Schweden: Vom Boot auf Bockert

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JWW 05/2013

Still und dunkel liegt der Fluss im schwachen Licht des Halbmondes vor uns, als wir das Ufer erreichen. In der Ferne glüht noch das traditionelle Maifeuer. Viel Schlaf hatten wir nicht in dieser Walpurgisnacht, als wir um 4 Uhr morgens aufbrechen. Ich möchte meinen ersten Biber erlegen.

Von Angela Stutz

 

Meine schwedischen Gastgeber Pär und Anders lassen das Kanu zu Wasser. Im beginnenden Sonnenaufgang treiben wir langsam flussabwärts. Wir lauschen in die Stille dieser Flusslandschaft, die nur durchbrochen wird durch unsere leisen Paddelschläge und die vereinzelten Rufe der Kanadagänse, die in der Nähe brüten. Der Zeitpunkt für die Biberjagd am Norsälven, dem Verbindungsfluss zwischen Fryken- und Vänersee im südlichen Värmland bei Kil, ist ideal: Schnee und Eis sind nach einem langen Winter gerade erst getaut, Bäche und Flüsse sind angeschwollen und treten teils über die Ufer. Meister Bockert ist jetzt besonders aktiv.

 

 

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Ungewöhnlicher Fund : Diesen abnormen Bock hätte wohl jeder Jäger gern erlegt
Zu unserer Ausrüstung gehört eine Tikka Repetierbüchse im Kaliber .222 Rem. mit Zielfernrohr. Pär hat noch ein Fernglas dabei. Anders hält die Videokamera bereit, und ich bin zudem mit einem Fotoapparat „bewaffnet“. Gespannt suchen wir das Ufer und die Wasseroberfläche nach Bockert ab. Pär weiß aus Erfahrung, dass es lohnend ist, den Biber frühmorgens am Äsungsplatz abzupassen. Und die „Pirsch zu Wasser“ hat den Vorteil, dass die Biber vertrauter sind, als bei der an Land.
Es ist relativ windstill, so dass das Wasser ruhig ist und ein sicherer Schuss aus dem Kanu möglich. Vielversprechend! Ein Boot ist bei der Biberjagd von Vorteil. Eine Stange, der so genannte Biberhaken, kann nützlich sein, um die Beute notfalls aus dem Wasser beizubringen. Doch statt Meister Bockert taucht in einer Flussbiegung ein Paar Singschwäne auf, das sich mit ihren seltsamen posaunenartigen Rufen vor uns in den Himmel schwingt und über unsere Köpfe hinweg dem morgenroten Streifen am Horizont entgegenzieht.

 

 

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Die morgendliche Pirschfahrt mit dem Kanu ist erfolgsversprechend. Die Biber werden an den Fraßplätzen abgepasst (Fotos: Angela Stutz)

 

1. Chance

 

Da entdeckt Anders den ersten Biber. Dieser rinnt entlang des Ufers flussaufwärts, uns entgegen. Durch die überhängenden Zweige ist er schwer auszumachen. Tief liegt er im Wasser. Gerade mal sein keilförmiger Kopf durchschneidet die Oberfläche – ein ausgewachsenes Stück von vielleicht 20 Kilogramm. Langsam treiben wir näher. Der Wind steht perfekt. Er bläst uns ins Gesicht, das Allerwichtigste bei der Jagd auf dieses Wild mit einem ungeheuer ausgeprägten Geruchssinn. Ein stattlicher Vertreter dieser größten europäischen Nager steigt etwa 50 Meter vor uns aus dem Wasser. Die Spannung im Kajak steigt. Sollte es so einfach sein? – Doch der „Alte“ verschwindet unter einer Fichte und ist nicht mehr zu sehen. „Wenn er wieder zurückkommt, haben wir eine Chance“, flüstert Pär von hinten, während wir langsam an dem Ausstieg vorbei treiben. Pär bringt das Boot in Position, ich die Tikka.
Unsere Sinne sind gespannt. Ich will bereit sein, wenn der pelzige Nager die Deckung verlässt. Dann geht alles ganz schnell. Der Biber muss Wind von uns bekommen haben und fährt rasant zurück ins Wasser. 6 Augenpaare suchen aufgeregt den Fluss ab. Wo wird er auftauchen? Taucht er wieder auf? Tatsächlich – Pär entdeckt den „Alten“ ein Stück flussabwärts wieder. Neugierig schwimmt er dem Kanu entgegen, nimmt Wittrung auf. „Gleich kommt´s“, grinst Anders und meint den lauten Kellenschlag, mit dem der Biber kurz darauf abtaucht.

