Afghanische Sauen

2875

Mehr als 20 Jahre ist es her, dass der Autor im Land unterrichtet und gejagt hat. Heute weiß keiner so recht, wie es nach 20 Jahren Krieg um das Land bestellt ist.

Sauhatz zu Pferde: Für die verwegenen Paschtunen ein grosses Vergnügen.
Sauhatz zu Pferde: Für die verwegenen Paschtunen ein grosses Vergnügen.
Von Heinz-Manfred Tischoff

Vielleicht bleibt wirklich nur die Erinnerung Heinz-Manfred Tischoff Es war im April 1978. Abdullah aus königlichem Geblüt, der mir mit seinen Beziehungen helfen wollte, hob beschwörend die Hände: ,,This time we will make it, thats sure!“

Nach vielen vergeblichen Anläufen sollte es also diesmal gelingen, meine bei der Einreise nach Afghanistan konfiszierten Jagdwaffen aus dem Kabuler Zoll zu befreien. Doch es klappte wieder nicht.
Am folgenden Tag rasselten Panzer durch die Stadt, und die Herrschaft des Königserben Mohamad Daud ging in Bomben- und Raketenhagel einer Militärrevolte unter.
Unter solchen Umständen war an die Erledigung einer verwaltungsrechtlichen Angelegenheit nicht zu denken. Wer in Afghanistan lebt, kennt das Wort: „Drei Dinge gibt es im Überfluss, Sonne, Steine und Zeit“.
Ich musste mich noch bis zum Juli des Jahres gedulden, dann hatte ich endlich meine Waffen wieder in Händen. Doch Diana gönnte mir keinen raschen Jagderfolg.
Wenige Tage nach meiner „Wiederbewaffnung“ wurde im gesamten Staatsgebiet ein allgemeines Jagdverbot erlassen, das erste Mal nach Jahrtausenden unbeschränkten Jagdrechts für jedermann in diesem Lande. Und ausgerechnet hierher hatte es mich als passionierten Waidmann verschlagen!
Es dauerte weitere vier Monate, bis ich – allen Widrigkeiten zum Trotz – eine Jagderlaubnis erwirkt hatte und der Tag kam, an dem ich meinen Geländewagen für die erste legale Safari auf afghanischen Boden belud.
Auf Schwarzwild sollte es gehen. Die Abschussgebühr für vier Sauen hatte ich im Voraus bezahlt.
Ein fünftes Stück sollte frei sein, weil ich mich bereit erklärt hatte, vor meinen neuen Freunden im Landwirtschaftsministerium einen Vortrag über Trichinen und Trichinenbeschau zu halten. Das Ziel der Jagdreise lag im Norden, jenseits des Hindukuschgebirges, etwa 400 Kilometer von Kabul entfernt.
Dort, im Bachlan, trotzten am Fuße der Berge noch immer ausgedehnte Sümpfe allen Kultivierungsbemühungen, und hier, so hatte ich ausgekundschaftet, gab es Schwarzwild in beachtlicher Zahl.
Die gut ausgebaute Nord-Süd Hauptstraße kletterte in malerischen Kurven und Kehren zum Salang-Tunnel hinauf, der in einer Höhe von 3700 Metern das Gebirge durchbricht. Es dauerte nicht lange, dann hatte meine kleine Münsterländerhündin Agga mit Wassik, meinem afghanischen Begleiter, Freundschaft geschlossen und sich den begehrten Fensterplatz auf seinem Schoß erobert.
Hatte ich nun gedacht, am Abend dieses Tages bereits an Rande eines Schilfdickichts ansitzen zu können, so sah ich mich bald um diese Hoffnung betrogen. Vor der Jagd kamen die Pflichten! Wir hatten unser Kommen mehreren Behörden der Provinzverwaltung anzuzeigen, und da ein maßgeblicher Mann gerade auf Inspektionsfahrt war, hatten wir uns bis zu seiner Rückkehr zu gedulden.
