstreichende Auerhähne zu schießen. Meine Morgenpirsch endet nach fast 5 Stunden erfolglos, dennoch bin ich zufrieden. Nach dem Frühstück mit reichlich frischen Pfifferlingen zeigt sich der Himmel strahlend blau. Also mache ich mich erneut auf. Ich sitze auf meinem Rucksack, an einen Baum angelehnt, das Gewehr auf den Knien und beginne zu blatten. Der 5. Ton ist noch nicht raus, da stürmt stichgerade etwas Rotes auf mich zu, eine Ricke. Sie stoppt abrupt gerade 10 Meter vor mir und weiß nicht so recht, was sie mit mir – völlig in Tarnkleidung gehüllt – anfangen soll. Bald verschwindet sie laut schimpfend im Wald. Wäre das ein Bock gewesen, hätte ich keinerlei Chance zum Schuss gehabt. Bei milden Temperaturen starte ich etwas später als sonst. Auf einem überwucherten Forstweg pirsche ich hügel an. Der Wind küselt. Erst weiter oben kommt er gleichbleibend von vorn. Ich bin sicher, mich lautlos zu bewegen, muss aber doch feststellen, dass ich bereits beobachtet werde. Eine Ricke unterhalb von mir äugt mich schon misstrauisch an. Also noch vorsichtiger! Ein weiterer rotbrauner Fleck oberhalb von mir. Das Glas vorsichtig hoch, ein ordentlicher Sechser. Da der schmale Weg tief in den Hang eingeschnitten ist, eräugt der Bock nur etwas mehr als meinen Kopf. Vorsichtig das Dreibein ausgeklappt, noch langsamer die Büchse in die Gabel gelegt – der Bock ist kurz Büchse in die Gabel gelegt – der Bock ist kurz vor dem Abspringen – da hat ihn die Kugel. Ich freue mich über die gelungene Pirsch.

Heide und Kiefern bestimmen diesen Teil des Reviers

Fehlschuss

Um 4 Uhr in der Früh werde ich wach, der Regen prasselt auf das Dachfenster über mir. Eine halbe Stunde später bin ich im angrenzenden Revier. Es regnet immer noch. Schon bald pirsche ich ins tiefergelegene Moor. Ich befinde mich in mitten einer riesigen, baumlosen Moorfläche, die hier und dort von Rinnen durchzogen ist. Aus dem gegenüberliegenden Wald löst sich ein roter Fleck. Der Blick durch die 15-fache Zieloptik lässt einen guten Sechser erkennen, stark im Körperbau, aber 400 Meter entfernt. Er wechselt direkt auf mich zu. Ich gehe in die Hocke, schiebe das Dreibein auf passende Höhe und warte ab. Plötzlich ist der Bock verschwunden. Er muss in eine der Rinnen eingewechselt sein. Ich sprinte nach links, um ihn abzupassen. Bald sehe ich ihn, jedoch nur sein Haupt. Jetzt zieht der Bock aus der Rinne heraus, er hat es eilig. Das Dreibein habe ich längst wieder in Position. Völlig ungedeckt stehe ich mitten im Moor.

Die Leiter zeugt von längst vergangenen Jagdtagen

Der Bock will in dahintergelegenes tieferes Gelände verschwinden. Das Zielfernrohr ist beidseitig nass vom Regen. Zeit zum Trockenwischen bleibt nicht. Im Schuss zieht der Bock weiter. Ich sehe, wie die Kugel direkt hinter ihm im klatschnassen Binsengras einschlägt. Das ärgert mich. Aber auf dem beschwerlichen Rückweg durchs Moor tröstet mich, dass ich nun wenigstens überhaupt keine Last zu tragen habe.

Auf den Stich

Heute früh will ich es in einem Tal nahe dem Ort Cromdale versuchen. Lang und schmal zieht es sich entlang des Flusses Spey dahin. Auf einem ehemaligen Forstweg, morastig und zugewachsen, pirsche ich, den Wind im Gesicht. Alle paar Meter bleibe ich stehen, um das Gelände vor und neben mir abzuglasen. Gerade habe ich das Glas am Auge, als ich etwa 80 Meter vor mir einen Bock erblicke. Er steht stichgerade auf mich zu, ein guter Sechser. Ganz vorsichtig klappe ich das Dreibein auseinander, langsam geht die Büchse vor die Schulter.

