Am Russels Gletscher: Karibu-Jagd auf Grönland

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Zum ersten Mal nach mehr als 20 Jahren durften Karibus auf Grönland wieder von Jagdgästen bejagt werden. Und die erste Testjagd im August 2001 war ein voller Erfolg

Grönland
Auf einem Sattel zwischen zwei tiefblauen Seen stand unser Jagdcamp.

Von Ulrich Schmitz
Die Vorgeschichte: Juli 1998. Mein Sohn Björn, meine Frau Andrea und ich brachen auf nach Grönland, der größten Insel der Welt, um Moschusochsen zu jagen.

Wenn man sich auf solch relativ unbekanntes jagdliches Terrain nördlich des Polarkreises begibt, mit für Mitteleuropäer doch recht ungewohntem Klima, sind die Gefühle eher gemischt.

Was sich uns allerdings schon während des Fluges und erst recht nach der Landung in Kangerlussuaq bot, war atemberaubend. Wir trafen nicht nur eine überaus kameradschaftliche Gruppe von fünf anderen Jägern an, sondern auch unsere Veranstalter, Malene und Mathias mit ihren Kindern und Jagdführern überzeugten in jeder Beziehung durch ihr Know-how.

Deswegen konnten alle sicherlich eine der aufregendsten Wochen ihres Lebens auf Grönland verbringen und die jagdlichen Träume bei der Jagd auf den Moschusochsen hinlänglich erfüllt werden.

Unsere täglichen, ausgedehnten Pirschgänge durch die Tundra brachten dabei nicht nur Moschusochsen in Anblick, sondern sehr häufig auch Karibus.

Zahlreiche Abwurfstangen wurden gefunden, und es kam die Frage auf, ob die Karibus nicht auch für uns bejagbar wären. Malene erklärte uns, dass eine Bejagung durch Nichtgrönländer zur Zeit nicht zugelassen sei.

Die Bestände des Grönland-Karibus seien aufgrund schwieriger klimatischer Verhältnisse sowie des enormen Zuwachses der Moschusochsen sehr großen Schwankungen unterlegen und seit Jahren rückläufig.

Die letzten Lizenzvergaben an Nichtgrönländer lägen ihres Wissens nach schon mehr als 20 Jahre zurück. Auf unabsehbare Zeit sei die Karibujagd ausschließlich den Inuit vorbehalten.

Sie versprach mir aber, sich nochmals kundig zu machen und sobald sich eine Chance ergäbe, mich zu benachrichtigen. Doch mit der Zeit schwand die Hoffnung…

Juli 2001. Nachricht aus Grönland! Malene teilte mit, dass die grönländische Wildschutzbehörde nach neuesten Erkenntnissen eine Zunahme, in Gebieten mit geringem oder fehlendem Moschusbestand sogar eine Überpopulation der Karibus festgestellt habe.

Ihrem nunmehr drei Jahre laufenden Antrag, mit Gästen zu jagen, wäre erstmalig für dieses Jahr stattgegeben worden. Sie erhielt fünf Ausländerlizenzen für eine Testjagd, die allerdings von der Behörde auf die Zeit vom 15. August bis 10. September terminiert wurde.

Malene fragte an, ob ich in der Lage sei, eine entsprechende Gruppe zusammenzustellen, mit der man solch eine Testjagd durchführen könne.

Aber bekanntlich ist es in der Hektik der heutigen Zeit meist nicht einfach, binnen weniger Tage, und zudem in den Sommermonaten, fünf Personen unter einen Hut zu bringen. Ein Anruf bei Peter und Bernhard in Baden-Württemberg, zwei Mitglieder der „Moschustruppe“ vom Juli 1998 und somit auch grönlandbewährt, genügte, um zwei hocherfreute und spontane Zusagen zu erhalten.

Ein darauffolgendes Jagdwochenende diente dazu, um Andreas, meinen Freund und Jagdnachbarn aus dem Rothaargebirge, davon zu überzeugen, dass eine Karibujagd in der Tundra unbedingt nötig ist. Der fehlende fünfte Mann, Frank, wurde noch kurzerhand von Peter und Bernhard engagiert, meine Frau als nichtjagende Begleitung rekrutiert, und schon war die Gruppe komplett.