In Afghanistan zählt Gastfreundschaft zu den höchsten Tugenden. Wir verbrachten die Nacht im Hause eines freundlichen Polizeioffiziers, wo wir uns in afghanischer Gemütlichkeit Tee trinkend auf den bunten Bodenkissen und Teppichen ausstreckten.
Als wir später zum Whisky übergingen, fiel mein Blick durch das Fenster. Im Geäst eines Baumes stand groß und breit der Vollmond. Welch eine Nacht!
Am folgenden Abend war es dann wirklich soweit. Vergessen waren die bürokratischen Hürden des Tages und die abenteuerliche Autofahrt über eine Piste, die normalerweise nur von Pferden und Eseln begangen wurde. Nabi, ein biederer junger Askar, war uns als militärische Eskorte zugeteilt worden.
Er sollte uns ein Gebiet weisen, wo die Sauen im besonderen Maße zu Schaden gingen. Es war die Zeit der Reis- und Rübenernte. Überall auf den Feldern regten sich fleißige Hände.
Wir erreichten eine Region, wo die Schläge bis an die Schilfhorste heranreichten. Hier hatten in der Tat Sauen gebrochen und beträchtliche Schäden angerichtet.
Die Bauern vom Stamm der Paschtunen begrüßten uns mit großer Herzlichkeit, die sich noch steigerte, als sie vom Zweck unseres Besuches erfuhren. Sie hatten sich hier und da an den Feldrändern kleine Unterstände aus Astwerk und Stroh errichtet, von denen aus sie nachts die Ernte auf den Feldern bewachten.
Als Waffen gegen die Sauen führten sie primitive Spieße und Holzkeulen, aber wichtiger bei diesem Geschäft waren wohl ihre großen gelben Hunde. Mein Herz schlug höher, als ich vernahm, die im Gebräch stehenden Rotten würden erst weichen, wenn man mit Hunden und Forke zum Angriff überging.
Ich fährtete die Ränder der tiefer gelegenen Schilfflächen ab, um die Wechsel der Sauen zu erkunden.
Teichhühner und andere Rallen flüchteten vor meinem Hund ins Dickicht, und in der warmen Abendluft kreisten Rohrweihen.
Als Ansitzplatz für die Nacht erschien mir ein mannshoher Lehmbunker am Feldrand geeignet, auf dessen Dach ich meinen Schlafsack ausbreitete. Nach vorn überblickte ich einen halb abgeernteten Rübenschlag mit mehreren Rübenhaufen, dahinter ging es abwärts zum Schilf.
Links begann nach 60 Schritten ein Baumwollfeld, an das sich weitere Sumpfareale anschlossen. Mit einiger Mühe war es mir noch gelungen, einer Einladung zum Abendessen bei dem überaus freundlichen Khan der Ansiedlung zu entgehen, dann war ich endlich allein auf meiner Warte.
Meinen Begleitern und allen, die um meine Sicherheit besorgt waren, hatte ich eingeschärft, dass sie auf gar keinen Fall in meine Nähe kommen dürften.
Und, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, hatte ich hinzugefügt, dass ich in der Dämmerung Wild und Menschen nicht unterscheiden könne und auf alles feuern würde, was sich in meinem Umkreis bewegte.
Das wirkte, und so blieb ich von Störungen verschont. Ein Wolkenfeld zog über den Abendhimmel. Ich schätzte seine Geschwindigkeit und rechnete mir aus, dass nach Mondaufgang in zwei Stunden der Himmel wieder frei sein müsste.
In der Ferne riefen Wasserhühner und ein Schoof Krickenten rauschte vorüber. Nur wenig Wildenten gab es in dieser herrlichen Landschaft, was wohl eine Folge der ungehemmten Jagdausübung afghanischer Jäger sein mochte.
Begriffe wie Schonzeit und Hege waren ihnen fremd. Das Schwarzwild verdankt sein Überleben dem Umstand, dass Schweine bei den Moslems als unrein gelten.
