Namibia: Abseits der Pfade

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Auch für den, der schon öfter Namibia besucht und dort gejagt hat, gibt es noch Gegenden, deren Besuch einem kleinen Abenteuer gleichkommt: Westlich von Kamanjab beginnt die fast unberührte Natur des Damara- und Kaokolandes.

Noch steht das Gras am Marienfluss. Doch Wasserstellen sind rar. Das bedeutet: wenig Wild.

Mehr als zwei Jahre ist es her, als bei einem Abendessen auf einer Farm, direkt an der südwestlichen Ecke des Etoscha-Nationalparks gelegen, das Gespräch auf den Wilden Westen Namibia kam. Wir, das heißt meine Lebenspartnerin Zita und ich, waren gerade von einer viertägigen Tour zu den Epupa-Fällen des Kunene, des Grenzflusses zu Angola, zurückgekehrt. Mitgebracht hatten wir einen ersten Eindruck vom Kaokoland, von diesem Landstrich im Nordwesten Namibias.

Eines nur hatte uns gestört – man könnte es Massentourismus nennen. Zugegeben, es war Ferienzeit in Südafrika, und es wird nicht immer so ein starker Verkehr auf den Pisten oder auf den Camp Sites nicht immer ein so großes Gedränge herrschen.

Also wurden Pläne geschmiedet: Das nächste Mal sollte es eine Tour werden, die abseits ausgetretener Pfade führt. Van Zyls Pass, Marienfluss, Hartmanns Valley, das sollten die Highlights dieser Reise werden. Aber dann kam das Erwachen: Aus Sicherheitsgründen sollte man diese Tour nicht mit einem, sondern mit zwei Fahrzeugen unternehmen. Also musste ein zweiter Fahrer her, der noch dazu das Gebiet kannte.

Mit Volker, dem Farmer, waren wir uns schnell einig; er würde uns im nächsten Jahr begleiten. Und der zweite war auch schnell gefunden: Duncan, der Wildeste aus dem Wilden Westen. Duncan hatte in der südafrikanischen Armee als Führer einer Anti-Wilderer-Abteilung in Sesfontein gedient und kennt das Damara- und Kaokoland wie aus der Westentasche. Nur ein Problem blieb: der Termin. Wir bekamen einfach nicht alle unter einen Hut. Und so musste die Tour um ein Jahr verschoben werden.

Foto: Günter Mensching

1. Tag, 22.Juli 2002

1. Tag, 22.Juli 2002

Die Reisetasche mit dem Nötigsten ist gepackt, und so warten wir, dass die Tour endlich beginnen kann. Aber, wir sind in Afrika, und da gehen die Uhren nun einmal anders. Dann geht es los nach Kamanjab, wo die Fahrzeuge umge- und beladen werden, und das dauert, bis alles verstaut ist: Benzin, Diesel, Schlafsäcke, Kühlschrank, Verpflegung, Wasser, Wein. Alles muss mitgenommen werden, denn nur in Epuwo, einer kleinen Siedlung am Rande des Ovahimba-Gebietes, kann Fehlendes vielleicht gekauft werden. Beide Wagen, ein Hilux und ein alter Landcruiser, sind endlich voll bepackt. Auch ein Jack Russel Terrier hat sich ein Plätzchen im Auto gesucht, er darf mit.Nur 200 Meter führt die Teerstraße in Kamanjab nach Westen, dann beginnt die staubige Pad, die Sand- und Kiespiste zum Grootberg-Pass. Weit können wir von der Passhöhe auf 1.500 Metern über dem Meer ins Land schauen. Keine Staubfahne ist zu sehen, wir sind allein. Weiter geht es, wir passieren den Veterinärzaun, der das kommerzielle Farmgebiet vom nördlichen kommunalen Gebiet trennt und biegen nach vielleicht zehn Kilometern von der Pad ab.

Pause in Palmwag. Volker Grellmann hat das Camp in den 70er Jahren als Jagdlager aufgebaut, und Duncan hat hier als Jagdführer gearbeitet. Heute gibt es hier einen Campingplatz und mehrere feste Gästehäuser, einen Pool und eine Bar. Und diese Bar ist das Ziel, denn hier gibt es das letzte „Gezapfte“ für die nächste Zeit. Und das muss man ausnutzen, so Duncan, der schnell wieder seine deutsche Sprache aktiviert, die er früher bei seinen Jagdgästen erlernt hat.

