Elche im Norden Albertas

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Elf Jäger, vier Jagdgebiete, ein Outfitter. Freud und Leid, kundige und unkundige Guides, gute und weniger gute Jagdgebiete: All das lag bei dieser Jagd wieder einmal eng beisammen.

Von Olgierd Graf Kujawski

Wasserelch
Uschi und Guide Gord präsentieren den „Wasserelch“.
Herbst 1991
Charles B., genannt Chuck, ist Guide bei dem in Edmonton ansässigen Outfitter Karl Johansson, einem eingebürgerten Schweden. Chucks Jagdareal, etwa 150 Kilometer nördlich von Fort McMurray in Alberta, sind der auf 850 Meter Höhe in den Birch Mountain gelegene Legend Lake und seine Umgebung. Hier hat er sich eine feste Cabin mit vier Schlafplätzen errichtet. In dieser Jagdsaison auf Elch, Wolf und Bär bin ich für Karl Johansson und Chuck der erste deutsche Jagdgast.
Dank Chucks Vorsorge ist im Camp ausreichend Proviant vorhanden. Outfitter Johansson dagegen hat daran mächtig gespart. Das beschert zwei weiteren seiner zahlenden Gäste (ein amerikanischer Rechtsanwalt und ein dänischer Berufsjäger), die er zeitgleich mit mir, jedoch andernorts mit einem Guide in der Wildnis ausgesetzt hat, eine unfreiwillige, mehrtägige Hungerkur beschert und sie zudem mangels trinkbaren Wassers fast verdursten läßt.
Chuck erweist sich während der acht Jagdtage als ein in der Natur erfahrener und umweltbewußter Jäger. Jede Bier- oder Limonadendose, die er auf seinen Streifzügen durch die Wildnis findet, wird zur Entsorgung mit ins Camp gebracht. Bis auf fünf von Chuck und mir gestreckte Wölfe ist der Jagderfolg bescheiden. Kein jagdbarer Elchbulle, kein Schwarzbär weit und breit – auch nicht bei den hungernden und durstenden Jägern aus USA und Dänemark. Zahlreich sind dagegen die Hechte im Legend Lake. An den richtigen Stellen geangelt, bringt fast jeder Wurf einen Biß.
Einmal, dessen ist sich Chuck sicher, wird auch er wie Karl Johansson Outfitter sein und „lot of money“ machen. Die Chance hierzu bietet sich ihm Monate später, als dank der Aktivitäten des amerikanischen Rechtsanwaltes und entsprechender Veröffentlichungen in der Fachpresse über die Machenschaften von Karl Johansson dieser behördlicherseits als Outfitter aus dem Verkehr gezogen wird. Weitere in Alberta tätige Outfitter werden auf ihre Ausrüstung und Zuverlässigkeit hin überprüft und verlieren zum Teil ihre Lizenz.
Herbst 1995
Chuck, inzwischen im vierten Jahr als Outfitter geschäftlich aktiv – im Frühjahr Bärenjagd und im Herbst Jagd auf Elch, Wolf und Bär – hat im Hauptcamp am Legend Lake und in einem Nebencamp insgesamt acht deutsche Gäste, von denen sechs Jäger sind. Alle wollen einen Elch, wenn möglich, einen Wolf und einen Schwarzbär erlegen.
Dank erfahrener Guides kommen zur Strecke: fünf Elchbullen, darunter ein guter Schaufler, ein Einstangenschaufler und drei jüngere Bullen, ein Wolf und ein Schwarzbär. Der Legend Lake bietet noch ausreichend Fisch zur Bereicherung des Speisezettels – neben Hechten auch die köstlichen Aalquappen (Rutten). Was sich verändert hat, das ist das Camp: Statt der massiven Cabin stehen jetzt Zelte am alten Platz. Fish- and Wildlife hatte angeordnet, die feste Behausung zu entfernen.
Freude gab es, aber auch Ärger: Mit 48stündiger Verspätung eintreffendes Gepäck (siehe Jagen Weltweit 4/96), Unaufmerksamkeit und Fehleinschätzung des Outfitters Chuck bei der Beurteilung der Stärke eines Elchbullen (statt eines starken Schauflers lag dann ein Jährling), Zerstörung von Trophäen bei deren Zurichtung. Mir und einem weiteren Jäger wurde Schadensausgleich durch eine neue, kostenfreie Elchjagd am Legend Lake zugesagt.