Alle waren ab 15. August für einige Tage abkömmlich. Noch immer ist Westgrönland nur von Kopenhagen aus mit der SAS oder Groenlandsair zu erreichen.

Die meisten Flüge waren ausgebucht; Grönland versucht seine wirtschaftliche Autonomie vom Mutterland Dänemark durch einen sanften Tourismus zu fördern. Könnte die jährliche Zahl an Besuchern von derzeit 6 000 bis 8 000 in den nächsten Jahren etwa verdoppelt werden, würde jeder der etwa 55 000 Grönländer direkt oder indirekt von dieser Einnahmequelle profitieren.

Da diese Tourismus-Förderung zumindest ansatzweise zu fruchten beginnt, hatte Malene zunächst Schwierigkeiten, die entsprechenden Flüge zu buchen, doch letztendlich gelang es ihr, einen Flug am 16. August ab Kopenhagen zu bekommen.

In der Zwischenzeit beratschlagten wir über unsere Ausrüstung, wobei uns die Erfahrung bei der Moschusochsenjagd im Sommer vor drei Jahren zugute kam, und so entschlossen wir uns für eine ähnliche. Wir arbeiteten wieder nach dem „Zwiebelschalenprinzip“, das heißt, besser mehrere dünne Schichten übereinander, als eine zu warme, dicke Bekleidung.

Durch lange Pirschgänge schwitzt man sehr schnell. Man sollte aber dennoch bedenken, dass der August in Westgrönland mit einer Durchschnittstemperatur von nur rund sechs Grad Celsius durchaus kalt sein kann und eher als arktischer Herbstmonat bezeichnet werden muss.

Für diese Temperaturen sollte auch der mitgeführte Schlafsack ausreichen. Ein gutes Mückennetz, Hut und eine Sonnenbrille für Besuche auf dem Inlandeis sind obligatorisch. Bestens eingelaufene Schuhe, ein leichter Regenschutz und Sonnencreme ergänzen das Notwendige.

Wir haben uns für die Kaliber 7 oder 8mm entschlossen, dabei aber auf nicht zu leichte Laborierungen (ab 9,7 Gramm aufwärts) zurückgegriffen.

Wegen des ständig vom Inlandeis kommenden Windes und in Erwartung auch weiter Schüsse hielten wir das für sinnvoll. Nachdem Malene uns zum Abschluss der Vorbereitungen noch einige Formulare zur Waffeneinfuhr zusandte, konnte die Reise beginnen.

Termingerecht traf die Gruppe in Kopenhagen ein. Die Formalitäten waren schnell und problemlos erledigt, und ein ruhiger Flug mit bestem Service der Groenlandsair brachte uns in viereinhalb Stunden nach Kangerlussuaq, der ehemaligen amerikanischen Airbase auf Grönland.

Durch die Zeitverschiebung von vier Stunden war es nun erst elf Uhr vormittags, bestes Sonnenwetter bei acht Grad Celsius, und der ganze Tag lag noch vor uns.

Im Flughafengebäude warteten schon unsere Gastgeber: Malene und Mathias mit ihrem jüngsten Sohn, Mathias Bruder Karl und Lars, ein ausgezeichneter Jäger aus dem Norden Grönlands, der uns schon von der Moschusjagd in bester Erinnerung geblieben ist.

Lars hat übrigens im Frühjahr 2001 zwei starke Eisbären in Nordgrönland erlegt! Last but not least, lernten wir noch unseren guten Geist und Koch unseres Camps kennen. Es war also an alles gedacht, und es standen somit für fünf Jäger drei Jagdführer zur Verfügung.

Die Begrüßung war herzlich, und wir hatten noch eine Stunde Zeit, um eventuelle Einkäufe persönlicher Art tätigen zu können, denn Geschäfte sucht man in der Tundra vergebens. Entgegen unserer ursprünglichen Planung, mit Schlauchbooten über einen Gletscherfluss in mehrstündiger Fahrt das Jagdgebiet zu erreichen, überraschte uns Malene mit einer Änderung.

Fotos: Ulrich Schmitz

Teil 2

Obwohl normalerweise in Grönland außerhalb der Ortschaften keine Straßen zu finden sind, gibt es nunmehr seit zwei Jahren von Kangerlussuaq aus eine schmale Schotterpiste in Richtung Inlandeis, die unser Jagdgebiet tangiert.

