Grönlands Moschusochsen

3855


Die Moschusochsen Westgrönlands leben unter besonderen Bedingungen: Äsung ist auch im Winter vorhanden, und das Einstandsgebiet ist raubwildfrei

Von Jeppe Mordhorst und Dr. Günter Klatt

Moschus
40 Trophäenbullen werden derzeit bei der Sommer- und Winterjagd jährlich freigegeben. Diese Quote scheint sich bei einem Bestand von bis zu 4000 Stück zu bewähren.

Das natürliche Vorkommen des Moschusochsen erstreckt sich auf den nordöstlichen Teil des Landes.

Da es weite Strecken gibt, wo sich das riesige grönländische Inlandeis kilometerweit bis an das Meer erstreckt, ist es dem Moschusochsen nie auf ihren Wanderungsbewegungen gelungen, von dem verhältnismäßig unfreundlichen Lebensbedingungen in Nordostgrönland in das im Verhältnis mehr üppige und milde Westgrönland einzuwandern.

Die Geschichte der Moschusochsen in Westgrönland hat in den frühen 60er Jahren dieses Jahrhunderts mit dem Einfangen von 27 zweijährigen Kälbern in Nordostgrönland begonnen.

Diese wurden dann bei Kangerlussuaq, dem früheren Söndre Strömfjord, ausgesetzt. Bald hatte sich dabei herausgestellt, dass sie hier außergewöhnlich gute Lebensbedingungen vorfanden.

In Kangerlussuaq wird das Klima von mehreren für die Moschusochsen wichtigen Faktoren beeinflusst. Eine Barriere von Bergen mit mächtigen Eiskappen im Südwesten, die Sukkertoppeiskappe, bietet Schutz vor Niederschlägen, und es bildet sich somit ein trockenes Klima mit nur 150 Millimeter Niederschlag pro Jahr und großen Temperaturunterschieden vom Sommer zum Winter mit einer Durchschnittstemperatur von etwa 10 Grad Celsius im Juli.

Für die Moschusochsen ist ebenfalls entscheidend, dass im Winter regelmäßig starke Föhnwinde vom Inlandeis herunterwehen, die Schneeschicht von normalerweise etwa 50 Zentimetern zum Abschmelzen bringen oder einfach wegblasen.

Der Umstand, dass die reichliche Vegetation im Winter selten oder niemals von Schnee oder, noch wichtiger, von Eis total abgedeckt oder diese Decke nur sehr dünn ist, ist wahrscheinlich die Hauptursache für den Erfolg der Moschusochsen im Gebiet von Kangerlussuaq. Dass es hingegen im Winter bis zu minus 50 Grad Celsius kalt wird, stört sie hingegegen nicht.

Die Decke mit den langen, schwarzen Außenhaaren hält Wind und Schnee ab, während die feine weiche Innenwolle – grönländisch: Qiviut – so dicht und warm ist, dass die sonst tödliche Kälte nicht durchdringen kann.

Auch der besondere genetische Aufbau des Blutes, das Sauerstoff bei extremen Temperaturen aufnehmen und abgeben kann, zeigt, wie gut dieses Wild an die arktischen Verhältnisse angepasst ist.

Hinsichtlich der harschen arktischen Bedingungen zeigt der Moschusochse ebenfalls eine große Flexibilität in der Anpassung an die vorhandene Äsung. In Kangerlussuaq machen verschiedene grasartige Pflanzen die Hauptnahrung aus. Besonders wichtig dabei ist das sogenannte Knubbelgras (Kobresia myosuroides), dessen trockenes Stroh im Winter zu 90 Prozent die Hauptnahrung ausmacht. Der sehr große Pansen des Moschusochsen (bis zu 60 Liter) setzt das Wild in die Lage, genügend Nährstoffe aus dem Gras herauszuziehen.

Sie überstehen den sieben- bis achtmonatigen Winter, ohne viel an Kondition oder Gewicht zu verlieren.

Der Pansen des grönländischen Rentieres – Rangifer tarandus groenlandicus -, das zusammen mit den Moschusochsen in Kangerlussuaq lebt, ist viel kleiner und kann das Gras nur schlecht mittels bakterieller Umsetzung nutzen.