Die Kugel fasste hochblatt. Dieser brave Sechser lag im Knall

Das hält der Bock nicht aus, schießt es mir durch den Kopf. Als ich ihn im Zielkreuz habe, sehe ich nur einen kleinen Teil vom Stich, der Rest des Körpers ist von Bäumen verdeckt. Der Schuss ist raus, der Bock weg. Er ist einfach in sich zusammengesunken. Puhh! Das ging jetzt trotz der langsamen Bewegungen richtig schnell. Das ist Jagd, wie ich sie liebe! Rasch ist der Bock versorgt, ich mache Fotos und bin bald mit ihm im Rucksack unterwegs zum Auto. Nach Porridge und Pfifferlingen unternehme ich einen ausgedehnten Spaziergang, um an geeigneten Stellen zu blatten. Meine Töne motivieren jedoch keinen Bock, für den Erhalt seiner Art zu sorgen. Auch wenn ich weiß, dass sich auf der Jagd nichts wiederholt, will ich heute Abend wieder auf den Carn Dubh, wo ich vor 2 Jahren einen starken Bock erlegte. Heute kein Regen, dafür Millionen von Midges, die mich trotz eines Kopfnetzes erheblich nerven. Sehr spät erkenne ich am Gegenhang die ersten Rehe dieses Abends, Bock und Ricke. Sie ziehen jedoch nicht ins Tal, sondern empfehlen sich treibend in den Wald. 20 Minuten vor Ende des Büchsenlichtes empfehle ich mich auch, denn im Dunkeln will ich die sumpfige Talebene vor mir nicht queren.

Der „Ameisenhaufen“

Ist es der leuchtende Mond, der den Brunftbetrieb mehr in die nächtlichen Stunden verschiebt? Es ist auffällig, dass in der Frühe nur wenige Böcke zu sehen sind. So habe ich in Glencarnie bloß eine Ricke mit 2 Kitzen in Anblick, ansonsten herrscht absolute Ruhe. Hier im Wald gibt es eine Unmenge Ameisenhaufen, in Farbton und Form einem äsenden Reh ähnlich. Ständig lasse ich mich deshalb dazu hinreißen, das Glas hochzunehmen. Doch eine der Insektenbehausungen bewegt sich. Ganz klar ein Reh. Das Haupt ist unten, ich kann es nicht weiter ansprechen. Dann ist es oben: ein suchender Bock. Und er kommt näher. Dieser Kiefernwald hat viele kleine Senken und Kuppen. Hinter solch einer verschwindet der starke Bock, für mich ist er außer Sicht. Dann taucht er plötzlich rechts vor mir auf, maximal 15 Meter entfernt. Büchse hoch, kurz gepfiffen. Der Bock verhofft, im Zielglas erscheint er auf diese Entfernung völlig unscharf. Doch irgendwie klappt es. Der Bock sinkt ins Gras. Das ging alles ganz schnell. Ich habe nie zuvor auf solch kurze Entfernung einen Rehbock geschossen. Nachdem der Bock versorgt ist, hänge ich ihn an einen Ast, ziehe das Fliegennetz darüber und pirsche weiter. Es wird ein langer Gang an diesem Morgen. Nach über 5-stündiger Pirsch ist mir das Frühstück sehr willkommen.Der sonnige Tag lässt mich zu einem Lieblingsplatz ziehen. Er befindet sich auf der anderen Seite des ans Haus angrenzenden Reviers Tolquhonie. Vor mir ein abfallender Hang, weiter unten einige locker mit Kiefern bestockten Flächen, übergehend in eine riesengroße Moorfläche Schon oft habe ich hier gesessen, ein Buch gelesen und die Aussicht genossen. Und oft, wenn ich das Glas zwischendurch in die Hand nahm, ein Reh ausgemacht. Und wenn es ein jagdbarer Bock war, bin ich ihn angegangen und erlegte ihn. Doch heute lese, glase und genieße ich nur.

