Raufußhühner und Elch – Sicher, die Jagd auf Raufußhühner und Elche in Norwegen ist manchmal ganz schön anstrengend. Aber wer bereit ist, sich ein wenig zu quälen, wird königlich belohnt.
Von Joachim Eilts
Ist das Leben nicht schön“, sagt Klaas Jan und gießt das kochend heiße Moorwasser in seiner rußig-schwarzen Blechkanne mit spitzen Fingern, um sich nicht zu verbrennen, in den mit zwei Löffeln Cappuccino gefüllten Holzbecher. In der Tat: Die Jagd auf Raufußhühner hier oben in den Bergen, etwa 50 Kilometer nördlich von Trondheim, ist etwas ganz Besonderes. Zum vierten Mal bin ich vor Ort und weiß, was mich erwartet. Ein gutes Revier vor allem für Auerwild. Aber auch Birkwild sowie Schnee- und Haselhühner kommen vor.
Gedankenverloren blicke ich in die Flammen des Lagerfeuers und freue mich auf das köstliche Getränk, das mir mein Freund und Gastgeber an diesem Tag reicht. Noch zwei Würfelzucker in den Becher, umrühren mit einem frisch gebrochenen Zweig, und der Genuss ist perfekt. Schmeckt hundert mal besser, als in der Eisdiele zuhause. Wohlige Wärme breitet sich aus, und auch „Charly“, Klaas Jans Bretonischer Vorstehhund, gesellt sich zu uns. Wohl wissend, dass er in Kürze ein paar Leckerbissen bekommt.
Gestern Nacht erst war ich in Trondheim angekommen, und jetzt, es ist gerade sieben Uhr, sind wir bereits auf der Jagd. Jede Stunde ist kostbar, denn länger als vier Tage kann ich leider nicht bleiben. Wir trinken unseren Cappuccino, toasten die mitgebrachten Käsebrote über dem Feuer und genießen den Ausblick. Jetzt, Ende Oktober, hat die Natur ihre schönsten Malstifte hervorgekramt und das urige nordische Land in eine grandiose Farbenpracht versetzt: Indianer-Sommer in Norwegen. Wohin ich auch schaue, die roten, braunen und gelben Blätter der Laubbäume inmitten grüner Nadelwälder, idyllische, schilfgesäumte Moor-Seen, mäandernde Rinnsale und Bäche mit klarem und kühlem Wasser, der aufsteigende Nebel, mit Moosen bewachsene Felsen, das gelb gefärbte Farnkraut, die knorrigen Krüppelkiefern, ein idyllischer, kleiner Waldsee – all das zieht mich derart in den Bann, dass ich fast vergesse, Fotos zu machen.
Auf Pirsch
Nachdem wir uns gestärkt haben, pirschen wir weiter. Bergauf und bergab, über Stock und Stein. Und bereits eine halbe Stunde später bekommen wir eine Elchkuh mit Kalb zu Gesicht. Da die beiden nicht wissen können, dass wir es heute mit der Flinte ausschließlich auf Raufußhühner abgesehen haben, treten sie die Flucht nach vorn an. Sekunden später sind sie unseren Blicken entschwunden. Ständig stoßen wir auf frische Elch-Fährten und haben das Glück, eine Stunde später noch einen mittelalten Elchbullen beobachten zu können.
Auch mit den Raufüßlern scheint es zu klappen, denn plötzlich zieht „Charly“ mit hoch erhobener Nase ins Unterholz und steht vor. Klaas Jan geht in Voranschlag und winkt mich herbei. Ein Auerhahn? Kaum gedacht, verlässt eine Auerhenne laut mit den Schwingen schlagend die schützende Dickung. Sie eräugt mich und dreht ab …
Aber ich schieße nicht, denn Klaas Jan und ich hatten uns darauf verständigt, die Hennen zu schonen. „Die sollen lieber Eier legen und sich tüchtig vermehren!“ Außerdem hatte ich im vergangenen Jahr eine Auerhenne erlegt, die jetzt präpariert an der Wand in meinem Jagdzimmer hängt. Zwei brauche ich nun wirklich nicht.
