Zurück in die Zukunft – Bulgarien

1961

Bulgarien zählt sicherlich zu den berühmtesten Jagdländern Europas. Nach der politischen Wende hat sich aber die Situation in vielen Jagdrevieren stark verschlechtert, so dass die Gastjäger ausbleiben. Nun startet die Jagdverwaltung eine Renaissance.

Bulgarien
Die Thrakische Ebene ist die Kornkammer Bulgariens. Dort gibt es sehr gute Niederwild-Reviere.

Von Malte Dörter
„In diesem Land wächst alles im Überfluss, man muss die Ressourcen nur vernünftig nutzen“, erläutert mein Dolmetscher Trajan, während ich aus den Fenstern des Busses schaue und die neuen landschaftlichen Impressionen in mich aufnehme. Auf einer schnurgeraden, relativ gut ausgebauten Autobahn fahren wir Richtung Osten durch die Thrakische Ebene. Links und rechts der Straße erstrecken sich große Korn-, Tabak- und Sonnenblumenfelder auf fruchtbaren Schwarzerdeböden. Am nördlichen Horizont erhebt sich das Balkangebirge, den Blick nach Süden begrenzen die Rhodopen.

Trajans Worte bestärken meinen ersten Eindruck von Bulgarien: In diesem von günstigen geographischen und klimatischen Bedingungen gesegneten Land und in diesen abwechslungsreichen Landschaften muss es jagdliche Paradiese geben. Ich bin sehr gespannt auf das, was mich in den nächsten Tagen erwartet.

Auf der Messe „Jagd und Hund“ in Dortmund hatte ich ein sehr interessantes und nettes Gespräch mit Dr. Meglena Plugtschieva, der bulgarischen Vizeministerin für Landwirtschaft und Forsten. Sie schilderte kritisch die Missstände im Jagdwesen Bulgariens nach der Wende. Wilderei, wildfeindliche Strömungen im Forstministerium, Entlassungen von kompetentem Personal aufgrund alter Parteizugehörigkeit; zum Teil gewolltes Herunterwirtschaften von staatlichen Jagdrevieren durch deren Leiter, um diese dann bei der geplanten Privatisierung günstig erwerben zu können. Außerdem haben natürliche Katastrophen wie die Schweinepest den Glanz Bulgariens als Jagdland arg verblassen lassen. All das hat dem Jagdtourismus stark geschadet.

Aber nun will man sich auf Bewährtes besinnen und zudem neue Wege beschreiten, um Bulgarien wieder zu einem der führenden Jagdländer in Europa zu machen. Die Ausführungen der Vizeministerin klangen plausibel, und so nahm ich gern ihre Einladung an, mir Ende September zur Rotwild-Brunft die Lage vor Ort anzuschauen.

 

In der Thrakischen Ebene

Nach der Ankunft in Sofia und einer kurzen Begrüßung im Forstministerium ist meine erste Station der Rundreise das Niederwildrevier Tschekeritza, 150 Kilometer südöstlich von Sofia. In einem komfortablen Gästehaus werde ich herzlich empfangen und danach geht es sofort mit einem Geländewagen ins Revier.

Mein erster Eindruck ist die üppige Kraut- und Strauchvegetation. In diesen dschungelartigen Deckungsverhältnissen hat man in regelmäßigen Abständen breite Schneisen angelegt, auf denen Wildäcker und -wiesen unterhalten werden – ein Niederwildrevier mit optimalen Deckungs- und Äsungsbedingungen von 2.100 Hektar Größe. Dazu gibt es noch riesige Brachflächen, auf denen der Blick weit streichen kann.

Die Haupt-Wildarten in diesem Revier sind Rehwild, Fasane, Rebhühner und Enten. Auf unserer Pirschfahrt treffen wir auch häufig auf Rehe, die sehr stark im Wildbret sind. Laut Trajan schieben die Böcke hier Gehörne mit durchschnittlich 350 Gramm, was nicht sonderlich spektakulär ist, aber wegen des geringen Jagddrucks werden sie alt.

Die Dämmerung ist hereingebrochen, und im Scheinwerferlicht des Geländewagens huschen Fasane und Rebhühner über die Fahrwege. Das Flugwild wird hier mit Vorstehtreiben und Streifen bejagt. Man versichert mir Tagesstrecken von bis zu 200 Stück Flugwild, was ich aufgrund des Gesehenen gerne glaube. Der Reiz dieses Reviers liegt aber nicht allein in der Höhe der Strecken, sondern in der Möglichkeit, im Oktober eine Flug- und Rehwildjagd kombinieren zu können.

