Herbst-Jagd auf Sibirische Rehböcke: Pech – oder?

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Meine Jagd-Erfolge auf sibirische Rehböcke im Kurgan-Gebiet zur Brunft Ende August, Anfang September waren bisher sehr gut. Bemerkungen der Jagdreise-Vermittlerund der sibirischen Jäger über noch bessere und leichtere Jagd-Erfolge im Oktober haben mich gereizt, es auch einmal in dieser Zeit zu versuchen.

Von Dr. Döring
Das sibirische Rehwild verhält sich ähnlich wie unser Rehwild. Nach der Brunft sind sie für einen Monat wie vom Erdboden verschwunden, doch dann werden sie wieder aktiv, um ihre Feistdepots für den Winter anzulegen, der im Kurgan-Gebiet spätestens Ende Oktober beginnt. Meine sibirischen Jagdfreunde berichteten auch, dass im Oktober meist eine stabile Wetterlage vorherrscht: trocken, kalt und sonnig. Aber eben nur meist!
Obwohl für mich bisher bei der Rehbock-Jagd galt, dass der Bock rot sein müsse, machten sich mein Freund Günther und ich am 8. Oktober 2001 für sieben Tage guter Hoffnung auf den Weg nach Sibirien.
Der Flug nach Ekaterinburg mit der Kranich-Airline verlief wie immer ohne Probleme, und die Waffen-Abfertigung in Ekaterinburg wurde so zügig wie noch nie erledigt. Sascha, mein altbekannter Jagdführer und inzwischen guter Freund, war schon mit seinem Freund Valodi vor Ort, um uns abzuholen. Mit einem sehr komfortablen „Wolga-Schiff“ ging die Fahrt ins Revier Almeniewo zügig voran. Kurz nach Mitternacht trafen wir zu Hause bei Sascha ein, wurden mit einem großen Hallo empfangen, und die Wiedersehensfeier ähnelte eher einer ausgiebigen Geburtstagsfeier.
Lustig war´s, auch wenn Saschas Wettervorhersagen nicht gerade Euphorie bei uns aufkommen ließen. Egal, jetzt waren wir da, und es wird schon was gehen. Zudem kannte ich Saschas gedämpften Optimismus bezüglich der Jagd. Außerdem wusste ich ja inzwischen, dass Sascha so ein perfekter Kenner seiner Rehböcke im Revier ist, eigentlich konnte nichts schief gehen. Der Rest lag sicher nicht in seiner Macht.

 

Die erste Pirsch

Und…wider Erwarten, am nächsten Morgen erwartet uns schon die hochstehende Sonne, auch wenn ein strammer Ostwind bläst. Wir lassen Frühstück und Mittagessen zusammenfallen, uns drängt es ins Revier. Nach den obligatorischen Probeschüssen trennen sich unsere Wege, Günther fährt mit seinen beiden Jagdführern in den nördlichen Revierteil und ich mit Sascha in den mir schon gut bekannten westlichen Revierteil.

Auch wenn die Sonne im Moment scheint, bin ich doch ziemlich erschüttert, wie traurig und trist Sibirien sich mir im Oktober darbietet. Ich kannte bisher nur ein grünes, strahlendes Sibirien. Jetzt, nach wochenlangen Regenfällen gleichen die Dorfstraßen einer Schlammwüste; selbst die bunt angemalten Holzhäuser strahlen nicht so wie im Sommer. Auch die bunten Birkenblätter sind schon zum größten Teil am Boden, das Gras ist gelb, die Feldflächen abgeerntet, aber schon zum Teil wieder zart grün aufgelaufen. Auf den Stoppelfeldern liegen meterhohe Strohhaufen, auf den gemähten Wiesen ebensogroße Heuhaufen, die man als Ansitz-Einrichtungen hervorragend nutzen kann.
Bei der etwa einstündigen Fahrt durch das Revier zeigt mir Sascha viele von ihm und seinen Helfern angelegte Wildäsungsflächen, auf denen Luzerne, Hafer, Mais oder Sonnenblumen angebaut wird. Mais und die Sonnenblumen reiften leider in diesem Jahr durch den vielen Regen nicht richtig, was Sascha mehrfach beklagt, aber gleichzeitig weist er auf die Getreidefelder mit dem keimenden Ausfallgetreide als gute Rehwild-Äsung hin.
Die vielen Brachflächen, auf denen im Spätsommer in wahrer Pracht die sibirischen Astern blühen, sehen jetzt mit dem übriggebliebenen meterhohen dunkelbraunen Gestrüpp mehr als traurig aus. Der erste Eindruck lässt hier kein Rehwild vermuten. Doch weit gefehlt, zahlreiche Fährten bestätigen das Gegenteil. Sascha zeigt mir kleinste zarte grüne Pflänzchen unter dem Gestrüpp und erzählt, dass gerade die dunkelbraunen Blätter der sibirischen Aster im Winter bevorzugt vom Rehwild geäst werden. Außer ein paar Nebelkrähen sehen wir auf dieser Fahrt ins Revier nichts.
Endlich hat Sascha sein strategisches Ziel erreicht und parkt den alten Lada in einem Birkenwald. Und dann beginnt die Pirsch. Nach dem Abstellen des Motors umfängt mich schließlich diese wohltuende Stille, die man zu Hause so oft vermisst. Außer unseren eigenen Geräuschen hört man nichts, nicht einmal ein Vogelpiepsen.
Flüsternd erklärt mir Sascha seinen Plan, den er sicher in der letzten Stunde nach kritischer Prüfung aller Umstände ausgebrütet hat. Er berichtet von zwei guten Böcken, der eine ein alter Bekannter von mir aus dem Vorjahr, der andere mit seinem Territorium etwa fünf Kilometer entfernt. Beide will er heute mit mir bejagen. Sascha erzählt außerdem in kurzen Worten, dass die Böcke aufgrund der sehr guten Äsung noch nicht ihre Territorien aufgegeben haben und daher ziemlich regelmäßig von ihm bestätigt wurden.
Der Worte sind nun genug gewechselt; schweigend ziehen wir los. Wir pirschen durch Birkenwälder, schleichen uns an die Waldränder, und es dauert gar nicht lange, da sieht Sascha mit seinen Luchsaugen des erste Reh auf einer Brachfläche. Weit leuchtet der weiße Spiegel eines weiblichen Stückes.
Nach einstündiger Pirsch steuert Sascha einen großen Strohhaufen auf einem Stoppelfeld an, den wir dann gemeinsam besteigen, um uns hier anzusetzen. Vorher baut Sascha den Strohhaufen so um, dass oben eine Kuhle entsteht, aus der wir gerade so herausschauen können. Ein perfekter Ansitzplatz!
Wir sitzen gerade einmal fünf Minuten, als rechts von uns eine starke Ricke mit zwei Kitzen aus dem Schilf gegenüber herauszieht. Doch der Bock folgt nicht, wie Sascha eigentlich erwartet.
Das wäre auch ein bisschen zu schnell gegangen. Statt dessen verschärft sich der Wind sehr unangenehm und beginnt auch noch zu drehen. „Morgen schlechtes Wetter“, meint Sascha.
Nach einer weiteren halben Stunde wird Sascha unruhig und brummelt vor sich hin. „Platz nix gut“; wir pirschen weiter. Dabei sehen wir sicher zehn Stück Rehwild, aber keinen passenden Bock. Sascha interessiert sich ohnehin nicht viel für diese Rehe, er macht nur einen kurzen Kontrollblick. Offenbar hat er ein bestimmtes Ziel, das er zügig ansteuert, denn langsam wird es dämmrig.
Fotos: Erwin Pfister

