Mit den Lauschern winden?

1935


 

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Nicht nur Hirsche, sondern alle Vierfüßer bestimmen die Windrichtung mit ihren Ohren. Dies behauptet der berühmte britische Großkatzenjäger Edward James (Jim) Corbett 1947 in seinem Buch The Man-eating Leopard of Rudraprayag. Und er fährt fort: „Mein Leben hat oft davon abgehangen, dass ich genau die Windrichtung feststellen konnte. Und diese Feststellung machte ich stets mit den Ohren. Ebenso verlassen sich die Tiere des Waldes zu diesem Zweck auf ihr Gehör.“
Eine erstaunliche Beobachtung. So etwas registriert nur, wer die Natur liebt, sich (fast) ständig in ihr aufhält und obendrein über das scharfe Auge sowie den wachen Verstand des Jägers verfügt.
Es ist – so finde ich – ein großes Glück, Wildtiere zu beobachten und sie auch zu bejagen. Wer genau hinschaut und sich die neugierigen Blicke des Kindes bewahrt, wird viel entdecken. Es müssen nicht immer solch überraschende Erkenntnisse sein, wie sie Jim Corbett (1875 bis 1955) zu Papier brachte. Nein, es ist schon eine riesengroße Freude, nur zu beobachten, wie eine Löwin in afrikanischer Steppe ihre Jungen säugt, wie der Eissprossenzehner während der Brunft den Urschrei von Liebe und Hass im Bodennebel einer Waldwiese ausstößt oder ein Gamsbock sein Heil in rasender Flucht vor dem Platzbock in den steinelnden Schroffen der Gebirgswelt sucht.
Wenn man mal nicht im Revier ist, gibt es andere Chancen, sich mit seiner Passion zu beschäftigen. So bietet der Markt Jagdfilme auf youtube oder aber DVD’s, etwa solche wie „Reife Hirsche und schnelle Sauen – Jagderlebnisse in Österreich und Ungarn” (Näheres in JWW 4/2016, Seite 76). Sie lassen den Jäger eintauchen in uriges Weidwerk im afrikanischen Dickbusch oder die alaskanische Tundra. Sie lassen ihn erleben, wenn der Gastjäger sich auf allen Vieren an einen Impala heranrobbt oder einen Bock kunstvoll zum Blattstand lockt. Eine weitere Möglichkeit bietet die Belletristik.
Mich faszinieren gute Jagdbücher deutlich mehr als spannende Filme. Warum? Bücher fordern und fördern die Phantasie, weil der Leser ja nicht sieht, was geschrieben steht. Er muss sich da reinfinden, die Bemerkungen des Autors nacherleben. Und außerdem enthalten sie oft eine Reihe von Jagderfahrungen bzw. -erlebnissen, die vor der Zeit des Abenteuer- bzw. Jagdfilms liegen oder aber gar nicht drehbar sind: Lesen bildet. Ein exzellentes Beispiel hierfür bildet Jim Corbetts bereits erwähnte Erzählung über den Leoparden von Rudraprayag (siehe auch Seite 76).
Für den bevorstehenden Herbst wünsche ich Ihnen viele überraschende Momente in freier Wildbahn, sei es mit urigem Hoch- oder pfeilschnellem Niederwild. Und zudem wünsche ich Ihnen die Muße, einen guten Jagdklassiker zu lesen, möglichst vor loderndem Kaminfeuer, und dabei einen guten Rotspon sowie eine milde Havanna zur Hand. Auch so lässt sich Passion leben.
Ihr
Dr. Rolf Roosen
Chefredakteur
 
 
 


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