Urwald-Geister – Bongos im Kongo

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Als Jagdwild sind sie hochgeschätzt — Bongos. Aber die Jagd auf die farbenprächtige Antilope mit dem Drehgehörn und den elfenbeinernen Gehörnspitzen ist nur wenigen Urwaldjägern vorbehalten. Trotz abnehmender Bestände gibt es aber noch Gebiete, in denen die Jagd nachhaltig möglich ist

Von Anno Hecker

Bongo
Holzabfuhrwege und Rückeschneisen haben die scheuen Bongos schnell als bequeme Wechsel von ihren Einständen zu den mineralhaltigen Sulzen im Boden entdeskt.
Selbst Tarzan, so ein amerikanischer Jagdschriftsteller, würde Pygmäen und Gorillas bereitwillig jenen unpassierbaren Dschungel überlassen haben, der sich als äquatorialer Regenwald vom Golf von Guinea über das Kongobecken bis nach Zentralafrika und dem südlichen Sudan hinzieht und ebenso wie die montanen Nebelwälder Kenias als Heimat einer der Sterntrophäen Afrikas gilt – des auch heute noch legendären Bongo.
Neben Okapi und Riesenwaldschwein zählt er zu den charakteristischen Großsäugern des unterholzreichen Tropenwaldes [Biologie]. Dabei entspricht die so farbenprächtige Antilope ihrer Größe nach (Schulterhöhe bis zu 1,25 Meter, Gewicht bis 240 Kilogramm) so gar nicht der üblichen Vorstellung von einem dichter Vegetation angepassten Waldbewohner, der, ebenfalls gegen jede Regel, sich zuweilen in Rudeln bis zu zehn Stücken mühelos zwischen verfilzten Lianen oder unter gefallenen Baumriesen hindurchzwängt.
Hindernisse, die zumindest wir Europäer tief gebückt oder auf allen Vieren bei Sichtweiten von oft nur wenigen Metern schweißgebadet oder lehmbeschmiert passieren, nachdem vorweg ein Pygmäe mit „leiser“ Gartenschere einen schmalen Durchschlupf geöffnet hat.
Wohl niemand hat die Bongojagd, die zumeist das Ausgehen der Fährte bedeutet, treffender charakterisiert als der Urwaldexperte (und JWW-Autor) Reinald von Meurers: „Wirbelsäulengymnastik“.
Was ich nur unterstreichen kann, nachdem ich 1996 der kurzfristigen Einladung eines Bekannten nicht widerstehen konnte, nach abenteuerlicher Anreise im Ndoki-Forest von Kongo-Brazzaville mein Glück zu versuchen. Soviel ich weiß, eines der wenigen Gebiete, in denen heute noch eine erfolgreiche Bongojagd möglich ist. In Anbetracht der über sieben Millionen Quadratkilometer zentralafrikanischen Regenwaldes eine erschütternde Feststellung!
Um es kurz zu machen: In neun Tagen hatte ich drei Chancen, die ich selbst versiebte, weil ich infolge einer massiven Ameisenattacke, fußangelähnlicher Schlingpflanzen sowie Einbruch in eine vermodernde Baumleiche genau in dem Moment die entscheidenden zwei oder drei Meter hinter dem Jagdführer zurückblieb, als das für mich noch unsichtbare Wild davonprasselte.
„Sobald Du Rot siehst, musst Du reflexartig schießen, egal ob Grün davor oder nicht“, hatte mir Eric vor Aufnahme einer Einzelfährte eingetrichtert: „Wie stark er ist, sehen wir später!“
Was sich für mich mehr als bewahrheiten sollte. Denn an meinem letzten Jagdtag wurde der mit einem fast verzweifelten Schnappschuss (.338 Winchester Magnum, 16,2 g Nosler) getroffene Bock erst kurz nach meiner Abreise gefunden. Ein Tropengewitter hatte die Nachsuche verhindert. Mit unverdienten 30 1/4 Inch – dafür kann ich nun wirklich nichts – nimmt dieser Bock einen oberen Platz im Rowland Ward ein.
Ein geradezu unverdienter Dusel, wobei ich immer wieder jagdliche Minderwertigkeitskomplexe verspüre, wenn ich an meinen Pygmäentracker denke, dessen unaussprechlicher Name eigentlich hinter die Eintragung im „Buch“ gehörte.
Und wie oft überkam mich nicht die bittere Erkenntnis, für diese bis zur totalen Erschöpfung erlittenen Strapazen mit all ihren beißenden und krabbelnden Widerwärtigkeiten zwei Jahrzehnte zu alt zu sein!
Trotzdem, der Urwald begeisterte in seiner Großartigkeit jeden Tag aufs Neue: Mit seinen turmhohen, von armdicken Lianen umschlungenen Baumriesen, den wie hängende Gärten in luftiger Höhe schwebenden Epiphyten, Orchideen und Moospolster, nicht zuletzt durch die vielen buntschillernden Schmetterlinge, die sich wie lichte Wolken vor unseren Schritten erhoben.
Das also war die Heimat des Bongo. Von den übrigen waldbewohnenden und zumeist grazileren Drehhornantilopen unterscheidet er sich durch sein gedrungeneres Gebäude, den rinderähnlich langen Wedel und die von beiden Geschlechtern getragenen Hörner.