Sie zu berühren oder gar zu verspeisen, wird als schwere religiöse Sünde angesehen. Langsam brach die Dämmerung herein. Hundegebell und menschliche Stimmen klangen schwach von den quaderförmigen Lehmhäusern der Bauern herüber, wo man jetzt die Öllampen entzündete.
Ich genoss die Ruhe und das Alleinsein nach der Hektik des Tages. Wie fremd war mir doch die Welt dieser Menschen, wie ganz anders ihre Sitten und Gebräuche, ihre Denkweise, ihre Ehrbegriffe! Wie vertraut dagegen erschienen mir die Felder, die Schilfhorste, die Weidenbäume, die Schwärme der Saatkrähen und Dohlen und all die anderen Erscheinungen der Natur.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Im Baumwollfeld knackte und raschelte es, und nun konnte ich deutlich das Blasen einer Sau vernehmen.
Ich überprüfte die Büchse, eine Mauser 66 im Kaliber 7×64, und wünschte, die Sau möge ins Freie wechseln.
Noch herrschte Büchsenlicht. Aber nichts dergleichen geschah, dafür wurde es aber zusehends dunkler. Dann wurde es wieder still, und die Nacht brach herein.
Ich suchte am klaren Himmel nach bekannten Sternbildern und sehnte den Mond herbei, der die Landschaft in ein silbriges Licht tauchen würde. Erneut raschelte es im Baumwollfeld.
Durch mein Nachtglas konnte ich dort ein großes Tier, möglicherweise ein Pferd oder einen Esel, erkennen. Doch als es schmatzend und in Urlauten grunzend näher zog, durchzuckte es mich: eine kapitale Sau, wie ich sie noch nie gesehen hatte! Es war ein Keiler.
Durch das Nachtglas konnte ich die Umrisse des Urians erkennen. Er verweilte hier und da, brach laut schmatzend im Boden und bummelte weiter auf mich zu. Wenn es doch nur etwas heller gewesen wäre!
Immer wieder nahm ich die Mauser mit dem 8×56 Zielfernrohr in den Anschlag, versuchte Ziel zu fassen und musste doch stets absetzen.
Fotos: Heinz-Manfred Tischoff
Auf diese geringe Entfernung füllte der Wildkörper nahezu das gesamte Blickfeld des Zielfernrohrs aus. Durch den Feldstecher konnte ich den Bassen jedoch recht gut erkennen. Wenn er den Wurf hob, schimmerten weiß die Gewehre.
Von meinen aufgeregten und gewiss nicht lautlosen Zielübungen nahm er nicht die geringste Notiz, obwohl er kaum 15 Schritt entfernt stand.
Alle Jagdpäpste sollten nun bitte nicht weiterlesen, denn dass ich unter solchen Umständen dennoch einen Schuss wagte, kann mir sicherlich verübelt werden. Durch das Zielfernrohr hob sich der Keiler schwarz gegen das Grauschwarz des Hintergrundes ab, was man aber nur beim Hin- und Herschwenken der Büchse gewahrte.
So blickte ich abwechselnd durch Feldstecher und Zielfernrohr und konnte auf diese Weise die Stellung des Bassen sowie die Höhe und Lage seines Hauptes ausmachen.
Aus dem Schwenken heraus ließ ich dann das Fadenkreuz mit dem Absehen 4 mitten auf dem Haupt stehen und zog ab. Als der Schuss brach, ging meiner Agga, die den ganzen Vorgang wohl mit fiebriger Spannung verfolgt haben muss, das Temperament durch.
Ehe ich es verhindern konnte, angeleint hatte ich sie nicht, war sie mit einem Satz vom Dach und an der schwarzen, jetzt unbeweglichen Masse des Wildkörpers.
Der Keiler war im Schuss verendet. Der Einschuss saß auf der Stirn zwischen den Lichtern. Was ich da erlegt hatte, wurde mir in seiner Dimension erst beim vergeblichen Versuch bewusst, das Stück zum Aufbrechen umzuwenden.
