Eine abgebrühte Sau

1991


Frankreich
 

2/ 2012

Südfrankreich wird von vielen Touristen sehr geschätzt. Aber nicht nur als Urlauber ist diese Region ein Hochgenuss. Auch der Gastjäger kommt hier voll auf seine Kosten.

Von Dr. Rolf Roosen

 

Frankreich
Nicht nur beim Gamsjagern, auch beim Sauriegler geht es hoch hinauf. Foto: C. Jeriere
Drei Schüsse fallen in rascher Folge. Kein gutes Zeichen. Denn sie gelten einem einzelnen Überläufer. Doch der Reihe nach: Um 8 Uhr treffen sich gut 20 Franzosen in einem alten säkularisierten Kloster bei Beaumont-en-Diois. Das mittelalterliche Dorf befindet sich im französischen Département Drôme, einer voralpinen Region, durch die die Rhône fließt. Heute soll es auf Sauen gehen. Das Revier hat eine Größe von etwa 3.500 Hektar. Bewirtschaftet wird es von 3 Gemeinden, die sich zu einer Jagdgenossenschaft zusammengeschlossen haben.
 
Die Wilddichte ist gering. Deshalb praktizieren die passionierten Franzosen eine spezielle Jagdmethode: Sie suchen mit Griffons Nivernais vor, einer Jagdhunderasse, die im frühen Mittelalter zur Wolfshatz gezüchtet wurde. 6 Rüdemänner fährten mit ihren Hunden Teile des Jagdgebietes ab. Um 10 Uhr finden sie sich – wie verabredet – wieder im Kloster ein und berichten der auf sie wartenden Corona von ihren Beobachtungen. Heute ist nur ein einzelner Überläufer mit einem geschätzten Wildbretgewicht von 80 Kilogramm anhand zweier Trittsiegel bestätigt worden.
 
Jagdleiter Christian Rey entwickelt sofort einen Schlachtplan: Da der Überläufer sich recht hoch eingestellt hat (ca. 1.400 Meter über NN), werden die Stände heute nicht gelost. Die jüngeren Jäger sollen ihren Posten in den Steillagen beziehen, die älteren stehen weiter unten. Das Jagdareal liegt in der Ebene bei 425 Metern über NN, in den Bergen geht es bis auf über 2.000 Meter hinauf.
 
Und schon wird aufgesessen. Ein gutes Stück fahren wir mit dem Geländewagen ins mit Mischwald bestockte Gebirge. Die letzten 1.000 Meter machen wir zu Fuß. Es geht steil bergauf. Ich habe Mühe, mit den berggewohnten Franzosen mitzuhalten. Zudem ist es arg glitschig, denn es kübelt in Strömen. Der Wind peitscht uns den Regen ins Gesicht, kein Spaß für einen Brillenträger wie mich.
 
Schließlich haben François und ich unsere Stände erreicht. Um mich herum Buchsbaum, Kiefer und Eiche, keine 2 Meter vor mir ein steil abfallender Felshang, hinter mir eine Felswand. Auf dem schmalen Pfad, den wir hochgestiefelt sind, sollen die Sauen bevorzugt kommen. Na, ob das wohl stimmt? Ich habe meine Zweifel, insbesondere als ich im Gegenhang eine 3-jährige Gamsgeiß ausmache. Sind wir hier oben richtig postiert, um Sauen vorzubekommen? Und lohnt dieser enorme Aufwand für nur einen bestätigten Schwarzkittel?
 
Plötzlich vernehme ich in der Ferne das Geläut der geschnallten Griffons Nivernais. Sekunden später fallen 3 Schüsse im Tal. Gute 20 Minuten später ein weiterer Schuss. Einer der Jäger hat den Überläufer mit einem Schuss hinter den Teller über Kopf gehen lassen. Die Jagd ist für heute beendet. Ich bin schwer beeindruckt. Denn Christian Rey hat aufgrund seiner hervorragenden Revierkenntnis die Schützen so angestellt, dass der Überläufer 4 von ihnen gekommen ist. Der erste hatte unglücklicherweise seinen Repetierer gesichert, der zweite fehlte dreimal. Dem dritten kam die Sau überriegelt, ein Durchgehschütze brachte sie dann zur Strecke. Der Überläufer wollte übrigens bergauf entkommen.
 
