Es bleibt ein Traum!

1973

Steinbock-Jagd in Kirgisien: Schroffe Gebirge, steile, Atem raubende Anstiege durch zerklüftete Felswände. Diese Landschaft zu bezwingen, ist wie ein Sieg über sich selbst, die erhoffte Trophäe wird fast zur Nebensache…

Von Dr. Kurt Pitzler
Fast sieben Stunden brauchten wir mit dem Allrad-Van aus Militärbestand für die nur knapp 200 Kilometer lange Wegstrecke vom Flugplatz in Bischkek südwärts ins Jagdgebiet im kirgisischen Alatau, dem westlichen Ausläufer des Tienschan-Gebirges.

Zunächst ging es durch eine eintönige Steppenlandschaft mit Weideflächen und abgeernteten Feldern recht flott voran. Das änderte sich schlagartig an einer Pass-Straße, die mit nicht enden wollenden Serpentinen stark anstieg, um sich in 3.300 Meter Höhe nach einem langen Tunnel wieder mit beachtlichem Gefälle bergab zu schlängeln. Jetzt waren es nicht nur die Kurven, die zeitraubend waren, sondern auch die auf der Fahrbahn liegenden Felsbrocken. Bis ins Tal fesselte ein aus dem Gebirge kommender Fluss den Blick, ein Wildwasser, unterbrochen von Stromschnellen und Felsblöcken, an denen das Wasser aufschäumte.

Der Fluss führte uns zu einem Platz, an dem fünf schon gesattelte Pferde bereitstanden. Sie waren gut genährt und machten einen gesunden Eindruck, und das Sattelzeug erwies sich als durchaus solide. Hier schlossen sich auch unserem Jagdführer drei junge kirgisische Jäger als Helfer an, und kurz nach Mittag waren wir auf dem Weg ins Basiscamp. Eben gerade etwas bekannt mit meinem Pferd, erforderte die Überquerung des nahen Flusses bereits grenzenloses Vertrauen zu ihm. Denn das, was sich als Brücke anbot, bestand lediglich aus nebeneinander gelegten alten Eisenbahnschienen, auf denen unbefestigte und teils recht schadhafte Bohlen lagen. Zwischen denen klafften Lücken, die den Blick in die Tiefe freigaben. Jetzt relativierte sich meine Flussromantik doch erheblich. Aber dank Instinkt und Erfahrung unserer Pferde ging alles gut.

Als nach fünfstündigem Ritt durch stetig ansteigendes Gelände der Blick auf ein breites Tal mit immer noch gräser- und blumenreicher Vegetation fiel, beschleunigten die Pferde ihren Gang, denn wir näherten uns dem Basiscamp. Es lag an einem idealen Platz neben einem kleinen Fluss und ließ auch sonst keine Wünsche offen: ein sehr geräumiges Wohnzelt für den Gast, zwei Mannschaftszelte und ein Arbeitszelt für den Koch, der sein Handwerk vorzüglich beherrschte. Das stellte sich sofort heraus, als er mir gleich nach unserem Eintreffen ein üppiges, warmes Abendessen servierte. Beim Einschlafen auf dem bequemen Feldbett fragte ich mich, wie man das alles hier herauf transportiert hatte, immerhin auf 2.000 Meter, und alles nur mit Pferden.

Vor dem Aufbruch ins Jagdgebiet

Fotos: Dr. Kurt Pitzler

Der erste Jagdtag

Der erste Jagdtag

Am nächsten Tag stand die Sonne schon hoch am Himmel, als wir uns ins eigentliche Jagdterrain auf den Weg machten. Die Zelte mit Schlafsäcken für das Jagdcamp, Benzin-Kocher,Teekessel und Proviant für zwei Tage ließen den Reiter auf dem Pferderücken eher zur Nebensache werden. Erstaunlich, wie die grazilen Tiere mit der Last fertig wurden. Jetzt ging es schon steiler bergauf. Einem Bachlauf folgend, erreichten wir nach fünf Stunden, als es schon dämmerte, in 3.000 Meter Höhe die Stelle, die für das Flycamp vorgesehen war. Von dort aus sollte in den nächsten zwei Tagen gejagt werden.

Während in der Morgendämmerung die Pferde gesattelt wurden, blieb gerade noch Zeit, etwas heißen Tee zu trinken und ein paar Kekse zwischen die Zähne zu schieben, bevor wir losritten und trotz des noch spärlichen Lichtes flott vorankamen und an Höhe gewannen. Nach einer Stunde waren wir am Fuß eines Gletschers, wo die Pferde abgestellt wurden.