Diese Schotterpiste, die direkt zum Russells-Gletscher führt, wurde angelegt, damit ein namhafter europäischer Autohersteller seine neuen Modelle zum Inlandeis transportieren kann.

Die Firma hat ab Gletscherkante zusätzlich noch die Trasse 120 Kilometer weiter aufs Eis hinausgeführt und testet jetzt das Winterfahrverhalten ihrer Fahrzeuge ganzjährig unter Extrembedingungen. Diese Piste durften wir benutzen. Man hatte schon drei Geländewagen geordert, und dann ging es in knapp einstündiger Fahrt über den Schotter Richtung Jagdgebiet.

Die Fahrer hatten selbst bei langsamer Fahrweise Mühe, in Kurven oder abschüssigen Passagen den Rolleffekt auf den losen Steinen zu verhindern.

Gerade aber unsere beiden „Grönlandneulinge“ bekamen einen ersten Eindruck von der Wildheit der grönländischen Tundra mit tosenden Wasserfällen und reißenden Stromschnellen.

Vereinzelte kamen schon Moschusochsen und Karibus in Anblick. Als eine traumhafte Höhenpassage an einem riesig großen See den ersten Blick auf den Russells-Gletscher freigab, wurde gehalten, um dieses einzigartige Panorama in Ruhe bewundern zu können.

Spätestens dort waren sich alle bewusst, welch großartige Erlebnisse uns in den nächsten Tagen vergönnt sein sollten.

Nach weiteren Kilometern durch ständig wechselnde Berglandschaften war unser Ziel erreicht. Die Autos wurden abgeladen und das Gepäck zu einem kleinen See gebracht, an dessen Ufer schon ein Schlauchboot lag.

Jenseits dieses kleinen Sees lag hinter einer Anhöhe unser Camp, von uns noch nicht einsehbar und wiederum am Ufer eines großen Sees, der weit ins Jagdgebiet hereinreicht.

Jeder Jäger erhielt ein gutes und geräumiges Zwei-Mann-Zelt für sich. Ein sauberes, großes Tipizelt diente als Küche. Alles in allem ein ziemlich komfortables „Hotel“.

Nach dem Auspacken wurde geplant. Mathias schlug vor, den Nachmittag dazu zu nutzen, um mit der gesamten Gruppe eine Erkundungstour durchs Jagdgebiet zu unternehmen. Erstens um zu sehen, was los ist und zweitens, damit sich jeder ein Bild vom Gelände und der Jagdart machen konnte.

Schnell wurde noch die Reihenfolge der Schützen ausgelost und ab gings zu Fuß in die Berge. Keiner hatte damit gerechnet, schon am ersten Tag so viele Karibus zu sehen. Wir trafen zwar nicht so riesige Herden wie in Nordamerika an, aber zahlreiche Trupps von Kühen, Kälbern und jungen Bullen. Alte Bullen, allein oder mit Adjutant, sahen wir auf mehr oder minder große Distanzen.

Karibus vernehmen und winden hervorragend und stehen dabei unserem heimischen Rotwild in nichts nach. Wenn die Karibus den Jäger nur erahnen, ohne direkten Wind zu bekommen, springen sie ab, verhoffen aber nach einer Strecke von etwa 100 Metern wieder, um neugierig wie Dam- oder Muffelwild zur Quelle der Unsicherheit zu sichern.

Leider verhoffen die Stücke dabei nicht breit, sondern drehen sich, egal aus welcher Position heraus, immer spitz auf den Jäger zu. Nach rund einer Stunde kamen wir dann auch schussgerecht an einen reifen Bullen heran, den wir dann aber durch technische Probleme des Gewehrs von Frank unbehelligt ziehen lassen mussten.

Die Wildpretgewichte der reifen Bullen schienen bei 100 bis 150 Kilogramm zu liegen, und die Jagd erinnert stark ans schottische Highland-Stalking, nur mit anderem Panorama.

Mathias erzählte uns, dass in diesem Jahr in Grönland etwa 24 000 Karibus erlegt werden sollen, allerdings beinhaltet diese Zahl auch Abschüsse der auf der Südspitze Grönlands halbdomestizierten Bestände.

Nach dem Essen sanken die Temperaturen, und es setzte auch ein leichter Nieselregen ein. Wir haben Andreas nicht beneidet, der gefragt wurde, ob er noch Lust habe, mit dem Schlauchboot den See zu befahren und mit zwei Jagdführern die Berghänge nach einem passenden Bullen abzuleuchten und eventuell anzupirschen.

