Major Powell-Cotton und die weißen Nashörner

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Weit und scheinbar unendlich dehnen sich die Savannen nördlich der Kongo-Urwälder, bis sie schließlich in der Sahelzone langsam von der Sahara aufgenommen werden. Hier, direkt an der Grenze des Sudans, lebt das heute seltenste Säugetier der Erde: das Nördliche Weiße Nashorn

Armin Püttger

Conradt V erlässt man den von Okapis und Waldelefanten bewohnten Ituri-Urwald im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo und rumpelt auf roten Straßenpisten durch die baumbestandene Graslandschaft gen Süd-Sudan, so erreicht man die Gegend des Garamba-Nationalparks mit seinen ihn umgebenden Jagdgebieten Mondo Misa, Asande und Gangala Na Bodio. Hier liegen die Stammesgebiete der Asande und Mangbetu, die einst ein innerafrikanisches Königreich besaßen, hauptsächlich jedoch bis heute von der Jagd und kleinen Pflanzungen leben.

Wie seit Jahrhunderten üblich, ziehen sie mit Netzen und Speeren, von kleinen hellbraunen Hunden begleitet, die nicht bellen können, in kleinen Gruppen los. Sie treiben dann mit ausgeklügeltem System das Wild, meist kleine Ducker oder Moorantilopen, in die Fangvorrichtungen und töten sie mit gezieltem Speerstoß. Andere angeln, während die Frauen in der Umgebung sammeln oder sich um die kleinen Maniok- und Maispflanzungen kümmern. Hier lebt das Nördliche Weiße Nashorn. 35 000 Jahre ist es her, als sich die Dschungel des Kongobeckens auch außerhalb des pfannenartigen Tieflands gewaltig auszudehnen begannen und einen Teil der den afrikanischen Kontinent bewohnenden Weißen (Breitmaul-) Nashörner, das Ceratotherium praecox, abspalteten.

DER ENTDECKER DER NÖRDLICHEN WEISSEN NASHÖRNER: MAJOR POWELLCOTTON. DIE VON IHM GESAMMELTE UNTERART IST IN EINEM DIORAMA ZU SEHEN.
DER LANDSITZ DES MAJORS IN BURCHINGTON.

Das war Zeit genug, um daraus zwei neue Unterarten entstehen zu lassen: das heutige Nördliche und das Südliche Weiße Rhinozeros. Beide lebten fortan über 3000 Kilometer voneinander getrennt, denn die Gebiete im Süden lagen letztendlich südlich der Flüsse Sambesi und Oranje, wo sie weit verbreitet zu Zehntausenden vorkamen.

Die Nördlichen dagegen lebten in einem breiten Streifen vom Tschadsee bis zum nordwestlichen Uganda, überschritten jedoch den Nil nach Osten hin nicht, so dass sie auch hier an einem großen Strom eine natürliche Grenze fanden. Manche wurden sogar von Waldungen, die sich entlang kleinerer Flüsse ausbreiteten und immer umfangreicher wurden, regelrecht mitsamt Savannengebieten eingeschlossen, so dass die waldbewohnenden Pygmäen diese schließlich zu Gesicht bekamen und den Mythos des „Mokele Mbembe“, des Kongodinosauriers schufen, der in ihren Überlieferungen noch immer erhalten geblieben ist.

Zu ihrem jagdbaren Wild wie den Elefanten, denen sie beim Heranpirschen die Sehnen durchschlugen, gehörten die Nashörner jedoch offenbar nicht. Erstaunlich spät wurde das innere Afrikas von Europäern erkundet, und selbst im relativ früh besiedelten Kapgebiet dauerte es lange, ehe sich die Trecks gen Norden ins Landesinnere aufmachten und in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts erstmals auf die Wei- ßen Breitmaulnashörner stießen, lange nachdem die Spitzmaul- oder Schwarzen Nashörner entdeckt waren. Sie wurden 1817 nach ihrem Entdecker Burchell benannt. Doch fast noch ein weiteres Jahrhundert verging, ehe man zufällig nördlich des Äquators ebenfalls auf Weiße Rhinos stieß. Zu so später Zeit, als man schon nicht mehr mit der Entdeckung eines weiteren Großsäugers gerechnet hatte, war dies schon eine erhebliche wissenschaftliche Sensation.

