Im Hohen Altai – Jagd mit Hindernissen

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Wer im sibirischen Hoch-Altai auf Marale und Steinböcke jagt, der sollte sich nach der Jagd noch einige Tage freihalten. Denn ob man pünktlich wieder zuhause ist, das steht meist in den Sternen.

Hansgeorg Arndt

Als schweisstreibende Angelegenheit erweist sich das Bergen des Steinbocks.
Als schweisstreibende Angelegenheit erweist sich das Bergen des Steinbocks.
Von Dr. Hans-Heinrich Grundmann
Das Altai-Gebirge liegt im Vierländereck Russland, Mongolei, China und Kasachstan. Das Herz des Altai, der Hoch-Altai, liegt auf russischem Gebiet und hat alpinen Charakter. Dort wollen wir jagen.
 
Die höchste Erhebung, der Belucha, ragt 4506 Meter auf und ist damit der höchste Gipfel der ehemaligen Sowjetunion.
 
Ich treffe meine fünf Mitjäger, drei Schwaben und zwei Niedersachsen, in der letzten Septemberwoche auf dem Flughafen Hannover-Langenhagen.
 
Nach sechsstündigem Flug mit der Air Sibir nach Nowosibirsk gibt es am Zoll die erste Überraschung: Mitjäger Dieter hatte sich kurz vor der Abreise für seine R 93 einen Wechsellauf im Kaliber .300 Winchester Magnum zugelegt, ohne zu bedenken, dass die Nummer auf dem neuen Lauf nicht mit der Monate vor der Abreise angegebenen Nummer des alten Laufes übereinstimmt.
 
Da die Blaser nur auf dem Lauf nummeriert ist, gibt es für Dieters Waffe keine Einfuhrgenehmigung.
 
Nach einstündigen Verhandlungen zwischen unserer Dolmetscherin, die uns am Flughafen empfangen hat, und den Zollbeamten ist das Problem schließlich gelöst. Dieter kann mit Sondergenehmigung und Waffe einreisen.
 
Gegen Mitternacht geht es mit einem Kleinbus weiter ins 450 Kilometer südlich gelegene Gorno-Altaisk, der Hauptstadt der sibirischen Altai-Region. Nach achtstündiger Fahrt werden wir, etwas angeschlagen, vom Chef des örtlichen Jagdveranstalters in seinem Büro begrüßt.
 
Nach Kaffee und erneuten Formalitäten soll die letzte Etappe ins Revier, etwa 250 Kilometer, mit dem Helikopter bewältigt werden. Unsere Hoffnung auf Weiterreise noch am selben Tag erfüllt sich nicht.
 
Oben im Hoch-Altai ist angeblich kein Flugwetter, wir werden in einem nahen Hotel untergebracht. Am folgenden Tag die nächste Enttäuschung: Wieder kein Flugwetter, versichert man uns, obwohl das Wetter unten bei uns gut ist. Alles Bemühen nutzt nichts, es gibt keine Genehmigung des Wetteramtes und damit keinen Flug. Also wieder ins Hotel.
 
Am dritten Tag geht es endlich los. Nach etwa zweistündigem Flug mit einem nicht ganz taufrischen Helikopter gibt es einen Zwischenstop am Rande der Zivilisation in Tjungur mit Mittagessen und Probeschießen.
 
Dann geht es nach Aufnahme einiger ortsansässiger Führer weiter ins Gebirge. Zuerst werden Günter und Heiko mit ihren Führern abgesetzt, wir anderen fliegen in ein zehn Flugminuten weiter entferntes Camp.
 
Dort erwarten uns bereits weitere Führer und insgesamt neun Pferde, die in dreitägigem Ritt ins Revier gebracht worden sind. Pferde sind für die Altaibewohner von großer Bedeutung.
 
