„Der Realität von Menschen, die mit Löwen leben, muss man Rechnung tragen“
Löwenschutz und nachhaltige Nutzung durch Jagd schließen sich nicht aus. Trotzdem sorgt die Erlegung einzelner Löwen immer wieder für medialen Aufruhr. Dr. Chris Brown, Geschäftsführer der Namibischen Umweltkammer erklärt im Interview mit CIC und DJV, welche Effekte die Jagd auf Löwen für deren Fortbestand hat.
Ob Löwe „Cecil“ oder „Mia und der weiße Löwe“: Die Bejagung von Löwen löst oft kontroverse Diskussionen um die Jagd und ihren Einfluss auf Wildbestände aus. Doch diese von hoher Emotionalität getriebenen Diskussionen tragen den Menschen, die mit Löwen oder anderen Großraubtieren leben müssen, selten Rechnung. Dr. Chris Brown, Geschäftsführer der Namibischen Umweltkammer und langjähriger Experte im Umgang mit Wildtieren, fordert eine Rückkehr zu mehr Pragmatismus. Der Internationale Rat zur Erhaltung des Wildes und der Jagd (CIC) und der Deutsche Jagdverband (DJV) klären mit dem Nichtjäger und Artenschützer Dr. Brown die Frage, wie sich realer Löwenschutz und nachhaltige Jagd ergänzen.
„Aus Naturschutz-Sicht gibt es keinen guten Grund, warum Löwenbestände nicht wie anderes Wild auch reduziert oder bewirtschaftet werden sollten“, sagt Dr. Chris Brown, Geschäftsführer der Namibischen Umweltkammer. (Quelle: DJV)
CIC/DJV: Dr. Brown, spricht aus Ihrer Sicht etwas gegen die nachhaltige Nutzung von Löwen?
Dr. Chris Brown: Namibia beherbergt aktuell einen Bestand von ungefähr 800 Löwen. Zwischen 450 und 500 Löwen leben im Etosha Nationalpark. Damit ist die Menge an Löwen, die Etosha verträgt, erreicht. Auch die anderen Nationalparke wie Bwabwata, Khaudum, die Skelettküste, Mudumu oder Nkasa Rupara haben Löwen, der Überschuss in Etosha ist also ein nationaler Überschuss. Wir haben keinen Platz mehr um sie umzusiedeln. Zirka 40 bis 60 Junglöwen wandern jährlich aus dem Park ab und suchen sich neue Territorien. Diese Territorien liegen üblicherweise auf privatem oder kommunalen Farmland. Damit sind Konflikte vorprogrammiert: Viehzucht und Löwen sind nicht kompatibel. Wenn Situationen entstehen, in denen Löwenbestände auf ein kritisches Niveau anwachsen und die Zahl ihrer natürlichen Beutetiere beispielsweise durch Dürre sinkt, dann wenden sich Löwen dem Vieh zu und die lokalen Kommunen sind verständlicherweise aufgebracht. Sie wollen Maßnahmen zum Schutz ihres Viehs sehen oder sie nehmen die Dinge selber in die Hand. Sie schießen oder legen vergiftete Köder aus um die Löwen loszuwerden. Werden aber einzelne Löwen zum Schutz von Vieh im Zuge regulierter Jagd erlegt, erfolgt das selektiv und hat auf den Gesamtbestand keinen Einfluss. Aus Naturschutz-Sicht gibt es keinen guten Grund, warum Löwenbestände nicht wie anderes Wild auch reduziert oder bewirtschaftet werden sollten. Der Realität von Menschen, die mit Löwen leben, muss man Rechnung tragen.
Was hat Wildtierbewirtschaftung mit Löwenschutz zu tun?
Löwenpopulationen schwanken stark, denn sie sind abhängig von ihrer Beute, deren Bestände an Regenzyklen gekoppelt sind. Praktischer Löwenschutz besteht also primär darin, dass genug Beute vorgehalten wird. Das Leben der Farmer, die von Viehhaltung leben, wird wegen sinkender Rindfleischpreise, Verbuschung, schlechter Regenjahre immer schwieriger: immer mehr Farmer entscheiden sich deswegen, Viehhaltung zumindest mit Wildtierbewirtschaftung zu kombinieren.
