2/2010
Vater und Sohn reisen gemeinsam nach Kasachstan, um Maralen und Steinböcken nachzustellen. In grandioser Bergwelt, aber auch mit grandiosen Anstrengungen.
Von Bruno Ertle
Pferde: Reittiere ud Lastenträger zugleich in dieser Gegend. Foto: B. Ertle |
Seit bald 10 Stunden sind wir unterwegs: von Almati Richtung Osten auf einer schäbigen Straße. Früher war der Asphalt sicher durchgehend, heute sind nur noch Bruchteile davon vorhanden. Die Kunst unseres Chauffeurs besteht darin, riesige Löcher zu umfahren. Bei einer Baumgruppe halten wir an. Jeep wird kommen, dann fahren dort oben, und die Dolmetscherin Argul zeigt mit dem Finger zu den Schneebergen an der chinesischen Grenze. Nach einer Viertelstunde kommt Alexey, der Camp Manager, mit einem alten russischen Jeep, stößt die Türen auf und zeigt seine Goldzähne. Dawai dawai, wir haben noch über drei Stunden zu fahren.
Schnell sind unsere Habseligkeiten verladen, und wir sind wieder auf der Piste. Kaum ein Dorf ist zu sehen. Endlich biegen wir von der Straße ab und fahren in ein Seitental. Alexey schaltet die Untersetzung ein. Die Zahnräder quittieren das postwendend mit lautem Krachen. Im Kriechgang geht es Meter um Meter nach oben. Wir fahren durch Gräben und Geröll im farbigen Herbstwald.
Dann sind wir im Hauptcamp angelangt. Vier Jagdhäuschen, eine Sauna und ein Gemeinschaftsraum nebst anderen Gebäuden sind hier aufgebaut. Die junge Köchin ruft zum Nachtessen. Alles ist da: Fleisch, Wurst, Gemüse und sogar eine Flasche Rotwein. In unseren Häuschen haben wir Licht und Heizung. In der Ferne läuft ein Generator.
Am anderen Morgen bringt uns der alte Jeep ins obere Lager zu den Jurten und Pferden. Die Fahrt schüttelt uns alle wach. Über der Waldgrenze wird das Land karg. Kein Baum, kein Strauch ist mehr zu sehen. Dürres Gras und Felsen säumen unseren Weg, und bald erkennen wir Jurten in der Senke. Das muss das Jagdcamp sein. Tatsächlich kommen Jäger, Helfer und die Küchenmannschaft uns entgegen. Die Begrüßung ist sehr herzlich.
Es geht gleich weiter
Das Bepacken der Pferde ist eine mühsame Angelegenheit. Foto: B. Ertle |
Wir müssen heute noch packen und losreiten, unser Jagdcamp sollen wir in sechs Reitstunden erreichen. Sechs Stunden denke ich und rücke voller Unbehagen die Unterhose zurecht. Ein junger Mann von etwa 35 Jahren stellt sich vor: Ich bin Nurik, dein Jagdführer, und das ist mein Bruder Ali. Wir werden die nächsten zwei Wochen zusammen leben und jagen. Der Bruder ist etwas kleiner, zehn Jahre älter und hat sechs Goldzähne.
Die vier Pferde sind bereits gesattelt. Das Packpferd ist ein brauner Wallach, kräftiger als die anderen drei. Ali mustert mein Gepäck, Sportschuhe nicht brauchen, diese Stiefel nicht brauchen, Rucksack nicht brauchen, Futteral und Sack nicht brauchen. Für ein oder zwei Nächte wird es genügen, denke ich und räume das Überflüssige weg. Ich werde es noch bereuen. Roger hat auch gepackt und ist mit seinen zwei Jagdführern startklar.
Eine verschworene Gesellschaft zwei Jäger, vier Jagdführer und zwei Packpferde reiten Richtung chinesische Grenze ins Gebiet Dschungarischer Alatau. Nach drei Stunden machen wir den ersten Stopp. Es wird Wodka serviert und mit Coca nachgespült. Medizin, bemerkt Rogers Jagdführer und zeigt sein Goldgebiss. Wir haben noch einen weiten Weg, müssen aufbrechen.
Endlich haben wir unseren Lagerplatz erreicht. Den Pferden werden die Vorderbeine kurz gebunden, dann müssen sie sich ihr Futter selber suchen. Eines wird mit einer 30 Meter Leine angebunden, mit dem werden morgen früh die anderen Kollegen eingesammelt. Nach einer halben Stunde sind die Zelte bezugsbereit. Im letzten Licht nehmen wir das Nachtessen ein.