1899 befand sich ein englischer Kolonialbediensteter namens Anthony Gibbons im Süden des Sudans, als ihm zu seinem großen Erstaunen ein Weißes Nashorn vor die Büchse geriet und er es schoss, ohne jedoch wissenschaftliche Belege wie Schädel oder andere Körperteile sicherzustellen. Jedoch hörte von dieser Angelegenheit der Großwildjäger, Forscher und Sammler zoologischer und völkerkundlicher Exponate, Percy Horace Gordon Powell-Cotton, zeitweilig ebenfalls Major im britischen Kolonialdienst. Er hatte ein bedeutendes Interesse an der afrikanischen Tierwelt. So erweckte die Meldung, es gäbe wahrscheinlich Weiße Nashörner auch nördlich des Äquators, seine höchste Aufmerksamkeit.

Bereits in Kürze organisierte er eine Jagdexpedition in den Sudan, um selbst diesen Dickhäuter aufzuspüren, möglichst ein Belegexemplar zu schießen und es zur näheren Untersuchung nach England zu bringen. Zu dieser Zeit absolvierte der Major etliche Expeditionen. Beinahe jedes Jahr war er unterwegs, zunächst in Asien, dann fast nur noch in Afrika, oftmals über mehrere Jahre hinweg. 1899 bis 1900 reiste er sammelnd und jagend in Somalia und Äthiopien, besuchte hierbei wohl auch kurz den Sudan. 1902 bis 1903 durchreiste er Kenia und Uganda, auf teilweise abenteuerlichen Pfaden mit einer Trägerkarawane zu Fuß unterwegs.

1904 begann dann seine große Expedition durch den Sudan, Uganda und Belgisch Kongo, unter dem Namen „Kongo-Trip“ bekannt, die bis 1907 andauerte. Ein halbes Jahr lang widmete er sich dabei der Suche nach den unbekannten Nördlichen Weißen Nashörnern, wovon er mindestens 14 Stück erlegen konnte, die auch allesamt nach England verschifft wurden.

AN DER GRENZE DES GARAMBA-NATIONALPARKS.

Es handelte sich dabei um die ersten Exemplare dieser Unterart, die der Wissenschaft nun zur Verfügung standen. Ein Exemplar kam zum Britischen Museum nach London, der sogenannte Holotyp, der als Unterart wissenschaftlich beschrieben wurde. Der bekannte Systematiker Richard Lydekker nahm sich dieser Aufgabe an und benannte die Neuentdeckung nach seinem Entdecker Ceratotherium simum cottoni. Auch weitere Tierarten tragen Powell-Cottons Namen, die er ebenso der wissenschaftlichen Nomenklatur als Entdecker zuführte. Nachdem Harry Johnston 1907 das Okapi im Ituri-Urwald anhand von Fellen entdeckt hatte, ohne es selbst zu Gesicht bekommen zu haben, beschäftigte Powell-Cotton sich insbesondere mit einem gefangenen Jungtier, das erstmals lebendig fotografierte Exemplar dieser neuen Großsäugerart.

Später schenkte er dem British Museum noch einen Schädel und Hörner der im Sudan geschossenen Rhinos. Begibt man sich heute nach Burchington in der englischen Grafschaft Kent in das Powell-Cotton Museum, das der adelige Major in seiner Heimat gründete, und steigt in die engen Kellerräume hinunter, so findet man ganz hinten links die zwei kleinen Räume, in denen sich in großen Holzkisten die Knochen der 1905 geschossenen Nördlichen Weißen Nashörner befinden, samt den aufgereihten 13 Schädeln und Hörnern. Die Häute liegen in einem besonderen, hermetisch verschlossenen Raum, der aufgrund der ausdünstenden Chemikalien nur unter besonderen Voraussetzungen betreten werden darf. In den Ausstellungssälen findet sich in einem gewaltigen, sehr beeindruckend gestalteten Diorama, Galerie genannt, eine Familie der entdeckten Nashörner: ein aus dem Gras schauender Bulle sowie eine Kuh nebst einem Kalb.

AUF DER FÄHRTE DER NÖRDLICHEN WEISSEN NASHÖRNER.