Jetzt verspürte ich die Spannung, wie sie sich am Beginn der Jagd einstellt, zumal sich weit oben auf einem Berggipfel ein junger Steinbock wie eine Statue präsentierte, als wollte er uns zu verstehen geben: Wenn ihr jagen wollt, müsst ihr hier herauf kommen. Eigentlich wurde mir jetzt erst so richtig bewusst, auf was ich mich da eingelassen hatte. Ein beklemmendes Gefühl machte erst dann der Erleichterung Platz, als ich mit Wadim, dem Guide, und mit Zedek, einem der Jäger, nach anderthalb Stunden einen Steilhang durchstiegen hatte und knapp unter dem Berggrat etwas verschnaufte.

Psychisch erleichtert war ich schon, dafür aber körperlich völlig ausgepumpt. Immerhin waren wir jetzt 4.000 Meter hoch, und ich hatte mich viel zu schnell über Geröll hochgearbeitet, war trotz Bergstock oft abgeglitten und zurückgerutscht, hatte mir trotz Gamaschen die Haut über den Schienbeinen lädiert und das alles in Kauf genommen, nur um den Abstand zu meinen voraus kletternden Begleitern nicht zu groß werden zu lassen.

Kaum hatte ich mich etwas erholt, feuerte mich Wadim vom Grat aus an, ganz hoch zu kommen. Der Grund für die Eile war ein einzelner Steinbock, der schnell auf dem gegenüberliegenden Gebirgskamm entlang wechselte. Dieser Gebirgszug traf in etwa 300 Meter Entfernung mit unserem Berggrat zusammen, und hier sollte der Bock abgepasst werden.

Also ging es so schnell wie möglich den Grat entlang, teils auf griffigem Gestein, teils auf eisigem Schnee, auf dem ich ohne Bergstock sicher gestrauchelt wäre. Aber wir kamen ein paar Minuten zu spät. Der Bock war bereits in die dahinter liegende Wand eingewechselt. Inzwischen war es Mittag geworden und Zeit zum Abstieg, der, wie erwartet, durch rutschendes Geröll und kippende Steine nicht leichter als der Aufstieg war. Tröstlich dabei war die Hoffnung, dass es an den folgenden Tagen durch mehr Übung und mehr Vertrautheit mit dem Gelände sicher besser gehen würde. Ich ahnte aber schon jetzt, dass ich hier in diesem Jagdgebiet das, was bisher meiner Vorstellung von der Steinbockjagd entsprach ? nämlich Steigen, Klettern, Pirschen und Abpassen an den Wechseln, erheblich revidieren musste.

Denn, was das Bergsteigerische anbelangt, da trübten die geröllhaltigen Steilhänge diese Vorstellung doch sehr nachhaltig. Und aus dem Pirschen sollte wohl auch nicht viel werden, denn für den nächsten Tag war ein weiträumiges Treiben angesagt.

Der zweite Tag

So machte sich am nächsten Morgen Zedek als Treiber mit Repetierer und reichlich selbstgeladenen Patronen lange vor uns auf den Weg, um mit stundenlangem Marsch durch das Gebirge in weitem Bogen das Wild zuzutreiben. Diesmal konnten wir höher hinauf reiten, so dass sich die Kletterstrecke verkürzte. Das Ziel war eine Felsformation, die wie eine kleine Burg aussah und die höchste Stelle des Grates krönte. Dort war ein halbkreisförmiger Steinwall aufgebaut, der an eine Zinne erinnerte und offensichtlich schon immer als Ausguck und Schützenstand gedient hatte.

Von hier bot sich ein weiter Blick auf den schmalen, schneebedeckten Grat und stellenweise in die angrenzenden Hänge und Wände hinein – eine ausgezeichnete Sicht in die Richtung, aus der das getriebene Wild zu erwarten war.

Ich wurde aber sehr schnell aus der „Zinne“ eine Etage tiefer in eine Lücke zwischen dem Burgsockel und einem riesigen Felsblock beordert, von wo aus ich nur noch einen schmalen Ausblick auf ein 80 bis 100 Meter entfernt liegendes Geröllfeld am Rande eines Gletschers hatte. Ich nahm an, dass es mein Schussfeld werden sollte, wenn das getriebene Wild hinter dem Burgsockel auftauchte.