Es ist gerade fünf Uhr am Morgen, als sich einer der Jagdführer hustend und fluchend aufs Pferd schwingt. Muss die Pferde suchen, sind abgehauen. Nach einer Stunde kommt er mit den Ausreißern zurück. Der Morgen schickt sein erstes Licht, wir wollen ins Maralgebiet. Eine halbe Reitstunde entfernt hat der Fluss ein tiefes Tal geschaffen. Auf der Sonnenseite wächst dürres Gras, auf der Schattenseite Wald. Zum ersten Mal höre ich den Ruf der Marale, und schon bald sehe ich den ersten. Ein heller Körper mit dunkler Mähne, ein für mich gewaltiger Hirsch. Wenn alter Maral kommt zum Fluss für Trinken, dann du schießen, erklärt mit Nurik. Er kommt aber nicht.
Nach einer Stunde verlassen wir unseren Posten. Keine alte Maral, wir weiterreiten, bestimmt Nurik, und nach dem Frühstück wird wieder einmal gepackt. Es wird ein langer Weg. Neun Stunden mit kleinen Pausen. Auf halber Strecke beginnt es zu schneien. Auf einer Anhöhe machen wir einen Stopp. Dichter Nebel ist hereingebrochen, die Sicht beträgt kaum 50 Meter. Ob wir den richtigen Weg finden? Die Kälte setzt uns zu. Die beiden Führer besprechen sich und sind dann über den möglichen Weg einig. Lange reiten wir im Regen und Schneegestöber und erreichen unser Tal vor Einbruch der Nacht.
Fehlpirsch auf Bär
Auf einer Hochebene wird das Zeltcamp aufgebaut. Foto: B. Ertle |
Hier hat sich der Nebel verflüchtigt, die Berge werden sichtbar, und zur Begrüßung zeigt sich ein Bär auf der anderen Talseite. Wenn wir um den Hang pirschen, könnte es klappen. Ali hält die Pferde zurück, und Nurik spurtet mit mir los. Vorsichtig umrunden wir den Hang. Der Bär hat uns wohl bemerkt und trollt davon. Auf 300 Meter einen flüchtigen Bären erlegen, wäre Glücksache. Ich lasse ihn ziehen.
Endlich haben wir unseren Platz erreicht. Die Zelte werden aufgebaut und es wird im Zelt gekocht. Die Nacht ist alles andere als ruhig. Sturm setzt ein und Regen. In meinem Zelt bilden sich Pfützen. Mitten in der Nacht muss ich das Zelt neu spannen. Zwei Heringe haben sich gelöst, ich finde sie nicht mehr. Es ist der 17. September, morgen habe ich Geburtstag, den 70. Es ist noch dunkel, als ich erwache. Keine Wolken, kein Nebel, frisch wie der Frühling. Die beiden Jagdführer kriechen aus dem Zelt. Bruno, heute kein Reiten, mit Fuß laufen, erklärt mir Nurik, und Jäger Bruno denkt auch so. Wir pirschen zu Fuß. Am Horizont sehen wir einen starken Keiler und weitere Sauen. Unter uns strömt ein Fluss, auf der Gegenseite liegt ein großer zusammenhängender Fichtenwald.
Wölfe und Marale
Immer wieder wird das Gelände nach Wild abgesucht. Foto: B. Ertle |
Bald sind wir auf unserem Posten. Wolfsgeheul mischt sich mit den Rufen der Marale. Zwei graue Räuber finde ich im Glas, aber nach den Stimmen zu urteilen, sind es sicher zehn oder mehr. Ein Maral pfeift ganz in unserer Nähe, und keine 100 Meter unter uns zieht ein Hirsch. Er hat ein Tier mit Kalb im Visier, die bewegungslos auf einem Bergrücken verharren. Junger Hirsch, sagt Nurik. Drei Hirsche zeigen sich am Rande eines Waldes. Nurik hat sie bereits gemustert. Alte Maral nur schreien und schlafen, nix viel laufen.
Auf der Kuppe über dem Wald sucht ein gewaltiger Hirsch. Das ist unser Hirsch, bemerkt Nurik und verlangt nach meinem Zeiss-Glas. Ali hatte seinen russischen Feldstecher auseinandergenommen: Muss reparieren, und ihn tatsächlich auch wieder zusammenbekommen. Ich durfte mich von der neuen Qualität überzeugen. Es war, als ob ich durch zwei Bierflaschen schaue, eine schaut nach Osten, die andere nach Westen. Die beiden Jagdführer besprechen sich, und Nurik zeigt mit dem Finger auf die Kuppe, wo der starke Maral zieht. Wir reiten später, bis Wasser, dann Wald. Ohne meine Antwort abzuwarten, brechen sie ab, und es geht zurück ins Camp.