Als das Außenbordergeräusch schwächer wurde, zeigte sich doch die Müdigkeit durch die Anreise und den mehrstündigen, nachmittäglichen Pirschgang, worauf alle im Camp Verbliebenen es vorzogen, die Schlafsäcke aufzusuchen.

Am Morgen wachte ich so gegen vier Uhr auf und plante, bis zum Frühstück etwas zu angeln. Als ich hinaustrat, lag vor Andreas´ Zelt das Haupt eines Grönland-Karibus.

Also hatte es am Abend doch noch geklappt. Sie hatten vom Boot aus den Bullen gesichtet, der dann jedoch über den nächsten Grat verschwunden war. Sie hatten das Schlauchboot angelandet und waren hinterher gepirscht.

Auf dem Grat angekommen, hatten sie den Bullen unter Wind in einer dahinterliegenden Senke ausgemacht. Beim Anrobben hatte er dann doch wohl etwas bemerkt und sich spitz in Richtung der vermeintlichen Gefahr gestellt. Die nahe Distanz von etwa 40 Metern hatte einen Schuss auf den Stich zugelassen, der Bulle war sofort verendet (.30-06, 9,7 Gramm-Geschoss).

Nach dem Frühstück teilten wir uns in zwei Gruppen auf, die nacheinander mit dem Schlauchboot in zwei unterschiedliche, weit auseinandergelegene Gebiete transportiert wurden. In der einen Gruppe befanden sich Peter und Bernhard, die zusammen eine Büchse benutzten, mit ihren Führern Karl und Lars, die andere Gruppe bildeten Malene und Mathias mit Sohn, meine Frau und als Jäger Frank und ich.

Nachdem von den Höhen aus alte Bullen bestätigt waren, entschieden wir uns für einen, den Mathias als reif ansprach. Der Bulle zog von uns fort in eine steile und zerklüftete Bergregion. Mathias und Frank pirschten hinterher; wir anderen blieben zurück.

Hinter dem Grad fanden sie den Bullen in einer kleinen, engen Schlucht. Der Bulle bemerkte die Jäger sofort und versuchte, über die steile Flanke der Schlucht in Richtung der Jäger zu entkommen. Steil von oben herab, gelang Frank der Schuss ( 8×68 S) auf kürzeste Distanz, und der Bulle fiel wie ein Gamsbock rückwärts die Felsen hinunter.

Die Freude war groß, und es wurden viele Fotos gemacht. Das Versorgen ging schnell von der Hand, und beim Rücktransport zum See ließ Mathias es sich nicht nehmen, das komplette Wildpret, auf Inuitart mit dem Stirnband am Kopf , allein zu tragen.

Am Seeufer angekommen, hatten wir dann noch etwa eine Stunde Zeit, bis das Schlauchboot in Sicht kam, um uns abzuholen. In der anderen Gruppe hatte Peter Waidmannsheil an diesen Vormittag und konnte gleichermaßen einen starken, reifen Bullen erlegen.

Die Distanz zwischen den Gruppen war so groß, dass wir seinen Schuss nicht wahrnehmen konnten. Somit waren drei Jäger schon an zwei Tagen zu Schuss gekommen.

Die Rückfahrt über den See zum Lager und zum verdienten Mittagessen gestaltete sich entsprechend in ausgelassener Stimmung.

Nach einer nicht zu langen Mittagspause ging es wieder ins Boot. Peter und Bernhard bildeten trotz Peters Erfolg erneut eine Gruppe. Mathias, Malene, meine Frau und ich ließen uns an der Stelle, an der wir am Vormittag die Jagd beendet hatten, absetzen und planten einen den Nachmittag überdauernden Pirschgang von rund vier Stunden.

Wir sahen bei diesem Pirschgang sehr viele Karibus und überlegten mehrfach, ob ein Angehen sinnvoll sei, aber wir hatten ja noch soviel Zeit, und die Kondition reichte noch für einige Kilometer, sodass wir immer weiter gingen.

Wir genossen dabei die grandiose Natur und Landschaft der Tundra, verbrachten einen tollen Nachmittag und erreichten gegen Abend zu Fuß das Lager, mit vielen schönen Erinnerungen und einer Menge neu gewonnener Eindrücke der Bergwelt Grönlands, aber ohne Karibu.