Abends im Gästehaus wird so fürstlich aufgetischt, als wolle man mir alle Köstlichkeiten der Landesküche auf einmal präsentieren. Auch als man mir erklärt, dass man die erste Flasche Schnaps bereits zum einleitenden Salat austrinken muss, bin ich „beeindruckt“.

Nach dem sechs Gänge Menü und doppelt so vielen Flaschen geistiger Getränke falle ich „voll“ mit positiven Eindrücken ins Bett. Am nächsten Morgen wird mir noch die örtliche Fasanerie gezeigt, die sehr gepflegt ist. Tschekeritza wird offensichtlich fachgerecht bewirtschaftet.

Bugarien
Der Komfort der Jagdhäuser sowie Service und Verpflegung haben einen hohen Standard, aber dafür auch einen hohen Preis.

 

 

 

 

 

Fotos: Malte Dörter

Am Schwarzen Meer

Am Schwarzen Meer

Wir setzen unsere Fahrt gen Osten fort und passieren einige Städte und Industriegebiete, die stark heruntergekommen aussehen. Welch ein Kontrast zu der herrlichen Natur. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat dieses Land hart getroffen. Es ist noch ein weiter Weg, den Anschluss an den Westen zu erlangen. Aber aus dem Gespräch mit Trajan während der Fahrt geht hervor, dass die Bulgaren dazu fest entschlossen sind.

Um die Mittagszeit erreichen wir die Küste des Schwarzen Meeres und das Revier Ropotamo, 45 Kilometer südlich von Burgas. Nach dem Mittagessen in dem wiederum sehr komfortablen Gästehaus brechen wir zur Revier-Erkundung auf, zunächst mit einem Bus. Schon auf den ersten Kilometern überwältigt mich die Schönheit und Vielfältigkeit der Landschaft. Eichen- und akazienbestockte Höhenzüge mit Mittelgebirgscharakter und fruchtbare Täler mit Wiesen und Auwäldern vermitteln ein malerisches Bild.

Die Hauptwildarten in Ropotamo sind Rot- und Damwild sowie Schwarzwild. Wegen der üppigen Vegetation und des milden Klimas sind die Wildbret-Gewichte enorm. Rothirsche und Keiler überschreiten nicht selten 300 Kilogramm aufgebrochen.

Das 20.000 Hektar große Revier wird von dem Fluss Ropotamo durchschnitten. Ein wild romantischer Auwald säumt das Ufer und die Mündung des Flusses in das Schwarze Meer. Meine freundlichen Gastgeber haben eine Bootstour auf dem Ropotamo für mich organisiert. Lautlos gleitet das Boot durch den Auwald. Im Uferbereich sehe ich viel Dam- und Rotwild. Die Bootsinsassen schweigen der beschaulichen Stimmung angemessen, und ich träume von der Erlegung eines alten Auhirsches.

Leider müssen wir die Bootsfahrt bald abbrechen, denn der enge Zeitplan drängt. Bei der Verabschiedung versammeln sich die Jagdgäste und ihre Führer vor dem Gästehaus für die Abendpirsch. Alles macht einen sehr gut organisierten Eindruck, und ich weiß jetzt schon, in dieses Revier möchte ich noch einmal zurückkehren.

Die nächste Station meiner Rundreise ist die Küstenstadt Nessebar und die örtliche Forstverwaltung. Da der Abend sehr warm ist und die Rothirsche erst tief in der Nacht zu melden beginnen, entscheiden wir uns, die Abendpirsch ausfallen zu lassen. Ich bin deswegen nicht unglücklich, habe ich doch über 400 Kilometer Busfahrt an diesem Tag in den Knochen.

Statt dessen wird mir die Trophäen-Sammlung des Forstamtes gezeigt. Beim Anblick der kapitalen Rothirschgeweihe und Keilerwaffen läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Aber bevor ich mir solche Trophäen-Träger leisten kann, werde ich noch einige Reportagen schreiben müssen. Als weitere Wildarten kommen in dieser 21.500 Hektar großen Forstverwaltung Dam- und Rehwild vor.

