JWW 06/2014
Aus Sünden lernen
Jeder Mensch, der die Jagd liebt, ist ein guter Mensch. Dieser bemerkenswerte Ausspruch wird Philipp II., König von Makedonien und Vater Alexanders des Großen zugeschrieben. Diese Vorstellung ist schön, aber leider naiv. Moralische Integrität und Jägersein können nicht einfach gleichgesetzt werden. Jeder sündigt selbst Pfarrer oder Bischöfe, von denen man das wohl am wenigsten erwartet.
Dennoch enthält die Bemerkung Philipps von Makedonien einen wahren Kern. Denn Jagd und Charakter sind eng, ja untrennbar miteinander verbunden: Die Art und Weise, wie wir weidwerken, spiegelt auch unser Innerstes wider. Insbesondere beim gemeinschaftlichen Jagen zeigt sich, wes Geistes Kind der oder die Mitjäger sind. Umgekehrt genauso: Die Art, wie ich jage, offenbart meiner Umwelt eine Menge über meine Person.
Jeder von uns wird, ob er nun alleine im Schwarzwald, der Lüneburger Heide oder wo auch immer auf dem Hochsitz hockt oder mit Jagdfreunden in Ungarn auf Fasanen buschiert, immer wieder mit neuen Situationen konfrontiert, die eine rasche Entscheidung verlangen. Ist das abstreichende Rothuhn schon zu weit, oder kann ich es noch guten Gewissens beschießen? Lasse ich den Frischling meinem Standnachbarn oder lege ihn lieber selbst auf die Schwarte? Räume ich bei einer 2:1-Führung meinem Mitjäger den Vortritt ein, weil er bisher noch Schneider ist?
Wer viel im In- und Ausland jagt, dem wird auch das ein oder andere Missgeschick unterlaufen. Oft ist die Versuchung zu groß. So machte ein Jagdgast während einer Monteria in Portugal einen groben Fehler: Er streckte einen Rothirsch, obwohl nur Dam- und Schwarzwild freigegeben waren. Eigentlich darf so etwas nicht passieren. Aber Ansprechfehler kommen in rauer Praxis nun mal vor. Entscheidend ist in solchen Situationen, wie der Täter mit seinem Ausrutscher umgeht.
Der Jagdgast zeigte Charakterstärke. Er stand gerade für das, was er verbockt hatte, suchte nicht nach einer faulen Ausrede. Diese Geradlinigkeit imponierte den portugiesischen Gastgebern. Sie ahndeten sein Vergehen nicht, zogen auch nicht die Trophäe ein. Ich bin mir sicher, dass er aus dem Fehler gelernt hat und künftig etwas genauer hinschauen wird, bevor er den Finger krümmt. Dann hätte er aus seinem groben Schnitzer gelernt. Und darauf kommt es schließlich an.
Hand aufs Herz: Setzen wir nach einem Fehlabschuss oder einem anderen Missgeschick stets Einsicht und Selbstbeherrschung in die Praxis um? Fehler können gerade auf der Jagd sehr schnell passieren. Wichtig ist nur, dass wir sie nicht wiederholen! Gerade auf uns trifft die Erkenntnis des Dichterfürsten (und Jägers) Goethe zu: Niemand weiß, was er tut, wenn er recht handelt, aber des Unrechten sind wir uns stets bewusst.
Mit Weidmannsheil
Ihr
Ihr
Dr. Rolf Roosen
Chefredakteur
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