„Ich warte lieber auf den Bräutigam in Schwarz“, denke ich gerade, da streicht bereits die zweite Auerhenne ab. Die Anschlagübung mit gesichertem Gewehr allerdings kann ich mir nicht verkneifen. Ziel erfassen, mitziehen und „totschießen“. Hätte gepasst. Immer wieder fasziniert mich dieser Vogel: das perfekt tarnende, waldbodenfarbene Gefieder, der kräftige Brocker, die tief befiederten Ständer und der rotbraune, auffällige Brustring … Wunderschön!
Wir haben Glück mit dem Wetter. Nicht dass es schön wäre. Nein. Es regnet, und es ist ein wenig windig. Ideales Wetter, um die Raufußhühner gegen den Wind anzugehen. Bei wirklich schönem Wetter und trockenem Boden vernimmt uns das Wild schon von weitem und ist dann sehr früh auf den Schwingen, so dass wir kaum eine Chance haben, zum Erfolg zu kommen.
Höchste Konzentration ist gefordert, denn bei der Jagd auf Raufußhühner kann jede Sekunde etwas passieren. |
Fotos: Helmut Pieper, Helge Schulz
Ein Au‚ Au‚ Auerhahn
Ein Au‚ Au‚ Auerhahn
Unsere Strategie ist perfekt: Klaas Jan und „Charly“ pirschen oberhalb von mir auf dem Berg durchs Dickicht, und ich passe die Vögel unten am Waldrand ab. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass Klaas Jan oben am holprigen Berg schneller vorankommt, als ich unten am Waldrand. Dass er nicht einmal halb so alt ist wie ich, tröstet mich kaum.
„Charly“ macht seine Sache großartig: In freier Suche durch die zum Teil dichten Nadelwälder findet er ein Geläuf, folgt ihm und veranlasst den Vogel zum Aufbaumen. Viel besser hätte ein Finnspitz, der Spezialhund für die Jagd auf Auerwild, auch nicht gearbeitet. Aber die Auerhenne, an die ich schließlich auf Schuss-Entfernung herankomme, wird nicht erlegt.
Sage und schreibe acht Auerhennen, vier Birkhähne, zwei Schneehühner sowie ein Haselhuhn sehen wir bis zum Mittag. Was für ein Besatz an Raufußhühnern! Zwar können wir keinen der Vögel erlegen, sind jedoch äußerst angetan von den Anblicken.
Am Nachmittag jedoch schießt Klaas Jan ein bereits fast weißes Alpenschneehuhn, und ich habe das Glück, ein Haselhuhn zu erbeuten. Doch die „Krönung“ des Tages soll noch kommen. Nachdem wir uns ein weiteres Mal gestärkt haben, ziehen wir bei strömendem Regen weiter. „Ohne Rücksicht auf Verluste.“ Es quietscht nicht nur unter meinen Stiefeln, sondern auch in meinen Stiefeln. Ganz schön anstrengend. Immerhin komme ich aus dem flachen Ostfriesland und bin Bergsteigen nicht einmal ansatzweise gewohnt.
Und dann passiert’s. Als wir einen steilen Berg gegen den Wind erklimmen, macht „Charly“ einen Auerhahn hoch, der mir kaum 30 Meter entfernt auf beste Schussposition kommt. Mir rutscht das Herz förmlich in die Hose: „Ein Au, Au, Auerhahn, bestimmt sechs Kilo schwer“, geht es mir durch den Kopf. Dann beginne ich zu zielen und vergesse das Vorhalten. Beide Schüsse verfehlen ihr Ziel. Ein Vogel, der normalerweise kaum zu verfehlen ist.
