Foto: KORA |
03.02.2014
Raubkatzen in freier Wildbahn zu zählen, ist knifflig. Schweizer Forscher erproben beim Luchsmonitoring in den Alpen verbesserte Zählmethoden. Ergebnis: Bisherige Schätzungen der Bestände scheuer Raubkatzen waren oft allzu optimistisch.
Von Kai Althoetmar
Einzelgängerische Raubkatzen wie Tiger, Jaguar oder Luchs sind wie Phantome der Wälder. Ihre Bestände halbwegs zuverlässig zu ermitteln, ist ein kniffliges Suchspiel. Seit Jahren erleichtern automatische Wildkamerafallen es Forschern, Tierpopulationen zu erfassen.
Um Zahlen zum Vorkommen von Luchs & Co. zu erhalten, müssen die Fotos der Kamerafallen es ermöglichen, die abgebildeten Tiere voneinander zu unterscheiden. So wird kein Tier doppelt gezählt. Bei Arten wie Luchs, Tiger oder Leopard, die einzigartige Fellmuster haben, ist das gut möglich. „Capture Recapture“ (CR) nennen Forscher die Methode, „Fang und Wiederfang“ – per Foto. Auf solchen einfachen CR-Modellen fussten bislang die meisten Untersuchungen zur Populationsdichte von Raubkatzen.
Für Forscher ist es eine Sisyphosarbeit, in deren riesigen Streifgebieten genügend Kamerafallen an Bäumen zu befestigen und die Fotospeicherkarten später auszuwerten. Und doch springen viele Biologen dabei zu kurz und produzieren mit CR-Modellen optimistische Bestandsschätzungen. Das weisen Forscher der in Muri bei Bern ansässigen Forschungsstelle „KORA – Raubtierökologie und Wildtiermanagement“ am Beispiel Luchs in den Alpen nach. Das Ergebnis ihrer Studie, die sie jüngst im Fachjournal Integrative Zoology (Band 8, Seite 232, 2013) vorstellten: Je kleiner die untersuchte Gegend in CR-Modellen, desto höher fällt die ermittelte Populationsdichte aus.
Wurde nur ein kleines Areal ausgewertet, war die errechnete Zahl der Luchse je Quadratkilometer bis zu drei Mal so hoch wie bei Auswertung eines viel größeren Areals. Im Endeffekt hiesse das für viele vorherige Studien: Die Bestände vieler Raubkatzen sind deutlich zu hoch angesetzt. Betroffen sei nicht nur der Luchs, sagt KORA-Raubtierökologe Fridolin Zimmermann. Auch für Raubkatzen wie Gepard oder Sibirischer Tiger gelte das.
Das Team hatte auf 760 Quadratkilometern die Luchsvorkommen zwischen Genfer und Thuner See ermittelt. Insgesamt zeigten die Kameras 78 mal das scheue Pinselohr. An 34 von 54 Standorten tappte ein Luchs in die Fotofalle. 19 verschiedene erwachsene Luchse wurden identifiziert, 15 zeigten sich mehrmals.
Die Wissenschaftler untersuchten, welchen Einfluss die Größe des Untersuchungsgebiets auf die ermittelten Bestände hat. Neben einem CR-Modell wandten sie eine neuere Methode an: „Spatial Capture Recapture“ (SCR). Dabei wird für jedes Stück, das mehrfach in eine Fotofalle getappt ist, das mutmaßliche Revierzentrum errechnet. Die Populationsdichte wird mittels Bayessche Statistik berechnet, eines mathematischen Netzes, das eine Wahrscheinlichkeitsverteilung abbildet. Ergebnis: Die Luchsdichte veränderte sich im SCR-Modell kaum, wenn die Größe des Untersuchungsgebiets oder die Zahl der Kameras geändert wurde.
Anders klassische CR-Modelle: „Wurde in unserer Studie die Populationsdichte von CR-Modellen abgeleitet, wurde sie kleiner und kleiner, je größer das Untersuchungsgebiet gefasst wurde“, schreiben die KORA-Forscher und liefern die Erklärung mit: Revierüberlappungen. Ist das erforschte Gebiet zu klein, tauchen dort umherstreifende Artgenossen aus Nachbarrevieren auf, die die Fotostatistik verzerren.
Dem versuchen Forscher vorzubeugen, indem sie in CR-Modellen eine Pufferzone zum Untersuchungsgebiet addieren. Wurde ein bestimmter Luchs an mehreren Orten geblitzt, ermitteln Forscher die maximale Entfernung zwischen diesen Punkten, und berechnen so den Puffer. Doch bleibt ein Problem: Zu kleine Untersuchungsareale bedeuten, dass die ermittelten Laufwege der Luchse zu kurz ausfallen. Folge: Die Pufferzone ist zu klein – und die errechnete Populationsdichte zu hoch.
Auch in die Zahlen zu Schweizer Luchsen dürfte künftig Bewegung kommen. Laut letzter Schätzung von 2011 leben in der Schweiz 158 erwachsene oder halbwüchsige Luchse, davon 51 im Jura, 107 in den Alpen. Würde KORA die alten Schätzwerte anhand neuester Verfahren überprüfen, wären andere Resultate zu erwarten, räumt Zimmermann ein. Entscheidend sei aber der Trend über Jahre – ermittelt mit ein und derselben Methode.
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