Sie werden als Reittiere und Fleischlieferanten genutzt. Die Reitpferde werden drei bis vier Jahre ausgebildet, bevor sie im Gebirge einsetzbar sind; nur ruhige und trittsichere Tiere sind geeignet, andere schlachtet man. Geritten werden ausschließlich Wallache. Mit den Stuten wird gezüchtet.
 
Das Camp auf rund 2300 Metern Meereshöhe besteht ausschließlich aus Zelten. Nach kurzem Auspacken und Einrichten heißt es gleich Aufsitzen, denn um 16 Uhr geht es zur ersten Pirsch.
 
Schnell am Wild
 
Wir reiten zu viert, zwei Jäger, zwei Führer. Nach einer dreiviertel Stunde bergan wird auf einem Scheitel das jenseitige Tal abgeglast. Wenige Minuten später heißt es: „Maral“. Arthur, der Führer von Hannes, hat einen Hirsch ausgemacht. Der Maral ist etwa 1500 Meter entfernt und, nach genauerem Ansprechen mit dem Spektiv, stark.
 
Wir losen mit einer Rubelmünze. Ich gewinne und gehe mit meinem Führer Victor den Maral an. Von einer Baumgruppe gedeckt, kommen wir bei gutem Wind bis auf 400 Meter an den Hirsch heran, dann wirft er auf.
 
Jetzt geht es in der Hocke weiter, die letzten 100 Meter rutsche ich auf dem Bauch durch das kniehohe Gestrüpp. Mein Führer bleibt zurück. Nachdem ich eine gute Schussposition gefunden habe, bleibt mir jetzt viel Zeit. Der Hirsch steht, wieder völlig vertraut, auf rund 250 Meter im Gegenhang. Der Maral ist wirklich stark. Im Schuß bricht er wie vom Blitz getroffen zusammen (8x68S, 220 grs Sierra SBT, Handladung).
 
Wir sind gerade drei Stunden im Revier! Mir geht das ein bisschen zu schnell.
 
Aber bei der Auslandsjagd gilt es, seine Chancen zu nutzen, wenn man nicht später das Nachsehen haben will. Freund Hannes übrigens, der beim Losen verloren hat, schießt am selben Abend noch einen kapitalen Steinbock (Schlauchlänge 113 cm).
 
Erschöpft und glücklich treffen wir uns in tiefer Dunkelheit im Camp wieder.
Am nächsten Tag soll das Wildbret des Marals geborgen werden, weil am Vorabend nur Zeit zum Aufbrechen und zum Abschlagen des Hauptes war.
 
Unterwegs sehen wir Steinböcke. Unter uns liegt eine tiefe, zerklüftete Schlucht. Am Gegenhang, etwa 300 Meter entfernt, machen sich zwei Steinadler über den Aufbruch des Steinbocks her, den Hannes am Vorabend erlegt hat. Nach längerem Ansprechen der Steinböcke wollen wir sie angehen.
 
Die zweistündige Pirsch, fast immer bergab, beansprucht meine flachlandgewohnten Gelenke erheblich, aber schließlich sind wir dicht am Wild.
 
Ein alter Steinbock
Auf einer Matte unter uns ruhen fünf Steinböcke. Es sind gute dabei, ich meine jedoch, beim Abglasen einen noch stärkeren gesehen zu haben. Schließlich finden wir ihn.
 
Er ruht etwas abseits von den anderen, 150 Meter steil unter uns, auf einem schmalen Felsvorsprung. Nach sorgfältigem Ansprechen mit dem Spektiv sagt Victor: „Bolschoi, bolschoi“ (groß).
 
Ich bin seiner Meinung. Der Schuß ist nicht leicht. Ich kann mich in dem steilen Gelände nur schwer halten und habe zunächst keine freie Schussbahn. Aber nach einigem Zurechtrücken geht es dann doch. Der Schuß bannt den Steinbock an den Platz. Glück gehabt! Ein kranker Bock wäre unweigerlich abgestürzt.
 