Im Gegensatz zu den Moschusochsen sind die Rentiere deshalb im Winter sehr abhängig von der Rentierflechte, und ihre Bestände brechen bei Überweidung in einem bestimmten Zyklus zusammen.

Die nach Süden exponierten Berghänge, wo das Gras besonders häufig ist und die ersten eiweißhaltigen Keimlinge zu erwarten sind, sind die günstigsten Nahrungsgebiete im Frühjahr und damit gleichzeitig auch die besten Jagdgebiete.

Der natürliche Feind des Moschusochsen ist der Polarwolf (Canis lupus), der aber die Eisbarrieren im Nordwesten und Südosten Grönlands ebenfalls nicht überschritten hat und den es deshalb in Westgrönland nicht gibt.

Trotzdem wird man bei der Jagd erleben, wie die Herde, insbesondere bei Anwesenheit von Kälbern, eher eine sogenannte Wagenburg formiert, als dass sie flieht. Dies ist ursprünglich die beste Verteidigung gegen Wölfe, vor denen zu fliehen sinnlos wäre.

Die günstigen Verhältnisse in Kangerlussuaq haben zur Folge, dass der Bestand schon 1983 auf ungefähr 700 Stücke angewachsen war. Seit 1990 zählt der Bestand in dem 6 600 Quadratkilometer großen Gebiet – Angujaartorfiup Nunaa – etwa 3 000 bis 4 000 Stück. Im Zentrum davon liegt das Jagdgebiet von Mathias, in dem es mehr, stellenweise viel mehr als einen Ochsen pro Quadratkilometer gibt.

Dieses ist die höchste angegebene Bestandsdichte für freilebende Moschusochsen in der Welt.

Die Population hat einen extremen Zuwachs von ungefähr 30 Prozent jährlich. Jeden Mai werden viele Kälber geboren. Alle Altersgruppen von Moschusochsen haben bisher eine sehr niedrige natürliche Mortalität.

Kälber und Jungtiere entwickeln sich rasch. Schon zweijährige Kühe können Kälber setzen, und Zwillingsgeburten sind nicht unbedingt selten.

Letzteres geschieht äußerst selten unter hocharktischen Lebensbedingungen. Das SCI-Rekordbuch nennt bei den hocharktischen Moschusochsen der Nordwest-Territorien nur eine Reproduktionsrate von einem Kalb alle zwölf Jahre (bei der dann noch erwähnten hohen Sterblichkeit darf das aber stark bezweifelt werden).
Trophäenochsen in Angujaartorfiup Nunaa können ein Gewicht von über 350 Kilogramm erreichen mit einer typischen Hornlänge von 55 bis 60 und einer Helmbreite von 25 bis 30 Zentimeter.

Je jünger die Moschusochsen sind, desto längere Hörner – bei geringerer Breite des Helmes – haben sie.

Man sollte sich diese erstaunliche Bestandsdichte selbst ansehen, um es glauben zu können. Allerdings braucht man sich auch nicht lange im Jagdgebiet aufzuhalten, um die massive Einwirkung der Moschusochsen auf die Natur festzustellen.

Gras und Weidengebüsch ist fast überall abgeäst, die Menge an Losung ist überwältigend. An vielen Stellen wird die Landschaft von Moschuswechseln durchschnitten, und häufig findet man in Weiden- oder Birkengebüsch Brunftgruben, die von den Bullen während ihrer erstaunlichen Brunftkämpfe angelegt worden sind.

Als Untersuchungen die ersten Zeichen von Überweidung zeigten, hat die grönländische Wildverwaltung versuchsweise seit 1988 die Jagd empfohlen, um den Bestand zu kontrollieren. Im Moment werden ungefähr 500 bis 600 Moschusochsen pro Jahr erlegt, die meisten von grönländischen Berufsjägern aus den zwei anliegenden Gemeinden Sisimiut (Holsteinborg) im Nordwesten und Maniitsoq (Sukkertoppen) im Südwesten.

Mit ein Grund für die Ansiedlung von Moschusochsen in dieser relativ bevölkerungsreichen Gegend war die Überlegung dänischer Biologen, die Einwohner mit Fleisch zu versorgen.