Auf den „Big Buck“

Der Tag beginnt mit einem grandiosen Sonnenaufgang. Auch ohne jagdlichen Erfolg bin ich beim Frühstück mit Porridge und Pfifferlings-Omelette total entspannt. Abends und am nächsten Tag jage ich im Revier Glencarnie-Ost, in dem ich bislang noch nicht gewesen Ost, in dem ich bislang noch nicht gewesen bin. Ich kenne aber auch diesen Teil seit einigen Jahren und freue mich sehr auf ihn. In der östlichen Revierspitze soll sich ein Big Buck herumtreiben, der von Jagdpächtern zweimal gesehen wurde. Seiner mittels Daumen und Mittelfinger angedeuteten unteren Stangenstärke nach muss dieser Bock urgewaltig sein. Ich suche im Wald einen erhöhten Punkt, sitze auf meinem Rucksack und habe einen guten Überblick. Doch es tut sich leider nichts.

Schafe gehören zu Schottland wie die Eiche zu Deutschland

Und noch einer …

Das gute Wetter hält an. Ein kühler, frischer und strahlender Morgen sieht mich wieder im Einstand des Big Buck. Ich umschlage das Revier, über Weiden und Felder geht’s bei gutem Wind bergan. Unter mir im Tal verdeckt Nebel den Fluss Spey, über mir wolkenloser Himmel. Im Wald machen mir die vergangenen regenlosen Tage das Pirschen schwer. Jeder noch so kleine Ast gibt beim Drauftreten verräterische Geräusche ab. Äußerst vorsichtigbewege ich mich entlang eines Bergrückens und habe steil nach unten den dicht mit Bäumen bewachsenen Hang im Auge. Da, ein roter Punkt! Ich sehe, dass es ein Reh ist, mehr aber nicht. Es erscheint ein 2. roter Punkt, der sich schnell bewegt. Also treibt ein Bock eine Ricke. Aber nur kurz. Nach langem Glasen erkenne ich, dass der Bock jagdbar ist. Neben einer großen Kiefer sinke ich ins Gras, justiere die Zieloptik und warte auf einen passenden Moment. Die Bäume wirken auf 90 Meter dicht an dicht, ich bekomme immer nur einen Teil des Körpers frei. Doch jetzt passt es, die Kugel ist raus, und der Bock liegt! Vorsichtig klettere ich den sehr steilen Hang hinab und bin am Wild. Wer kennt das nicht, der erste Anblick, der Griff ins Gehörn, ein sauberer Schuss, der Erfolg nach einer spannenden Pirsch? Um mich der sonnendurchflutete Wald, der Atem zeigt sich noch in kleinen Wolken, welch ein Morgen! Gleich nach meinem Pfifferlingsfrühstück bin ich wieder im selben Revier, doch an anderer Stelle. Das Blatten bringt keinerlei Reaktion. So genieße ich, es ist sehr warm geworden, vor meiner wunderschönen Unterkunft im Schatten eine Mittagspause.Früh an meinem letzten Abend bin ich wieder im Revier. Den starken bestätigten Bock habe ich noch nicht aus dem Kopf. Doch er zeigt sich nicht, dafür ein 2–3-jähriger Abschussbock. Er steht wieder in der Revierecke, in der ich ihn schon zweimal vorhatte, jedoch stets in zu großer Entfernung. Jetzt passt es, gelaserte 180 Meter, und er ist mein. Beim Aufbrechen im letzten Licht, die Stirnlampe am Kopf, bringen mich Mücken und Midgesfast um. Glücklich trage ich den vollen Rucksack zum Wagen und begebe mich zum Freund, um mit ihm abzurechnen und mich zu verabschieden. Wir trinken einen Whisky zusammen und reden über die vergangenen 36 Jahre. Das ist mehr als die Hälfte meines Lebens. Ich bin sehr froh und glücklich, diese Anlaufstelle hier bei ihm zu haben.

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