„An großer Birke…“

„An großer Birke…“

Dann verlangsamen sich seine Schritte, er schaut mehr nach links und rechts, glast die Flächen ab. Er deutet nach halb links vor uns, wo 500 Meter von uns entfernt eine große Birke auf einem Stoppelfeld steht. Das Feld zwischen zwei Birkenwäldern ist sicher nicht breiter als 100 Meter, aber eben weit über 500 Meter lang.

„An großer Birke immer großer Bock“, flüstert Sascha, und tatsächlich, genau in diesem Moment, zieht der Bock aus dem rechten Birkenwald Richtung Birke. Sascha spricht den Bock als den Bekannten an und schickt mich los.
Glücklicherweise liegen auch auf diesem Stoppelfeld mehrere große Strohhaufen, so dass ich im Sichtschutz gut vorankomme. Doch dann geht es nicht mehr weiter, ohne Gefahr zu laufen, eräugt zu werden. Ich besteige vorsichtig den nächsten Strohhaufen, ganz nach dem Motto drei Stufen hoch und zwei zurück, luge vorsichtig über die Kuppe und sehe den Bock weit vor mir, spitz von mir weg äsen.
Ich richte mich ein, die Fototasche und der Rucksack werden sorgfältig postiert, so dass die Waffe wie auf dem Schießstand fixiert ist. Der Entfernungsmesser gibt 260 Meter bis zur Birke an, der Bock äst rechts davon. Da der Bock keine Ansätze zeigt, sich breit zu stellen, beginne ich zu grübeln, wie ich das .30-06-Geschoss hier sicher ins Ziel bringen kann. Noch nicht richtig zu Ende gedacht, stellt sich der Bock breit, und ich lasse fliegen. Kaum ist der Schuss draußen, höre ich schon Saschas Gejohle am Fuße des Strohhaufens: „Gut, gut, gut!“
Raketenähnlich verlässt Sascha den Tatort und rast davon. Nachdem ich meine Siebensachen zusammensortiert habe, folge ich ihm. Es ist inzwischen fast dunkel geworden, und Sascha geistert hektisch und achselzuckend im Birkenwald herum.
Ich suche den Feldrand mit einer Taschenlampe ab, entdecke Schweiß wie aus einer Gießkanne, pfeife Sascha zu mir, und nach zehn Metern stehen wir vor dem Bock, der einen nahezu perfekten Herzschuss hat. Sascha ist begeistert und sehr stolz, dass sein bestätigter Bock mit zunächst geschätzten 1000 Gramm schweren (später 960g) und sehr hohen Stangen zur Strecke gekommen ist. Der Bock ist ein Paradesechser mit sehr dunklen, gut geperlten Stangen. Was für ein Auftakt!
Nach gegenseitigen Glückwünschen verlässt mich Sascha, um das Auto zu holen, denn einen sibirischen Rehbock mit seinen 40 bis 45 Kilogramm aufgebrochen, kann man nicht so einfach schultern. Ich versorge den Bock und genieße die hereinbrechende Nacht mit sibirischem Sternenhimmel auf einem Strohhaufen. Ich vermisse den abendlichen Ruf der ziehenden Kraniche, der im Sommer immer zu hören ist und bei mir eine besondere Stimmung aufkommen lässt.
Nach einer Stunde werde ich von Autoscheinwerfern aus meinen Träumen geholt, Sascha holt mich ab. Nach einer weiteren Stunde sind wir bei Sascha zu Hause, wo wir schon lange erwartet werden. Wir haben noch nicht richtig geparkt, da wird unsere Kofferraumklappe aufgerissen und der Bock mit einem mehrfachen Bravo bestaunt.
Drinnen im Haus wartet ein opulentes Abendessen mit vielen Leckereien auf uns, das Saschas Frau und seine Tochter Natascha mit viel Liebe vorbereitet haben. Völlig unüblich gibt es zuvor ein Glas Sekt. Jetzt erst stellt sich heraus, dass Sascha heute auch noch Geburtstag hat. Jetzt haben wir zwei Gründe zu feiern!
Beim Essen berichtet Günther mir von seiner Abendpirsch. Schon früh am Abend hat er zwei Elchbullen gesehen, wovon der eine ein hochkapitaler Bursche war. Aber leider sind Elche tabu; die wenigen Elchlizenzen sind höher gestellten russischen Persönlichkeiten vorbehalten, wie Sascha uns vorher schon mit säuerlicher Miene erklärt hat. Einen starken Rehbock hatte Günther auch kurz in Anblick, doch das wenig geschickte Verhalten seines Jagdführers hat die Chance zunichte gemacht.

Ein Regentag

Schon nachts ändert sich das Wetter. Wolken ziehen vor den Sternenhimmel, und am Morgen regnet es aus Kübeln. Zu Hause hätte man sich im Bett einfach umgedreht, aber hier gilt es, jede Chance zu nutzen. Doch wie erwartet, wird auch nichts gesehen, geschweige denn erlegt.