Die Bergung gestaltet sich schwierig. Victor gestattet mir nicht, mit hinunterzugehen. Er schätzt meine Bergtauglichkeit richtig ein. Nach zwei Stunden schließlich sind Haupt und Decke geborgen, der Bock ist 15 Jahre alt, Schlauchlänge 118 Zentimeter.
 
Der Rückmarsch zu den Pferden, jetzt stetig bergauf, nimmt drei weitere Stunden in Anspruch. Ich bin völlig am Ende. Am nächsten Tag habe ich bei jedem Schritt Muskelkater in den Oberschenkeln. Erst am übernächsten Tag kann ich wieder einigermaßen normal gehen.
 
Die nächsten beiden Tage vergehen relativ ruhig. Wir glasen Hänge ab auf der Suche nach dem ganz starken Maral.
 
Unterwegs sehen wir eine Bärin mit zwei etwa sechs Monate alten Jungen. Wir machen Rast, beobachten und fotografieren die Bärenfamilie, die in rund 600 Meter Entfernung am Gegenhang auf Nahrungssuche ist.
 
Schließlich reiten wir weiter, ohne von der Bärin bemerkt zu werden. Später im Lager treffen wir auf Dieter, der inzwischen einen guten Steinbock und einen starken Maral erlegt hat und Hannes, der ebenfalls einen guten Maral erbeutet hat.
 
Der Hirsch steht zu
Gegen Abend geht es dann noch einmal mit Victor und Valodja hinaus. Nach relativ kurzem Ritt hören wir zwei Marale rufen.
 
Einer ist im Gegenhang erkennbar. Er ist jung, vermutlich ein Beihirsch. Der „Pascha“ bleibt unsichtbar, antwortet jedoch auf Victors Pfeifen mit dem Maralruf. Die Marale sind jetzt in der Hochbrunft.
 
Der Wind ist ungünstig für uns. Nach weitem Umschlagen des vermuteten Einstandes treffen wir auf Kahlwild, das uns eräugt und ruhig in einen Lärchenbestand einzieht. Jetzt gilt es zu handeln. Victor setzt mich am Waldrand ab, geht 50 Meter zurück und pfeift den Hirsch an, der auch antwortet.
 
Ich warte mit entsicherter Büchse. Die Spannung steigt. Nach einigen Minuten höre ich ein leises Knacken, das allmählich lauter wird. Dann sehe ich den Maral. Er zieht ganz gemächlich auf nur 30 Meter querab durch ein Stangenholz.
 
Ich spreche ihn durch das Zielfernrohr an: Er ist stark. In einer Lücke wird das Blatt frei: Schuß. Der Hirsch zieht schwerfällig zehn Meter weiter und verhofft. Im Nachschuss bricht er zusammen.
 
Nach dem Aufbrechen ist es fast dunkel und für eine Rückkehr ins Lager zu spät. So suchen wir uns einen geeigneten Platz in der Nähe. Die Nacht wird sehr kalt.
 
Ich habe glücklicherweise ein Einmannzelt dabei und einen sehr guten Schlafsack.
 
Victor und Valodja schlafen bei geschätzten 15 Grad minus in einfachen Schlafsäcken unter freiem Himmel. Es scheint ihnen nichts auszumachen.
 
Am nächsten Morgen sitzen sie wieder fröhlich plappernd beim Frühstück. Sie unterhalten sich auf altaiisch, eine Sprache, die auch von Russen nicht verstanden wird, von mir natürlich schon gar nicht.
 
Glücklicher Sturz
Der nächste Vormittag vergeht mit Trophäenpräparation und Einpacken. Hannes hat am Vortag aus einem 14köpfigen Rudel zwei Wölfe herausgeschossen, Markus einen kapitalen Steinbock erlegt (Schlauchlänge 121 cm).
 
Der glückliche Erleger sieht etwas lädiert aus. Am Vortag hat sich während des Ritts ein spitzer Ast von vorn zwischen Pferd und Sattel geschoben. Das Pferd hat daraufhin gescheut und den Reiter abgeworfen.
 
