Der Weg der Steine

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Steinhuhn- und Fasanenjagd auf Kreta – Bei dem Stichwort Kreta denkt man in der Regel an mediterranes Flair, Badeurlaub, Minoische Kultur und… aber an Jagd?

Kreta
Kreta von der ehrben Seite: Spannende, anstrengende Büscheirjagd in den Bergen bei Sturm und Überstock und Stein…

Von Malte Dörter
Entsprechend erstaunt, skeptisch, aber auch neugierig war ich, als Wolfgang mich im vergangenen Jahr fragte, ob ich mit ihm auf Kreta jagen wolle. „Klar“, antwortete ich spontan, „und auf was soll es gehen?“ „Auf Steinhühner, Fasane und eventuell Wildziegen.“ „Hm, aber ist das wirklich Jagd? Kreta ist doch eine Tourismus-Hochburg und…“ „Mach dir keine Sorgen, die Jagd findet in dünn besiedeltem Gebirge statt und ist sogar recht anstrengend“. „Gebirge zieht scharf“, dachte ich mir, und somit war die Entscheidung für diese Jagd gefallen.

Normalerweise bereite ich mich im Vorfeld einer Reise auf das Land, das Klima, die Kultur, die Bevölkerung und das Jagdsystem genau vor, aber in diesem Fall war eine Recherche wegen der Kurzfristigkeit des Termins sowie diverser beruflicher und privater Gründe nicht möglich. So traf ich mich am 2. Dezember vergangenen Jahres mit Wolfgang auf dem Flughafen Düsseldorf mit Vorfreude im Bauch, aber ohne große Erwartungen im Kopf.

Da die griechische Jagdbehörde die letztjährige Jagdzeit auf Wildziegen kurzfristig für beendet erklärt hatte und es somit „nur“ auf Steinhühner und Fasane gehen sollte, hatte ich mich entschieden, vor Ort eine Leihflinte zu nehmen. Insofern verlief meine Zollabfertigung problemlos.

Anders bei Wolfgang: Die Zollbeamten waren bei seiner Waffendeklaration zwar höflich und zuvorkommend, aber offensichtlich ohne Erfahrung, denn sie markierten seinen Waffenkoffer mit einem orangen statt dem korrekten gelben Aufkleber. Das hatte zur Folge, dass bei der Gepäckabfertigung Wolfgangs Koffer nicht verladen wurde, da das orange Zollsiegel besonders gefährliche Gegenstände bezeichnet, die nur mit Frachtmaschinen transportiert werden dürfen. Alles Argumentieren half nichts, und so musste Wolfgang ohne seine Flinte abfliegen.

Also, sollten Sie bei der Deklaration Ihrer Waffen auf deutschen Flughäfen die Zollbeamten mit einem orangen Aufkleber hantieren sehen, schreiten Sie bitte sofort ein und verlangen das gelbe Siegel!

Außerhalb der Hauptsaison ist die Flugreise nach Kreta ziemlich langwierig. Zuerst fliegt man nach Thessaloniki, dann nach Athen und schließlich nach Chania auf Kreta. Alles in allem ist man gute sechs Stunden unterwegs – strapaziös, aber preislich günstig. Dementsprechend müde waren wir bei unserer Ankunft in Chania am späten Abend. Charis, unser Outfitter und Jagdführer, holte uns pünktlich am Flughafen ab und fuhr uns zum Quartier, das mitten im Jagdgebiet in den Bergen, nahe der Ortschaft Askifu, liegt.

Während des Transfers über die Serpentinen reiche Landstraße kam bei mir endlich Reiselust auf, denn alles vorher war Routine. Zwar konnte ich in der Dunkelheit nichts von der Landschaft erkennen, aber die mediterranen Düfte, welche die Vegetation verströhmte, hatten eine beruhigende Wirkung. Die auf Besiedelung deutenden Lichter links und rechts der Straße wurden weniger, also hatte Wolfgang recht, dass meine Bedenken wegen möglicher touristischer Aktivitäten im Jagdrevier grundlos waren.

Eine angenehme Überraschung war unsere Unterkunft – eine aus Naturbruchstein und Holz gebaute Jagdlodge, deren Komfort und Gemütlichkeit keine Wünsche offen ließen. Nachdem Charis uns in die Räumlichkeiten eingewiesen hatte, fragte er noch: Wollt ihr lieber auf einer Hochebene oder in den Bergen auf Steinhühner und Fasane buschieren?“ Als junge, sportliche Jäger antworteten wir natürlich „in den Bergen“. Nun hatten wir aber die Meßlatte ziemlich hoch gehängt, denn Charis ist ein athletischer Bursche und neben der Jagd ein leidenschaftlicher Taucher mit gewaltigem Lungenvolumen, wie wir noch feststellen sollten. Mit einer gewissen Vorahnung im Bauch schoben wir uns dann schnell in unsere Schlafzimmer ein.

Klasse arbeitende Hunde.
Klasse arbeitende Hunde.