Die Wege und Straßen gleichen einer Schlammwüste, alles ist nur noch grau in grau. Dieses Sauwetter hält bis zum nächsten Tag mittags an, dann lässt wenigstens der Regen etwas nach.
Neue Hoffnungen keimen auf, und schon geht es gleich wieder raus. Eine stundenlange, traumhafte Pirsch führt uns mal wieder zu einem Heuhaufen, wo wir uns einnisten. Vor uns liegt ein riesiges abgeerntetes Erbsenfeld, auf dessen Boden sich sicher mehr Erbsen befinden als von der Erntemaschine aufgenommen worden waren. Sascha flüstert mir zu, was er in den letzten Tagen hier alles gesehen hat und jetzt erwartet. Die vielen Erbsen sind ein Magnet für Rehwild, Sauen (es gibt hier kapitale mit Gewichten über 200 kg) und Auerwild.
In der ersten Ansitzstunde sehen wir eine Ricke mit zwei Kitzen und später am hinter uns liegenden Waldrand einen Bock, den wir wegen des wieder einsetzenden Regens nicht richtig ansprechen können. Zudem zieht er am Waldrand immer weiter von uns weg.
Auch der von Sascha hier bestätigte starke alte Auerhahn lässt sich nicht blicken. Ich hatte nämlich von der „Jagdverwaltung“ als Dankeschön für meine im Vorjahr abgehaltenen Blattjagd-Kurse im Kurgangebiet einen Auerhahn-Abschuss geschenkt bekommen. In den Vorjahren habe ich immer viele Auerhähne zu Gesicht bekommen, doch jetzt, wo ich einen frei hatte, sah ich nicht einen einzigen.
Vorzeitig verlassen wir aufgeweicht unseren Ansitzplatz, treffen Günther und seine Jagdführer am Auto, die auch nicht gerade begeistert sind. Auch sie haben keinen besonderen Anblick gehabt. Wir beschließen, dass Günther am nächsten Abend unseren Platz beziehen soll, denn Sascha ist sicher, dass der Bock dort geht. Und er sollte Recht behalten: Günther erlegt am nächsten Abend diesen braven Sechserbock.

Eine ausgedehnte Pirsch

Eine ausgedehnte Pirsch

Gemeinsam fahren wir am Nachmittag hinaus, postieren Günther und seinen Jagdführer an eben diesen Platz, während ich mit Sascha eine ausgedehnte Pirsch beginne. Sascha berichtet mir kurz von seinem Ziel: einem riesigen Feld mit aufkeimendem Getreide, wo er einen alten, starken Bock kennt.

In dieses Feld, das sicher mehrere hundert Hektar groß ist, ragen halbinselförmig mehrere Birkenwäldchen hinein. Immer wieder müssen wir über das Feld, um zu dem von Sascha angesteuerten Platz zu kommen. Saschas Schritte werden immer langsamer und vorsichtiger, höchste Konzentration ist angesagt.
Wieder an einem Waldrand angekommen, spähen wir nach links und rechts aufs Feld. Wir verharren ein paar Minuten, um dann wieder über einen 50 Meter breiten Feldstreifen zu gehen. Sascha deutet noch vorher nach rechts und zeigt in Richtung einer großen Birke: „Dort immer Bock!“ Wir haben noch nicht ganz die Hälfte der Distanz überwunden, als der Anblick von drei austretenden Stück Rehwild in etwa 150 Meter Entfernung uns in die Knie gehen lässt. Schon haben die Ricke mit ihren zwei Kitzen uns weg und sichern herüber. Langsam ziehen sie im Stechschritt weiter aufs Feld. Wir wollen warten, bis sie über den Feldstreifen gewechselt sind.
Plötzlich erscheint am Waldrand ein viertes Stück, Sascha zischt: „Bock“. Im Troll zieht er dann den anderen Stücken hinterher, ich fahre mit und lasse fliegen. Da der Bock unbeirrt weiter trollt und im gegenüberliegenden Schilf verschwindet, sind wir einstimmig der Meinung, dass dieser Schuss sicher fehl ging. Ich hatte schon kein gutes Gefühl bei der Schussabgabe und meine auch, im Schuss verrissen zu haben.
Wir beide sind uns so sicher, dass wir nicht einmal den Anschuss suchen, sondern nur halbherzig den Einwechsel ins Schilf kontrollieren. Zudem drängt Sascha zum Weiterpirschen, denn er will die nächste Waldzunge umrunden, um vielleicht noch einmal den Bock in Anblick zu bekommen. Wir pirschen sicher noch zwei Stunden in der näheren Umgebung umher, sehen leider nichts mehr, hören aber Günthers Schuss mit Kugelschlag in weiter Entfernung. Wenigstens einer hat Erfolg, was das Stimmungsbarometer wieder steigen lässt.
Leider will sich die Sonne überhaupt nicht mehr blicken lassen, im Gegenteil, es wird kälter, der Regen geht zeitweise in Schnee über, der Wind bläst aus allen Richtungen. Alles nur kein Wetter, um Rehböcke zu jagen. Doch probieren muss man es eben, wenn man schon in Sibirien ist. Gleich am nächsten Morgen beziehen Günther und sein Jagdführer an einem von Sascha angegebenen Platz Posten neben einer Brachfläche. Schon beim ersten Büchsenlicht erkennen sie in 80 Meter Entfernung den dort bekannten alten Bock, und Günther erlegt ihn mit sauberem Blattschuss.
Nach einer halben Stunde ist für ihn die Jagd an diesem Morgen erfolgreich beendet, was ihn angesichts der Witterungsverhältnisse nicht unbedingt traurig stimmt. Sascha und ich dagegen pirschen stundenlang im Territorium des Bockes vom Vorabend umher und sehen nichts. Überraschenderweise klart es am Abend etwas auf, sogar die Sonne lässt sich sekundenweise blicken, Sascha schlägt für den Nachmittag und Abend einen Daueransitz an dem bekannten schmalen Feldstreifen vor.
Wir sind noch nicht weit weg vom Auto entfernt, da sehen wir auf einem abgebrochenen Birkenstamm auf 80 Meter einen starken Birkhahn mit vier langen Sicheln. So lange Sicheln habe ich noch nie bei einem Birkhahn gesehen, und ein Blick zu Sascha genügt. Angestrichen an einer Birke ist der Schuss mit der Hornet-Vollmantel kein Problem, und mein erster Kugelbirkhahn ist mein.
Stolz wie ein Jungjäger mit seinem ersten Hasen binde ich mir den stahlblauen Vogel auf den Rucksack und weiter geht es in bester Stimmung zu dem von Sascha ausgewählten Ansitz an altbekannter Stelle. Hinter einer mächtigen Birkenzwille nehmen wir Platz, immer das Stilleben „Birkhahn auf Rucksack“ vor Augen. Ein traumhaft schöner Ansitz mit Anblick der inzwischen bekannten Ricke mit ihren zwei Kitzen, einem Schmalreh, einem Schneehasen und zahlreichen Birkhühnern, die unmittelbar vor uns auf dem Feld zur Nahrungsaufnahme einfallen. Ein phantastischer Sonnenuntergang mit ziehenden Gänsen lässt der Melancholie freien Lauf.
Nur Sascha ist leicht verärgert, weil wir wieder nicht den Bock in Anblick bekommen. Nur schwer lässt er sich beruhigen, immer wieder schüttelt er den Kopf und brummelt: „Bock keine Disziplin.“ Weil wir am nächsten Morgen bei Nebel und Nieselregen den Bock wieder nicht finden, beschließt Sascha, es am letzten Abend auf einem anderen ihm bekannten Rehbock zu versuchen. Sein Territorium soll nicht weit entfernt sein. Beim Mittagessen empfehle ich Günther, es doch zu guter letzt auf den von uns Gesuchten zu probieren, was sofort seine Zustimmung findet.

