Auch wenn man sich in unbekannten Gefilden vorsichtig bewegt, zu einem Unfall kann es immer kommen. Der Autor beschreibt, welche Maßnahmen bei Stich-, Schnitt- und Schürfwunden zu ergreifen sind.
Von Dr. Reinald von Meurers
Gelegentlich ereigneten sich bei meinen Jagden im Urwald Kameruns leichte, aber äußerst dramatisch aussehende Unfälle. Da die nächste Siedlung lediglich in mehreren Tagen strammer Fußmärsche erreichbar war, hieß es, ohne äußeren Beistand zu behandeln.
So jagte ich 1994 mit einem Kanadier, dem ich den Vortritt beim Schuß auf eine hochkapitale Schopfantilope ließ. Der Schütze wollte eine Ganzmontage des Wildes machen lassen und präparierte die Decke selbst ab; leider stellte er sich so ungeschickt an, dass ihm das scharfe Messer voll in den Ballen der linken Hand fuhr und die Wunde im Schwall massiv blutete. Die zentimeterlange Wunde sah dramatisch aus, die Wundränder klafften bei Zug weit auf.
Der Jäger wurde kreidebleich und musste sich lang hinlegen; ich beruhigte ihn und versorgte die Wunde mit den zur Verfügung stehenden Mitteln. Die Blutung stand, die Haut war verschlossen, doch dann fiel mir ein, dass Nordamerikaner sehr schnell Haftpflichtansprüche stellen: Ich klärte das Opfer über die eventuellen Konsequenzen auf.
Die Palette der möglichen Entwicklungen reichte bis zum Wundbrand und zur Notamputation mit dem Jagdmesser. Nun hatte ich den sowieso schon sehr ängstlichen Outfitter aus den North-West-Territories vollends bange gemacht, er wurde erst noch blasser, doch schnell wieder sehr munter und fragte dringend, wo er das nächste Flugfeld finden könne und wie lang er bis dorthin brauchen würde.
Was kann der Laie tun? Bei blutenden Wunden scheiden sich sehr schnell die Geister: Man kann gut erkennen, wer trotz des anscheinend gefährlichen Unfalls die Ruhe behält und die entsprechenden Maßnahmen der Ersten Hilfe anwendet.
Prinzipiell muß man sich vor Augen halten, dass eine blutende Wunde allein kein Grund zur Panik ist und lediglich bei längerer Blutung lebensbedrohlich werden kann. Jeder Mensch hat rund vier bis fünf Liter Blut in seinen Blutgefäßen; ein kleinerer Blutverlust bis zu einem Liter wird normalerweise zunächst aufgefangen durch das Engerstellen der Blutgefäße in der Haut, die sich durch Blässe äußert, und die sogenannte Zentralisation.
Diesen Minischock kann man durch Hinlegen und Hochlagern der Beine abfangen. Bei der Zentralisation hingegen werden nur noch die lebensnotwendigen inneren Organe Hirn, Herz, Leber sowie die Nieren mit ausreichend umlaufendem Blut und damit Sauerstoff versorgt. Dieser Schutzvorgang der Zentralisation darf nicht über Stunden anhalten, sonst kann der Sauerstoffmangel zu schwerwiegenden, bleibenden Schäden führen.
Zur Ersten Hilfe besteht in jedem Fall ausreichend Zeit: Klaren Kopf behalten, die Wundränder der Blutung am blutverschmierten Organ vorsichtig freilegen und einfach mechanisch komprimieren, auf deutsch zudrücken. Das im Bewusstsein des Laien festsitzende und beliebte Abbinden der Gliedmaßen ist ausgesprochen selten nötig und darf nur längstens 30 Minuten ohne Lockerung der Stauung erfolgen, sonst sterben wichtige Zellen ab, was zum Verlust von Gliedmaßen fuhren kann. Viel wichtiger ist der direkte Druck auf die Blutungsquelle, der idealerweise mit einem sterilen Verbandspäckchen oder einer Kompresse ausgeübt wird.
Falls keine entsprechenden Verbandsstoffe zu Verfügung stehen, kann man ebenso gut die Blutung durch Druck mit einem sauberen Handtuch, Taschentuch oder anderen Textilien, zur Not auch Toilettenpapier, zum Stillstand bringen. Bei Eröffnung einer größeren Arterie, das sind die vom Herzen kommenden, unter stärkerem Druck stehenden Blutgefäße, spritzt das Blut intervallartig im Rhythmus des Herzschlages. Hier ist Eile beim Komprimieren geboten.
Eine geöffnete Vene, das sind zum Herzen führende, unter geringem Druck stehende Blutgefäße, fuhrt nur zu einer Sickerblutung. Solche Blutungsquellen verschließen sich durch den einsetzenden Vorgang der Blutgerinnung in fünf bis zehn Minuten. Man kann also nach dieser Zeit den örtlichen Druck vorsichtig lockern und zum Abtransport des Verletzten übergehen.
Kopfwunden sehen fast immer sehr eindrucksvoll aus, weil sie wegen der sehr guten Versorgung der Kopfhaut mit Blutgefäßen meist stark bluten und Verletzungen des Knochens oder Gehirns vermutet werden. Das Leitmotiv sollte immer lauten: Ruhe bewahren, Wunde säubern und Wundränder vorübergehend oder für die Dauer des Transportes bis zum Arzt oder dem Lager fest zusammendrücken.
Im Fall einer Messerwunde handelt es sich um glatte Wundränder, die sehr gut verheilen. Chirurgen nähen sehr schnell und sehr gern, allerdings sind viele Wundnähte überflüssig, wenn eine gute Adaption, also ein sorgfältiges Anlegen der Wundränder, vorgenommen wird und wenn in den folgenden Tagen keine Scher- oder Zugkräfte auf die Wundränder einwirken können.