Ich versinke im Erdboden und versuche, mich der vorwurfsvollen Blicke von „Charly“ zu entziehen. Ich komme mir vor, wie ein Mittelstürmer, der allein vorm Torwart steht und den Ball nicht rein schießt. Ein schnell hingeworfener Schuss, oder auch zwei, hätten das Ziel sicher nicht verfehlt.
Klaas Jan tröstet mich und sagt, dass es nicht ungewöhnlich ist, einen Auerhahn vorbeizuschießen. „Du brauchst in Norwegen sehr viele Chancen, bis es schließlich klappt!“ Dennoch bin ich natürlich stinksauer auf mich.
Auf den Busch geklopft Der zweite Jagdtag: Mutterseelenallein habe ich in einer komfortablen Blockhütte hoch oben in den Bergen von Fosen „mitten im Reich der Raufußhühner“ übernachtet und lasse es nach dem Frühstück gemütlich angehen. Wasser ins Gesicht, Bockwürstchen und Milch in den Rucksack, Stiefel schnüren, Patronen in die Tasche, Flinte schultern … alles dauert ein wenig länger als am Tag zuvor. Ich darf im Umkreis von fünf Kilometern rund um die Hütte jagen. Kein Problem, denn ich kenne den Bereich. Verirren ist nahezu ausgeschlossen.
„In Norwegen dürfen Gäste ohne Hund auf Raufußhühner jagen“ sagte Gunnar, der Chef des Reiseveranstalters, bei dem ich gebucht hatte, gestern abend, als er mich zur Hütte fuhr. „Eine Tatsache, die ausländische Jäger sehr begrüßen.“ Am ersten Tag wird zumeist ein Guide mit Hund gebucht, und danach geht es dann auf eigene Faust in die Berge. „Wenn du wider Erwarten einen Hund für eine Nachsuche brauchst, musst du mit Ola telefonieren. Er ist dann in 30 Minuten bei dir“, fügte er hinzu.
Schließlich stiefle ich los. Und schon nach wenigen Pirschminuten bekomme ich ein Elch-Schmaltier zu Gesicht. Unbeirrt zieht es weiter, als wüsste es, wie die Elche gestern, dass das Gewehr in meiner Hand eine Flinte und keine Büchse ist.
Wieder habe ich Glück, denn es beginnt zu regnen und zu stürmen. Das hört sich bescheuert an, ist aber eindeutig das beste Wetter für die Vogeljagd. Mehrmals strauchle ich, falle in ein Wasserloch und bin schließlich völlig durchnässt. Da ich auf mich allein gestellt bin, was mir durchaus gefällt, kann ich das Tempo selbst bestimmen. Getreu dem Motto, „bei der Jagd auf Auerwild kann man gar nicht langsam genug pirschen“, schleppe ich mich systematisch suchend die Berge hoch und runter, keinen Wald und kein Gestrüpp auslassend.
Kaum zwei Stunden unterwegs, sehe ich in einer Entfernung von etwa achtzig Metern sechs Birkhähne auf dem „Galapagos-Felsen“. Ich nenne ihn so, weil er förmlich „vollgeschissen“ ist vom Birkwild. Was mir allerdings gar nicht passt, ist, dass mich die Hähne bereits entdeckt haben. Als ich mich anschicke, näher zu robben, purren sie davon.
Dann erklimme ich einen Berg, den ich wohl nicht erklommen hätte, wenn ich gewusst hätte, wie hoch er ist. Müde und kaputt stehe ich auf dem Gipfel und muss erst einmal eine Pause machen. Nachdem ich mich gestärkt habe, suche ich in Büschen, Sträuchern, zwischen riesigen Steinen aber auch auf freier Fläche nach Schneehühnern. Hier riecht es förmlich nach diesen Spezies, und ich bin sicher, dass ich irgendwann auf ein kleines Völkchen treffen werde.