Die letzte Rehbock-Pirsch

Hop oder Top, die Karten sind zum letzten Mal neu gemischt, auch wenn das neblig trübe Wetter keine großen Erwartungen zulässt. Kurz danach parken wir das Auto im Wald, und los geht die letzte Rehbock-Pirsch. Wir sind noch keine Viertelstunde unterwegs, als wir einen Schuss hören, den wir beide als Schrotschuss interpretieren. Saschas Kommentar: „Günther Birkhahn schießen.“

Gut, denke ich mir, und wir stapfen weiter durch pitschnasses Gras. Wir nähern uns langsam und vorsichtig einer schmalen, hochbewachsenen Brachfläche zwischen zwei Birkenwäldern. Wir schleichen am rechten Waldrand entlang, sehen in der Brachfläche vor uns drei große weiße Flecken, die sich im Fernglas als Spiegel von „Mama mit zwei Kindern“ herausstellen.
Tief gebückt kriechen wir weiter, um an einer mächtigen Birke halt zu machen. Sascha deutet auf einen offensichtlich viel begangenen Wechsel zehn Meter neben der Birke, inspiziert diesen sehr genau: „Bockstraße“. Wir stehen dann eine Viertelstunde hinter der Birke, als Sascha mich antippt und den Blick nach rechts in den Wald schwenkt. Das ist doch nicht zu fassen, da kommt doch tatsächlich der Bock auf der „Bockstraße“ angeschlichen.
Ein Hüne von einem alten Bock, der allerdings zu unserem Erschrecken bereits eine Stange abgeworfen hat. Die eine starkgeperlte, weit geschwungene, dunkle und dicke Achterstange lässt erahnen, wie kapital dieser Bock mit zwei Stangen sein muss. Schade, schade! So genießen wir, zwar mit Herzklopfen, den Anblick des vertraut vor uns ziehenden Rehbockes, der dann auf die Brachfläche austritt und dort eine halbe Stunde äst.
Nachdem der Bock im gegenüberliegenden Wald untergetaucht ist, beschließen wir gemeinsam, die Rehbockjagd zu beenden. Ein schöneres Finale als dieses gerade Erlebte kann es wohl nicht mehr geben. Zumindest bin ich im Moment dieser Meinung!
Auf dem Heimweg zum Auto verspricht Sascha, für mich diesen Rehbock für das nächste Jahr zu reservieren, sofern er den Winter überlebt. Diesen Bock heranblatten, das wäre sicher ein Jägertraum!
Es war noch dämmrig, als wir auf halber Strecke einen Kugelschuss mit Kugelschlag hören. Saschas Kommentar: „Günther deine Bock schießen!“ Ja, das wäre ja die absolute Krönung dieser Jagd, denke ich bei mir. Jagdneid ist mir völlig fremd, ich kann mich mitfreuen! Und feiern!
Wir beschleunigen unsere Schritte und fahren mit dem Auto zu dem Weg, wo wir uns vor der Jagd von den anderen getrennt haben. Wir warten sitzend im Auto eine unendlich lange Zeit, bis endlich der andere Lada auftaucht. Ich will Günther zu Birkhahn und Bock beglückwünschen, doch er akzeptiert nur die Glückwünsche zum Birkhahn. Aber aus den Augenwinkeln meine ich ein verschmitztes Grinsen von ihm zu sehen.
Ich lasse mir den Birkhahn zeigen, auch ein alter mit vier großen Sicheln, aber sonst kann ich im Kofferraum nichts sehen. Die Ausrede für den Kugelschuss, auf eine Krähe geschossen zu haben, muss ich wohl angesichts des leeren Kofferraumes akzeptieren, aber so richtig glauben kann ich es nicht. Irgendetwas stimmt hier nicht! Sascha zieht nur die Stirn in Falten und schweigt. Wir fahren nach Hause.

Happy End

Happy End

Ich versorge Günthers Birkhahn, damit er schnellstmöglich in die Tiefkühltruhe kommt. Währenddessen höre ich im Hintergrund Günther mit Natascha und seinem Jäger tuscheln, irgend etwas wird dann gesucht. Das Essen wird aufgetafelt, und wir werden zu Tisch gebeten. Nur Günther und Natascha fehlen noch. Plötzlich geht das Licht aus, die Tür öffnet sich, und Günther kommt in den Raum. In seinen Händen hält er einen Birkenholzscheid, auf dem in einem Kiefernzweig gebettet das Haupt eines starken Rehbockes mit einer brennenden Kerze zwischen den Stangen ruht.