Namibia beherbergt aktuell einen Bestand von ungefähr 800 Löwen. Zwischen 450 und 500 Löwen leben im Etosha Nationalpark. (Quelle: Meinert-Vinjevold/CIC/DJV)
Das wiederum bedeutet mehr natürliche Beute für den Löwen. Er wird neben Leopard und Gepard zum Profiteur einer wechselnden Landnutzungsform. Bei der Wildtierbewirtschaftung ist der benachbarte Nationalpark plötzlich kein Feind mehr, dem die Raubtiere entlaufen, sondern er wird zum Freund, der Vermarktungsmöglichkeiten eröffnet: Jagd, Tourismus bis hin zur Lebendvermarktung überzähliger, wertvoller Wildtiere. Die Jagd in Namibia entnimmt weniger als 1 Prozent des gesamten Wildtierbestandes – bei jährlichen Zuwächsen von 35 Prozent je nach Wildart. Unser Wildtiermanagement muss sich auf Grundlage von Regenfällen und Vegetationszustand ausrichten, eine Nichtkontrolle der Wildbestände würde zu langfristigen Schäden an der Vegetation führen. Damit bleibt für alle genug: Fotomotive für den Tourismus, Fleisch für die Eigennutzung und zum Verkauf, Trophäen für die Gastjäger und in einigen Gebieten Beute für den Löwen und andere Raubtiere.
Wo liegen Ihrer Meinung nach die Herausforderungen im Löwenschutz in Namibia?
Außerhalb von Etosha lebt eine schwankende Löwenpopulation in der Region Kunene, deren Bestand seit den 1980er Jahren von 20, 30 Tieren auf etwa 140 Tiere angewachsen ist. Diese an die Wüste angepassten Löwen sind aus ökologischer, wissenschaftlicher und naturschützerischer Sicht faszinierend. Sie haben einen hohen touristischen Wert, der in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Für das langfristige Überleben dieser Population ist es wichtig, dass der Korridor für den genetischen Austausch mit den Etosha-Löwen offen bleibt. In Dürrezeiten, wie wir sie derzeit erleben, sinkt die Anzahl von potenziellem Beutewild deutlich. Die Löwenpopulation nimmt dann auch ab, entweder durch Verhungern oder durch Verfolgung durch Bauern, wenn Nutz- und Haustiere zur Beute werden. Die Populationsdynamik von Löwen ist darauf eingestellt, schnell auf diese Boom-and-Bust-Situationen zu reagieren. Löwen können sich unter guten Bedingungen sehr schnell vermehren und ihre Population kann in einigen Jahren wieder zunehmen. Die Schwankungen der Löwenpopulation ist daher an sich kein Grund zur Sorge. Damit die Löwen der Kunene-Skelettküste jedoch trotz diese Zyklen überleben können, müssen sie die Verbindung zur Etosha-Population halten. Dazu muss aber die Toleranz der Farmer für eine gewisse Zahl an Löwen erhalten bleiben.
Wie kann das gelingen?
Das gelingt uns nur, wenn wir akzeptieren, dass die Koexistenz mit Löwen für die Menschen eine echte Herausforderung darstellt und wir dafür sorgen, dass Nutz- und Haustierrisse auf ein Minimum reduziert werden. Nutztierrisse müssen anerkannt werden, die Halter müssen unterstützt werden und es müssen Mechanismen entwickelt werden, um Tiere besser zu schützen. Es müssen Frühwarnsysteme für Löwen in der Region etabliert und Kosten ausgeglichen werden. Zudem bieten Wildtiere den Landbesitzern und Pächtern eine bessere Rendite als Nutztiere, zumal die Trockenheit durch den Klimawandel immer gravierender wird. Dies erfordert parallele Ansätze: Erstens, den Schutz des Viehbestands vor Löwenraub durch den Bau stabiler Pferche für die nächtliche Unterbringung zu unterstützen, und zweitens, Einkommen aus Löwen zu generieren, damit die Bauern einen Wert darin sehen, diese Großraubtiere auf ihrem Land zu dulden. Sowohl der Tourismus als auch die Jagd schaffen Einkommen für die lokalen Gemeinschaften, während die Jagd die zusätzliche Rolle spielt, die Löwenpopulationen auf einem Niveau zu halten, das von den Bauern toleriert werden kann, und die Entnahme von Problemlöwen, die sich auf Vieh spezialisiert haben. Einnahmen, die aus der Wildtierbewirtschaftung entstehen, müssen an die Farmer gehen, die das größte Risiko tragen. Sie müssen ihre Verluste ausgleichen können.
Was sagen Sie den Menschen, die beispielsweise empört über den Tod von Cecil sind?
Ein integriertes Tier- und Wildmanagement erfordert ein Verständnis der Ökologie und der evolutionären Bedingungen. Die meisten Menschen, die in städtischen Umgebungen leben und sich über die Reduktion eines Löwenbestandes oder die Erlegung eines einzelnen „Cecil“ empören, verstehen diese Bedingungen nicht. Diese Bedingungen werden auch von einigen Möchtegern-Naturschutzorganisationen, die sich selbst als Meister des Löwenschutzes darstellen, nicht verstanden. Das mag für die populistische Social-Media-Mühle gut sein, aber es ist nicht gut für den langfristigen Löwenschutz.
PM DJV/CIC