Markus ist mit einem Fuß im Steigbügel hängengeblieben und vom durchgehenden Pferd 30 Meter über den felsigen Boden geschleift worden.
 
Aber er hatte einen Schutzengel. Außer Prellungen und Schürfungen ist ihm nichts passiert. Auch seine Mauser 66 S, die in hohem Bogen davongeflogen war, hat anschließend noch Fleck geschossen.
 
Hannes und sein Führer haben das Haupt eines frisch von Wölfen gerissenen Steinbocks mit der für sibirische Verhältnisse fast unglaublichen Schlauchlänge von 137 Zentimetern gefunden und mit ins Lager gebracht. Geschätztes Alter: 17 Jahre.
 
Dichtes Schneetreiben
Am Nachmittag soll uns der Helikopter abholen. Das Wetter ist prima, doch der Helikopter kommt nicht.
 
Und Funkkontakt zur Außenwelt haben wir auch nicht. Der nächste Morgen empfängt uns mit zehn Zentimetern Neuschnee. Dichtes Schneetreiben herrscht den ganzen Tag. Die Sicht beträgt nur 200 Meter. Da kann kein Hubschrauber fliegen.
 
Mittags verlässt uns ein Teil der einheimischen Jäger mit allen Pferden. Sie befürchten, im Gebirge einzuschneien. Unsere Stimmung ist gedrückt, den Heimflug ab Nowosibirsk haben wir schon jetzt verpasst, und die Nahrungsmittelvorräte gehen langsam zur Neige: Wurst, Zucker und Kaffee sind ausgegangen.
 
Die altaiische Küche ist etwas gewöhnungsbedürftig: Man liebt dort fettes Fleisch über alles. Der bei uns übliche Verzehr von magerem Fleisch ist den Altaiern völlig unverständlich.
 
Die von uns Gästen mitgebrachten Lebensmittel (Kaffee, Müsliriegel, Schokolade, Dauerwurst) sind sehr wertvoll und auch bei unseren Führern begehrt.
 
Am nächsten Tag ist das Wetter besser. Um 14 Uhr hören wir endlich das erlösende Knattern des Helikopters. Konstantin, der Chef der altaiischen Jagdagentur, holt uns persönlich im Revier ab.
 
Er versichert, man hätte uns wegen des schlechten Wetters nicht eher ausfliegen können. Nach kurzem Flug nehmen wir Heiko und Günter mit ihren Führern auf. Sie sind ebenso erleichtert wie wir.
 
Günter hat zwei mittelstarke Marale und einen guten Steinbock erlegt, Heiko einen guten Steinbock und einen hochkapitalen Maral mit unglaublich dicken Stangen. Die Trophäe hat ein Gewicht von zwölf Kilogramm, wirkt jedoch stärker, weil die Maralgeweihe im Altai ein relativ niedriges spezifisches Gewicht haben.
 
Zurück in Gorno-Altaisk werden wir zur Erstellung der Ausfuhrdokumente für die Trophäen in Konstantins Büro gebeten, das im zweiten Stock eines größeren Gebäudes liegt. Als wir eintreffen, ist das Büro verschlossen.
 
Da Konstantin keinen Schlüssel dabei hat und seine Mitarbeiterinnen nicht da sind, holt er kurzerhand eine Brechstange und bricht die Holztür zu seinem eigenen Büro auf. Das ist Sibirien!
 
Die weitere Rückreise ist dann problemlos. Ein Zwangsaufenthalt von zwei Tagen in Nowosibirsk (die nächste Maschine nach Hannover geht erst zwei Tage später) wird zu einer ausgiebigen Stadtbesichtigung genutzt.
 
Fazit der Reise: Wir hatten eine anstrengende, aufregende und erfolgreiche Jagd. Und: Wer in Sibirien jagt, sollte für die ersten Tage danach keine Termine vereinbaren!
Foto: Dr. Hans-Heinrich Grundmann
Hansgeorg Arndt

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