Konnte ich das Versorgen mit Hilfe der Afghanen, die mir mit Öllampen leuchteten, noch leidlich bewältigen, so stand ich am folgenden Morgen jedoch vor der zunächst unlösbar erscheinenden Aufgabe, den Urian auf mein Fahrzeug zu verladen.
Helfer hatte ich zwar in meinen Begleitern und den herbeigeströmten Afghanen genug, das Fatale war nur, dass sie den Wildkörper nicht berühren durften.
Mit Hilfe einer gebauten Rampe und unter großen Mühen konnte die Aufgabe schließlich gelöst werden und die gewaltige Beute ihre erste und letzte Autofahrt antreten. Nach späteren Berechnungen ergab sich aus den Einzelgewichten von Schwarte, Haupt und Wildbret ein geschätztes Gesamtgewicht von etwa 250 Kilogramm.
Mit Schmunzeln bemerkte ich, dass mir die so überaus freundlichen Paschtunen beim Abschied nicht die Hand reichen mochten, weil diese ja durch die Berührung mit dem Schwein unrein geworden war.
Stattdessen schüttelten sie meine Unterarme. Nur der Khan, eine imposante und erhabene Persönlichkeit, überwand das Tabu und wird wohl später von Allah Absolution erteilt bekommen haben.
Die zweite Sau erlegte ich bei Tageslicht und unter ganz anderen Umständen „einen Vollmond später“ im selben Gebiet.
Die Felder waren nun aber bereits abgeerntet, und auf dem durchweichten Boden der Reisfelder, die sich bis in das Schilf erstreckten, standen die Fährten der Sauen dicht an dicht. So konnte ich mir ein Bild über das Ausmaß des Wildschadens machen, über den die Bauern klagten.
Nachdem wir nach einer haarsträubenden Fahrt auf einem Eselspfad ein entlegenes Dorf am Rande des großen Sumpfes erreicht hatten, wurden wir wiederum mit größter Herzlichkeit empfangen.
Mit einem einheimischen Jäger namens Chalilullah, der über eine einläufige russische Schrotflinte verfügte, entfloh ich aber bald dem anhaltenden Trubel, den unsere Ankunft ausgelöst hatte.
Am Rand eines von Schilf umgebenen Reisfeldes sollte unser Abendansitz durchgeführt werden. In der Dämmerung fielen Tausende von Dohlen und Saatkrähen zum Nächtigen in das Schilf ein.
Dann brach eine herrliche Mondscheinnacht an. Es kam uns aber bis spät in die Nacht hinein nichts anderes zu Gesicht als einige ranzende Füchse und ein Sumpfluchs.
Aus diesem Grunde sollte am folgenden Tag eine Suchjagd auf Sauen zu Pferde veranstaltet werden.
Diese Jagd wurde in ihrem Ausmaß, nicht im Ergebnis, ein außerordentliches Ereignis, nahmen doch an die 30 Berittene und rund das Zehnfache an „Fußvolk“ daran teil.
Mir gab man einen sanften, leichtführigen Rappen, der mir half, unter den verwegenen Reitern kein allzu klägliches Bild abzugeben. Mehr als einmal musste ich mich allerdings mit verzweifelter Kraft am Sattelknopf festhalten, um bei schnellerer Gangart nicht herabzustürzen.
Eine ganze Reihe der bunt gekleideten wilden Reiter führte einläufige Flinten, aus denen sie Posten verschossen. Diese stolze Streitmacht mit mir in ihrer Mitte bewegte sich nun auf den Schilfwald zu und auf verschiedenen Pfaden in ihn hinein.
Sehr schnell bekamen die Fußgänger aber nasse Füße und blieben zurück. Einen bestimmten Plan vermochte ich bei dem ganzen Unternehmen nicht zu erkennen. So ritt ich denn brav mit, wobei ich mich bemühte, meine Kleine Münsterländerin nicht aus dem Auge zu verlieren, die in dem Schilfdickicht Unglaubliches leistete, um an der Seite meines Pferdes zu bleiben.
