Meine vier Jagdfreunde und ich haben schon in den meisten europäischen Ländern gejagt. Aber irgendwie zog es uns dann in urigere, nicht so stark bejagte Gebiete, in denen wir starkes Wild erhofften
Starke Keiler sind keine Seltenheit im Kaukasus |
Von Edgar Böhm
Ein aus früheren Jagdreisen in Rußland bekannter Jagdführer aus Moskau bot seine uns bekannt gute Organisation und Führung an und empfahl ein Revier im Kaukasus von 20 000 Hektar Größe. Sein Versprechen, dass wir in fünf Jagdtagen 20 Sauen, eventuell auch Wölfe, erlegen könnten, reizte uns. Ein gutes Gefühl, einen verlässlichen Führer neben sich zu haben, der auch als Dolmetscher hilfreich ist.
1. Tag (2. Januar 2001)
Mit der Lufthansa flogen wir pünktlich von Frankfurt los, und um 12.30 Uhr empfing uns Jagdleiter Wladimir am Flughafen in Moskau. Am Zoll gab es keine Probleme. Mit Waldimirs Kleinbus ging es anschließend zum Inlandsflughafen Wukowa, von wo um circa 14 Uhr der Abflug vorgesehen war. Er verschob sich jedoch um drei Stunden. Die Warnung, mit russischen Flugzeugen zu fliegen, erwies sich als grundlos. Sowohl die Technik, Pflege und Reinlichkeit in den Maschinen, als auch Service und Flugpersonal entsprachen westlichem Standard.
Gegen 20 Uhr kamen wir in Naltschik an. Mit Geländewagen wurden wir abgeholt und gelangten nach zweistündiger Fahrt ins Quartier. Jeder Raum, sechs Quadratmeter mit zwei Betten und zwei Stühlen, war für zwei Personen gedacht! Wir schliefen mit unserem Gepäck in einem Bett. Auch die sanitären Anlagen waren schlimm.
2.Tag (3.Januar)
Nach einem kräftigem Frühstück ging es mit dem Jeep ins nahegelegene Revier. Ein sonniger, milder Wintertag, der Schnee lag nur fünf Zentimeter hoch. Der lückige und ebene Laubwald, durch schachbrettartige Schneisen geteilt, gab guten Einblick in den Bestand.
An diesem Tag wurden zwölf Treiben von acht Treibern durchgedrückt. Obwohl einige wenige Sauen in Anblick kamen, konnte keine erlegt werden. Alle verhofften außerhalb einer günstigen Schußentfernung und flüchteten zurück durch die Treiberkette.
Am nächsten Tag zogen wir zur besseren Tarnung unsere Schneehemden an. Aber die Sauen hatten wohl in den vergangenen Tagen negative Erfahrungen mit Menschen gemacht. Wir fanden auf einigen Schneisen Schweiß- und Schleifspuren von erlegtem Wild. Darauf angesprochen, sagten die Revierjäger, dass am Silvestertag einige Regierungsbeamte hier gejagt hätten. Man versprach uns, am nächsten Tag in einem anderen Revier zu jagen.
3. Tag (4. Januar)
Mit drei Jeeps ging es in das etwas entferntere Hügelland mit seinen Mischwaldungen. Dickungen waren vorhanden, so dass mit Anlauf zu rechnen war. Beim Anstellen fährteten wir Sauen. Drei Treiben wurden vormittags von acht Treibern durchstreift. Sauen waren in jedem der circa 200 bis 300 Hektar großen Treiben. Die Treiber versuchten, uns die Sauen zuzudrücken. Aber die Treiben waren viel zu groß, und so konnten die erfahrenen Leitbachen ihre Rotten über die Flanken in Sicherheit bringen.