Nachdem zwei Schüsse gefallen waren, dauerte es noch einige Minuten, bis mir der Guide vom Ausguck aus zu verstehen gab, dass fünf Böcke hintereinander im Anmarsch waren und ich den dritten schießen solle. Bald hörte ich auch die Sprünge und das Schnaufen des sich hochflüchtig nähernden Rudels, und schon tauchte der erste Bock in meinem Ausblick auf und war mit zwei Sprüngen wieder verschwunden. Dann der zweite und schließlich der dritte Bock – wesentlich stärker als die anderen und mit großem Bart – und dann noch zwei schwächere. Alle dicht hintereinander und nicht weiter als zehn Meter entfernt. Ein faszinierendes Bild, aber die Schuss-Schneise war einfach zu eng.

Dritter und vierter Tag

Dritter und vierter Tag

Am nächsten Tag gerieten wir beim Ritt in ein neues Jagdgebiet in ein Gewitter mit Kälteeinbruch und Schneefall, der über Nacht anhielt. Trotz einer Handbreit hohen Schneedecke verzögerte sich der Aufbruch am Morgen nicht, und auch die Pferde kamen schnell voran. Einer der kirgisischen Jäger hatte sich kurz hinter dem Camp von uns getrennt, um wieder mit großem Umweg zu treiben. Obwohl ich bis Mittag an meinem Stand am Übergang von einem Geröllhang in eine Steilwand ausharrte, bekam ich kein Wild zu sehen.

Am nächsten Tag machten wir den ganzen Aufstieg bis zum Kamm eines Bergmassivs mit den Pferden, und das in einem Geröllhang mit Steinen von Pflaster- bis Grabsteingröße. Hin und wieder verweigerten die Pferde für einen Moment, um sich Trittsicherheit zu verschaffen oder kurz zu verschnaufen. Dann war ihr schneller und starker Herzschlag unter den Sattelblättern stärker als sonst zu spüren, ein Zeichen, dass die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht war.

Auf einem kleinen schneebedeckten Plateau wurden sie abgestellt, und ich stieg mit Zedek einen schmalen Graben hinab in den Gegenhang, wo das getriebene Wild erwartet wurde. Nach einer Kletter- und Rutschpartie mit mehrmals zu kurz geratenen Sprüngen von Stein zu Stein, erreichten wir weit unten einen großen Felsvorsprung, auf dem wir einen Steinwall errichteten, der uns im Sitzen eine gute Deckung bot. Diesmal schoss der Treiber erst gegen Mittag, nachdem wir schon drei Stunden gesessen hatten, Zedek eine Zigarette nach der anderen geraucht und ausgetrocknete Sprungbeine vom Steinbock, die als Zauber gelten, auf einem Stein hin und her geschoben und dabei Unverständliches gemurmelt hatte.

Als der Jagdhelfer weit unter uns auftauchte, war klar, dass es Zeit für den Rückweg war. Zum Aufstieg aufs Plateau brauchten wir dreimal mehr Zeit als für den Abstieg, denn ständiges Zurückrutschen im Geröll und Wiederhocharbeiten kostete Kraft und führte zur Kurzatmigkeit, die immer wieder Ruhepausen erforderte.

Jetzt konnte ich mich auf dem Rückritt gegen eine gewisse Verstimmung nicht mehr so recht wehren. Sie ergab sich weniger aus der Erfolglosigkeit der Jagd, als aus der Art, wie wir jagten. Ein vorwiegend beharrliches Anpirschen des Wildes, wie ich es von der Gamsjagd, aber auch von der Steinbockjagd in Kasachstan her kannte, hätte mir mehr zugesagt, als die ständigen Riegeljagden mit Abfeuern von Schüssen.

Die nächste Jagd war der vom zweiten Jagdtag sehr ähnlich: ein Stand in über 4.000 Meter Höhe und wieder in einem burgzinnenähnlichen Felsen mit weitem Blick auf den Grat. Der Treiber musste diesmal einen sehr weiten Bogen schlagen und schoss erst nach zwei Stunden, nachdem ich mit dem Guide den Stand erreicht hatte. Nach einer weiteren Stunde (inzwischen zählte ich 15 Schüsse!) wurde es spannend: Auf dem Grat kam ein Rudel flüchtig auf uns zu. Sehr schnell waren sie so nahe, dass sie hinter unserer Brüstung verschwanden. Wenn sie die Richtung beibehielten, hätten sie gleich auf einem zwanzig Meter entfernten Schneefeld rechts neben uns wieder auftauchen müssen. Aber sie kamen nicht, sondern erschienen plötzlich hochflüchtig weit links im Hang. Sie hatten in nächster Nähe von uns Wind bekommen und waren deshalb fast rechtwinklig abgebogen. Es waren sechs junge Böcke, ein Junggesellenrudel.