Die Originalhörner wurden nicht aufgesetzt, sondern durch Abgüsse ergänzt. Der berühmte Taxidermist Rowland Ward war ein wichtiger Ratgeber. Dieses Museum am adeligen House of Quex ist das eigentliche Vermächtnis von P.H.G. PowellCotton und ist heute noch im Besitz der Adelsfamilie, des Sohns Christopher Powell-Cotton und seiner Frau, die es im Sinn des Gründers weiterführen und bereits erheblich erweitert haben.

AUF PATROUILLE IM SCHUTZGEBIET.

Imposant sind die ungewöhnlich hohen Dioramen, die einen mitten in die afrikanische Tierwelt versetzen. Jagdgeschichte und Völkerkunde sind neben anderem ebenso viel Platz eingeräumt, sodass ein Besuch ein nachhaltiges Erlebnis ist. Park und Adelshaus geben diesem Ort der Sammlungen und Forschung ein besonderes Flair, an dem die Nördlichen Wei- ßen Nashörner einen nicht unwesentlichen Anteil haben.

DIE ÜBERRESTE EINES GEWILDERTEN DICKHÄUTERS.

Die Zeiten in den ersten 25 Jahren des vergangenen Jahrhunderts waren in Afrika gänzlich andere als heute. Neben den korrekten Waidmännern der damaligen Zeit, die zumeist Naturfreunde waren und denen an der Tierwelt gelegen war, gab es jedoch bedauerlicherweise eine nicht geringe Menge an üblen, gesetzlosen Schießern, weit entfernt von einem verantwortungsbewussten Jäger und „Sportsman“. Gerade in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts wurden die neuentdeckten Rhinos insbesondere in den französischen Kolonien in gewaltigen Stückzahlen niedergeschossen, ja manche brüsteten sich gar damit, bereits mehrere Hundert erlegt zu haben. So waren sie bereits nach wenigen Jahren in weiten Landstrichen des Tschad und der Zentralafrikanischen Republik ausgerottet. Nur im Sudan und einem kleinen Gebiet vom Kongo und in Uganda gab es noch größere Bestände, was Belgien den Anlass gab, 1938 den Garamba-Nationalpark unmittelbar an der sudanesischen Grenze zu gründen. Das war eine weise Voraussicht, denn bereits nach wenigen Jahren lebten Nördliche Weiße Nashörner nur noch in Schutzgebieten, die mittlerweile auch im Sudan und Uganda gegründet worden waren. Besonders das sudanesische Lado-Gebiet und der große Southern Nationalpark beherbergten noch lange Tausende der Rhinos, während sie bis 1979 in Uganda ausgerottet waren.

DAS SCHICKSAL DER LETZTEN IHRER UNTERART IST UNGEWISS – MÖGLICHERWEISE WERDEN SIE IN FREIER WILDBAHN BALD AUSGEROTTET SEIN.

Zuletzt versuchte man hier noch, die letzten durch eine Umsiedlung an das andere Ufer des Nils zu retten. Doch während der kriegerischen Unruhen durch das Idi Amin-Regime und Obotes desolater Regierungsführung wurden sie auch hier bald ausgerottet. Das Wohlergehen der Nashornunterart hing nur noch von den politischen Geschehnissen ab. Gleich nach der Unabhängigkeit des Kongo von Belgien wurden während des Bürgerkrieges etliche Nashörner von marodierenden Soldaten niedergeschossen, dann ging der Bestand wieder aufwärts, je nach Lage der politischen Situation. Unterdessen herrschte im Südsudan dauerhafter Bürgerkrieg, und nur die ungeheure Weite der dortigen Savannengebiete und die schwache Infrastruktur ließ die Tiere noch in relativ hohen Beständen überleben. Während der 70er Jahre begann ein erneutes Desaster. Vor allem in manchen südostasiatischen Ländern entstand wieder eine hohe Nachfrage nach Rhinohorn, geschürt von einem gewerbsmäßig organisierten mafiösen Gebilde, vergleichbar mit den Rauschgiftkartellen in Kolumbien. Insbesondere in China und Taiwan stand und steht sowohl Nashornpulver in Tablettenform als auch in Flüssigkeit gelöst hoch im Kurs. Hintergrund ist der traditionelle Aberglaube, Hornbeigaben würden als Wundermittel gegen die unterschiedlichsten Krankheiten oder Unpässlichkeiten helfen. Die Nachfrage stieg enorm, so sehr, dass in Afrika gezielt den Rhinos nachgestellt wurde und sie in weiten Landstrichen verschwanden.