In der Rechten hielt ich meine Mauser, von der ich das Zielfernrohr abgenommen hatte. Im Schilf versanken die Pferde bei jedem Tritt im Morast.
Plötzlich fielen irgendwo Schüsse. Hundegebell und brechendes Röhricht sorgten für Aufregung. Da mein Pferd gerade bis zur Brust in ein Sumpfloch eingesunken war, sprang ich aus dem Sattel und hastete zu Fuß weiter, mitten hinein in das verfilzte Dickicht, in dem die Hunde lauthals herumtobten.
Etwas preschte heran und an mir vorbei, das ich aber, weil es vom Halmgewirr verdeckt blieb, weder als Hund noch als Sau anzusprechen vermochte. An einer Stelle war das Schilf vom Schwarzwild über eine größere Fläche platt getreten worden.
Hier glaubte ich ausreichendes Schussfeld zu haben. Kaum hatte ich diesen Stand bezogen, als ein Überläufer hochflüchtig aus dem Dickicht brach und, die Meute hinter sich, genau auf mich zuhielt.
Auf zehn Schritt konnte ich ihm eine Kugel auf den Hals und eine andere hinter den Teller setzen. Verendend stürzte er in ein Wasserloch.
Da waren auch schon die Hunde heran, allen voran meine Agga. In der Nähe waren noch einige weitere Sauen hoch gemacht und beschossen worden, ohne dass jedoch eine zur Strecke gekommen war.
Erwähnenswert wäre noch, dass kurz nach meinem Schuss ein gewaltiger Brand aufloderte. Jemand hatte das dürre Schilf angezündet. Vor der näherkommenden Feuerwalze mussten sich zunächst einmal alle in Sicherheit bringen.
Da angesichts des Lärms und des Feuersturms weiteres Waidmannsheil hier nicht zu erwarten war, brach ich die Jagd ab. Obendrein hatte ich ja auch noch die Aufgabe zu lösen, das erlegte Stück zu bergen und zum Kilometer weit entfernten Fahrzeug zu bringen.
Glücklicherweise war ein Strick zur Hand, mit dem die Sau aus dem Sumpf gezogen und dann in ausgelassener Stimmung zum Dorf geschleift werden konnte. Im Februar 1978 ging es nach Laschgagar bei Kandahar, rund 700 Kilometer von Kabul entfernt, im Bewässerungsgebiet des Helmand-Flusses.
Hier lernte ich ein ausgedehntes Waldgebiet kennen: eine Seltenheit in Afghanistan. Streckenweise sah es aber mehr wie eine Savanne aus. Die knorrigen, halbhohen Laub- und Nadelbäumchen waren vor Jahrzehnten von Menschenhand gesetzt worden.
Dazwischen wucherten Schilfhorste und Gestrüpp, wodurch für viele Tier- und Vogelarten und auch für Sauen ein hervorragender Lebensraum geschaffen worden war.
Zu gewissen Zeiten überschwemmte das Leben spendende Wasser des Helmand diesen Landstrich. Die politische Situation hatte sich in Afghanistan zu dieser Zeit bereits so verschärft, dass mir neben meinen Begleitern vom Landwirtschaftsministerium zusätzlich ein Polizeioffizier als Eskorte zugeteilt worden war.
Dieser Mann hatte über die praktische Jagdausübung andere Vorstellungen als ich. Er wollte, dass wir nachts in unserem Geländewagen durch das Gebiet fahren, um die Sauen im Scheinwerferlicht zu erlegen.
Wir erreichten das interessante Jagdgelände bereits am frühen Nachmittag. Unbewaffnet, zum Schrecken meiner Begleiter, unternahm ich mit meinem Hund sogleich einen kleinen Pirschgang. Schon nach wenigen hundert Metern geriet meine Agga an Sauen, die in einem schier undurchdringlichen Dickicht steckten.