Mittags, am überdachten Eßplatz, wollte trotz reichlichem und schmackhaftem Essen keine richtige Stimmung aufkommen. Ein Viertel der Jagdtage war vorbei, und noch lag kein Stück Wild auf der Strecke. Die Revierjäger vertrösteten uns auf den Nachmittag. Aber die nächsten drei Treiben wieder nichts! Allmählich kamen uns Zweifel, ob wir die versprochenen 20 Sauen überhaupt in Anblick bekommen, geschweige denn erlegen könnten.
Beim letzten Treiben wendete sich dann das Blatt. Zwei Schüsse an meinem Nachbarstand rissen mich aus meinen Gedanken. Ein schwarzer Wildkörper flüchtete zwischen den Baumstämmen, kam ins Schwanken und rutschte den verschneiten Hang hinunter. Kurz darauf kamen die Treiber mit Hans, meinem Standnachbarn, ein zweites Stück Schwarzwild hinter sich herziehend: Es waren zwei sehr starke Bachen mit etwa 120 bis 130 Kilogramm Gewicht, die Hans als Dublette erlegt hatte. Der Bann war gebrochen, die Gesichter heiterten sich auf. Da es bereits zu dämmern begann, fuhren wir ins Quartier, wo die russische Küche auf uns wartete.
4. Tag (5. Januar)
Sonnig, etwas Schnee, Minus zwei bis Plus acht Grad. So ähnlich blieb das Wetter während unseres gesamten Aufenthaltes. Um kurz nach Fünf starteten wir unsere Fahrt ins Gebirge: fünf Jäger in einem russischen Jeep zusammengedrängt. Das machte auf den gut ausgebauten Teerstraßen keine Probleme. Aber auf den felsigen Wegen, den ausgespülten Rinnen und den Schneewehen, wurden wir kräftig durchgerüttelt. Uns taten alle Knochen weh, und wir waren froh, gelegentlich aussteigen zu können, um das Auto aus einer Schneewehe zu schieben.
Oben, auf circa 2000 Meter Höhe, bot sich ein herrlicher Anblick. Die Schattenhänge mit Schnee bedeckt, die Sonnenhänge schneefrei. Vereinzelt weideten Pferde und Jungrinder darauf: eine unendlich weite, herrliche, sonnige Landschaft. Wir konnten uns nicht satt genug sehen, doch Wladimir und die russischen Jäger drängten uns, unsere Stände einzunehmen.
Diesmal waren zehn Treiber bereits einige Kilometer weiter unten ausgestiegen, die bald mit dem Treiben beginnen würden. Jetzt ging es schnell über Geröllhalden rauf und runter. Schon nach zehn Minuten begann man zu schwitzen und sich der ersten Kleidungsstücke zu entledigen. Am Stand dampfte ich in der Sonne. Hier oben lag die Temperatur knapp unter dem Gefrierpunkt, und ein leichter Wind zog den Hang entlang, so dass ich nach und nach die einzelnen Kleidungsstücke wieder anzog. An eine alte Buche gelehnt, genoß ich den Anblick der bizarren Hänge und Schluchten.
Plötzlich fiel weit unten ein Schuß. Hans hatte ein Stück Schwarzwild erfolglos beschossen. Auch Willi hatte Anlauf und erlegte nach anfänglichem Repetierproblem einen Keiler. Ich sah, wie Werner seinen Repetierer in Anschlag brachte und erblickte ein starkes Stück Schwarzwild, das eilig die Dickung verließ. Nach einigen Fluchten erhielt es die Kugel und rollte den Hang hinunter. Mit einem zweiten Schuß erlegte Werner eine starke Bache.
Im selben Moment kam Peter ein weiteres Stück auf circa 30 Meter. Im Feuer brach es zusammen und rutschte in eine Hangmulde.
Ich wollte ihm gerade Waidmannsheil zuwinken, als mir spitz ein Keiler zulief. Als dieser auf circa 70 Meter unter mir vorbei wollte, erhielt er die Kugel. Er ruckte nur kurz und verschwand hinter einem Felsen. Nach 70 Meter Flucht lag er in der Fährte. Die Hauer blickten etwa sechs Zentimeter aus dem Gebrech. Die Messung ergab eine Länge von 19,5 Zentimetern.