Danach besichtige ich zusammen mit Trajan die pittoreske Altstadt von Nessebar, die das Flair des Vielvölkerstaates Bulgarien eindrucksvoll vermittelt. Die gut restaurierten Holzhäuser, die uralten orthodoxen Kirchen, das ruhige Meer und ein farbenprächtiger Sonnenuntergang lassen Urlaubsstimmung aufkommen. Während wir in einem Fischrestaurant am Hafen zu Abend schlemmen, reift in mir der Wunsch, einmal eine Jagdreise mit einem Erholungsurlaub in diesem gastfreundlichen Land zu verbinden, zumal die Preise der Gastronomie sehr günstig sind.

Als wir in das Forstamt zurückkehren, erwartet mich ein zweites, sehr opulentes Abendessen – meine Gastgeber überschlagen sich förmlich vor Gastfreundschaft. Ich bin sehr gerührt und versuche so viele Köstlichkeiten wie möglich in mich hinein zu stopfen und mit reichlich Wein hinunter zu spülen. Aber um Mitternacht muss ich die Segel streichen, denn ich drohe zu platzen. Die Fülle der neuen Eindrücke und der Verpflegung lassen mich dann auch schnell einschlafen.

Pirsch auf Rotwild

Pirsch auf Rotwild

Am nächsten Morgen werde ich lange vor Sonnenaufgang geweckt, denn wir wollen auf Rotwild pirschen – leider nur mit der Fotokamera. Wir verlassen die Küste und fahren steile Berghänge auf Serpentinen hinauf in das Jagdrevier. Als wir auf einem Grad ankommen, steigen wir aus, um zu Verhören. Aus dem Tal dröhnt reger Brunftbetrieb zu uns herauf. Welch ein Konzert, das hatte ich mir vor der Reise erträumt.

Zusammen mit einem jungen Jagdführer pirsche ich in das Tal hinab in der Hoffnung, einen kapitalen Geweihten vor die Linse zu bekommen. Das ist aber wegen des urwaldartigen Eichenwaldes gar nicht einfach. Zudem sind die Berghänge garstig steil, und ich fange bald an, mächtig zu schwitzen. Dennoch gelingt es uns, an einen Hirsch mit gewaltiger Stimme – kein Wunder bei diesen „Resonanzkörpern“ – bis auf 30 Schritt heran zu kommen.

Leider ist das Gewirr der Äste zu dicht für ein Foto, aber einem brunftigen Hirsch so nah zu sein, ist immer wieder ein erregendes Erlebnis. Starke Brunftwitterung zieht uns in die Nasen, um uns herum orgeln noch mindestens zehn weitere Hirsche. Ich schließe die Augen und genieße.

Nach dem Sonnenaufgang verschweigen die Hirsche, und wir klettern wieder den Berg hinauf zum Geländewagen. Dieser Aufstieg lässt mich meine „Rauchersünden“ schmerzhaft spüren. Man kann in Bulgarien sicherlich seinen Hirsch bequem von einer komfortablen Kanzel aus erlegen, aber es geht auf Wunsch auch sehr sportlich.

Auf der Fahrt zum Jagdhaus frage ich die Leiterin des Forstamtes, wie sie Forstwirtschaft und Jagd in Einklang bringt. Die Antwort ist verblüffend einfach: „Auf den Brunftplätzen und in den Wildeinstandsgebieten wird kein Holz geschlagen.“ „Begnadetes Land“, schießt es mir in meinen deutschen Försterkopf.

Bevor wir unsere Rundreise fortsetzen, gibt es noch ein Frühstück im Gästehaus des Reviers. Dabei beiße ich leichtfertig in eine Peperoni und erfahre ein infernalisches „Mundtrauma“. Die bulgarische Variante dieser Hülsenfrucht ist wahrlich nur schmerzfreien Menschen zu empfehlen. Auch der Abschied von den lieben Menschen in diesem Revier fällt schwer, aber wir müssen weiter zu unserer nächsten Station: der Forst- und Jagdverwaltung Scherba, 80 Kilometer westlich von Varna.

Im Balkangebirge

Im Balkangebirge

Wir kommen gegen Mittag in dem Revier an, beziehen das in einem wunderschönen Park gelegene Gästehaus und gönnen uns erst mal ein Nickerchen wegen der nur kurzen letzten Nacht. Danach machen wir eine Rundfahrt durch das Revier. Zunächst sind meine Försteraugen von dem herrlichen Waldbild beeindruckt. Aufgrund der nördlicheren Lage im Balkangebirge stocken hier dimensionsstarke Buchen, deren Althölzer kühle Hallenwälder ausbilden – ein angenehmer Kontrast zu der Hitze an der Schwarzmeerküste. Dicke Eichen, Ahörner, Eschen, Fichten, Lärchen und Kiefern bereichern das farbenfrohe Bild des herbstlich gefärbten Mischwaldes.