Das war nach meinem Geschmack! Leise pfiff ich nach meinem Hund und ging die Büchse holen. Die um meine Sicherheit besorgten Begleiter versuchten, mir die beabsichtigte Pirsch auszureden.
Als das ohne Erfolg blieb, fasste sich der Offizier ein Herz und bot seine Begleitung an. Das passte mir zwar nicht, ich konnte es aber auch nicht abschlagen, ohne als unhöflich zu gelten.
So zogen wir denn gemeinsam los. Bald war der Schilfhorst erreicht, in dem die Sauen steckten. Ich schickte meinen Begleiter im Bogen herum, in der Hoffnung, dass er mir das Wild zudrücken möge.
Aber es kam anders. Die Sauen wechselten auf seiner Seite aus, was ihn veranlasste, schnellstens zum sicheren Fahrzeug zurück zu flüchten, ohne weitere Pläne mit mir abzusprechen.
Das war mir nur recht, denn nun begann eine meiner schönsten Pirschgänge. Immer wieder machten Agga und ich in den folgenden drei Stunden Schwarzwild vor uns hoch, stets aber fehlte das letzte Quäntchen Glück, um einen sicheren Schuss anbringen zu können.
Als die Dämmerung hereinbrach, stellte ich mich an einer Lichtung an, wo die Sauen besonders eifrig gebrochen hatten. Noch bei gutem Büchsenlicht zog eine Rotte heran.
Als aus dem dichten Gestrüpp der erste Überläufer frei kam, setzte ich ihm auf 50 Schritt die Kugel auf den Teller. Das Keilerchen hat den Schuss wohl nicht mehr gehört.
Nach dem Versorgen des Stückes musste ich noch einige Stunden bis zum Aufgang des Mondes warten. Zunächst versuchte ich es mit einem Ansitz an einer Stelle am Waldrand, wo ich einen stark begangenen Wechsel ausfindig gemacht hatte. Als sich dort aber nach zwei Stunden Wartens noch immer nichts regte, verlockte mich die immer heller werdende Nacht zu einer Mondscheinpirsch.
Auch dabei war mir Diana zunächst wenig hold. Eine starke, einzelne Sau wechselte nur wenige Schritte entfernt an mir vorbei, ohne dass ich Ziel fassen konnte.
Hin und wieder heulten Schakale durch die windstille Nacht. Ich pirschte langsam die vom silbrigen Mondlicht überfluteten Schneisen entlang. Bald hatte ich wieder Schwarzwild vor mir, Grunzen und Schmatzen erklangen aus einem Dickicht.
In der Hoffnung, dass irgendwann einmal eine der Sauen ins Freie wechseln würde, kauerte ich mich mit schussbereiter Büchse nieder und wartete.
Es verging eine Stunde, immer noch rumorte die Rotte in der Dickung. Dann tauchten 200 Meter weiter oben einige Schatten auf dem Weg auf.
Im Nachtglas erkannte ich einige Schakale, die in der leichtfüßigen Art der Wölfe hin und her trabten und ständig in meine Richtung äugten.
Schließlich war die Schneise wieder frei. Da ich an diesem Platz nicht länger verweilen mochte, entschied ich mich, meine Pirsch fortzusetzen, zumal ich weiter oben ebenfalls das Grunzen von Sauen vernommen hatte. Das Dickicht zu beiden Seiten des Weges lichtete sich nun.
Als ich mit dem Glas die freien Flächen ableuchtete, entdeckte ich plötzlich auf 40 Schritt eine langsam vorbei ziehende Sau, hell vom Mondlicht bestrahlt.
Ich konnte in aller Ruhe Ziel fassen, kam gut ab, und im Schuss fiel das Stück um. Die Sau, eine ältere Bache von etwa 120 Kilogramm, war aber nicht sofort verendet, obwohl sie einen hohen Kammerschuss hatte, sondern hob immer wieder das Haupt und wetzte mit dem Gebrech.