Dass man von der Lebensweise des Tragelaphus euryceros in der Wildnis noch so wenig weiß, liegt an seinem nicht gerade kooperativen Biotop, weshalb er auch erst recht spät für die Wissenschaft entdeckt wurde: 1861 durch den Gorillajäger Du Chaillu in Gabun, der ihn nach dem dortigen Fantidialekt Bongo benannte.
Die östliche Rasse wurde sogar erst 1902 im Mau Forest Kenias bekannt, nachdem die Rinderpest 1890 die bis auf 3000 Meter Höhe am Mount Kenia und in den Aberdares lebenden Bestände fast ausgelöscht hatte. Wieweit sie das vor Ende der 70er Jahre verhängte Jagdverbot „zum Schutz allen Wildes“ überstanden haben, ist ungewiss.
Heute sieht man von den beiden Beobachtungszentren „Tree Tops“ und „The Ark“ im Aberdare-Nationalpark so gut wie keine Bongos mehr.
Ähnlich verhält es sich mit den so viel ausgedehnteren Vorkommen in Westafrika, wenngleich laut WWF (1985) in zwölf Parks von zusammen 8,7 Millionen Hektar gesicherte Populationen existieren sollen (Zaire, Kongo-Brazzaville, Sudan, Gabun, Ghana, Liberia, Togo und Elfenbeinküste).
Außerhalb der Schutzgebiete geht dagegen die kommerzielle Übernutzung von „Bushmeat“ mit der zum Holzeinschlag vorangetriebenen Erschließung und Besiedlung der Wälder Hand in Hand. Das ist eigentlich das Ende der großen Wildtiere.
Um so erstaunter war ich, meine Jagdgründe am Sanga (Nebenfluss des Kongo) nicht als „jungfräulichen Urwald bis zum Horizont“ vorzufinden. Es war vielmehr ein von französischen Holzfirmen nach genauer Vorgabe der Forstverwaltung plenterartig bewirtschaftetes Gebiet, in dem während eines längeren Zeitraums höchstens ein Stamm je Hektar geschlagen wird.
Die meist nur vorübergehend genutzten schmalen Rückeschneisen und an die große Abfuhrpiste nach Kamerun führenden Zubringerwege wachsen unter dem aggressiven Äquatorklima sehr rasch wieder zu; nicht ohne zuvor mit einer üppigen, auf den plötzlichen Lichteinfall reagierenden Kraut-, Stauden- und Farnflora für eine Äsung gesorgt zu haben, die von den über Nacht die Wege entlang ziehenden Bongos regelrecht „abgeweidet“ wird.
Reichlich Losung wie auch die vielen Fährten im roten Lateritboden ließen auf eine fast „kulturfolgerähnliche“ Dichte des immer noch äußerst scheuen und nächtlichen Wildes schließen.
Es scheint schwer nachvollziehbar, wie sehr sich nicht nur Bongos, sondern auch die fast täglich gesichteten Gorillas, vereinzelte Rotbüffel, mehrfach vernommene Waldelefanten sowie die oft gefährteten Riesenwaldschweine an diese schleichende Umwandlung in Sekundärwald und die als harmlos erkannten Motorengeräusche gewöhnt haben. Aktivitäten, die sich wohl über eine riesengroße Fläche verteilen.
Wobei allerdings die schützende Hand des um sein Revier besorgten Berufsjägers aus Südafrika ausschlaggebend sein dürfte, der im Einvernehmen mit der Regierung, den wenigen nomadisierenden Pygmäen sowie den Managern der Holzfirma illegale Siedler wie auch Wilderer aus seiner 280000 Hektar(!) großen Konzession fernzuhalten weiß.
Kaum zu glauben, aber die hier gezeigten Fotos sind in eben jenem freien Jagdgebiet entstanden, wo ich selbst die Heimlichkeit dieser Waldgespenster zu spüren bekam. Die simple Erklärung: Salz! Schon in Hemingways „Grünen Hügeln“ erleben wir die Pirsch auf die anscheinend nur an den Salzlecken des Südmassailandes zu bekommenden Großen Kudus, ausgesprochene Laub- und Knospenäser wie auch der Bongo.
Und durch fast alle die scheue Urwaldantilope betreffenden Jagdschilderungen zieht sich wie ein roter Faden die Bedeutung salzhaltiger Lacken oder Erden als aussichtsreiche Ansitzstellen oder Fixpunkte zur Aufnahme von Fährten. Bereits 1952 schrieb der Biologe Ingo Krumbiegel, dass „Blattfresser anscheinend wegen des Kali-Überschusses und Natrium-Mangels ihrer Nahrung eifrige Verzehrer von Salzerden sind“. Eine Begründung, wie ich sie in dieser Präzision noch in keiner Jagd- oder Wildkunde gefunden habe.
Bei der ersten Anlage von Sulzen im Kongo habe ich noch mitgeholfen, als wir das mühsam in zwei Säcken über hunderte Kilometer herbeigeschaffte Grobsalz an günstigen Stellen mit Lehm vermischten, von wo es der Regen auf eine Fläche von etwa 150 Quadratmeter verbreitete.
Aber nie hätte ich erwartet, wie vertraut und selbst bei bestem Licht das bisher unsichtbare Urwaldphantom auf diese Verlockung reagieren würde, trotz offenbar kurz zuvor erfolgter Wege- und Sägearbeiten; wobei natürlich in weitem Umkreis absolute Jagdruhe herrscht. Übrigens hat Eric, abgesehen von Fangschüssen, selbst noch nie einen Bongo erlegt.
Kasten:
[Biologie]

Foto: Anno Hecker

Hansgeorg Arndt

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