Tatsächlich! Mit einem morschen Ast klopfe ich im wahrsten Sinne des Wortes auf den Busch, und schon purren vier Hühner davon. Anschlagen, mitziehen Schuss. Und ein wunderschönes, braun-weißes, im Gefiederwechsel befindliches Schneehuhn gehört mir. Der zweite Schuss auf ein noch völlig braunes Huhn allerdings geht daneben. Dennoch: Was für eine Freude. Ein Traum, hier jagen zu dürfen.
Nachdem ich mich ein weiteres mal mit Würstchen und Milch gestärkt habe, geht’s weiter: an Krüppelkiefern und übermoosten Baumstümpfen vorbei durch sumpfiges Moor. Einzelne Ebereschen prahlen mit ihrem roten, üppigen Fruchtbehang. Blau- und Preiselbeeren wohin ich schaue – eine wichtige Äsung für Rauhfußhühner.
Schließlich erreiche ich ein größeres Waldstück. Laut schmatzend verabschieden sich die Stiefel mit jeder Bewegung vom torfigen Modder. Richtig heimisch fühle ich mich, denke wehmütig an die Wattenjagd in Ostfriesland. An die Zeit, als diese noch erlaubt war. Alarmierend streifen die Büsche an der Jacke. Ich muss vorsichtiger sein.
Gerade mal 50 Meter in den Bestand vorgedrungen, streichen urplötzlich drei Birkhähne ab, und ohne mir – wie beim Auerhahn am Tag zuvor – große Gedanken zu machen, werfe ich den Schuss zwischen die Zweige und höre gleich darauf den Aufprall des Vogels auf der Erde mit folgendem Schwingenschlagen. So schnell es geht, eile ich an den Ort des Geschehens und bin erleichtert, den mittelalten, im Kopfbereich stahlblau schimmernden Birkhahn sofort zu finden. „Ein deutlich schwierigerer Schuss, als der auf den Auerhahn gestern“, höre ich mich sagen und bin glücklich.
Auf dem Weg zurück zur Hütte bekomme ich vier weitere Birkhähne zu Gesicht, von denen ich sicher noch zwei hätte erlegen können. Aber sie bleiben natürlich unbeschossen. Einer ist genug!
Bockwürste‚ Milch und Whiskey
Als es schließlich dunkel wird, zünde ich in der Hütte eine Kerze an und esse sechs Bockwürste aus dem Glas. Dazu trinke ich einen Liter Milch. Da ich mich voll und ganz auf die Jagd konzentrieren will, habe ich lediglich drei Gläser Bockwürste und vier Liter Milch mit in die Berge geschleppt. Gunnar schüttelte nur mit dem Kopf, als er das sah und fügte in norwegisch sinngemäß so etwas wie „du bist vielleicht ein komischer Kerl“ hinzu.
Ich zünde das Holz im Kamin an und lasse den ereignisreichen Tag ausklingen, lasse das Erlebte Revue passieren. Da ich auch am nächsten Morgen sehr früh auf den Läufen sein will, gehe ich schon bald zu Bett. Eine Wohltat für die Beine.
Den nächsten und letzten Jagdtag auf Rauhfußhühner werde ich ebenfalls so schnell nicht vergessen: Schon während des Frühstücks in der Hütte höre ich das Gurren von Birkwild und sehe, als ich in der Dämmerung vorsichtig aus dem Fenster schaue, sieben Birkhähne auf den Wipfeln 200 Meter entfernter Kiefern. Hätte ich doch nur meine 5,6x50R Magnum mit Vollmantel-Geschossen dabei … „Nein“, brumme ich in mich hinein. „So ein Blödsinn, ich hab’ ja schon einen Birkhahn.“ Während der nun folgenden Jagd kommen mir innerhalb von 30 Minuten drei weitere zu Gesicht. Plusternd und flatternd streichen sie ab, und ich „erlege“ einen davon mit gesicherter Flinte.