Nach dem Frühstück reiten wir wieder los und sind bald unterwegs auf der steilen Flanke Richtung Fluss. Ali und ich gehen zu Fuß, die Pferde an der Leine. Nurik sitzt auf seinem Hengst und führt dazu noch das Packpferd. Unglaublich ist die Trittsicherheit. Auf der Schattenseite folgen wir einem Maralwechsel durch den Fichtenbestand. Viermal müssen wir die Pferde steil nach oben führen, da riesige umgefallene Bäume den Weg versperren. Es ist alles andere als ein Sonntagsspaziergang. Und das an meinem Geburtstag.
Er zieht davon
Der Maral liegt, vor dem Absturz aufgehalten von einem dünnen Stämmchen. Foto: Ertle |
Die Pferde werden angebunden, die Fußpirsch beginnt. Nach zwei Stunden sind wir in der Gegend des starken Marals. Ali geht ein Stück vor uns, als er plötzlich zusammensinkt. Wir folgen geduckt und sehen auf etwa 500 Meter den Gesuchten. Er ist wirklich kapital, hat vier Tiere und ein paar Kälber um sich. Immer wieder schreit er ins Tal, tut sich zum Verschnaufen nieder und verschwindet wieder im Wald. Wir pirschen hinter einem Bergrücken in seine Richtung. Ali sucht einen geeigneten Platz. Der Wind ist hier oben unstetig, und als wir in die Nähe des Hirsches kommen, sehen wir den Gesuchten über die Kuppe ziehen. Wir müssen den nächsten Berg umschlagen und bei gutem Wind herankommen. Nach einer knappen Stunde sind wir dort. Nurik sieht für einen Moment ein Tier. Wir warten eine halbe Stunde, vergebens. Der Hirsch hat sich aus dem Staub gemacht.
Unter uns, kaum 60 Meter entfernt, fegt ein Maral in den Büschen. Nurik schüttelt den Kopf, also zu jung. Wir machen einen neuen Plan. Jetzt müssen wir über den anderen Berg. Von oben haben wir vielleicht eine Möglichkeit. Längst wäre Mittagessenszeit, doch die Jäger sind wie die Wölfe vor dem Angriff: keine Zeit. Von der Bergspitze aus sehen wir ins Tal. Nichts zu machen, kein Maral.
Auf der rechten Seite eines Bergrückens zieht ein starker Hirsch, auf der linken drei Tiere mit Kälbern. Der Hirsch bewegt sich langsam. Immer wieder ist sein Brunftruf zu hören. Die Kuppe ist wie eine unsichtbare Grenze, er bleibt immer darunter. In Abständen kontrolliert ihn das Leittier von der andere Seite und zieht sich wieder diskret zurück.Er ist noch da. Es ist wie im richtigen Leben.
Die Uhr zeigt fast vier und Jäger Bruno ist erledigt und verkündet seinen Führern: Wir lassen den starken Hirsch laufen, gehen Richtung Pferde und unterwegs schieße ich den Erstbesten, den ich antreffe, ob jung oder alt, klein oder groß, sechs Stunden Fußpirsch sind genug. Die beiden Jagdführer grinsen: Bruno schießen alten Maral, nix klein.
Wir pirschen in Richtung unserer Pferde etwas unterhalb der Kuppe. Meine Führer sind auch nicht mehr taufrisch. Immer wieder machen sie Halt. Ich bin ihnen dankbar. Plötzlich hebt Nurik die Hand und legt die Finger an die Ohren. Gespannt warten wir auf ein Zeichen. Maral, alter Maral, großer Maral, flüstert er. Auf den Knien suche ich meine Position. Die Stauden sind zu hoch, ich richte mich langsam auf. Nun kann ich ihn sehen. Eine unglaubliche Erscheinung. Heller Körper und schwarze Mähne mit einem starken Geweih, Lebendgewicht über 300 Kilogramm. Ein unglaubliches Bild und nur 120 Meter entfernt. Eine Auflage ist nicht vorhanden, also stehend frei. Nach wenigen Sekunden zeigt er mir die Breitseite. Im Knall verendet er, macht keinen Schritt mehr. Die 7mm Remington hat ihn hochblatt gefasst. Jäger Bruno betrachtet sein Geburtstagsgeschenk und kann sein Glück kaum fassen.