Es geht weiter: abseits der Pad in das Jagdgebiet um Palmwag. Wir sehen das erste Wild, Springböcke und Oryx-Antilopen, die unseren Fahrzeugen nachäugen. Die Fluchtdistanz ist sehr gering, auf 20 oder 30 Meter können wir uns dem Wild nähern.

Am Abend sind wir kurz vor Sesfontein, fahren in das Flussbett des Hoanib, schlagen unser Nachtlager auf: Auf den Boden kommt eine Plane, darauf die Schlafsäcke, das war´s. Die erste Nacht unter dem namibischen Sternenhimmel. Einfach nur gewaltig.

2. Tag, 23. Juli 2002

2. Tag, 23. Juli 2002

Bei Sonnenaufgang ist es recht frisch, aber Kaffee und ein kräftiges Frühstück lassen die Lebensgeister schnell wieder erwachen. Heute liegt eine „Riesenstrecke“ vor uns: Bis weit hinein in das Kaokoland soll es gehen.Wir kommen am heiligen Berg der Himbas vorbei. Hier wird der rote Stein gewonnen, aus dem die Frauen mit Butter und anderen Inkredenzien die rote Paste herstellen, mit der sie ihre Haut einreiben. Gegen Mittag erreichen wir Opuwo. Hier stoßen Tradition und „Moderne“ aufeinander: Herero-Frauen mit ihren bunten, weit ausladenden Kleidern und dem „Kissen“ auf dem Kopf, Ovahimba-Frauen mit ihrer rotbemalten Haut und dem Lendenschurz aus Ziegenfell, alkoholisierte oder von anderen Stoffen berauschte Männer und Frauen mit T-Shirt und Trainingshose, Rundhütten aus Lehm und Einheitsbauten aus Stein mit Wellblechdach, traditioneller Markt und Bottle Store.

Weiter geht es nach Nordwesten, vorbei an kleinen Siedlungen der halbnomadisch lebenden Ovahimbas, vorbei an mit Ochsenschädeln geschmückten Gräbern von Häuptlingen. Noch ist die Piste gut, und wir kommen schnell unserem Ziel näher, der Siedlung Otjitanda. Dort wollen wir in der Nähe in einem namenlosen Bachbett unser Lager aufschlagen.

3. Tag, 24. Juli 2002

3. Tag, 24. Juli 2002
Die Nacht war kalt, und noch in der ersten Stunde nach Sonnenaufgang liegt die Temperatur unter dem Gefrierpunkt. Es geht weiter, zum ersten Höhepunkt unserer Reise durch das Kaokofeld, den Van Zyls Pass. Auf nur wenigen Kilometern geht es hier steil hinab in das Gebiet des Marienflusses. Jeder Meter, den der Wagen langsam hinunterrollen soll, muss sorgsam überlegt werden. Sonst sitzt man fest oder hat sich den Unterboden oder die Ölwanne aufgeschlagen. Aber routiniert schaffen es unsere beiden Fahrer.

Hohe, rot-violett leuchtende Berge schließen das etwa 20 Kilometer breite, ebene Tal des Marienflusses ein. Hoch steht hier das Gras, doch nur wenig Wild ist zu entdecken. Wasser ist der begrenzende Faktor, und es gibt hier nur wenige offene Wasserstellen. Was es hier gibt, ist ein Rätsel der Natur: die Feenkreise. Kahle Stellen in der Vegetation mit etwa vier oder fünf Metern im Durchmesser. Viele Theorien gibt es für dieses Phänomen. Eine besagt, dass hier ein ausgestorbenes Wolfsmilchgewächs den Boden mit dem pflanzeneigenen Gift „verseucht“ hat und nun hier keine anderen Pflanzen wachsen können. Andere Wissenschaftler halten eine bestimmte Termitenart für den Verursacher der kahlen Stellen.

Nach rund 80 Kilometern auf staubig-roter Piste erreichen wir den Kunene, und hier wartet eine Überraschung auf uns: Wir campen nicht in freier Natur, sondern schlafen in einem festen Camp, in das Duncan mit seinen Gästen Zugang hat, auch wenn der Besitzer nicht anwesend ist. Das Camp bietet nur Platz für acht Personen und steht oft leer. Auch das ein Zeichen für einen sehr sanften Tourismus in diesem Teil des Landes. Wir kommen in den Genuss einer Dusche, denn eine Buschdusche wurde vergessen. Aber was gibt es nicht alles für Möglichkeiten, sich zu waschen. Improvisation ist alles, und dann kann auch schon einmal eine Plastikflasche die Dusche ersetzen.