Die „Anschlag-Übungen“ lohnen sich, denn nachdem ich etwa acht Kilometer gepirscht bin, stehen bei strömendem Regen in einem dichten Nadelwald drei Birkhennen vor mir auf, von denen ich eine reflexartig zwischen zwei Bäumen erbeuten kann. Wie der Birkhahn am Tag zuvor, schlägt die Henne am Boden noch kurz mit den Schwingen, so dass ich sie orten und in Besitz nehmen kann. Als ich weiterpirsche, höre ich es im Dickicht vor mir noch drei Mal kräftig flattern, weiß jedoch nicht, um was es sich da gehandelt hat.
Am frühen Nachmittag treffe ich mich mit Gunnar an der Hütte. Begeistert klopft er mir auf die Schulter, als er den Birkhahn und die Birkhenne sieht und nötigt mich, meinen Flachmann mit dem guten alten schottischen Single-Malt-Whisky rauszurücken …. Nie zuvor hat mir mein geliebter „Bowmore“ so gut geschmeckt, wie hier in den Bergen Norwegens. Es muss wohl an der Temperatur gelegen haben … Auch Gunnar ist äußerst angetan vom einmaligen Geschmack des Whiskys: „Davon musst du mir im nächsten Jahr eine Flasche mitbringen!“ Muss ich wohl.
Aus dem Nichts Mit von der Partie ist Gunnars Gordon Setter „Neck“. Gunnar nennt ihn auch „Grandioso Catastrophe“. Wenn der Hund richtig gut drauf ist, sagt Gunnar „Grandioso“. Macht er Mist, ruft er in perfektem Französisch „Catastrophe“, lässt das „e“ am Ende weg. Wenn „Neck“ über einen längeren Zeitraum Unfug macht, nennt er ihn „Grande Catastrophe“. Zur Ehrenrettung des Setters allerdings muss ich sagen, dass er unermüdlich arbeitet und nur selten „von der Rolle“ ist.
Nach einem kleinen Imbiss und zwei Tassen Tee beschließen wir, es noch ein paar Stunden bis zur Dämmerung auf „den großen schwarzen Vogel“ zu probieren. Wir erklimmen ein Hochplateau und genießen den wunderbaren Ausblick auf die urtümliche Natur. 100 Meter unter uns leuchten die Blätter der Laubbäume in den schönsten Farben, und der bunte Herbstwald spiegelt sich im Wasser eines großen Moorsees. Um uns herum Heidekraut, Moose, Weiden sowie Zwergbirken. Mir geht förmlich das Herz auf.
Unvermittelt rollen Steine, übertönen das Rauschen eines kleinen Wasserfalls. Es klappert, als hätten Schalen sie in Bewegung gebracht. In der Tat: Kaum achtzig Meter entfernt zieht ein junger Elchbulle in den Fichtenwald.
Auch heute mache ich mir Notizen: Sieben Schneehühner, zwei Birkhähne, eine Birkhenne sowie drei Auerhähne bekommen wir zu Gesicht. Erlegen allerdings können wir keinen der Vögel, denn für einen Schuss haben sie immer etwas zu früh Luft unter den Schwingen. Dennoch. Ein Supertag! „Zu Dritt machen wir wohl doch etwas zuviel Krach“, sagt Gunnar und fügt hinzu „allein hättest du Raufußindianer wahrscheinlich eine größere Chance.“ Ich fühle mich geschmeichelt.
Schließlich erreichen wir einen kleinen Mischwald, und Gunnar meint, dass dieser Bereich eine ausgesprochen gute Stelle für einen Auerhahn ist. Wie Recht er doch hat, denn völlig unvermittelt reitet urplötzlich „wie aus dem Nichts“ etwa vierzig Meter vor mir ein Auerhahn ab. Schade, einfach zu weit. Ich lasse den Finger gerade.