Kurz darauf erschienen die Treiber. Wir gingen zum Sammelplatz, wo der Mittagstisch bereitstand. Beim Essen ging mein Blick zum Himmel. Da kreisten vier große adlerähnliche Vögel. Ich fragte Wladimir, was das für Vögel seien. „Geier. Jäger schießen Schweine, Geier fressen Schweine, auch Wolf. Geier wissen das.“ Wie sich herausstellte, waren die Treiber Mohammedaner und rührten aus religiösen Gründen kein Schwein an. Sie saßen auch nicht bei uns am Mittagstisch, sondern hatten sich abgesondert und aßen ihre eigenen Speisen. Wir fürchteten um unsere Trophäen, doch Wladimir beruhigte uns: „Kopf abschneiden und Treiber bringen“. Tatsächlich kamen sie und zogen, an langen Ästen aufgespießt, die abgeschlagenen Häupter.
Ein menschliches Bedürfnis ließ mich unbewaffnet in die Büsche schlagen. Plötzlich, ich denk‘, ich seh‘ nicht richtig, wechselt ein Wolf aus dem Wald über ein Wieseneck und verschwindet in einer Buschgruppe. Nachmittags gab es zwei große Treiben, und Hans erlegte noch zwei Keiler. Die Tagesstrecke konnte sich sehen lassen: sechs Keiler und eine Bache. Die Stimmung war hervorragend, alle sechs Jagdfreunde waren zu Schuß gekommen. Und Wladimir versprach: „Morgen schießen wieder so viele“.
5.Tag (6. Januar)
Bei der anderthalbstündigen Fahrt in ein anderes Bergrevier hatten wir ausreichend Zeit, Land und Leute zu beobachten. Wir fuhren auf einer sechsspurigen Autobahn, beidseitig landwirtschaftliche Flächen, unterbrochen von gepflegten Obstbaumanlagen. Die Stadt Naltschik, mit ihren großzügigen Parkanlagen, auf denen große, gut gepflegte Gebäude verschiedener Stilepochen standen, beeindruckte uns. Die Menschen waren überwiegend gut gekleidet.
Je weiter wir jedoch in ländliche Gegenden kamen, desto ärmlicher wurde alles. Im Gebirge sahen wir eng aneinander gebaute Kleingebäude mit primitiven Stallungen, auf den Hochalmen gemauerte Hirtenhäuser und offene überdachte Viehunterstände. Auf den sonnenbeschienenen schneelosen Grasflächen weideten jetzt im Januar Pferde und Jungrinder.
An einem Hirtenhaus hielten wir. Die Treiber, diesmal von einigen Hunden begleitet, waren bereits im Tal ausgestiegen. Wir wurden bergauf und bergab im Schnellgang aufgestellt. Ich bekam auf einem großen Felsbrocken einen ,,Kaiserstand“ mit Blick den Hang hinunter.
Ich ließ mir von der Sonne das durchschwitzte Hemd trocknen und döste so vor mich hin. Plötzlich hörte ich Hundegeläut am Gegenhang. Eine Bache mit ihren vier Frischlingen flüchtete auf circa 200 Meter, gefolgt von einigen Überläufern. Nach einigen Minuten rechts oben Hetzlaut. Kurz darauf zog ein starkes Stück Schwarzwild den Bach entlang an mir vorbei. In einer Baumlücke faßte die Kugel und warf den Schwarzkittel buchstäblich in den Bach. Er wurde wieder hoch und verschwand, verfolgt von einem weißen Hund. Hetzlaut und danach heftiger, lang andauernder Standlaut.
Ich beschloss nachzusehen und folgte der Schweißfährte (was wegen des weitläufigen Abstellens zu verantworten war). Die Sau saß auf den Hinterläufen, im Rücken eine Felswand als Schutz, und wehrte den angreifenden Hund ab. Ich war auf etwa 25 Meter herangekommen, als mich die Sau erblickte und sofort auf mich losstürmte. Acht Meter vor mir traf das schwere Geschoss abermals und ließ die starke Bache zusammenbrechen. Das dritte Mal in meinen 50 Jägerjahren hatte mich ein Schwarzkittel angenommen.