Kommerzielle Jagd findet im Sommer mit Boot und per pedes statt, während die Winterjagd mit Hundeschlitten (Jäger aus Sisimiut) und Schneemobilen (Jäger aus Manitsoq) betrieben wird.

Die Jagd mit Schneemobilen im Frühjahr, wenn die Kühe hochbeschlagen sind, wird äußerst kontrovers diskutiert und sollte nach Meinung der Jäger aus Sisimiut verboten werden. 40 Bullen, die älter als fünf Jahre sein müssen, werden jährlich für die Trophäenjagd freigegeben. Bei diesem Gesamtabschuss scheint der Bestand in guter Kondition zu bleiben.

Zum Beispiel haben die Trophäenbullen, die im März erlegt werden, der meist kritischen Zeit für die Moschusochsen, immer noch hinter dem Helm vier bis fünf Zentimeter dick Feist unter der Decke, und im Knochenmark läßt sich immer noch Fett nachweisen.

Wenn Gastjäger sich plötzlich in der Situation befinden, ihren ersten Moschusbullen im Visier zu haben, entsteht oft ein Moment der Unsicherheit: Wohin soll man zielen? Im Jagdfieber erscheint einem der Bulle plötzlich als ein riesiges Wollknäuel, bei dem es kaum klar ist, wo vorn oder hinten ist und das Blatt nicht, wie bei einem Hirsch, eindeutig im Körper auszumachen ist.

Außerdem ist der Moschusochse ein unglaublich hartes Wild, bei dem die wolligen Haare, zusammen mit einer zähen, sehnenartigen Decke, viel mehr von der Durchschlagskraft des Geschosses absorbieren, als man glauben mag.

Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass selbst erfahrene Jäger oft mehrere Schüsse brauchen, und dass mehr Zeit vergeht, als es wünschenswert ist, bevor nicht sauber getroffene Moschusochsen verenden.

Dieses stört mich als Mensch und als grönländischer Experte für den Ökotourismus, der grundsätzlich der Jagd positiv gegenüber steht, weil gerade diese Trophäenjagd fast alle Voraussetzungen für eine umweltverträgliche Nutzung des Wildes im Sinne des Ökotourismus erfüllt: Das Geld bleibt in Grönland, die lokalen Jagdführer werden gut daran verdienen können, der Bestand verträgt es, Trophäenjäger auf der Jagd mit Mathias werden über Natur und Kultur Grönlands vieles lernen können, und dazu wird das Ganze auf eine umweltfreundliche und ethische Weise abgewickelt.

Man könnte die Trophäenjagd Jahr für Jahr wiederholen, ohne dass man Auswirkungen im Gelände bemerken würde. Die Mehrzahl derjenigen, die für Ökotourismus plädieren, schließen aus ethischen Gründen die Jagd einfach aus – für mich hingegen ist es eine Frage, ob der Bestand die Jagd ertragen kann, wie der Transport organisiert wird, und ob die Jäger es vermeiden, ihre Zigarettenfilter, Patronenhülsen und andere verschmutzende Sachen dazulassen.

Ich glaube, alle mit der Trophäenjagd befassten Jäger haben selbst ein Interesse daran, das Leiden von Wild zu vermeiden. Ein gründliches Studium der Anatomie ist wichtig.

Dieses sollte optimal beim Probeschießen im realistischen Schussabstand auf ein Modell in realer Größe eingeübt werden. Es gibt eine Diskussion darüber, mit welcher Waffe und Munition der Gastjäger ausgerüstet sein sollte.

Die grönländischen Berufsjäger erlegen bei der Fleischjagd die Moschusochsen mit einem verhältnismäßig kleinkalibrigen Vollmantelgeschoss in den Nacken.

Da bei der Trophäenjagd so die Gefahr der Beschädigung der Trophäe besteht, wird hierbei der Schuß auf das Blatt mit einem Teilmantelgeschoss eines möglichst großen Kalibers (9mm und mehr) gewünscht.

Der Autor Jeppe Mordhorst ist Mitarbeiter am Dansk Polar Center in Kopenhagen

Foto: Dr. Günter Klatt

Hansgeorg Arndt

ANZEIGEAboangebot