Gott sei Dank wurde der Erlegte von einem Baum vor dem Absturz bewahrt. In diesen extrem steilen Hängen hat schon mancher Jäger seine Trophäe verloren und nur noch ein paar Bruchstücke vom Geweih mit nach Hause gebracht. Die drei Jäger, vor fünf Minuten noch todmüde, nun sind sie zu neuem Leben erwacht, fallen sich in die Arme. Guter Maral, alter Mann gut schießen, war der Kommentar von Nurik. Die Trophäe wird abgetrennt, Wildbret herausgeschnitten, die Brunftrute wird mitgenommen, die gibt Geld. Der Rest ist für Wolf und Bär.
Langsam, Schritt für Schritt, wird die Trophäe den fast senkrechten Berg hochgeschleppt. Die Dämmerung macht uns zu schaffen, wir müssen sicher noch drei oder vier Kilometer zu den Pferden marschieren. Es ist inzwischen stockdunkel, als wir dort ankommen. Einen Schluck Wasser, dann reiten wir weiter. Jäger Bruno reitet in der Mitte, vorn Ali und hinter mir Nurik. Hoffentlich nehmen wir nicht den Weg von heute Morgen, das wäre unverantwortlich. Bald erkenne ich, dass wir in einem großen Bogen um den Wald herumreiten.
Ritt durch die Nacht
Wir jagen in einer grandiosen Bergwel auf Maral und Steinbock. Foto: B. Ertle |
Unser Weg führt durch ein Tal. Mal sind wir links, mal rechts vom Bach. Jeder Tritt der Pferde ist sicher, und als diese immer wieder einen Büschel Gras aufnehmen, finde ich Vertrauen in das Unternehmen. Meinen Vorreiter kann ich in der Dunkelheit nicht sehen, manchmal höre ich ihn und sehe die Funken sprühen, wenn die Hufe seines Pferdes auf felsige Partien treffen.
Nach einer guten Stunde sind wir am Ziel. Diesen Ritt werde ich in meinem Leben nie vergessen. Zuerst wird Tee gekocht, dann werden die Zelte aufgebaut. Vom Berghang heulen die Wölfe. Ich höre sie noch lange bis zum Einschlafen.
Heute machen wir einen Ruhetag. Die Sonne ist schon am Himmel, als wir aufstehen. Nurik, ich verzichte auf den Steinbock. Wenn ich an die Strapazen denke beim Maral, dann kann ich mir diese beim Steinbock ausmalen. Nurik nimmt den Kochtopf vom Grill und kommt auf mich zu. Bruno, Steinbock nix schwierig. Wir reiten bis Steinbock, du nix viel laufen. Wir reiten heute langsam Richtung Hauptcamp. Wenn wir sehen Steinbock, du schießen. Seine schwarzen Augen schauen mich erwartungsvoll an. Ich nicke mit dem Kopf, und Nurik kocht das Gulasch weiter. Der Tee ist fertig, Nurik kommt mit zwei Gläsern: Auf großen Steinbock, morgen.
Auf dem Rückweg
Die hochkapitale Maraltrophäe meines Jagdfreundes Sepp, den wir auf dem Rückmarsch treffen. Foto: B. Ertle |
Wir reiten Richtung Hauptcamp, müssen einen hohen Berg überqueren. Oben liegt Schnee, und viele Spuren von Wolf und Bär kreuzen unseren Weg. Gegen Mittag haben wir einen guten Aussichtspunkt erreicht. Tief unter uns sehen wir eine Gruppe Steinwild. Kein Bock, nur Geißen. Wir gehen um den Berg, und weit über uns steht ein starker Bock. Zu weit für einen Schuss, wir kehren um.
Gegen Abend kommen wir wieder in ein neues Tal, hier halten wir Nachtruhe. Im letzten Licht sehen wir die Konturen von Steinwild. Wir sind also am richtigen Ort. Schon früh am Morgen brechen wir wieder auf, reiten am Bach entlang. An einem Waldstück treibt ein Hirsch sein Rudel. Es sind sechs Tiere, die er um sich hat. Der Hirsch, ein alter 16-Ender, hat eine riesige Auslage. Du schießen! Ich könnte einen zweiten Maral erlegen. Ich lehne es aber ab.