Besonders dort, wo desolate politische Verhältnisse vorherrschten, wurde schwerpunktmä- ßig gewildert, und das waren gerade die Länder in denen es noch Nördliche Weiße Nashörner gab. So war gerade diese recht neu entdeckte Unterart bald an den Rand der Ausrottung gebracht, teilweise ohne dass Weltnaturschutzorganisationen überhaupt rechtzeitig Wind von den aktuellen Zuständen bekamen. Und nur zu oft waren die Regierungen der betroffenen Länder selbst in den illegalen Handel involviert. 1981 war ich als junger Biologiestudent während einer zoologischen Kongoexpedition auch im Garamba-Nationalpark. Das Land hieß damals Zaire, Mobutu war der amtierende Präsident und hatte eine schwierige Zeit hinter sich, nachdem er das Land in kürzester Zeit wirtschaftlich ruiniert hatte und die Grenzen erst seit wenigen Jahren wieder geöffnet waren. Zunächst quartierte ich mich in der Jägerlodge und Elefantenzähmungsstation Gangala Na Bodio ein und beschäftigte mich mit dem Fangen von Fröschen und Kröten für ein Forschungsinstitut. Alles machte einen zwar verlassenen, doch gepflegten Eindruck, was wohl darauf zurückzuführen war, dass immer wieder Jäger vorbeischauten, die sich von der ansonsten niedergebrochenen Infrastruktur nicht abschrecken ließen. Bereits in dem letzten Städtchen vor dem Park, in Dungu, führte ich lange Gespräche mit einem Jagdgast, der in der kanadischen Mission ein Zimmer bezogen hatte und mich zu überreden versuchte, ihn in die Jagdgebiete zu begleiten. Offensichtlich waren diese besser in Schuss als der Garamba-Nationalpark, denn als ich zur Parkstation nach Nagero kam, lag hier alles darnieder, während in Gangala sogar die Tanzfläche aus der Kolonialzeit sauber gefegt war. In Nagero traf ich auf den Belgier Marc Colyn.

NASHÖRNER AUS DEM ZOO VON DVUR KRALOVE IN TSCHECHIEN.

Nach meiner Rückkehr nach Deutschland informierte ich die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) und den World Wildlife Found. Während letzterer meinen Bericht kommentarlos ignorierte, schrieb mir der bekannte Zoodirektor und Präsident der ZGF, Bernhard Grzimek, umgehend persönlich. Er wäre sehr erschrocken, kenne den Garamba-Nationalpark selber aus früheren Jahren und wolle meinen Bericht auf schnellstem Wege überprüfen lassen. Als die Überprüfung stattgefunden hatte, war der Bestand der Rhinos allerdings auf nur noch etwa 25 Exemplare abgesunken. Bis jedoch das Rettungsprojekt beginnen konnte, waren nur noch 14 übrig geblieben.

Ein weiterer dramatischer Einbruch, denn damit waren sie nach den bekannten Theorien genetisch längst nicht mehr überlebensfähig. Bei einem Tier dieser Größe und Vermehrungsrate geht man davon aus, das noch mindestens 80 Exemplare übrig sein müssen, um nicht von Inzucht bedroht zu sein. Dazu sind die letzten Überlebenden auch noch mehr oder weniger miteinander verwandt, stammen sie doch alle aus ein und derselben Population. Nun hatte sich in der Praxis ein solches Beispiel noch nicht ergeben, es blieb also, erstmal zu sehen, wie sich nach wenigen Generationen die Fakten entwickeln würden. Während ich nun also erst einmal mein Biologiestudium fortsetzte, begann das Rettungsprojekt der ZGF.
200 Wildhüter wurden in den Dörfern der Asande und Mangbetu wieder neu eingestellt, ein Fuhrpark neu angeschafft, und sogar das marode Flugzeug, das inzwischen eine Bruchlandung gemacht hatte, durch eine schöne neuwertige Cessna ersetzt. Es ging langsam wieder aufwärts. Gleich nach meinen Studienjahren machte ich mich erneut auf in den Zaire-Kongo, um die Nördlichen Weißen Nashörner nun genauer kennenzulernen. Mit einem 23 Jahre alten Landrover fuhr ich quer durch die Sahara bis nach Zaire, besorgte mir in Kinshasa die nötigen Papiere in den Ministerien und begann mein Forschungsprojekt in den weiten Grasmeeren der afrikanischen Savanne. Meine Begleiter waren zwei staatliche einheimische Wildhüter. Gemeinsam folgten wir über Jahre hinweg monatelang den letzten Nashörnern ihrer Art, die nun bereits dabei waren, langsam im Bestand anzuwachsen und bereits die 20 überschritten hatten. Ein erfreulicher Aufwärtstrend, der auch noch einige Jahre anhalten sollte. Nach wenigen Jahren kam auch wieder der WWF-International zum Schutzprojekt mit dazu.