 

 

Waren wir zu Beginn noch etwas schlaftrunken und durch die morgendliche Stille in andächtiger Stimmung, sind wir nun hellwach, und alle Sinne arbeiten auf Hochdruck. Wir gleiten weiter durch bestes Biberland. In Pärs Revier hinterlassen 6 Biber mit ihren Vorjahresjungen und ihrem diesjährigen Nachwuchs deutliche Spuren: Durch die Uferböschungen ziehen sich zahlreiche Biberrutschen, der Ufersaum und der angrenzende Wald sind übersät mit sanduhrförmig umnagten Stämmen, geschälten Zweigen und durchgenagten Bäumen. Die Biber bevorzugen hier Birken und Aspen. Dass wir auch zahlreiche frisch angenagte Erlen sehen, ist laut Pär ein deutliches Zeichen dafür, dass der Winter für die Biber hart war.

 

Auf Erfolgskurs

 

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Typischer Biberlebensraum in Mittelschweden: Überflutete Stellen mit angrenzenden Wäldern sind ideal für Meister Bockert
Wir machen kehrt. An der Eisenbahnbrücke ist Pärs Revier zu Ende. „Hier habe ich als Kind meinen ersten Biber gesehen. Das ist jetzt schon fast 35 Jahre her.“ Nachdem der Biber Ende des 19. Jahrhunderts in Schweden, wie in vielen anderen mitteleuropäischen Ländern, als ausgerottet galt, wurde er im 20. Jahrhundert in mehreren europäischen Ländern wiederangesiedelt. Schweden nahm dabei eine Vorreiterrolle ein: 1922 wurden im Fluss Bjurälv in Jämtland einige Biber aus Norwegen ausgesetzt, 2 Jahre später auch in Värmland. Insgesamt wurden bis 1938 über 80 Biber an 19 Standorten in Schweden wiederangesiedelt. Unter Schutz stehend, hat der Biber in den für ihn idealen wasser- und nahrungsreichen schwedischen Lebensräumen eine rasante Besatzentwicklung erlebt und wird seit 1972 wieder regulär bejagt. Heute gibt es in ganz Schweden mehr als 100.000 Biber. Jährlich werden etwa 5.000 erlegt.
Möglichst lautlos steuern wir wieder flussaufwärts, der aufsteigenden Sonne entgegen. Kraniche haben sich am Rande der im Morgenlicht glitzernden Wasserlandschaft eingestellt, ein Gänsesägerpaar lässt sich in der Strömung treiben, eine brütende Kanadagans versucht, sich vor unseren Blicken unsichtbar zu machen. Am Ufer schnürt ein Fuchs, und ein starker Rehbock zieht über eine Wiese. Mehrmals tauchen Biber auf, äugen neugierig nach dem Boot, folgen uns sogar, aber machen keine Anstalten, an Land zu steigen. Ein Schuss im Wasser kommt nicht in Frage. Die Nachsuche wäre so gut wie aussichtslos.
Ein ausgewachsenes Exemplar, das zügig entlang des Ufers schwimmt, taucht plötzlich ab. „Ein neuer Bau“, mutmaßt Pär. Auch Anders ist diese Stelle noch nicht bekannt. „Alle eineinhalb Kilometer beginnt entlang des Flusses ein neues Biber-Revier“, erklärt Pär. „Es gibt hier einige Burgen und Baue. Biberdämme werden höchstens in den Seitenbächen angelegt.“ Die Burgen aus zusammengetragenen Ästen sind leicht auszumachen, aber Erdbaue sind äußerlich nicht zu erkennen, da der Eingang in der Regel unter Wasser liegt.
Als das Flussbett immer breiter wird und wir an einer Bucht vorbeipaddeln, an dessen Rand ein idyllisches, aber zu dieser Jahreszeit noch verlassenes schwedisches Sommerhaus liegt, mache ich am Ufer eine merkwürdige Spiegelung aus. Pär glast das Ufer ab und meldet einen jungen Biber. „Super beobachtet! Ein zweiter und dritter schwimmt direkt auf uns zu!“ Sachte drehen wir das Boot und nehmen vorsichtig Kurs auf den Biber, der zwischen umgeschlagenen Jungbirken am Ufer äst. Dieser Einjährige passt ausgezeichnet in unsere Jagdpläne. Pär schöpft regelmäßig aus der jungen Bibergeneration ab. Gerade zu dieser Jahreszeit, in der die Weibchen trächtig sind, aber eben nicht von den Männchen unterschieden werden können.
Die 2 Biber passieren das Kanu: ein adulter und ein junger, einjähriger, bei dem nicht nur das Haupt hoch im Wasser liegt, sondern auch das Hinterteil deutlich über die Wasseroberfläche ragt. Sie zeigen keine Scheu. Wir lassen beide vorbei schwimmen. Unser Zielobjekt äst weiterhin ruhig am Ufer. Seine Nagegeräusche sind deutlich zu hören.