Auf ein Neues: Das undurchdringliche Gebüsch vor einer steilen Felswand, von der im Schneckentempo Wasser rieselt, so dass es aussieht, als würde der riesige Stein weinen, ist augenscheinlich ein gutes Versteck für Rauhfußhühner. Gunnar schickt „Neck“ in die Sträucher, und dann dauert es gerade mal zehn Sekunden, bis er vorsteht. „Mister Präsident“ gibt das Zeichen zum Einspringen. Schwingenschläge, und pfeilschnell sucht ein Schneehuhn das Weite. Aber Gunnar ist bereits in Voranschlag gegangen und kann es erlegen. „Bravo! Waidmannsheil!“ sage ich.
Noch einmal machen wir eine Pause. In aller Seelenruhe sammeln wir Reisig für ein Feuer, zünden es an und ruhen uns aus. Für dieses Jahr ist es vorbei mit der Jagd auf Raufußhühner.
Nur „Neck“ hält sich nicht an die Abmachung und geht allein auf die Pirsch. Etwa 60 Meter entfernt sehen wir, dass er mindestens acht Schneehühner in einer Dickung hochmacht. Provozierend streichen sie in Schussweite an uns vorbei. Aber wir haben bereits entladen … Nicht klein zu kriegen, der Hund. Von wegen „Catastrophe“. „Grandioso!“ Auf dem Rückmarsch zum Auto entdecke ich im Schlamm auf einem Pirschweg große runde Abdrücke, die Bärenspuren ähnlich sind. Irritiert frage ich Gunnar, ob es hier Braunbären gibt, und er klärt mich auf: „Ein alter, erwachsener Vielfraß!“
Gespannt wie ein Flitzebogen
Gespannt wie ein Flitzebogen
Mit „Fjell“ und „Leica“ den Elchen auf der Spur Am nächsten und letzten Jagdtag nehmen mich Gunnar, Björn, Kaare, Ola, Dagfin und Björnulf mit auf die Elchjagd. Unser Ziel ist ein Revier westlich von Namsos in den Bergen von Fosen. Mit von der Partie – nein, die Hauptakteure – sind die beiden grauen Norwegischen Elchhunde „Fjell“ und „Leica“. „Fjell“ ist ein dreijähriger Rüde, „Leica“ eine junge Hündin. Graue Elchhunde sind aufgrund ihres ausgeprägten Finderwillens ideal für die manchmal recht harte und schwierige Elchjagd geeignet, haben eine Größe und ein Gewicht etwa wie der Hannoversche Schweißhund.
„Elche sind genügend da“, sagt Gunnar. „Eigentlich müssten wir heute einen schießen.“ Frei sind alle mit Ausnahme von Alttieren. Geplant sind vier „Treiben“. Björn und Dagfin drücken mit „Fjell“ und „Leica“, die anderen fünf Jäger, zu denen auch ich zähle, sitzen und warten.
Während der ersten drei Treiben werde ich an einem Fichtenhochwald in der Nähe eines Sees, an einem üppig mit Brombeeren überwucherten Kahlschlag und in einem lockeren Wald abgesetzt. Allerdings ohne einen Elch zu Gesicht zu bekommen. Lediglich ein junger Auerhahn reitet vor mir ab, als beim Angehen zum Stand ein Ast unter meinen Füßen bricht. Alle Jäger stehen per Funk miteinander in Verbindung, aber es passiert nichts. „No Moose“, sagt Gunnar.
Beim vierten Drücken jedoch sind Björn und „Fjell“ erfolgreich und stoßen auf ein Schmaltier und ein nicht führendes Alttier. So langsam es geht, drücken die beiden das Wild, und Björn informiert jeden einzelnen Ansitzjäger per Funk über den Stand der Dinge. „Wenn die beiden bei dir vorbeikommen“, sagt er zu mir, „schieße bitte nur das schwächere Stück.“ Klare Sache!
Gespannt wie ein Flitzebogen, sitze ich mit schussbereiter Waffe da und harre der Dinge, die da kommen werden. Und gerade in dem Moment, als ich eine weitere Mitteilung über Funk erhalte, knallt es. Kaum 200 Meter von mir entfernt.