Ich hatte einen Vertrag mit der Zairischen Naturschutzbehörde, dem IZCN, und versuchte über den Besitzer des Wildpark Eekholt, H. H. Hatlapa, auch noch das Conseil International de la Chasse et de la Conservation du Gibier (CIC) ins Boot zu holen, dessen Präsident Hatlapa war. Dort stieß ich jedoch auf offensichtliche Kompetenzschwierigkeiten und musste es bei einem Scheck für meine Forschungen belassen. Unerwartete „Besitzansprüche“ waren nicht ganz unüblich. Denn auch meine Mitstreiterin Kes Hilman-Smith, die parallel zu mir an den Rhinos arbeitete, sah diese als ihr Eigentum an. Während die Nashörner um ihr Überleben kämpften, gab es unter ihren Schützern Neid, Intrigen und Geklüngel, und ich war froh, diesem in der Wildnis zu entkommen. Während eines ganzen Lebensabschnitts wurde ich nun mit den Kenge, wie die heimische Bevölkerung die Rhinos nennt, vertraut, lernte sie als Individuen mit ganz eigenen Charaktereigenschaften kennen. Ich reiste auch nach Dvur Kralove in Tschechien, wo noch neun dieser Unterart im Zoo leben. Sie sind 1975 gegen Kalaschnikovs bei den sudanesischen Rebellen eingetauscht worden, vermehren sich jedoch nur sehr schlecht. (Anmerkung der Redaktion: In diesem Jahr haben Wissenschaftler des Instituts für Zoo- und Wildtierforschung Berlin begonnen, die Vermehrungsrate mit künstlicher Besamung zu steigern.)

Im Kongo, wie das Land seit dem Sturz von Mobutu nun wieder heißt, sind sie bis auf 37 angewachsen. Dann begann der Bürgerkrieg. Nun, 2007, liegen sie wieder bei etwa fünfzehn. Nur gute 100 Jahre dauerte die Kenntnis ihrer Existenz für uns. So lange hielten sie sich versteckt, vor Theodor Heuglin, vor Eduard Schnitzer, vor Georg Schweinfurth, Forschungsreisenden, die durch ihr Gebiet zogen, ohne auf die großen Savannenkolosse zu stoßen, während A. F. Herzog zu Mecklenburg im gleichen Gebiet bald nach ihrer Entdeckung beinahe täglich auf sie gesto- ßen war. Ich hielt ständigen Kontakt zu Götz von Wild und John Falk, die ein Jagdsafari-Unternehmen in Isiro führten. Jahrzehnte lebten sie im Zaire, nun sind auch sie äußerst pessimistisch, was die Zukunft und das Wild des Landes angeht. Unerschütterlich durchwanderte ich die Landschaft. Die Nördlichen Weißen Nashörner waren da, scheu, aber doch so vertraut geworden. Und sie vermehrten sich jedes Jahr weiter. Welch ein Erfolg! Dann begann der Krieg. Wilderer, Rebellen und Soldateska drangen in den Garamba-Nationalpark ein.