Als ich mich näherte, um den Fangschuss anzubringen, stierte sie mich mit böse funkelnden Lichtern an. Die beiden Schüsse hatten weitere Sauen einer größeren Rotte, die in der Nähe gewesen war, nicht zur Flucht veranlasst.
So selbstbewusst ist dort dieses wenig bejagte Wild! Afghanische Jäger hatten mir erzählt, dass stärkere Sauen bei Störungen bisweilen Menschen und Hunde wütend anzunehmen pflegten.
Das sollte mir aber nur recht sein. Vielleicht gelang es mir, auf diese Weise eine weitere Sau zu erlegen. Deshalb verließ ich das gestreckte Stück und pirschte mich durch das jetzt dichter werdende Gestrüpp an die Rotte heran, deren Anwesenheit durch erbostes Blasen und brechendes Unterholz deutlich vernehmbar war.
Das Zielfernrohr hatte ich von der Büchse genommen, um für einen schnellen Schuss aus nächster Nähe gerüstet zu sein. Leider aber wurde der Bewuchs bald so undurchdringlich, dass ich das ganze Vorhaben aufgeben musste.
Ich konnte zwar an der lebhaften Bewegung der Zweige und Halme erkennen, wie dicht ich an die Sauen herangekommen war, es war jedoch nicht möglich, eines der Stücke frei zu bekommen. Um bei einem plötzlichen Angriff nicht den Kürzeren zu ziehen, zog ich mich schließlich wieder in freieres Gelände zurück.
Da es inzwischen drei Uhr nachts geworden war und das Wildbret noch gesichert werden musste, brach ich nun die Jagd ab und begab mich zum Fahrzeug zurück, wo man mich schon verloren gegeben hatte.
Als wir dann später die Schneise hinunter fuhren, die mir so spannende Minuten beschert hatte, hoppelten mehrere Hasen im Scheinwerferlicht vor uns her, und nahe bei der verendeten Bache stellte sich ein grober Keiler in den Weg!
Er ließ uns Zeit, seine beachtlichen Waffen zu bewundern, und trollte dann gemächlich davon. Das Versorgen und Verladen der Beute erwiesen sich wieder als hartes Stück Arbeit. Von meinen schlaftrunkenen Begleitern konnte ich dabei nicht viel Hilfe erwarten, da sie vor jeder Berührung mit den Wildkörpern sowie Gegenständen, die mit ihnen Kontakt gehabt hatten, zurückschreckten.
Im Morgengrauen des neuen Tages war dann schließlich alles verstaut und für die Rückfahrt nach Kabul gerüstet.
Der in der Folgezeit ausbrechende Bürgerkrieg und der Einmarsch der sowjetischen Truppen beendeten meine nebenamtlich ausgeübte Tätigkeit als Mitarbeiter und Berater bei der afghanischen Behörde für Wildreservate und Naturschutz.
Geplante Dienstreisen in die Bergregionen des Pamir und des Darya Ajer zur Bestandsaufnahme der Marco Polo-Schafe, des Steinwildes und Baktrischen Rotwildes mussten schweren Herzens aufgegeben werden.
Ausfallen mussten auch alle Programme zur Einrichtung und Betreuung von Schutzgebieten für Wasservögel im Lande. Seitdem sind 20 Jahre vergangen. Noch immer herrscht Krieg in Afghanistan, wenn auch die Parteien gewechselt haben. Städte und Dörfer sind zerstört, alte Kulturgüter vernichtet.
Jegliche Jagdtouristik scheint in unüberschaubare Ferne gerückt. Mögen die Natur des Landes und seine Wildbestände die kriegerischen Auseinandersetzungen überstehen, ohne allzu großen Schaden zu nehmen.
Der Verfasser lebte sieben Jahre als deutscher Auslandsschullehrer in Afghanistan. Nach dem politischen Umsturz 1978 war er bis zum Einmarsch der Sowjets der einzige Ausländer aus dem Westen, der von der neuen Administration die Genehmigung erhielt, zur Bejagung überhand nehmender Schwarzwildbestände die Büchse zu führen.
ANZEIGEAboangebot