Herbst 1999
Freitag, 24. September
In Düsseldorf checken an diesem Morgen zwei Jägerinnen und drei Jäger Gepäck und Waffen zum Flug über London Heathrow und Calgary nach Fort McMurray ein: Ilse und Helmut mit Sohn Peter, Uschi und ich. Uschi, meine Frau, soll meinen Wiedergutmachungselch schießen.
Geflogen wird mit British Airways, ab London mit Canadian (CP) und ab Calgary mit Regional Air. Am gleichen Tage gehen in München Thomas und Andreas an Bord einer BA-Maschine. In London werden wir uns zum gemeinsamen Weiterflug treffen. Ebenfalls in München checkt, diesmal bei Lufthansa, eine Gruppe von sieben Tiroler Jägern ein. Ihr Ziel über Frankfurt/Main und Calgary ist ebenfalls Fort McMurray, Ausgangspunkt zahlreicher Jagdtrips in den Norden von Alberta.
Mit auf diesem Flug sind auch Franz und Margarethe aus Stuttgart, Hans-Jörg aus dem Saarland und Ralf aus dem Münsterland. Bis auf Thomas und mich ist es für alle die erste Jagdreise nach Kanada.
Samstag, 25. September
Am Morgen erscheinen Chuck und Suzan, seine Frau, zur Klärung weiterer Regularien im Hotel in Fort McMurray. Suzan erweist sich als einnehmendes Wesen und kassiert all jenes ab, das von Jagdgästen „vor Ort“ zu entrichten ist: Steuern und Gebühren für zusätzliche Abschußlizenzen . Anschließend kauft sie beim „Alberta Environmental Protection Natural Resources Service“ die benötigten Jagd- und Fischereilizenzen ein.
In der Zwischenzeit informiert Chuck seine Gäste über die von ihm vorgesehene Verteilung der Jägerinnen und Jäger auf die einzelnen Camps und Guides und die ungefähren Abflugzeiten vom Wasserflughafen. Franz und Margarethe, das Stuttgarter Ehepaar, fliegen zusammen mit Thomas und Andy an den Diana Lake. Ralf und Hans-Jörg werden mit Pieter, einem indianischen Guide, zum Archer Lake (Bogenschützen See) verfrachtet. Ilse und Helmut fliegen mit Murray, ihrem Guide, als erste zum Legend Lake.
Auf dem Rückflug bringt der Pilot von dort zwei deutsche Jäger und Guide Brian mit. Einer der beiden „Germans“ hat am vorletzten der neun Tage Wildnis-Aufenthalt einen mittleren Schaufler gestreckt. Der andere hatte keinen Anblick von jagdbaren Elchen. Uschi und ich folgen Ilse und Helmut zum Legend Lake, wo uns unser Guide Gord, zugleich Camp- und Küchenchef, und Murray willkommen heißen.
Als Letzte werden von Fort McMurray Brian und Peter ausgeflogen. Ihr Ziel ist der Suzan Lake. Gegenüber Peter hat Chuck den Suzan Lake als neues Jagdgebiet mit guten Chancen auf Elch, Wolf und Bär deklariert.
Legend Lake
Unser Camp am Legend Lake – für mich überraschend an neuem Platz – besteht aus zwei Gästezelten, einem Tepee (Indianerzelt) für die Guides und einem geräumigen Küchen- und Aufenthaltszelt. Damit wird der im Prospekt des deutschen Jagdreise-Vermittlers beschriebenen Camp-Ausstattung zumindest hier weitestgehend entsprochen. Ilse und Helmut haben sich bereits eingerichtet und nur noch unsere Ankunft abgewartet, bevor sie mit Murray zur Rufjagd vom Boot aus und Sightseeing-Tour entlang des Seeufers starten.