Natürlich erkenne ich den Bock sofort wieder, verstehe aber im Moment nur Bahnhof. Günther akzeptiert wieder nicht meine Waidmannsheilwünsche, sondern stellt dieses Stilleben auf den gedeckten Esstisch und bittet mich, mir das Haupt genau anzusehen. Beim Anblick des einen fehlenden Lichtes wird mir alles klar, mir steht das Wasser in den Augen. Es ist nicht zu fassen, Günther und sein Jäger Andrej haben den Bock, den ich glaubte gefehlt zu haben, gefunden.
Doch wie ist es dazu gekommen? Günther erzählt: Zusammen mit Andrej pirschten sie am späten Nachmittag zu dem Platz, den Sascha ihnen zuvor genau beschrieben hatte. Beim Näherpirschen sahen sie schon von weitem einen Seeadler über dem Schilf kreisen und mehrere Elstern hin- und herfliegen. Dann erhob sich noch ein Seeadler aus dem Schilf. Dies machte beide neugierig und sie beschlossen im Schilf nachzuschauen. Keine 25 Meter vom Schilfrand entfernt fanden sie den von mir „gefehlten“ Rehbock, der den Treffer mitten drauf hatte.
Nun stehen wir, besonders Sascha und ich, ergriffen vor unserem Bockhaupt. Wir beglückwünschen uns beide gegenseitig zu unserer wahren „Meisterleistung“ und bedanken uns umso herzlicher bei Günther und Andrej.
Keine Frage, dass dieser letzte Abend eher einer rauschenden Silvesterparty glich! Ein richtiges Happy end! Daran konnte auch der frühmorgendliche Besuch des Chefs der Jägervereinigung des Kurgangebietes nichts ändern. Er kassierte bar unsere Jagdkosten ab, wollte noch zusätzlich eine nicht vereinbarte Provision von fünf Prozent, die er aber nicht von uns bekam, setzte sich in sein Auto und fuhr mit dem ganzen Geld davon. Zurück blieb ein ziemlich belämmert schauender Sascha! Inzwischen ist mir bekannt, was die Reviere, Jagdführer und Helfer für ihre Arbeit bekommen: Es ist nur ein Bruchteil von dem, was die russischen Agenten kassieren, geschweige denn von dem, was der Auslandsjäger bezahlt!
Dennoch vereinbaren Sascha und ich beim Abschied, dass wir uns nächstes Jahr wiedersehen wollen, und dann, wenn möglich, wieder in der Blattzeit. Die Jagd zur Blattzeit im sibirischen Sommer entspricht nun doch eher meinen Erwartungen einer Bockjagd.
Doch es kam alles anders: Im Mai 2002 erfuhr ich, dass man meinen guten Sascha aus der Position des Revierleiters entlassen hat. Er hatte wohl den fundamentalen Fehler gemacht, sich im Frühjahr einen neuen Lada zu kaufen, nachdem sein 18 Jahre altes Auto den Geist aufgegeben hatte. Daraufhin unterstellte man ihm Bereicherung aus dem Tourismus-Geschäft und jagte ihn in die Arbeitslosigkeit, die bis zum heutigen Tag besteht. Meinem lieben guten Sascha, der mit seiner vierköpfigen Familie mehr als bescheiden in einem Minihäuschen aus alten Eisenbahnschwellen lebt, nur an seine Revierarbeit denkt, hilfsbereit ist, dem Bereicherung durch seine Arbeit vorzuwerfen, macht mich heute noch wütend.

Ins Top-Revier des Kurgan-Gebietes

Ins Top-Revier des Kurgan-Gebietes

Inzwischen hatten auch noch drei Jagdfreunde ihr Interesse an der Jagd auf den sibirischen Rehbock bekundet, und jetzt das. Da ich ja fast alle guten Reviere durch persönlichen Besuch kannte, suchte ich einen Vermittler, der das mir noch unbekannte Revier Kargapolje, das sich selbst als das weltbeste Rehbock-Revier bezeichnet und entsprechend vermarktet wird, im Programm hat. Ein mir schon bekannter Jagdreise-Vermittler mit Spezialgebiet Russland sollte für uns die Reise organisieren.

Bei den Verhandlungen im Vorfeld wurde sehr schnell klar, dass deutsche Jagdreise-Vermittler sich nicht direkt in die Revier-Verwaltungen einbuchen können, auch wenn sie es immer wieder behaupten. Über diese Reviere haben inzwischen russische Agenten ihre „schützende“ Hand gelegt. Diese Agenten, wobei man diesem Wort ruhig seine ursprüngliche Bedeutung mit kriminellem Touch zukommen lassen kann, konkurrieren miteinander, offensichtlich mit gewetzten Messern.
Ursprünglich sollte die Reise über den deutlich preiswerteren Agenten organisiert werden, doch nach einigen Wochen war dieser Agent offensichtlich vom stärkeren an die Wand gedrückt worden. Zwischen den beiden muss ein richtiger Krieg stattgefunden haben, aus dem eine Moskauer Agentur als Sieger hervorgegangen ist. Uns war ja ziemlich egal, wer die Reise in Sibirien abwickelt. Hauptsache, der Preis stimmt.
Nach einigen Verhandlungen waren wir uns handelseinig, und die Reise wurde wieder für den Oktober gebucht. Eine Jagd zur Blattzeit war leider aus Termingründen nicht möglich, aber dafür sollten wir ja in dem Top-Revier des Kurgan-Gebietes jagen, wo angeblich bisher die stärksten Böcke der Welt erlegt worden sind und die durchschnittliche Trophäen-Stärke der erlegten Böcke deutlich über 900 Gramm liegt, so zumindest die vollmundigen Äußerungen des Chefs des „Profi-Unternehmens“ in Moskau. Merkwürdigerweise sind viele Jagdvermittler aus Russland Professoren für Wildbiologie, also wahre Experten!
Wenige Wochen vor der Abreise hat man uns dann noch empfohlen, die Gruppe zu teilen, da das Revier Kargapolje nur schlecht vier Jäger auf einmal betreuen kann. Freund Erwin und ich entschieden uns für Kargapolje; Horst, seine Frau und Manfred sollten in das Revier Schadrinsk. Auch dieses Revier kannte ich schon, hatte ich dort doch vor zwei Jahren die besten Blattjagderfolge.

Mitten im Wald

So starten wir am 8. Oktober 2002 nach intensiver Waffen- und Gepäckkontrolle im Flughafen Frankfurt nach Ekaterinburg. Dort werden wir am späten Abend bereits erwartet. Nach zweistündiger Kontrolle der Waffen und Ausstellung diverser Papiere kann die Fahrt in die Reviere losgehen.