Teil 3

Die andere Gruppe hingegegen war jagdlich erfolgreicher. Bernhard gelang es an diesem Nachmittag seinen Traum vom Grönlandkaribu Wirklichkeit werden zu lassen.

Am Abend wurde dieser erfolgreiche zweite Jagdtag mit einem ausgezeichneten Abendessen gekrönt und klang dann unter Zuhilfenahme von etwas mitgebrachtem Hochprozentigen in aller Beschaulichkeit aus.

Obwohl das Erlebte weiterhin den Geist beflügelte, verlangte der Körper doch nach wohlverdienter Ruhe. Bestens erholt begann für uns der dritte Jagdtag mit herrlichem Wetter. Der stetige Wind vom Eis legte sich und ließ die Temperatur ansteigen.

Nach dem Frühstück beschlossen wir, da nur noch ich als „Schneider“ übrig geblieben war, meine Vormittagspirsch in ein gänzlich anderes Gebiet zu verlegen, um sie mit der ganzen Gruppe mit einem Besuch auf dem Russells-Gletscher zu verbinden.

So marschierten wir wieder zur Schotterpiste zurück und bestiegen zwei Geländewagen. Wir fuhren etwa die halbe Strecke vom Lager bis zur Gletscherkante, als wir auf einem kleinen See mehrere Kanadagänse ausmachten.

Da wir schon im Vorfeld wussten, dass zu dieser Zeit auch die vorhandenen Niederwildarten Gänse, Polarfüchse, Schneehühner, Kolkraben und Schneehasen frei waren, führten wir einen kleinen Repetierer im Kaliber 22. Magnum mit.

Bernhard sollte aus der Deckung heraus die Gänse anpirschen, kam zwar auch hinter einem Hügel in Schussposition, nur leider sind Gänse sehr aufmerksam, und der Schoof strich davon.

Da wir uns in einer wunderschönen Gegend befanden, entschlossen wir uns, eine kleine Wanderung auf die Berge zu machen und von oben aus das nahe Panorama der Abbruchkante des Russells-Gletschers zu bewundern und eventuell das „Kalben“ (Abbrechen riesiger, tonnenschwerer Eisplatten vom Gletscher) zu beobachten.

Schnell war auch ein geeigneter Berg erstiegen, und das unwirklich anmutende Szenario lag vor uns. Ein Rundumblick zeigte aber links vom Gletscher in einer Flanke des nächstgelegenen Gebirgszuges vier Karibus.

Die Gläser wurden gezückt: Bei drei jungen Bullen stand ein Hochkapitaler. Ein direkter Weg dorthin war unmöglich, weil es von dem Gipfel, auf dem wir saßen, fast senkrecht in einen zwischen den Bergen liegenden See hinabging.

Der Bulle reizte jedoch, und wir, Mathias, Lars und ich entschlossen uns, die strapaziöse Tour zurück und um den Berg herum zu versuchen. Groß war die Freude der anderen, während unserer Pirsch auf dem schönen Berg lagernd, unsere Mühen von höchster Warte aus beobachten zu können.

Plötzlich entdeckte Lars zwei andere Bullen, und wurde ganz aufgeregt. Ein Bulle war zumindest genauso stark, wie der, den wir uns als Ziel gesucht hatten.

Mit gutem Wind erklommen wir einen 20 Meter hohen Felskegel, auf dem ein großer Stein lag. Von diesem Stein aus konnte man beide Bullen bestens ausmachen.

Nachdem sich die Atmung nach einigen Sekunden normalisiert hatte, entschloss ich mich zum Schuss. Der Bulle erhielt auf etwa 150 Meter die Kugel (7×64, 11,5 Gramm TIG ) halbspitz zwischen Blatt und Trägeransatz. Eine kurze Flucht, ein Drehen auf der Stelle, und er war verendet.

Ich konnte es gar nicht fassen, hatte ich mich doch schon auf eine anstrengende Pirsch eingestellt. Doch manchmal hat Diana ein Einsehen. Wir versorgten das Stück und hatten für die Fotos wohl einen der schönsten Hintergründe, die der Russells-Gletscher zu bieten hat.