Ilse und Helmut haben keinen Anblick. Später erfahre ich von Gord, daß er nur aus Hilfsbereitschaft gegenüber Chuck guidet und erstmals Jagdgäste führt. Eigentlich ist er, so berichtet er, passionierter Angler und Fishguide. Der Legend Lake und das umliegende Gelände sind ihm weniger vertraut als mir von meinen bisherigen zwei Aufenthalten. Ebenfalls erstmals in seinem Leben als Guide auf Jagdgäste „angesetzt“ und der Örtlichkeit absolut fremd ist Murray – ein Zwei-Drittel-Indianer, wie er stolz bekennt.
Sonntag, 26. September
Am Morgen liegt Nebel über dem See. Zeichen für einen beginnenden Temperatursturz. Schleichfahrt entlang des Ufers ist angesagt. Hier und da mal ein Ruf, um einen möglicherweise in Ufernähe stehenden Elchbullen heranzulocken. Als sich der Nebel verzogen hat, besuchen wir den Platz, an dem die Jahre zuvor das Camp von Chuck gestanden hat. 1997 und 1998 hat es am Legend Lake und südwestlich von ihm gebrannt. 1998 unmittelbar vor Beginn der Jagdsaison. Diesem Brand war auch das Jagdcamp zum Opfer gefallen. Was wir zu sehen bekommen, gleicht einem Müll- und Schrottplatz. Mittendrin frische Elchfährten: Eine Kuh mit Kalb ist hier ans Ufer gezogen.
Wir sind als erste zurück im Camp. Von der anderen Seite nähern sich im Boot Ilse, Helmut und Murray. Da tauchen sie auf: Elchkuh und Kalb queren die kleine, unmittelbar am Lager liegende Bucht. Das Platschen der großen Schalen im Wasser ist unüberhörbar. Die Jäger im Boot warten darauf, daß beiden der Elchbulle folgt. Fehlanzeige! Nach einer halben Stunde sind die Drei im Lager zurück. Am frühen Nachmittag beobachte ich vom Lager aus, wie ein Schmaltier und ein guter Schaufler an gleicher Stelle wie das Wild am Morgen die Bucht queren und am gegenüberliegenden Ufer im Busch verschwinden. Elchwild ist also da, und die Rufjagd am Nachmittag erscheint erfolgversprechend.
Ilse, Helmut und Murray steuern die andere Seeseite an, um dem morgens und nachmittags gesichteten Elchwild nachzupirschen. Gord, Uschi und ich fahren in eine diesseitige Bucht, in die ein Wasserlauf mündet. Wir richten uns am Ufer ein, während der Guide mit dem Boot etwa 100 Meter hinausfährt, es verankert und dann ab und zu den Elchruf tätigt. Bis auf einen Schoof anstreichender Enten haben wir keinen Anblick.
Zurück im Camp berichten unsere Mitjäger, daß sie beim Pirschen auf einen Bullen und eine Kuh getroffen sind. Der Bulle war zwar sehr nah, doch hat Ilse den Elch wegen der vielen Bäume nicht schießen können. Auch über die Stärke seiner Schaufeln kann keiner etwas sagen. Im Dämmerlicht des Buschwerks waren sie nicht klar erkennbar. „Am kommenden Morgen werden wir ihn suchen und finden“, macht Murray Ilse und Helmut Hoffnung. Gord hört Murrays Schilderung aufmerksam zu und macht sich offensichtlich seine eigenen Gedanken zur Jagd am nächsten Morgen. Inzwischen zeigt das Thermometer Frosttemperaturen an, Wind bringt polare Kälte.
Wolfsgeheul und Bärenschmatzen
Die folgende Nacht wird zu einem besonderen Erlebnis: Vollmond leuchtet durch die Zeltwände. Draußen glitzern Eiskristalle auf Blättern und Zweigen mit den Sternen am Firmament um die Wette. Von Norden her wabern Nordlichter über den Himmel. Mitternacht ist vorbei, als uns das Geheul von Wölfen aus dem Schlaf holt. Es scheint, als sitzen sie rund um das Camp, von unseren Zelten nicht viel weiter als 50 bis 100 Meter entfernt. Ihr Konzert läßt die Haut kribbeln und ist Ohrenschmaus zugleich.