Erwin und ich kommen völlig durchgefroren gegen drei Uhr in der Nacht in unserem Camp an. Es besteht aus zwei großen Schlafwagen, die sicher schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel haben, und einem kombinierten Küchen- und Esswagen.
Das Camp steht mitten im Wald, und ich kann mich gleich mit den einfachen Gegebenheiten durchaus anfreunden. Ich mag so ein Lager mitten in der Natur. Unmittelbar nach der Ankunft wird der Generator gestartet, und überall geht Licht an. Sogar der Weg zur Toilette ist ausgeleuchtet. Aus dem einen Schlafwagen erscheint das Lagerpersonal, das gleich unseren Schlafwagen einheizt und einen warmen Imbiss für uns vorbereitet. Der Koch stellt sich ohnehin als wahrer Zauberkünstler dar.
Beim Schlafengehen verspricht man uns noch, dass man regelmäßig nach unserem Ofen schauen will, damit wir ohne zu frieren in Ruhe ausschlafen können. Leider wird dieses Versprechen nicht eingehalten, sodass wir bald wieder von beißender Kälte geweckt werden. Mit diesem Heizservice wird dann auch gar nicht erst begonnen, wir müssen das selbst übernehmen, mehrfach müssen wir sogar erst das Holz klein hacken. Auch unserer mehrfachen Bitte, den Wagen innen einmal auszuwischen, wird nur ein Mal entsprochen. Dieser Service ist wohl nicht in den strammen Tagessätzen inbegriffen.
Nach opulentem Frühstück, das nahtlos ins Mittagessen übergeht, werden die Waffen kontrollgeschossen. Das Wetter an diesem ersten Tag ist mehr als grauenvoll, den ganzen Tag fällt Schneeregen vom Himmel, „beste“ Voraussetzungen also für die Jagd.
Mir wird Juri als Jagdführer, Andrej als Fahrer zugewiesen. Während der Jagd begleitet uns außerdem Eugen, ein sehr netter junger Dolmetscher, von dem man auch so manche Insider-Informationen erhält. Benjamin, der Jagdchef von Kargapolje, übernimmt die Führung von Erwin.

Der erste Jagd-Ausflug

Der erste Jagd-Ausflug

Schon am frühen Nachmittag starten wir zum ersten Jagd-Ausflug. Eugen erklärt mir, dass der Revierteil, in dem ich jage, 30 Kilometer entfernt ist. So rumpeln wir zunächst über kleine Landstraßen und über Schlammwege ins Revier. Hier ist Kriechtempo angesagt.

Schon bei der Einfahrt ins Revier fällt auf, dass die meisten Getreidefelder noch nicht abgeerntet sind. Eine Ernte ist wegen Dauerregen seit September nicht möglich gewesen. Jetzt warten die Bauern auf Frost, um dann das Getreide zu dreschen. Überhaupt sind die Felder hier wesentlich größer als in Almeniewo, Feldgrößen von mehreren hundert Hektar sind völlig normal.
Aber es gibt auch kleinstrukturierte Gebiete mit Wiesen, Brachflächen, kleinen Mooren und Birkenwäldern. Der nördliche Teil des Revieres ist sanftes Hügelland, wo man in den vergangenen Jahren mit der Aufforstung begonnen hat. Millionen von Kiefern wurden in Reih und Glied gepflanzt. Doch in den Randbereichen dieser Aufforstungsgebiete sehen wir in kurzer Zeit sicher mehr als 20 Auerhähne. Davon hätte ich gerne einen mitgenommen.
So kurven wir stundenlang im Revier umher, sehen kann man bei dem Dauerregen und beschlagenen Scheiben ohnehin nicht viel, bis wir dann auch unser erstes Stück Rehwild auf einer Brachfläche sehen. Es ist ein maximal zweijähriger Bock, der aber meine Jagdführer schon in höchste Erregung versetzt.
Offensichtlich sehen sie schon die ersten Dollarnoten vor Augen. Ich lasse erst gar keine Diskussion aufkommen und bitte darum weiterzufahren.
Am liebsten wäre ich jetzt ausgestiegen, denn eigentlich hasse ich die Jagd vom Auto aus wie die Pest. Aber bei diesem Wetter, das ja alles, nur kein Pirschwetter ist, ziehe ich das schützende Dach überm Kopf vor und ergebe mich meinem Schicksal.
Wir sehen in Folge noch ein paar Stück Rehwild, die beim Anblick des Autos davonrasen. Es wird langsam dämmrig, als ich halbrechts vor uns auf einer Brachfläche einen weißen Fleck sehe, der sich beim Hinsehen mit dem Glas als der Spiegel eines Bockes entpuppt. Ich bitte meine Jagdführer, mir beim Ansprechen zu helfen, was sie wieder in Wallungen brachte. „Bock gut, schießen.“ Ich selbst komme nicht zu einem eindeutigen Ergebnis und lasse mich von Juri irritieren.
Auf die Frage: „Über 900 Gramm?“, Kopfnicken von Juri. Ich steige so leise wie möglich aus und schieße über meinen Stock auf den etwa 150 bis 170 Meter entfernt stehenden Bock.
Alle schütteln den Kopf, doch ich bin mir sicher, und wir finden den maximal vierjährigen Bock mit rund 650 Gramm Gehörngewicht am Waldrand. Zum Spaß erzählt dann auch noch Juri, dass er eigentlich gar nicht viel von dem Bock gesehen habe, da sein Fernglas russischer Bauart beschlagen sei. Ich finde das gar nicht zum Lachen.
Schon jetzt weiß ich, dass ich mit diesen beiden Jagdführern sicher nicht das große Los gezogen habe. Juri ist den ganzen Tag am Quasseln und Andrej, der Fahrer, hat sicher kein geübtes Auge für die Jagd. Insgesamt habe ich bei dieser Pirschfahrt elf Stück Rehwild gesehen, mehr hatte ich allerdings bei diesem Sauwetter auch nicht erwartet.
Als Erwin, der in einem ganz anderen Revierteil jagt, dann im Camp von 54 gesichteten Rehen berichtet, komme ich doch ins Staunen. Benjamin, der Jagdchef, übrigens ein merkwürdiger Kauz, bestätigt mir dann auch, dass in „meinem“ Revierteil weniger Rehe vorhanden sind, dafür sind die Böcke dort viel, viel…. besser! Da durfte man ja gespannt sein!
Am abendlichen Umtrunk, der mir gar nicht so recht munden will, bemerken die Jäger doch rasch, dass ich recht verstimmt bin. Quasi als Entschädigung für die Mitschuld von Juri am Fehlabschuss bietet man mir an, eine Abschuss-Lizenz für einen Auerhahn zu besorgen. Nach dem Angebot hellen sich meine Gesichtszüge auf, und ich bedanke mich sehr herzlich. Das hätte ich besser nicht tun sollen, denn am nächsten und den darauffolgenden Tagen ist nie mehr von einem Auerhahn-Abschuss die Rede. Wahrscheinlich habe ich die zuständige Person nicht genug oder gar nicht geschmiert!