Sofort kommt Gunnar, der seinen Stand in der Nähe eingenommen hatte, zu mir und sagt, dass es Dagfin gewesen sein muss, der da geschossen hat. „Sicher hat er das Schmaltier erlegt. Dagfin ist ein guter Schütze.“ Ich schließe mich Gunnar an, und wir machen uns auf den Weg zum Wasserfall, wo Dagfin angesetzt war. Schon von weitem sehen wir das Schmaltier verendet im Uferbereich des kleinen Flusses liegen. „Leica“, Dagfins Hündin, rupft bereits an der Decke des Stückes, hat es in Besitz genommen.
Weil es zu dämmern beginnt, montiere ich das Blitzgerät an der Kamera und fotografiere. Leider habe ich nur diesen einen Tag und bin deshalb sehr froh, eine erfolgreiche Elchjagd erlebt zu haben. Keine Selbstverständlichkeit.
Wir sind vom Glück verfolgt: Das Gehöft eines Landwirtes befindet sich kaum 300 Meter entfernt, und mit seinem Traktor ist es ein leichtes, den Elch zu bergen. „Wenn wir in den Bergen zum Beispiel einen ausgewachsenen Elchbullen erlegen“, sagt Björn, „kann es durchaus auch mal zwei Tage dauern, bis wir ihn im Tal auf dem Anhänger haben. Eine ziemliche Schufterei.“
Als ich am späten Abend zur Unterbrechung des „Schlaftrunkes“ mit den Freunden in der Jagdhütte für einige Minuten an die frische Luft gehe, zeigt sich am sternenklaren Himmel urplötzlich und gespenstisch das sagenumwobene Nordlicht. Es knistert wie Hochspannung, und die Farben der „Geisterfahnen“ wechseln von Rosa über Grün in ein verschwommenes Blau. Vor dem Sternbild des Großen Wagens ist besonders viel los. Es sieht aus, als würde ein Kutscher den mit nur leicht bekleideten Frauen vollgeladenen „Pferdewagen“ steuern. Ich schüttele den Kopf und glaube zu träumen.
Ich rufe die Freunde, damit sie sich das anschauen. Und auch sie sind begeistert. „So intensiv habe ich das Nordlicht seit Jahren nicht mehr gesehen“, sagt Ola. Schließlich gibt er mir den Tip zu pfeifen. „Wenn du pfeifst, bewegen sich die Polarlichter“, sagt er. „So ein Quatsch“, denke ich, tue ihm jedoch den Gefallen und pfeife in den Sternenhimmel. Unglaublich! Die Damen im Wagen beginnen zu tanzen. Als sie sich wieder gesetzt haben, versuche ich es erneut. Und wieder tanzen sie! Nicht zu fassen, aber es funktioniert!
Wehmut überkommt mich, als ich daran denke, dass es morgen früh wieder nach Hause geht. Schade, viel zu schnell vergeht die Zeit. Aber: Wieder einmal habe ich die Gewissheit, an einem jagdlichen Sahnestück „genascht“ zu haben. Vier wunderschöne, stimmungsvolle Jagdtage in der bezaubernden Bergwelt Norwegens sind vorbei. Danke Diana!
Es gibt drei Länder auf der Erde, die ich liebe: Kanada, Alaska und Norwegen. Norwegen allerdings hat den großen Vorteil, von Deutschland aus schnell und dementsprechend auch relativ preiswert erreichbar zu sein.
Und als mich Gunnar am nächsten Morgen auf dem Weg zum Flughafen in Trondheim fragt, ob ich nicht im nächsten Herbst wiederkommen möchte, gebe ich ihm die Antwort bereits, bevor er zu Ende gesprochen hat: „Ja, ja, ja, von Herzen gern!“ Norwegen muss man einfach lieben!