Wölfe! Sie sind also da! Ebenfalls da ist offensichtlich auch ein Schwarzbär – anders lassen sich die hinter den Zelten deutlich vernehmbaren schmatzenden Fraßgeräusche nicht deuten. Meister Petz delektiert sich an den hier noch reichlich vorhandenen Waldbeeren. Lange dauert es, bis sich der Ruf der Wölfe vom Camp entfernt und in der Ferne verliert. Auch vom Bären ist bald nichts mehr zu vernehmen.
Montag, 27. September
Um fünf Uhr, unsere Weckzeit, kommt Gord und erklärt, daß Nebel auf dem See liegt. Wir sollen bis neun Uhr weiterschlafen. Kurze Zeit später treibt mich ein menschliches Bedürfnis aus dem Zelt. Die Luft ist kalt und klar. Neugierig gehe ich zum Bootssteg: Kein Nebel auf dem Wasser, und das gegenüberliegende Seeufer ist als dunkle Silhouette deutlich zu erkennen. Innerhalb einer Stunde muß sich der von Gord gesichtete Nebel verzogen haben.
Ich wecke die Guides, Ilse, Helmut und Uschi. Das Frühstück ist kurz und knapp. Gord drängt uns zur Eile. Wir sind als erste im Boot und legen auch als erste ab. Murray hat mit seinem Bootsmotor offensichtlich Probleme. Jedenfalls dauert es länger als sonst, bis er ablegen und mit Ilse und Helmut auf Kurs gehen kann.
Unser Guide steuert das gegenüberliegende Ufer an. Eindeutig das Terrain von Murray, Ilse und Helmut. Schließlich haben sie in dieser Gegend am Abend den Elchbullen vor sich gehabt. Murray holt mit seinem Boot auf und steuert es zwischen das Ufer und uns. So fahren wir parallel zueinander, bis Murray schließlich das Ufer ansteuert, um mit seinen Jagdgästen an Land zu gehen.
Unser Guide hält seinen Kurs bei und beobachtet intensiv das Ufer. Kaum sind wir um eine Landzunge herum und damit auch außer Sichtweite des zweiten Bootes, entdeckt Gord das, was er hier offensichtlich auch vermutet hat: Haupt und Träger einer zum Ufer ziehenden Elchkuh. „Moose“ ist alles, was er zwischen den Zähnen herauspreßt. Noch ehe wir das Wild richtig ausmachen können, hat er den Motor gedrosselt und den ersten Ruf zum Ufer geschickt. Die Kuh, bereits im Abdrehen begriffen, ruckt zusammen und zieht zum Wasser. Ihr folgt ein Kalb, dann taucht als Dritter im Bunde ein starker Bulle auf.
Im frühen Licht des Tages sind die Schaufeln zwar gut zu erkennen, ihre Stärke jedoch schwer einzuschätzen. Kuh und Kalb stehen bereits im seichten Wasser. Noch ein Ruf von Gord, dann folgt der Elchbulle, stellt sich halbspitz zu uns in den See und schöpft Wasser. „Shoot him“, flüstert Gord.
Der Schaufler wird zur Beute
Als der Elch sich breit stellt, stoppt ihn das 11,6 Gramm schwere Winchester Power Point-Geschoß aus dem .308 Blaser-Stutzen. Der Rückstoß läßt das Boot leicht schaukeln. Wissend, daß man auch tödlich getroffenem Elchwild keine Chance zur Flucht auf für die Nachsuche und Bergung schwieriges Gelände lassen darf, reicht Uschi mir den Stutzen zum Fangschuß. Der Bulle steht mit gespreizten Vorderläufen und gesenktem Haupt im Wasser. Drei Schüsse später zeigt der Elch Wirkung. Der Bulle bricht zusammen. Das Haupt sinkt unter Wasser, ein Vorderlauf schlegelt – dann ist er verendet.
Daß hier ein für die Verhältnisse in Alberta kapitaler Schaufler gestreckt wurde, wird uns erst bewußt, als Gord mit dem Boot an den im Wasser liegenden und seiner Schätzung nach etwa 900 Kilogramm schweren Wildkörper heranfährt.
Elchbulle im Schlepptau
Minuten später rauscht um die Landzunge das Boot von Murray mit Ilse und Helmut. Als sie den starken Elchbullen im Wasser liegen sehen, verschlägt es ihnen erst einmal die Sprache. „Wir waren gerade aus dem Boot ausgestiegen, als wir Gords Elchruf hörten und kurz danach die Schüsse fielen“, berichtet Ilse. Zurück ins Boot und nachsehen waren eins.