Gegen Mittag kommen wir schon wieder in ein anderes Tal, ringsum geschlossen. Da gibt es keinen Ausgang, denke ich. Nurik lacht und zeigt auf die steilen Geröllhalden. Heiliger Antonius, ich gebe Dir zehn Franken am Sonntag, wenn du mir aus dieser Notlage hilfst. Ali, unser Vorreiter, geht den Berg an. Sehr steil geht es nach oben. Nach einer knappen halben Stunde haben wir das Schlimmste hinter uns. Die Pferde sind tropfnass, ihr Atem gleicht einer Dampfmaschine, die Anspannung lässt langsam nach. Vor uns eine Welt aus Stein, Schnee und Fels. Nurik sucht die Ränder ab und findet mit seinem Glas eine Gruppe Steinböcke, etwa 30 Stück. Sie kommen uns entgegen. Das wird einfach, denke ich, doch sie tun uns den Gefallen nicht. Nach einer Weile ziehen sie bergauf und tun sich nieder.
Endlich am Wild
Ein alter Sibirischer Steinbock ist auch meine Beute geworden. Foto: B. Ertle |
Wir müssen nach oben und von dort einen Einstieg suchen. Nach einem halben Kilometer sind wir angekommen. Wir reiten, gut versteckt, auf die andere Seite und binden die Pferde an. Ali eilt voraus und sucht den richtigen Einstieg. Wir folgen, und bald sind wir einen halben Kilometer talwärts.
Keine Spur von den Steinböcken. Bis zu den Felsen dort müssen wir, flüstert Nurik und zieht mich am Ärmel. Die letzten 300 Meter in der Steilwand sind auch geschafft. Ali führt mich hinter einen großen Stein. 150 Meter vor mir sehe ich den ersten Steinbock. Rechts daneben ein zweiter, viel stärker. Den Rechten?, frage ich. Ja! kommt die Antwort.
Im Zielfernrohr sehe ich den starken Bock. Er trägt ein gewaltiges Gehörn. Jetzt bloß ruhig bleiben. Der Stachel des Zielfernrohrs steht hochblatt, als ich schieße. Im Schussknall fällt der Bock um, ich kann ihn nicht mehr sehen. Unter uns flüchtet über prasselndes Geröll der Rest der Gruppe. Nurik ist als erster am Wild. Weidmannsheil Bruno, alter Bock, 12 Jahre. Der Freudentanz ist im ganzen Tal zu vernehmen.
Ali erklärt mir nach dem Fototermin die Umgebung, zeigt mir den Grenzverlauf zu China. Hier Militärdienst machen, bemerkt er stolz. Nun ist mir auch klar, warum er das Gebiet so gut kennt. Es beginnt die große Arbeit. Die Trophäe und das Wilbret werden mitgenommen und nach oben geschleppt. Alle 50 Meter gibt es einen Halt. Ich bilde das Schlusslicht, keuche vor Anstrengung wie ein altes Brauereipferd. Mit Verspätung komme ich bei den Pferden an. Kaputt, aber zufrieden mit mir und der Welt.
Unser Nachtlager ist heute besonders interessant. Ein Maralgeweih und ein Steinbock leuchten im letzten Licht, kaum zehn Meter neben meinem Zelt entfernt. Morgen werden wir ins Hauptcamp reiten.
Bei herrlichem Herbstwetter ziehen wir los. Der Himmel bedeckt sich zusehends, und bald setzt Regen ein, der immer heftiger wird. Wir sind im Gebiet der Wölfe. Hier drei Monate viele Schafe, dann viele Wölfe hier, erklärt mir Nurik. Hinter jeder Kuppe suche ich nach Wölfen. Vergebens. Die Sicht wird immer schlechter. Zum Regen kommt noch Nebel.
Fast sind wir am Ziel, als wir von einer zweiten Jägergruppe überholt werden. Es ist ein Jäger aus Bayern mit seiner Crew. Auf dem Packpferd ist ein Maral. Erst im Camp sehe ich was für einer: 24 Enden, über 17 Kilogramm Geweihgewicht, eine absolute Spitzen-Trophäe. Unter dem Regenmantel kommt der strahlende Jäger hervor. Mein Jagdfreund Sepp aus Moosthenning.
Nur eine Chance
Mein Sohn Roger ist noch nicht im Camp. Morgen wird er kommen, berichtet die Dolmetscherin, die hier die ganze Zeit gewartet hat. Und tatsächlich, Roger kommt schwer beladen. Ein Maralgeweih ist auf dem Packpferd verschnürt und eine Steinbocktrophäe dazu. Was für ein Anblick.
Ich hatte nur eine Chance, erzählt mir Roger: Auf 400 Meter musste ich den Steinbock erlegen. Der Maral war der einzige, den ich auf komfortable Schussdistanz hatte. Er könnte stärker sein. Aber ich werde in ein paar Jahren wiederkommen, vielleicht sogar mit meinem Sohn. Kasachstan ist ein wunderschönes Land, mit einer Jagd, die alles fordert, aber auch alles gibt.