 

Fotos: Malte Dörter

Steine‚ Steine und Steinhühner

Steine‚ Steine und Steinhühner

Der Morgen des ersten Jagdtags begrüßt uns zwar mit klarem, sonnigem Wetter, aber der Schein trügt, denn am westlichen Horizont zeigen sich bereits milchige Wolken, die einen baldigen Wetterumschwung ankündigen.

Nach einem ausgiebigen Frühstück lasse ich zunächst die neue Umgebung auf mich wirken. Von der Lodge, die auf halber Höhe in einen Berghang gebaut ist, blickt man auf die fruchtbare Hochebene von Askifu. Die dortigen Gehöfte und Felder werden von verkarsteten, steilen Bergen umrahmt, die sich auf Höhen von über 1.000 Meter erheben. Waldparzellen aus knorrigen Kiefern und Macchie-Sträucher durchbrechen als grüne Farbtupfer das ansonsten graue und öde Erscheinungsbild der Bergflanken? eine herbe, offene Landschaft, aber ideal für die Pirsch- und Buschierjagd.

Gegen zehn Uhr holt Charis Wolfgang und mich ab und fährt mit uns zu einem Bergsattel, von wo aus die Jagd beginnt. Mit von der Partie sind ein Jagdgehilfe und zwei Pointerhündinnen. Nach einigen Probeanschlägen mit den Leihflinten schwärmen wir in einer Linie aus und die Pointer suchen mit großer Passion voran. Unser Weg führt bergan, zwar nicht besonders steil, aber das Laufen über grobes Kalkgestein lässt Wolfgang und mich bald reichlich schwitzen. Charis und seinem Gehilfen ist nichts anzumerken. Spätestens jetzt wird mir wird klar: Das hier wird kein Spaziergang!

Purrr… wie ein brauner Kugelblitz streicht vor mir das erste Steinhuhn des Tages ab. Ich bin völlig überrascht, schlage schnell die Flinte an, Klick! Verdammt, noch gesichert ? das alte Leid mit einer noch ungewohnten Leihwaffe. Es geht weiter. Vorsichtig, aber zügig setze ich meine Schritte von Kalkstein zu Kalkstein, denn dazwischen zu treten birgt die Gefahr umzuknicken und sich einen Knöchel zu verrenken. Ein Tipp am Rande: Bei dieser Jagd unbedingt stabile Bergschuhe tragen!

Da, einer der Pointer steht vor. Charis gestikuliert hektisch, ich pirsche schnell heran mit der Flinte im Voranschlag. Charis pfeift und die Hündin stößt das Steinhuhn aus seinem Versteck. Bumm, Bumm – vorbei. Die beiden Griechen werfen mir skeptische Blicke zu und auch in den Augen des Pointers meine ich ein vorwurfsvolles Funkeln zu erkennen. „Das fängt ja gut an“, denke ich mir.

Es ist aber wahrlich nicht leicht, die pfeilschnellen Steinhühner zu treffen, die im Konturenflug das schwierige Gelände perfekt zu nutzen wissen. So bekleckert sich auch Wolfgang anfänglich nicht mit Ruhm.

Immer wieder mache ich während unserer Streife Probeanschläge und -schwünge. Und endlich gelingt es mir, mit einem Reflexschuss mein erstes Steinhuhn zu erbeuten. Stolz wie Oskar hebe ich den prächtig gezeichneten, grazilen Vogel auf und halte ihn hoch, worauf sich die Mienen meiner Mitjäger merklich aufhellen.

Nun, wieder mit Selbstvertrauen ausgestattet, läuft es wie am Schnürchen. Mit Elan balanciere ich über Stock und Stein und spüre die Anstrengung dabei kaum mehr. Die beiden Pointer arbeiten super. Immer wieder stehen sie sicher vor, und ihre Arbeit wird durch meine jetzt gute Schussleistung belohnt. Auch bei Wolfgang ist der Knoten geplatzt. So kommen nach und nach einige Steinhühner und ein Fasanengockel zur Strecke.

Gegen Nachmittag werden unsere Beine – natürlich nicht die der Griechen – langsam müde. Da sich auch das Wetter zunehmend verschlechtert, beschließen wir abzusteigen, um diesen Jagdtag zu beenden. Auf dem Weg zum Geländewagen fliegt plötzlich vor mir ein Steinhuhn auf, holt sich Wind und streicht mit einem „Affenzahn“ nach links ab. Reflexartig gehe ich in Anschlag, schwinge eine „Wagenlänge“ vor und schieße, als das Huhn schon sicherlich über 40 Meter entfernt ist. Wie ein Stein fällt es getroffen vom Himmel. „Bravo, Bravo“, applaudiert Charis. Mir schwillt vor Stolz die Brust – schöner kann man einen Jagdtag nicht beschließen.