 

Schuss vom Boot

 

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Im Zeitlupentempo steuern wir ihm entgegen. Ich gehe in Anschlag, nehme den Ahnungslosen am Ufer ins Visier und hoffe, dass ich zwischen den Ästen der gefällten Jungbirken freies Schussfeld finde. Aber die Auf- und Abbewegung des Bootes in der Strömung lassen den Zielstachel nicht zur Ruhe kommen. Ein sicherer Schuss ist nicht anzubringen. Ich muss schließlich zusehen, wie auch dieser Biber ins Wasser steigt und abtaucht. Flüsternd schildere ich Pär mein Problem. Der nickt zustimmend, die Gefahr eines Fehlschusses wäre zu groß gewesen. Ein schlecht angetragener Treffer bedeutet, einen angeschossenen Biber durch Abtauchen in die Tiefe oder gar in die Burg auf Nimmerwiedersehen zu verlieren.
Da der Jungbiber uns aber offenbar nicht wahrgenommen hat, beschließen wir, in der Nähe zu warten, und hoffen, dass er wieder auftaucht. Wir lassen uns in der Strömung treiben, entfernen uns dabei wieder vom Ufer. Lange dauert es nicht, bis Anders das Kommando flüstert: „Zurück! Biber an Land!“
Neues Spiel, neues Glück. Ich will Meister Bockert erneut ins Visier nehmen, der keine 30 Meter entfernt an einem Birkenast nagt. Aber jetzt versperrt mir Anders Rücken die Sicht. Vorsichtig gebe ich dem Steuermann Pär hinter mir ein Zeichen, dass das Boot etwas gedreht werden muss, und gehe in Anschlag. Ich spüre, wie Anders und Pär mitfiebern und voll gespannter Erwartung regungslos verharren. Später frage ich, ob irgendwer von uns dreien in diesem Moment noch geatmet hat. Wohl nicht! Das Boot liegt ruhig im Wasser. Der Zielstachel ruht auf dem Halsansatz. Ich ziehe den Abzug und lasse die Kugel aus dem Lauf. Obwohl ich ein kleines Kaliber schieße, lässt der Schuss Anders so zusammenzucken, dass das Boot schwankt. Doch das Teilmantelgeschoss ist schon im Ziel: Der Biber liegt im Knall.
Die Jäger beglückwünschen mich zu meinem 1. Biber, und wir gratulieren uns gegenseitig zum Erfolg. Doch plötzlich beginnt die Beute zu zucken und gleitet halb ins Wasser. Geht sie doch noch verloren? Pär beruhigt mich: „Alles gut, der liegt!“ Wir paddeln ans Ufer. „Immer am Schwanz aufnehmen! Das vordere Ende könnte gefährlich sein“, erinnert mich Anders lachend. Die Nagespäne sprechen eine deutliche Sprache über Meister Bockerts Beißkraft, die mit 80 Kilo rund doppelt so hoch ist wie die des Menschen. Wunschgemäß ziehe ich meine Beute an der Kelle ins Boot. Klein aber fein: Das einjährige Bibermännchen ist mit 50 Zentimetern und gut 8 Kilogramm wirklich nicht das kapitalste. „Jeder fängt mal klein an“, schmunzle ich glücklich. „Der liefert ganz sicher ein paar schmackhafte Bratenstücke.“ Ein Birkenzweig erweist sich als naheliegender und würdiger letzter Bissen.

 

 

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Mit der richtigen Technik ist das Abbalgen ruckzuck erledigt
Zurück an der Bootsanlegestelle sind wir überaus euphorisch, und jeder erzählt seine Eindrücke des Erlebten. Beim Frühstück werden die Videoaufnahmen angeschaut. Kameramann Anders hat ganze Arbeit geleistet. Auch der Schuss ist dokumentiert. Pärs Sohn Erik nimmt meinen „Mini-Biber vom Norsälv“ in Augenschein. Morgen wolle er mit auf Biberjagd, verkündet der Erstklässler.
Später kommt Pärs Metzgerkollege Christer vorbei und gibt Tipps, wie man den Biber fachmännisch zerlegt und zubereitet, denn „erst das blutige Handwerk“ bringt die Jagd zu einem würdigen Abschluss. In Buttermilch eingelegt und dann kalt geräuchert, ist das dunkle Biberfleisch eine Delikatesse, die auch auf Speisekarten ausgewählter Restaurants zu finden ist.
Schließlich ist „mein Kleiner“ portioniert. „Jetzt haben wir uns einen Schnaps verdient“, meint Pär. „Gemischt mit Bibergeil, wie es sich gehört“, schlägt Anders vor. Mit einem Skål (Prost) stoßen wir auf den wunderschönen Jagdtag an. Es schüttelt mich kräftig durch. Offensichtlich muss man hin und wieder auch für Kleinigkeiten große Opfer bringen.
Mehr Informationen zur Biologie des Bibers, den unterschiedlichen Jagdarten und Tipps zur Ausrüstung sowie ausführliche Informationen zum Abbalgen gibt es im JAGEN WELTWEIT Biber-Special auf:

 

 

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