Als mir der Guide zu verstehen gab, dass auf dem nahen Schneefeld schon öfters Strecke gemacht worden sei, und nach dem, was ich bisher erlebt hatte, hatte ich endgültig Gewissheit, dass hier schon immer vorwiegend getrieben wird und problematische Nahschüsse auf einen flüchtigen Steinbock nicht die Ausnahme sind.

Der letzte Tag

Der letzte Tag

Trotzdem hatte ich bis zum Schluss eindrucksvolle und unvergessliche Erlebnisse, die eine gewisse Enttäuschung über die hiesige Art, Wild zu jagen, zur Genüge aufwogen und mich in Dankbarkeit auf das Erlebte zurückblicken lassen. So bot auch der letzte Jagdtag gleich am Morgen eine letztendlich freudige Überraschung, als wir vor einem Gebirgszug standen und es mir zunächst unmöglich erschien, mit den Pferden auf den Kamm zu gelangen, weil der zu überwindende Hang einfach zu steil und zu hoch war.

Ich hatte ein ungutes Gefühl, als meine Begleiter flott an den Hang heranritten, und war gleichzeitig gespannt, wie das wohl weitergehen würde. Nach einer längeren Kletterstrecke glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen: Vor uns tat sich der Zugang zu einem schmalen Graben auf, der weniger stark anstieg und zu einem breiten Kar überging. Das war eine Passage zum Gegenhang, den wir dann auch erreichten. Auch diesmal stellten also die Kirgisen die Kenntnis ihrer Berge unter Beweis.

Die Pferde wurden von einem Jäger ins Tal zurückgebracht, und es ging kletternd zu Fuß weiter. Eine breite, abschüssige Eisrinne, in die meine vorauskletternden Begleiter Stufen für mich schlugen, und einige vorspringende Felsen an steilen Stellen, die zu umsteigen waren, nahmen viel Zeit in Anspruch. Erst am frühen Nachmittag erreichte ich mit dem Guide unseren Stand, ein „Felsennest“ hoch oben am Grat. Auch diesmal wurde wieder getrieben, und bald knallte es weit entfernt. Nach ein paar Stunden musste ich mir eingestehen, dass ich ohne Trophäe wegfahren werde, denn es war der letzte Jagdtag.

Aber missmutig war ich nicht, denn diesmal hatte sich der strapaziöse Aufstieg und das Ausharren im luftigen Felsennest in besonderer Weise gelohnt: Anfangs bot sich bei strahlendem Sonnenschein ein grandioser Blick ins Tal mit seinen weiten Grünflächen. Dann zogen innerhalb weniger Minuten gewaltige dunkelgraue und lilafarbene Wolkenformationen auf, die stellenweise vom Sonnenlicht durchbrochen wurden; und bald brach ein Unwetter mit peitschendem Regen, groben Graupeln und Schneegestöber los. Es hielt glücklicherweise nur eine Viertelstunde an und machte dann schnell einem wolkenlosen azurblauen Himmel mit einem riesigen Regenbogen Platz. Ein Adlerpärchen, mal über und dann wieder unter uns kreisend, belebte das Ganze.

Schöner hätte der Tag nicht enden können, wenn da nicht noch der Abstieg durch einen steilen Geröllhang gewesen wäre, der beinahe zu einem fatalen Unfall geführt hätte: Unter meinen Füßen löste sich plötzlich ein kopfgroßer Stein und sauste so schnell bergab und genau auf den 30 bis 40 Meter unter mir kletternden Jagdführer zu, dass er nach meinem lauten Schreien im letzten Augenblick gerade noch zur Seite springen konnte. Wir waren mit dem Schrecken davongekommen. Im Tal bei den Pferden angekommen, überreichten uns dann die Jäger als tröstende Geste einen Strauß großer gelber Trollblumen, die die grasenden Pferde übrig gelassen hatten.

Diesmal hatten wir einen besonders langen Weg ins Basiscamp vor uns. Wir ritten in einem breiten Tal in den Abend hinein, und plötzlich bot sich uns ein atemberaubender Anblick, als aus einem Nebental eine Herde von etwa 40 Pferden, vorwiegend Stuten mit Fohlen, herauspreschte, im gestreckten Galopp ein Bachbett überflog und hinter einem Hügel im Abendrot verschwand. Wäre der dröhnende Hufschlag nicht gewesen, hätte ich geglaubt, es sei ein Spuk.

Auslandsjagd ist Trophäenjagd! Was ich hier geschrieben habe, könnte dazu beitragen, dieses Klischee zu revidieren.

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