Bevor wir zur Lodge zurückkehren, besichtigen wir noch die Wurftauben-Anlage des örtlichen Schießvereins. Im Clubhaus sehe ich zum ersten Mal „Pick-Up-Trophäen“ von kretischen Bezoar-Steinböcken. Diese autochthone Art ist optisch identisch, aber viel kleiner als die bekannten Bezoare aus der Türkei oder dem Iran. Leider ist der Bestand auf Kreta bedroht und die Jagd daher verboten – sehr schade, denn Charis berichtet aus seiner Jugend von der sehr spannenden und anspruchsvollen Bergjagd auf dieses edle Wild. Als „Ersatz“ kann man heute auf verwilderte Ziegen jagen, was auch recht spannend sowie anstrengend sein soll. „Tja, ich hätte es gerne probiert“, sage ich zu Charis. Der schüttelt nur den Kopf und seufzt: „Die meist willkürliche Festsetzung der Jagdzeiten durch die Behörde kann ganz schön nerven.“

Den Abend verbringen Wolfgang und ich gemütlich vor dem offenen Kamin des urig mit Holz getäfeltem Speisesaals. Draußen frischt der Wind lebhaft auf. Was wird der nächste Tag wohl bringen?

Die Sturm-Schnepfe

Am zweiten Jagdtag führt uns Charis zu einen Bergrücken auf der gegenüberliegenden Seite der Hochebene. Der Wind, der über Nacht zu einem Sturm angewachsen ist, zerrt an unserer Kleidung, und über die Bergkämme fegen dunkle Wolken ? ein düsteres Szenario. So hatte ich mir den Kurztrip auf diese berühmte Mittelmeer-Urlaubsinsel nicht vorgestellt, dachte ich doch, dass ich hier trotz Winterzeit ein wenig Sonne „tanken“ könnte. Aber was soll´s, wir wollen jagen und nicht am Strand bräunen.

Während unserer Streife machen die Hunde einige Fasane und ein paar Steinhühner hoch, die Wolfgang und ich, jetzt wieder geübt, sicher erlegen können. Aber besonders die Hühner drücken sich bei dem starken Wind lange und streichen, wenn überhaupt, nur sehr flach ab. Dadurch wird das Schießen ziemlich kompliziert, denn immer ist irgendwelcher Bewuchs in der Schusslinie. Also steigen wir höher, über die Baumgrenze hinaus, um freieres Schussfeld zu haben. Charis marschiert mit seiner Pferdelunge vorweg, wir Bürohengste stolpern schnaufend hinterher.

Aber der Wind! Je höher wir kommen, desto heftiger werden wir gebeutelt, was das Balancieren über das Geröll zu einer wackeligen Angelegenheit macht. Auch die ansonsten firmen Hunde bekommen Schwierigkeiten, denn die starken Böen verwehen die Wildwitterung. Dadurch wird das Suchen, Finden und Apportieren zum Glücksspiel.

Gegen Mittag haben wir und die Hunde „die Schnauze voll“ und wollen gerade zu Tal absteigen, als plötzlich ein langschnäbliger Vogel an uns vorbei schießt. „Schnepfe“ brüllt Charis in den Wind und gleich einem Stromschlag kehrt unsere Jagdpassion zurück.

Ich möchte nicht damit langweilen, wie oft wir den Berg rauf und runter gekraxelt sind, um die begehrte Beute zu erwischen. Die Schnepfe hält uns jedenfalls zum Narren, denn sie streicht von einem Kiefernhain zum andern. Wir hasten hinterher, ohne aber auf Schussdistanz heran zu kommen. Schließlich geht Wolfgang und mir die Puste aus und wir geben uns geschlagen.

Aber auch ohne Schnepfe auf der Strecke geht ein schöner, erlebnisreicher Tag sowie unsere Kretajagd zu Ende. Der Jagdführer, die Hunde und vor allem wir Gäste haben uns reichlich verausgabt und trotz des schlechten Wetters ordentlich Beute gemacht – alles in allem eine Jagd ganz nach meinem Geschmack!

Zum Abschluss unseres Aufenthalts in den Bergen zeigte Charis uns noch den Jagdbetriebshof des Reviers. Alles machte einen sauberen, professionellen Eindruck, besonders die Fasanerie. Gerade deshalb mein einziger Kritikpunkt zu dieser Jagd: In einem ansonsten vorbildlich wirtschaftenden Jagdbetrieb sollte man darauf achten, dass die verschossenen Schrothülsen aufgesammelt werden, die leider für meine Begriffe zu zahlreich in der Landschaft herumliegen.

Um der reichen Kultur Kretas ein wenig Rechnung zu tragen, verbrachten wir unseren letzten Abend in Chania. Charis sympathische Frau Patrizia zeigte uns während eines Bummels die Sehenswürdigkeiten der alten, malerischen Hafenstadt. Danach genossen wir die Köstlichkeiten der kretischen Küche in einer typischen Hafentaverne – ein sehr stimmungsvoller Ausklang einer gelungenen Jagdreise.

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