Der Rest der Gruppe war somit um den Genuss gebracht worden, drei schwitzende Jäger gemütlich von hoher Zinne beobachten zu können. Sie hörten schon den Schuss, bevor sie uns in Anblick bekamen, und wussten, dass etwas passiert war.

Sie entschlossen sich, uns zu folgen, und wir trafen uns am gestreckten Bullen. Die Freude war riesig. Alle Jäger hatten innerhalb von drei Tagen Erfolg gehabt.

Nach einem kleinen Picknick und der Versorgung des Wildes fuhren wir weiter zur Gletscherkante. Wir gingen auch einige Meter auf das Inlandeis, ließen uns das frische Gletscherwasser schmecken und lauschten in die Stille des unendlichen Eises.

Ein Besuch auf dem Inlandeis ist jedem Grönlandreisenden dringend zu empfehlen.

Zum Abschluss füllten wir noch einen Plastikbeutel mit urzeitlichen Eisbrocken für unseren abendlichen Whisky. Zurück im Lager wurde aufgrund des anhaltend schönen Wetters zunächst einmal auf das Erlebte angestoßen und dann die Beutestücke weiter bearbeitet.

Die Trophäen wurden gesäubert und die Decken abgeschabt und gesalzen. So gestaltete sich der Nachmittag bei bester Laune, und nach dem Abendbrot stiegen wir noch zur Verdauung auf unseren „Hausberg“, eine hohe Kuppe gleich neben dem Lager.

Von dort oben hatten wir einen prachtvollen Blick über unseren See und das Jagdgebiet. Bernhard führte auch hier noch einmal die KK-Büchse, und es gelang ihm , einen Schneehasen zu erlegen.

In der darauffolgenden Nacht war zunächst nur das gewohnte Grollen der herabstürzenden Eismassen vom Gletscherrand zu hören.

Doch später wurden die Zeltwände heftig durchgeschüttelt und die wunderbar warm empfundene Temperatur ging rapide zurück. Am vierten Tag ließ der heftiger werdende Sturm nicht nach, aber wir wollten noch die Schädel in einem großen Topf auf einem Gaskocher abkochen.

Wir platzierten den Kocher in den Windschatten eines Zeltes, aber wegen der niedrigen Temperaturen und des starken Windes schafften wir es auch in fünf Stunden nicht, dass Wasser zum Kochen zu bringen.

So konnten unsere Trophäen allenfalls sieden, was aber wegen der guten Vorbehandlung durch unsere Guides vollkommen ausreichte.

Da der Wind noch heftiger wurde, verstärkte Mathias unsere Zeltböden mit einem Kranz aus Steinen, und die Nacht wurde sehr unruhig , weil der Sturm an unseren Behausungen zerrte.

Am Morgen des fünften Tages waren die Bergkuppen schon verschneit, und eine Aussicht auf Besserung der Wetterlage bestand nicht.

Wir beschlossen, das Lager zu verlassen und uns für die letzte Nacht in Kangerlussuaq einzuquartieren. Unseren Gastgebern war dies auch sehr recht, sie hatten doch somit einen ganzenTag länger Zeit, das Lager wieder abzubrechen und sich um Verbleib des Wildbrets und der Decken zu kümmern.

Die Decken werden im Winter als Auflagen für die Hundeschlitten verwendet und eignen sich zum Liegen auf kalten Böden besser als jede Iso-Matte.

Gegen Mittag hatten wir die Autos mit unserem Gepäck und den Trophäen erreicht. Nach einer Nacht in einem Wandererhotel in Barackenformat, aber mit excellenten, heißen Duschen und geheizten Zimmern mit weichen Betten, kehrten die Lebensgeister zurück. Malene und Mathias waren uns dann noch bei der Erledigung der Formalitäten behilflich und überraschten uns mit zwei riesigen Paketen, unseren Trophäen, die sie zusammengelegt und mit Plane, Schaumstoff und Packband gesichert hatten.

Sie sahen aus wie zwei monströse Kunstwerke der Pop Art, wurden von der Groenlandsair aber anstandslos und ohne Kosten für Übergepäck akzeptiert.

Der Abschied, mit viel Dank an unsere grönländischen Freunde im Herzen, fiel schwer. Der Wunsch nach einem Wiedersehen wurde bekräftigt, und der ist für alle von uns absolut ehrlich, wie die Natur und die Menschen von Grönland!

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