Naturgenuss pur

Die nächsten beiden Tage laufen nach gleichem Schema ab: sechs Uhr Wecken durch Zündung des Generators, kurzes Frühstück, eine Stunde Anfahrt ins Revier, danach stundenlanges Suchen nach Rehböcken mit dem Auto bis zehn oder elf Uhr. Danach Rückfahrt zum Camp, Mittagessen und gleich wieder ab ins Revier. Naturgenuss pur!

Die Rehe haben eine Fluchtdistanz von 200 bis 400 Metern, wobei die älteren Böcke meiner Meinung nach schon beim ersten Hören des Motorenlärmes Fersengeld geben, und erst gar nicht gesehen werden. Beim Anblick des Autos verhoffen die meisten Rehe ungefähr fünf Sekunden, um dann hochflüchtig die nächste Deckung aufzusuchen. Benjamin hatte schon vorher darauf hingewiesen, dass man zum Ansprechen und Schießen maximal fünf Sekunden Zeit hätte. Am besten Ansprechen nach dem Schuss, so seine Devise.
Nein, das ist keine Rehbockjagd für mich, aber jetzt bin ich hier und muss das beste daraus machen. Pirsch und Ansitz wird von meinen Jägern als sinnlos abgelehnt! Schließlich hat Juri ja schon über 2.000 Stück Rehwild geschossen. Er muss also wissen, wie es geht.
Am zweiten Abend erlegt Erwin durch einen Kunstschuss seinen ersten Rehbock, einen formschönen Achter mit dunklen Stangen, der aber auch weit unter unserem gesetzten Ziel von über 900 Gramm bleibt. Trotzdem sind wir uns einig, dass die Jäger sicher nicht vor unserer Ankunft die Böcke in ihren Territorien bestätigt hatten. Feste Wechsel und Äsungsplätze von bestimmten starken Böcken sind sicher nicht bekannt, auch wenn die Jäger von Erwin sicher pfiffiger sind.

Vier kleine Chancen

Vier kleine Chancen

Ab dem dritten Tag beginnt es zu schneien, es wird bitter kalt, am nächsten Morgen ist überall der sibirische Winter eingebrochen. Bis zum dritten Tag habe ich mit meinen jagdlichen Experten in „unserem“ Revierteil mit Müh’ und Not vier stärkere Böcke bestätigen können. Von nun an werden nur noch die vermutlichen Territorien dieser Böcke, die uns bisher nicht eine Chance ließen, aufgesucht, durchquert und umrundet. Wohlgemerkt alles mit dem Auto! Am Ende der Jagd kenne ich dort jeden Baum.

Bei diesen Pirschfahrten sehen wir meistens nichts. Im Camp heißt es dann schon vor der Revierfahrt „wir drehen eine Nullrunde!“, was allgemein belächelt wird. Doch habe ich vier kleine Chancen, die aber durch das Verhalten meiner Führer jämmerlich vereitelt werden.
Chance 1: Am dritten Morgen, es ist neblig trüb, ich sehe links vor uns in einer Brachfläche den Spiegel eines Stückes Rehwild. Anhalten, raus aus der Blechkiste und das Gewehr auf der Motorhaube aufgelegt, Ansprechen über das Zielfernfohr, ja, das war ein sehr alter Bock mit sehr dicken, kurzen, dunklen Stangen, der halbspitz auf etwa 180 Meter zu uns heräugt. Just in diesem Moment, als ich schießen will, wackelt das Auto fürchterlich, klappernd geht die Tür auf, und Juri ruft mir laut zu „guter Bock!“.
Aus und vorbei, das ist dem Bock zuviel, ich bin stinksauer. Juri lacht und erzählt ganz stolz, dass sie schon seit fünf Jahren versuchen, den Bock zu kriegen. Ja, so sicher nicht! Direkt neben der Brachfläche ist ein riesiger Heuhaufen, der sich quasi als Ansitzplatz für den Abend oder nächsten Morgen anbietet. Abgelehnt!
Chance 2: Gegen Mittag sehen wir auf sicher 300 Meter auf einem Stoppelfeld ein Reh ziehen. Tür auf, mit dem Zielfernrohr angesprochen, starker Bock mit hohen Stangen, der aber leider im gleichen Moment dreht und spitz von uns wegzieht. Dem Schießgebrüll aus dem Wageninneren leiste ich nicht Folge, denn erstens ist es viel zu weit und zweitens schieße ich nicht auf den Spiegel.
Ich will aussteigen und hinterherpirschen, was Andrej durch Starten des Motors verhindert. Er gibt Vollgas und rast dem Bock hinterher, meine Tür ist noch auf, ein Bein noch draußen, und wir sehen von dem Bock nie auch nur ein Haar. Ein blauer Fleck auf dem Schienbein erinnert mich noch Wochen an diese Aktion.
Chance 3: Am vorletzten Morgen gegen neun Uhr, wir fahren aus dem lichten Birkenwald nach links um die Ecke, stehen 200 Meter vor uns vier Stück Rehwild, bereits sichernd, auf der Wiese. Beim Stoppen raus aus der Kiste, Gewehr auf Motorhaube, ja, rechts ein guter, aber sicher nicht kapitaler Bock, ich deute zum Fahrer „Auto aus“, das Auto zündet bald eine Ewigkeit nach. Das Auto wackelt, ich schieße, der Bock flüchtet, ohne zu zeichnen.
Juri behauptet, ich hätte den Bock angeschweißt, ich solle einsteigen. Mit Vollgas geht es dem flüchtenden Bock hinterher über Wiesen und Felder, alles im Auto war in der Luft und dann noch permanent die Aufforderung, ich solle schießen. Also Tür auf, mit dem linken Fuß aufgehalten und mehrere Versuche den Bock zu treffen, was natürlich misslingt. Glücklicherweise nähern wir uns rasch dem nächsten Wald, in dem der Bock verschwindet.
Da inzwischen ja Schnee liegt, lässt sich die ganze Fahrt zurückverfolgen, mit dem Ergebnis, dass kein Schweiß zu sehen war. Ich schäme mich für dieses jagdliche Drama. Das ist einfach keine Art zu jagen. Die Jäger finden das eher lustig und lachen auch noch im Camp über diese Aktion.
Chance 4: Am nächsten Morgen fahren wir in 100 Meter Entfernung an einem Waldrand entlang, als ich im Wald ein Stück Rehwild ziehen sehe. Jetzt war mir alles egal, nix wie raus. Geduckt pirsche ich mich zum Waldrand, sehe das Stück im Gestrüpp spitz von hinten stehen, Gewehr an die Backe, sehe im Zielfernrohr den Spiegel und das Haupt eines braven Bockes, bleibe drauf, will warten, bis ich etwas mehr vom Leben sehe, als es plötzlich hinter mir vom Dach des Autos brüllt „Schießen!“ Ich schreie zurück „Idiot“ und steige kommentarlos ins Auto.
Mehr Chancen sind mir nicht vergönnt! Ich war schon rund um den Globus zum Jagen, aber so miserable Jagdführer hatte ich bis dato nur einmal erlebt.
Glücklicherweise erging es Erwin etwas besser, auch wenn er sich die Rehbock-Jagd sicher auch etwas anders vorgestellt hatte. Seine Jagdführer waren weitaus flexibler und hatten etwas mehr Erfolg als meine Experten.
So schießt Erwin am Morgen des dritten Tages flüchtig seinen zweiten Bock, der schon ein wenig stärker ist als der erste. Ein regelmäßiger Sechser, der genauso wie der erste, auch nicht alt ist.
An den letzten beiden Tagen werden für Erwin Treibjagden mit mehreren Treibern veranstaltet, die aber erst am Nachmittag des letzten Abends zum Erfolg führen. Dabei kommt ein wirklich starker Bock mit 960 Gramm zur Strecke, dem sich im nächsten Treiben ein wirklich alter, bereits zurückgesetzter Bock, der noch in der Sommerdecke ist, anschließt.
Letztlich waren beide Zufallsböcke, beide wurden flüchtig erlegt. Zurecht ist Erwin happy, und der Erfolg lässt zunächst alles andere vergessen. Von Herzen gönne ich Erwin den Jagderfolg, und gemeinsam feiern wir bis in die tiefe Nacht.