Die Revier-Einrichtungen sind, wie auch in allen zuvor gesehenen Revieren, in sehr gutem Zustand. Große Wildäcker und -wiesen, an denen komfortable Kanzeln stehen, ermöglichen es auch älteren Jagdgästen, auf die vorkommenden Wildarten, Rot-, Dam-, Schwarz-, Reh- und Muffelwild, zu waidwerken. Mich stört zwar, dass im Schussfeld vieler Kanzeln Fütterungen unterhalten werden, aber als junger Jäger kann man ja sein Glück auf der Pirsch in den zum Teil unzugänglichen Wäldern versuchen. In dem 16.200 Hektar umfassenden Revier Scherba wird für jeden Konditionsgrad etwas geboten.

Abends sitze ich dann mit einem Jagdführer an einem großen Brunftplatz auf Rotwild an – leider wieder nur mit einer Kamera bewaffnet. Aber das in der Dämmerung aufkommende Brunftkonzert kompensiert meine zur Zeit nicht erfüllbaren, jagdlichen Wunschträume. Vier Platzhirsche melden um uns herum, einer davon mit dem satten, rasselnden Bass, der einen wirklich alten Hirsch auszeichnet. Ich bekomme eine Gänsehaut.

Leider verlassen die Recken den Bestand nicht. „Nur“ eine kapitale Wildkatze schnürt über die Wildwiese vor uns. Aber meine Fantasie hat reichlich Nahrung erhalten, und so kehren wir nach Einbruch der Nacht in das Gästehaus zurück. Dass es in diesem Revier starke alte Hirsche gibt, ist akustisch beeindruckend unter Beweis gestellt worden. Das vorzügliche Abendessen wird durch die Anwesenheit des pensionierten, ehemaligen Revierleiters gewürzt. Die tiefe, rauhe Stimme des charismatischen Herren kann es sicherlich mit dem stärksten Platzhirsch des Reviers aufnehmen, und seine eloquent vorgetragenen Jagdanekdoten bescheren uns einen kurzweiligen, unvergesslichen Abend.

Für die Rückreise am nächsten Tag wählen wir eine Route durch das Balkangebirge. Wie ein Schwamm sauge ich die vielen Landschaftsbilder links und rechts der Straße auf. Immer wieder möchte ich anhalten, um die fantastischen Gebirgspanoramen gebührend genießen zu können, aber der Zeitpunkt meines Abflugs rückt erbarmungslos näher.

Zurück in Sofia

Zurück in Sofia

Wieder in Sofia, besuchen wir noch einmal das Forstministerium. Der junge, sympathische Leiter des Jagdreferats erkundigt sich nach meinen Eindrücken und fragt ehrlich interessiert nach Verbesserungsvorschlägen. Ich kann ihm nur sagen, dass ich sehr positiv von dem Erlebten gestimmt bin und dass ich die besuchten Reviere uneingeschränkt empfehlen kann. Darüber hinaus rege ich an, für junge, weniger finanzkräftige Jäger Programme zu entwickeln. Man sollte dabei auf luxuriöse Unterkünfte verzichten und statt dessen sportliche Jagden in schwer zugänglichen Gebieten offerieren, die bisher nur wenig genutzt werden konnten – so könnten beide Seiten profitieren. Ich bin gespannt, ob die Jagdverwaltung das umsetzen wird, entsprechende Pläne sollen jedenfalls ausgearbeitet werden.

Bei der Verabschiedung versichert mir der Jagdabteilungsleiter noch, dass der Jagd in Zukunft ein höherer Stellenwert als nach der Wende zugemessen werden soll, damit Bulgarien wieder an die Spitze der Jagdländer Europas gelangt. Meiner Meinung nach ist man dazu auf dem besten Weg.

Auf dem Rückflug und noch heute habe ich die reichhaltigen, schönen Erlebnisse der leider nur kurzen Reise im Kopf. Auch wenn ich längst nicht alles in den vier Tagen gesehen habe, und es sicherlich noch vieles zu verbessern gibt, kann ich jedem passionierten Auslandjäger zu einer Reise nach Bulgarien raten. Das herrliche Land, die gastfreundlichen Menschen und die hervorragenden Jagdreviere werden mich auf jeden Fall wieder sehen.

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