Dämme, Burgen, Umweltsorgen

1958


Nach dem Aussterben Mitte des 19. Jahrhunderts wurden 100 Jahre später Biber erfolgreich in Estland ausgewildert. Der Besatz war dann 30 Jahre geschont, aber Schadenshäufung machte eine kontrollierte Bejagung notwendig.

Von Hans Freiherr von Stackelberg

Hansgeorg Arndt

Ähnlich wie Bär, Elch und Wolf gehörte der Biber zu den Ureinwohnern des Estlands. Vor etwa 8.000 Jahren begann er sich in der Baltenrepublik  häuslich einzurichten, bevor er etwa gegen Mitte des 19. Jahrhunderts landesweit wieder verschwand.
Zum Überleben der Menschen trug nicht nur sein Wildbret und der wärmende Balg bei, sondern er war und ist heute wieder neben dem Menschen das einzige Lebewesen, das mit durchgreifenden Maßnahmen die Fähigkeit besitzt, Landschaften umzuformen und dadurch für sich, aber auch für andere Mitbewohner nutzbringend zu gestalten.
Ins Auge stechen die stabilen Dämme und die bei fehlenden höheren Uferböschungen an Stelle von Erdbauen kunstvoll angelegten Biberburgen mit Einfahrten unter Wasser und trockenen, hoch gelegenen Wohnkammern. Die Wasserbaumeister im Biberbalg verwandelten aber auch reißende Wildbäche in moorige Teichlandschaften oder gar in eine Kette von Seen.
Sie lichteten an Flussläufen vielfach die Wälder und erleichterten dadurch hier den Menschen die Besiedlung. Mit ihren Dämmen verwandelten sie weite Landstriche in seichte Seen mit günstigen Lebensbedingungen für Fische, Amphibien und Vögel, und sie „kultivierten“ langfristig auch Weideflächen für andere Tiere.
Drei Dinge wurden dem Biber letztlich dann auch in Estland zum Verhängnis. Es war zum einen sein besonders als Fastenspeise geschätztes Wildbret. Unglücklicherweise fiel nämlich genau die vorösterliche Fastenzeit in die Zeit seiner Fortpflanzung: ein echter Raubbau am Biber.
Der zweite Umstand ergab sich durch die in Mode gekommenen, teuer bezahlten Biberpelze, die gute Profite abwarfen. Der Hauptgrund seiner Bejagung (ohne geregelte Jagdzeit) war aber die Gewinnung von Heilmitteln aus dem Bibergeil. Das war heißbegehrt, denn man konnte es als antiseptisches Universalmittel einsetzen. Es basiert auf der Basis von Salicylsäure, das in der vom Biber so bevorzugten Weidenrinde vorhanden ist.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts musste man sich schließlich damit abfinden, dass der Biber durch permanente Überjagung in Estland ausgestorben war. Nach einer Pause von fast 100 Jahren wurden dann, um dem  Pelzhandel Aufschwung zu geben, Mitte des vergangenen Jahrhunderts neben Marderhund und Bisam aus dem russischen Raum stammende Biber im Südosten des Landes ausgewildert. Saubere Binnengewässer, naturbelassene Flüsse, große Sumpfgebiete sowie von Gestrüpp überwucherte Entwässerungsgräben stellten hier einen idealen Lebensraum dar.
Die Biber waren von der Jagd verschont, und nach der geglückten Eingewöhnungsphase kam es daher schon bald zu einer so starken Vermehrung, dass auch beträchtliche Schäden nicht ausbleiben konnten.
Sie leiteten mit dem Fällen vieler Bäume stellenweise Entwaldungsprozesse ein, gefällte Bäume stürzten in Stromleitungen und schnitten so ganze Landstriche vom Strom ab, sie unterhöhlten Straßen, bis sogar Lastwagen einbrachen. Nicht zuletzt sorgte der intensive Bau von massiven Dämmen an vielen Orten für verheerende Überflutungen großer, landwirtschaftlich genutzter Gebiete. Deshalb wurde 1985 der Biber landesweit wieder zur Bejagung freigegeben.
Der Biber ist ein Paradebeispiel für die nachhaltige Nutzung von nahezu 100 Prozent (von den jagdlichen Freuden ganz zu schweigen). Der Balg des Bibers hat besonders im Winter von seiner einst hochgeschätzten und fast unverwüstlichen Qualität nichts verloren. Schon vier Felle reichen für jeweils eine hervorragend wärmende Weste und Mütze aus.