Abschied von Sibirien

Abschied von Sibirien

Kurz vor der Abreise nach Ekaterinburg übergibt man uns die Trophäen, die zwar relativ sauber präpariert sind, aber dafür noch patschnass. Offensichtlich war man schlichtweg zu faul, die Schädel ein paar Stunden über den Ofen zu hängen. In Schadrinsk treffen wir dann noch einmal den Professor des Moskauer Vermittlerbüros, er hatte uns schon im Camp einen Besuch abgestattet, um am liebsten alle Abschüsse gleich bar abzukassieren, was so nicht vereinbart war.

Kritik an der Jagd wird belächelt, und plötzlich versteht der Mann nicht einmal mehr Englisch, das er vorher noch perfekt sprach. Dass er inzwischen der größte russische Vermittler sei, dies wird uns mehrfach mitgeteilt.
Zwischenzeitlich sind nicht nur mir Vorfälle mit dieser Agentur zu Ohren gekommen, die zumindest an der Seriosität so manchen Zweifel aufkommen lassen. Überhaupt habe ich den Eindruck, nachdem was man auch von anderen Auslandsjägern so hört, dass gerade bei Jagden in den GUS-Staaten das Preis-Leistungs-Verhältnis gewaltig auseinanderklafft. Da die zahlenden Jagdgäste ja sowieso kommen, ist man an einer Leistungsverbesserung nicht interessiert oder hat sie nicht nötig.
Wochenlang habe ich im Auftrag eines Jagdvermittlers den Kurgan-Jägern Vorschläge zur Optimierung der Rehbockjagd, zur Jagdgastführung gemacht, all das wurde offensichtlich in den Wind geschlagen.
Am Flughafen in Ekaterinburg treffen wir dann unsere andere Gruppe, die mit der Jagd auch nicht sehr zufrieden war. Horst hatte als Führer einen Drei-Zentner-Mann, der nicht bereit war, auch nur fünf Meter zu laufen. Auch er ist nur Auto gefahren. (Ich habe bei der Jagd fast 3.000 Kilometer im Auto verbracht.) Auch Horst hatte wenig Anblick und nur einen braven Sechserbock erlegt. Manfred durfte fast die ganze Zeit mit seinem Jeep Topless fahren!
Sein Führer sprach zwar perfekt deutsch, was ihm aber auch nicht mehr als zwei Böcke einbrachte. Ein starker Bock mit fast 900 Gramm und ein Rehbock weit darunter wurden seine Beute. Er hatte mehr erwartet! Sicher, das Wetter war kein Rehbockjagdwetter, aber die Jagdführer hätten sich etwas mehr bemühen können.
Dass sich unsere Jagdführer, die uns zum Flughafen gebracht haben, nicht einmal von uns verabschiedeten, spricht nicht gerade für die Höflichkeit dieser Herren. Augenscheinlich war unser Trinkgeld nicht hoch genug ausgefallen.
Eugen berichtete bereits im Camp, dass man davon ausgehe, der Dolmetscher, die Jagdhelfer nebst Koch werden direkt von den Jagdgästen für ihre Arbeit bezahlt. Dass Jagdgäste schon bis zu 1.000 US-Dollar und mehr Trinkgeld gezahlt hätten, hat mich doch sehr betroffen gemacht. Bedaure, da mach ich nicht mehr mit!
Diese Jagden sind inzwischen teurer geworden als der Tagessatz einer perfekten Plainsgame-Safari in Afrika, von den hohen Abschusskosten ganz zu schweigen. Auch die Leistung der Jagdführer ist nicht mit der eines guten Berufsjägers in Afrika zu vergleichen. Da müssen sie noch viel lernen!
In den meisten sibirischen Revieren erfolgt die Herbstjagd, aber auch die Sommerjagd auf den sibirischen Rehbock fast ausschließlich vom Auto aus. Zusätzlich wird in vielen Revieren die Treibjagd durchgeführt, die aber auch den Jagderfolg auf starke Böcke sicher nicht garantieren kann.
Sowohl die Jagd vom Auto aus als auch die Treibjagd auf Rehböcke werden von mir normalerweise abgelehnt. Keine Frage, man braucht in Sibirien ein Auto, um in bestimmte Revierteile zu gelangen, aber allein vom Auto aus zu jagen, ist für mich keine Bockjagd.

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