 
 

Die Sau in der Wanne

 

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Bei 75 Grad Celsius wird der Überläufer in einer alten Badewanne abgebrüht. Foto: Dr. R. Roosen
Nach dem Treiben treffen wir uns im Kellergewölbe des Klosters an einem langen hölzernen Tisch. Nun wird erst einmal gevespert. Weißbrot, Käse, Paté und Wildsalami, dazu einen Pernod oder roten Tafelwein. Köstlich!
 
Danach erst geht es – Wildbrethygiene wird hier anders gehandhabt als in Deutschland – ans Aufbrechen, denke ich. Doch gefehlt: Zunächst wird heißes Wasser (75 Grad) in eine Badewanne gekippt. In der braunen Brühe wird der Überläufer etwa 10 Minuten hin- und hergewendet. Anschließend bugsiert man ihn auf einen Holzlattentisch. Und nun machen sich 6 Franzosen daran, der Sau sämtliche Borsten auszuzupfen. Mit Hilfe von Messer und Flamme werden auch die letzten Haare entfernt. Nun schaut die Sau wie ein Hausschwein aus.
 
Erst jetzt wird sauber aufgebrochen und in 4 – 5 Teile zerwirkt. Das Haupt wird in Gänze ausgelöst, das Kopffleisch mit einem Bindfaden wieder in Form gebracht. Gesottener Wildschweinkopf gilt in Südfrankreich als Delikatesse.
 
Die Wildbretportionen werden unter den Schützen verteilt. Natürlich reicht es – mit den Innereien – für höchstens 6 Personen. Das aber ist kein Problem, denn im Jagdjahr bekommt jedes Mitglied der 75 Köpfe zählenden Jagdgesellschaft seinen Anteil. Geweidwerkt wird übrigens intensiv: Von September bis Januar stellt die Truppe – in allerdings wechselnder Zusammensetzung – jeden Samstag und Sonntag den Sauen nach. Das ist Passion. Wenn es optimal läuft, fallen bei solch einer Treibjagd – la battue, nennt es der Franzose – zwischen 2 und 6 Sauen. Insgesamt kamen im vergangenen Jagdjahr 84 Stück Schwarzwild zur Strecke. Kirren ist übrigens nur in den Bergregionen statthaft, nicht in den tiefen Lagen. An Kirrgut, in der Regel Mais, darf nur soviel ausgebracht werden, dass die Sauen eine Weile beschäftigt sind. Das ist wie bei uns.
 
 
 

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Das gemeinsame Weidwerken in den Auen der Rhône oder der Bergwelt der Drôme ist wesentlicher Teil des Lebens der männlichen Dorfgemeinschaft. Nicht jouer aux boules, also Boule-Spielen, dient hier der Geselligkeit, sondern die Jagd. Das Ganze gipfelt in einem 3-Gänge-Menü am Abend. Bei uns gab es Hasenterrine an Salat als Vorspeise. Hauptspeise waren 4 gesottene Wildschweinköpfe und dazu reichlich Gemüse. Zum Nachtisch wurde köstlicher Walnuss-Kuchen mit Vanillesauce serviert. Alles begleitet von guten Weinen. Zum Dessert wurde ein Clairette de Die gereicht, ein fruchtiger Sekt, der aus den Trauben der Region gewonnen wird, und zurecht als Spezialität gilt.
Großzügige Gastfreundschaft, die bekannt exzellente französische Küche, Passion und eine zauberhafte Bergwelt sind Gründe genug, um bald wieder in die Drôme zu reisen. Der wichtigste Grund aber sind meine neuen Jagdfreunde.
 

 

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