4. Tag, 25. Juli 2002

4. Tag, 25. Juli 2002
Es geht zurück durch das Tal des Marienflusses, wir queren im Süden die Hartmannsberge, kommen vorbei an einer Wegmarkierung, der Roten Tonne, die sogar in der Karte dieses Gebietes verzeichnet ist. Witzbolde haben an die Tonne ein altes Telefon angeschraubt. Ein einzelnes Fahrzeug begegnet uns, ein normaler PKW. Der Fahrer wird nicht weit kommen und die Strecke wieder zurückfahren müssen.

Weiter geht es Richtung Westen, bis fast an die Grenze des Skelettküstenparks. Entlang dieser geht es nach Norden. Wenn am Marienfluss nur noch wenige Menschen leben, dann sind wir hier ganz „unter uns“. Keine Menschenseele weit und breit. Nur blauer Himmel und Halbwüste. Nur noch spärlich ist der kiesige Boden bewachsen, von der Skelettküste dringen Dünen ins Hartmanns Valley vor. An manchen Anstiegen muss die Luft teilweise aus den Reifen gelassen werden, um die Auflagefläche im Sand zu vergrößern.

Nur eine fast nicht zu erkennende Fahrspur führt in Richtung Kunene. Eine letzte Anhöhe wird im Kriechgang genommen, und dann liegt er unter uns, der Grenzfluss zu Angola. Luftlinie sind wir nur etwa 30 Kilometer von unserem gestrigen Camp entfernt, aber wir haben einen ganzen Tag gebraucht, um hierher zu gelangen. Eine letzte Hürde liegt noch vor uns, die steile Abfahrt über eine Sanddüne hinunter an den Fluss. Sicherlich mehr als 60 Grad beträgt der Winkel. Augen zu und hinunter.

Ein kalter Wind fegt den Kunene hinauf. Wir sind nur noch etwa 40 Kilometer von seiner Mündung in den Atlantik entfernt. Kalte Nebelschwaden, der Küstennebel, ziehen auf und bescheren uns einen ungemütlichen Abend. Schnell wird gegessen, und dann geht es ins Zelt. Das einzige Mal auf unserer Tour. Sogar der Terrier zieht es vor, vor Wind und Nebel geschützt mit im Zelt zu schlafen.

5. Tag, 26. Juli 2002

5. Tag, 26. Juli 2002
Auch am Morgen ist es noch ungemütlich. Als aber zwei Stunden nach Sonnenaufgang die ersten Strahlen ihren Weg durch den Nebel finden, die Zelte abgetrocknet sind und verladen werden können, geht es los. Steil ist der Anstieg, und die Fahrer müssen sich manchmal beraten, wie sie das vor uns liegende Wegstück bewältigen können. Das gibt und die Gelegenheit, noch einmal zurückzublicken auf den Kunene, auf den wie eine Oase wirkenden „Campingplatz“.

Etwa 200 Kilometer werden heute vor uns liegen, und so geht es zügig Richtung Süden. Wir kürzen ein wenig ab, denn Duncan kennt einen Schleichweg, der parallel zur Grenze des Skelettküstenparks verläuft. Während im Hartmanns Valley das Wild eine Ausnahme ist, sehen wir am heutigen Tag wieder vermehrt Springböcke und Oryx-Antilopen.

Hier muss Wasser vorhanden sein, und tatsächlich kommen wir an einer Quelle vorbei, die aber nur brackiges Wasser liefert. Für den Menschen ist das Wasser ungenießbar, aber das Spurenbild zeigt es: Wildtiere kommen aus allen Richtungen zu dieser Quelle.

Zwei Jahre zuvor ist Duncan hier auch mit Gästen gefahren, und noch heute sieht man seine Fahrspur, obwohl der Boden fest wie Asphalt ist. Aber die Reifen haben den spärlichen Aufwuchs aus Flechten beschädigt. Und deren Wachstum ist sehr gering.

Duncan ist sich der Gefahr bewusst, dass er mit seiner Spur anderen einen Weg in dieses unberührte Fleckchen Erde ebnen könne, glaubt aber, dass hier niemals Massen von Touristen einfallen werden. Denn nur wenige Tour-Operator haben die notwendige Ausrüstung, um Touristen in diesen abgelegenen Teil des Landes zu führen.

Am Abend erreichen wir das Trockenbett des Khunib und fahren im Flussbett, bis wir eine windgeschützte Stelle finden, wo wir unser Lager aufschlagen können.