Jeder Stich schleppt Keime in die Tiefe des Körpergewebes, und jede Naht schnürt das Gewebe ein, so dass sich die Keime infolge eingeschränkter Durchblutung leichter vermehren können. Daher hat das früher viel verwendete Klammern von Wundrändern durchaus einen Vorzug. Heute gibt es sterile Wundnahtstreifen aus Leukoplut, die auf die zusammengelegten Wundränder gelegt werden und diese fest zusammenhalten. Diese sollte man bei Touren in entfernte Regionen immer dabeihaben. Zur Not kann man aber auch simples, braunes Leukoplast nehmen.
Generell gilt für Wundversorgungen, dass diese nicht mehr nach sechs Stunden genäht werden dürfen. In dieser Zeit wäre die Wundfläche schon so stark mit Keimen verunreinigt, dass diese durch die Stiche in die Tiefe geschleppt würden und sich dort vermehren könnten. Der anfangs zitierte Jäger hätte also selbst bei schnellstem Abmarsch keine Chance für eine Wundnaht gehabt und wäre mit einer selbst oder vom Freund ausgeführten Ersten Hilfe besser versorgt.
Außerdem sind stark verschmutzte Wunden mit anhaltendem Zusammendrücken meist besser behandelt als durch tiefe Nähte. Das austretende Wundsekret kann abfließen und nimmt die Keime mit. In genähtem Gewebe bilden sich Taschen mit Sekret, die ein idealer Nährboden für Erreger sind.
Wohlgemerkt: Diese Ratschläge gelten nur für mitarbeitende, verständige Patienten. Der Druck auf die Wundränder muß anhaltend bewerkstelligt werden. Wer jede Viertelstunde seine Wunde anschauen will, ist mit einer Naht besser versorgt.
Auf meiner letzten Expedition im Regenwald kam es zu einer dramatischen Situation, als ein Pygmäe von einem anderen Schwarzen ein mit Darminhalt verschmutztes Messer unter die Kniescheibe gestoßen bekam. Glücklicherweise stand der Pygmäe auf dem anderen Bein, so dass die Sehne nicht gespannt war und der Messerklinge nachgeben konnte. Trotzdem war die Haut auf fünf Zentimeter eröffnet, und aus der tiefen Wunde quoll massiv Blut. Wir waren vier stramme Tagesmärsche von der nächsten Siedlung und viereinhalb Tage vom nächsten Fahrweg entfernt. Nun war guter Rat teuer. An sich hätte die tiefe Wunde mit glatten Schnitträndern locker genäht werden müssen.
Wegen der Verschmutzungsgefahr war mir dies aber zu gefährlich. Ich wollte fern von jedem Krankenhaus keinen Wundbrand riskieren und komprimierte die Wundränder mit der Hand. Nach zehn Minuten konnte ich mit mehreren um das Bein geführten Lagen Leukoplast die ausgedehnte Wunde fest verschließen. Dann wurde der fleißige Träger auf sein Lager verbannt und mußte dort den ganzen Tag verbleiben. Die tiefe Wunde heilte trotz längerer Märsche unter diesem festen Verband in einer Woche bestens ab. Falls man weder Arzt noch eine erfahrene Pflegekraft zur Wundbehandlung kleinerer bis mittlerer Wunden, Verbrennungen oder ähnlicher Hautschäden zur Verfügung hat, kann man sich auch selbst gut behelfen: Das Wichtigste ist, ein trockenes Milieu im Wundbereich zu erzeugen.
Eine gut aussehende, mit Heftpflaster (das hat textiles Gewebe zwischen den Klebestreifen) ordentlich zugeklebte Wunde ist der ideale Nährboden für die überall vorkommenden Krankheitskeime! Luft muß an die Wunde kommen können! Daher in staubarmer Umgebung so lange wie möglich offen lassen. Hat man kein Wundpuder zur Verfügung, sind austrocknende Auflagen wie Honig ideal. Der Fruchtzucker entzieht Feuchtigkeit, und keimtötende Substanzen verhindern Infektionen.
Ähnlich wirkt Harnstoffpuder. In der Volksheilkunde ist „Drüberpinkeln“ schon immer ein bewährtes Heilmittel gewesen. Die Wunde trocknet aus und wird durch den eiweißausfällenden und desinfizierenden Urin schneller heilen.
Ist die zeitliche Distanz eines Transportes zum nächsten Arzt geringer, wird bei größeren Wunden anders vorgegangen. Hier verschließt man die Wunde mit einem sterilen Druckverband, wobei der Helfer zum Schutz vor AIDS und ansteckender Gelbsucht Einmalhandschuhe tragen soll.
Bisswunden von Tieren soll man mit Seifenlösungen auswaschen, weil es ein tollwütiges Tier sein kann; andere Wunden darf man nicht auswaschen, kein Puder oder Desinfektionsmittel in die Wunde geben, lediglich die Umgebung ist zu säubern und zu desinfizieren.
In unserem einleitend beschriebenen Fall wäre eine Vorbeugung die beste Methode. So hätte schon das Tragen handelsüblicher Gummihandschuhe für Gartenarbeit die Schnittwunde verhindert. Dünne Lederhandschuhe bewähren sich noch besser; am besten wären schnittfeste Handschuhe aus Kevlar aus dem Arbeitsschutzbereich.
Damit würde man auch das häufige Auftreten von Schürfwunden beim Durchsägen der Knochen an Schloss oder Rippe vermeiden.
Aus solchen Schürfwunden kann sich leicht eine Blutvergiftung entwickeln. So wird im Volksmund die Lymphangitis, also die Infektion der Lymphabflußwege, genannt.
Peter Brade