Wir mussten das Land verlassen, die Wildhüter zogen fort in ihre Dörfer. Die Kenge rannten um ihr Leben. Was sollte ich nun machen? Der Bürgerkrieg im Kongo nahm kein Ende, die Menschen starben zu Hunderttausenden, und an eine Rückkehr war fürs Erste nicht zu denken. Ich begann, wieder mit meinem Diavortrag durch die Lande zu reisen und auf die besondere Problematik dieses Symboltiers für den Artenschutz und die menschliche Ethik aufmerksam zu machen. Weit über tausend Mal hielt ich erneut den Nashornvortrag vor Schülern und Erwachsenen. Große überregionale Zeitungen und Magazine berichteten über den eigenartigen Botschafter bedrohter Tiere. Ich wurde zu Fernsehtalkshows geflogen und trat in etlichen Hörfunksendungen auf. Als nun mein neues Buch hierzu erschien, widmete auch der „Spiegel“ sich des Themas und berichtete Seiten füllend. So bleibt die Hoffnung, dass die Nashörner Powell-Cottons in den Herzen der Menschen am Leben bleiben als ein Symbol, wie geldgierige Rohstoffkriege und Machtgier mit den Mitgeschöpfen umgehen. Naturschützer, Jäger, Biologen, ja der ganz normale Mitmensch, wir alle sitzen im gleichen Boot.
Die Hege, die der Jäger lernt und seit Urzeiten vollzieht, die Ethik, die der Artenschützer aus- übt, die überwältigenden Afrikapanoramen, die P.H.G. PowellCotton geschaffen hatte, entstammen dem gleichen Ursprung: dem Respekt vor der Schöpfung!

Auf eine der Felsplatten im Dungufluss hatte er eine große Benzintonne geschafft und kochte darin gerade einen gewaltigen Büffelschädel, um ihn sauber mit nach Kisangani zu nehmen. Er hatte einen Landrover, mit dem wir tagelang durch den Nationalpark fuhren, immer auf der Suche nach Wild und vor allem: den Nördlichen Weißen Nashörnern des englischen Major Powell-Cotton.

Inzwischen waren sie nämlich auch im Sudan gänzlich ausgerottet, wie ich von den letzten Bediensteten des Nationalparks erfuhr. Eigentlich sollten im GarambaNationalpark zu dieser Zeit noch um die 800 Stück leben, und gerade hatte der Park auch die welthöchste Auszeichnung erhalten, die World Heritage Site der UNESCO, für vorbildlichen Schutz der Nashörner. Aber inzwischen waren ziemlich zeitgleich die sudanesischen Rebellen nach Zaire eingedrungen und hatten in einer gezielten Aktion mit Kalaschnikovs und Handgranaten die Rhinos zu Hunderten gewildert und ihnen die Hörner abgehackt, um über den Verkauf den Bürgerkrieg im eigenen Land weiter zu finanzieren. Sie kamen sogar mit Kampfflugzeugen in den grenznahen Nationalpark, um mit den Bordgeschützen die Tiere abzuknallen. Kein Wunder, dass die Wildhüter zurück in ihre Dörfer verschwanden, auch weil sie seit Monaten keinen Sold aus der Hauptstadt Kinshasa für ihre lebensgefährliche Tätigkeit erhalten hatten.

Zwar gab es immer noch ein kleines einmotoriges Flugzeug, das von einer Naturschutzorganisation finanziert wurde, doch wurde dieses nahezu nur für den Transport privater Handelsgüter eingesetzt, was munter aus Spendenmitteln bezahlt wurde. Trotzdem wurde es während meiner Anwesenheit auch einmal für eine umfangreiche Suchaktion eingesetzt. Man kehrte mit bedrückenden Neuigkeiten zurück. Etliche Nashornkadaver wurden aus der Luft geortet. Tags darauf war ich wieder mit Marc unterwegs, und wir schaukelten durch die Weite der Savanne. Und tatsächlich: Eine Tragödie fand gerade unter den letzten noch in freier Wildbahn existierenden Rhinos statt.

Einmal fanden wir eine ganze Nashornfamilie, ein Bulle, eine Kuh und ein Kalb, aufgedunsen im Gras. Ein schauriger Anblick. Die Nasenhörner waren natürlich abgehackt. Letztendlich schätzten wir den Gesamtbestand noch auf ungefähr 45 Überlebende. Für einen freilebenden Bestand eine Apokalypse.

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