6. Tag, 27. Juli 2002

6. Tag, 27. Juli 2002
Geparden-Spuren, nur 25 Meter von unserem Feuerplatz entfernt, zeigen uns, dass wir in der Nacht „Besuch“ gehabt haben. Deshalb war der Terrier in der Nacht wohl unruhig gewesen und hatte mehrmals geknurrt. Es geht weiter, den Khunib hinauf, immer im Flussbett. Hier wird man nach dem nächsten „Lauf“ des Flusses unsere Spuren nicht mehr sehen, und unseren gesamten Abfall sammeln wir selbstverständlich auf der Tour ein.

Frische Giraffen-Fährten im Sand! Aber es dauert noch bestimmt eine halbe Stunde, bis wir die Herde vor uns haben. Es sind 14 Stück, die keine 20 Meter entfernt auf uns herabstarren. Bullen, Kühe, Jungtiere und Kälber. Wasser gibt es im Umkreis von 50 Kilometern nicht, aber dieses der Halbwüste angepasste Wild deckt seinen Flüssigkeitsbedarf durch das Ablecken der Blätter, wenn sie am frühen Morgen vom Küstennebel benetzt sind.

Am späten Vormittag erreichen wir eine Siedlung der Ovahimbas. Auch wenn immer berichtet wird, Naturvölker würden sorgsam mit den Naturgütern umgehen, zeigt sich hier, und das gilt nicht nur für den fast menschenleeren Nordwesten Namibias, dass auch halbnomadisch lebende Sippen ihre Umwelt arg strapazieren. Mehrere Kilometer im Umkreis dieser Siedlung ist die Weide zerstört, übernutzt.

Über kaum erkennbare Wege, über Geröllfelder, Kies und Sand geht es nun langsam voran. Je weiter wir uns von der Küste entfernen, desto heißer wird es, und das Thermometer im Landcruiser steht bei 30 Grad; auch die „namibische Klimaanlage“, die geöffneten Fenster, bringt keine Abkühlung. Gut, dass wir genügend Trinkwasser dabei haben.

In der Mittagshitze erreichen wir den Hoarusib. Dieser mächtige Trockenfluss ist der Lebensraum für die letzten Wüstenelefanten. Nur an wenigen Stellen tritt das Grundwasser in der Trockenzeit an die Oberfläche. Langsam fahren wir am Hang parallel zum Fluss, beobachten intensiv beinahe jeden Baum, unter dem ein Elefant die Mittagshitze dösend verbringen könnte, aber wir entdecken die grauen Riesen nicht.

Die Elefanten heben im Fluss mehr oder weniger tiefe Gruben aus, die sich mit Wasser füllen. Das nutzen die hier lebenden Hereros und tränken an diesen Stellen ihre Rinder. Auch Springböcke zieht es in großen Gruppen an den Hoarusib. Beinahe hinter jedem Busch im Trockenfluss springen sie ab, wenn sich die Autos nähern. Besonders die Jährlinge zeigen dabei den berühmten „Prellsprung“, das gleichzeitige Abspringen auf vier Läufen, mit krummem Rücken und zu Boden gerichtetem Haupt.

Das Camp Puros, direkt am Fluss gelegen, gibt uns Gelegenheit, den Staub des heutigen Tages in einer Buschdusche abzuspülen. Für fast alle Touristen ist mit Puros der nördlichste Punkt ihrer Reise durch den „Wilden Westen“ Namibias erreicht. Wie gefährlich ein Trockenfluss sein kann, zeigt sich an einer Furt nahe am Camp: Hier wollte ein Fahrer bei „laufendem Rivier“ den Hoarusib durchqueren, fuhr sich fest und konnte nur noch sein Leben retten. Das Auto steht völlig demoliert noch heute im Kies und Geröll.

Zügig geht es weiter, denn heute Abend wollen wir Sesfontein erreichen. Hier stand zu Kolonialzeiten einmal ein deutsches Fort. Heute ist es wieder aufgebaut und dient als Touristen-Unterkunft. Wir aber verbringen die Nacht nicht in der lauten Siedlung um das Fort, sondern ziehen es vor, auf einem kommunalen, sehr sauberen Campingplatz an einem Hügel oberhalb des Ortes zu schlafen.

Wie der Name schon sagt, gab es hier sechs Quellen. Wir lagern an einer, die auch heute noch nicht versiegt ist. Leider haben „fortschrittsgläubige“ Menschen die Quelle gefasst und das Wasser über Rohrleitungen in die Siedlung geführt. Die Konsequenz: abgestorbene Feigenbäume und verdorrte Felder unterhalb der Quelle.

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