Das delikate Wildbret eignet sich zum Räuchern, es kann zu Würsten, Hackfleisch bis hin zum Sonntagsbraten verarbeitet werden; die Reste sind als Hundefutter zugebrauchen. Das Bibergeil findet Abnehmer in der Parfümherstellung und im östlichen Raum immer noch als pharmazeutisches Basismittel. Auch im Gemüseanbau kann man die Jagdbeute nutzen: Estnische Jäger düngen in ihren Gärten mit dem Aufbruch.
Selbstverständlich möchte niemand die von Jägern und auch von vielen anderen Naturfreunden so lange vermissten Biber wieder aus Estland vertreiben. Aber ihre maßvolle und kontrollierte Bejagung ist hier, wo die Jagd noch als ein selbstverständlicher Teil in der gesellschaftlichen Aufgabenverteilung gesehen wird, inzwischen längst unumgänglich geworden. Die Jagd wird hier, neben der strikt durchgeführten Hege während der Aufzucht der Jungen, vom estnischen Jagdverband entsprechend propagiert.
Die Jagdstrecken hielten sich anfangs allerdings in Maßen. Das lag zu einem daran, dass die Nutzung der Beute bei den meisten Jägern unbekannt war. Man wusste mit dem Wildbret zuerst nichts anzufangen, auch der Pelzhandel hatte inzwischen dank „Grüner Politik“ große Einbußen erlitten, und Medikamente werden heute mehrheitlich synthetisch hergestellt.
Mit den rückläufigen Zahlen vieler Niederwildarten und steigenden Kosten bei der Hochwildjagd wuchs aber das Interesse an der Biberjagd. Auch das Wildbret erfreute sich später besonderer Beliebtheit, wobei man wissen muss, dass Biber, im Winter erlegt, kein so großer Leckerbissen ist. Die in den Wintermonaten aufgenommene Nahrung aus Baumrinde und Weichhölzern beeinträchtigt den Geschmack doch ein wenig.
Der Biberbesatz ist in Estland inzwischen auf 15.000 Stück angewachsen, und die Jahrestrecke betrug im Jagdjahr 2003/2004 mit deutlich zunehmender Tendenz 3.689 Biber. Das neue estnische Jagdgesetz sieht für die Bejagung des Bibers eine Jagdzeit vom 1. August bis zum 15. April vor. Gestattet ist die Fallenjagd und die Jagd mit Flinte oder Büchse. Für einzelne Jagdarten wie zum Beispiel die Fallenjagd oder die Jagd mit Hunden ist die Jagdzeit verkürzt.
Eine alte Weisheit sagt, dass ein Jäger, der erfolgreich jagen möchte, den Lebensrythmus und die Gewohnheiten des Wildes kennen muss, das er als Beute erstrebt. Gerade beim Biber ist diese Erkenntnis unabdingbar.
Es gibt zwei Perioden im Jahr, in denen Meister Bockert sogar tagaktiv wird: einmal im Spätwinter während der Paarungszeit (Februar und Anfang März) und wenn zugleich die Wintervorräte zu Ende gehen. Zum anderen ist er im Herbst nach den ersten Frösten auch tagsüber unterwegs bei der Suche nach Äsung, um sich die Fettreserven für den Winter anzufressen. Denn der Biber ist ja kein Winterschläfer. Im Sommer während der Jungenaufzucht und im frostreichen Winter schränkt er aber seine Aktivitäten deutlich ein.
Die Fallenjagd wird in Estland vorrangig mit der sofort tötenden Conibear-Falle ausgeübt. Dazu muss der Biber aber gelenkt werden. Für die Fallenjagd bieten sich also Schmalstellen oder Abzweigungen der Wasserwege an. Zunächst muss zuerst der Damm geöffnet werden, um den Wasserstand abzusenken. Seitlich der platzierten Falle werden dann Stangen in den Boden gerammt, um ein Umschwimmen der Falle zu verhindern. Oberhalb der Falle werden Stangen waagerecht eingebaut, um dadurch den Biber zum Abtauchen zu veranlassen.
In Biberdämme eingebaute Fallen haben sich nicht bewährt, denn in vielen Fällen baut Meister Bockert die Falle bei der Reparatur des Dammes mit ein, ohne sich selber zu fangen.
Der Vorteil dieser Jagdart liegt in der Unversehrtheit des erbeuteten Balges. Als Nachteil muss jedoch eine tägliche Fallenkontrolle im schwer begehbaren und weitläufigen Gelände hingenommen werden. Nachteilig ist auch der  Fang von Altbibern im Frühjahr und ganzjährig der versehentliche Fang von Fischottern, die den Lebensraum teilen.
Hansgeorg Arndt

Biber in Estland Gefällte Bäume, Spuren der Nager Werk der Biber Ein Biber über 30 kg

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