Auch die Jagdfreunde waren erfolgreich gewesen. Hans hatte sogar einen Schakal erlegt. Abends zählten wir unsere Tagesstrecke zusammen: zwei Bachen, drei Keiler und ein Schakal.
6.Tag (7.Januar)
„Heute geht es ganz hoch hinauf“, sagte Wladimir. Der Schotterweg führte uns an einem circa 100 Meter senkrecht aufragenden gelben Kalksteinmassiv vorbei. Darin befand sich eine mit Gras bewachsene Einbuchtung in den Felsenhöhlen. Am Fuße dieses Felsmassives sahen wir einen terrassenähnlichen Pfad, der nur über eine Stelle zugänglich war.
Plötzlich bewegte sich in der von der Morgensonne beschienenen Einbuchtung ein schwarzer Fleck. Glas hoch: eine grobe Sau! Ich rief dem Fahrer zu: „Stoi Towarisch, stoi, Swinje“ (Halt Kamerad, halt, Schweine). Der ganze Konvoi blieb stehen. Wir stiegen aus, verteilten uns und eilten den Berg hinauf.
Plötzlich wurde es lebendig da oben. Eine Rotte Sauen, wohl 20 bis 25 Stück, stob irritiert durcheinander. Drei Keiler, einige Bachen mit ihren Frischlingen, davon einen ganz geringen, sowie einige Überläufer konnten wir ausmachen. Allmählich formierte sich die Rotte und versuchte, die einzige passierbare Stelle zu erreichen, um über den Pfad aus dem Felsenkessel zu entkommen. Ein Stück nach dem anderen, wie auf einer Perlenschnur aufgereiht, zog an uns vorbei.
Als der starke Keiler auf 50 Meter vorbeiflüchtete, setzte ich ihm die Kugel auf das Blatt. Auf den Schuß hin machte die ganze Rotte kehrt. Der beschossene Keiler stürzte über den Terrassenrand, schlug schwer auf, überschlug sich und blieb verendet liegen.
Mein Nachbarschütze schoß einen Überläufer aus der Felswand, der sich ebenfalls mehrmals überschlug. So etwas hatte ich bisher nur auf der Gamsjagd erlebt.
Als ich an meinen „Felsenkeiler“ herantrat, staunte ich nicht schlecht. Ein großrahmiger älterer Keiler lag vor mir. Die Hauer ragten zehn Zentimeter aus dem Gebrech, ebenso die Haderer. Durch äußere Einwirkung waren, wie sich später herausstellte, ungleiche Hauerlängen entstanden. Der eine maß 24,5, der andere immerhin 28,5 Zentimeter, und die starken Haderer waren 13 und 13,5 Zentimeter lang: Revierrekord für Jagdgäste. Wir erlegten an diesem Tag noch drei Keiler und zwei Überläufer.
Am Abend zählten wir die Gesamtstrecke zusammen: 14 Keiler, acht Bachen und Überläufer, ein geringer Frischling sowie ein Schakal, insgesamt 24 Stück Wild. Darunter waren fünf Keiler mit mehr als 20 Zentimeter Waffenlänge: eine wahrlich gute Strecke für sechs Schützen und fünf Jagdtage.
Fazit: Eine gut organisierte Jagd, herrliche Landschaft, Glück mit dem Wetter, viel Wild, sehr freundliche und hilfsbereite Menschen, gute Verpflegung und gute Führung zeichneten diese Jagdtage aus.
Abgesehen von den ersten beiden jagdhausnahen und mehrfach bejagten Revieren (vermutlich waren die fünf Jagdtage mit Aktivität auszufüllen), rundherum eine positive Sache.
Foto: Edgar Böhm