Ich habe Verständnis dafür, daß Ilse und Helmut das Ereignis erst verdauen müssen, bevor sie Uschi ein dann doch herzlich klingendes Waidmannsheil wünschen. Der Dialog zwischen Murray und Gord ist kurz. Dann dreht Murray mit seinem Boot ab und hofft, auch Ilse an diesem Morgen noch auf einen guten Bullen zu Schuß zu bringen. Gord setzt uns am Ufer ab und fährt zurück ins Camp, um Seile und seine Wathose zu holen. Mit dem 900 Kilogramm schweren Anhängsel geht es über den See zum Camp.
Nach dem Abschärfen des Hauptes wird der im Wasser liegende Elch aus der Decke geschlagen, danach aufgebrochen und schließlich grob in Keulen, Blätter und Rückenstränge zerwirkt. Man merkt es Gord und Murray an, daß sie das nicht oft gemacht haben.
Dienstag, 28. September
Die Jäger kommen von der Morgenfahrt erfolglos zurück. Sie war nur kurz, weil der Motor von Murrays Boot den Geist aufgibt. Mittags schwebt Outfitter Chuck mit Suzan ein. Chuck müdet die beiden Guides ordentlich auf. Der Bau einer Cabin zur Überwinterung von Camp-Ausrüstungsteilen geht jetzt zügig voran.
Technisch in vielen Dingen bewandert, repariert Chuck am Nachmittag den Bootsmotor. Damit stehen wieder zwei Boote für die Jagd zur Verfügung. Jetzt erfolgt Führung 1:1. Chuck führt Ilse, Murray Helmut. Wir bleiben im Camp. Meine Hoffnung, auf Gänse und Enten jagen zu können, kann ich aufgeben. Die Zeit, in der sie aus dem hohen Norden Richtung Süden ziehen und auf dem Legend Lake rasten, ist bereits vorbei. Auch das Angeln lohnt nicht, wie ich erneut feststellen muß. Unsere Jäger kommen ohne Moose zurück. Das Wetter verschlechtert sich.
Mittwoch, 29. September
Als wir morgens aus den Zelten kommen, liegt Schnee. Der See hat hohen Wellengang. Ilse und Helmut versuchen mit Chuck und Murray erneut und vergeblich ihr Glück, an einen Elchbullen heranzukommen. Die Bootspirsch am Nachmittag fällt wegen zu hohem Wellengang und zu starkem Wind aus.
Donnerstag, 30. September
Für Ilse und Helmut gibt es eine weitere erfolglose Morgenpirsch. Ilse hat zwar Kuh und Kalb in Anblick, doch kein Bulle weit und breit. Nach dem Frühstück fahren Ilse, Murray und ich erneut raus. Chuck hat oben am See acht bis zehn Gänse gesehen. Also probieren wir es, auf sie oder auf einen Elch zu Schuß zu kommen. Die Gänse sind längst weg, und ein Elchbulle ist auch nicht zu sehen.
Ilse und Helmut haben Zweifel, ob sie überhaupt zu Schuß kommen. Daß aufgrund der in der Wildnis gegebenen geringen Wilddichte kilometerweit und über mehrere Tage kein Elchwild – und ein Elchbulle noch seltener – anzutreffen sind, haben sie sich so nicht vorgestellt. Bei der Nachmittagsjagd bekommt Helmut drei Stücke Elchwild in Anblick: Kuh und Kalb, das dritte Stück ist als Bulle nicht anzusprechen. Ilse und Chuck bleiben ohne Anblick. Die Stimmung bei beiden ist am Abend entsprechend.
Freitag, 1. Oktober
Die Morgenjagd bleibt wieder ohne Erfolg. Es ist der siebte Tag im Camp und am Nachmittag für Ilse und Helmut der elfte Versuch, auf einen Elchschaufler zu Schuß zu kommen. Während Helmut mit Murray in Richtung der nächst gelegenen Cutline (kilometerlange Waldschneise) startet, fahren Chuck und Ilse an das gegenüberliegende Ufer. Gegen 19 Uhr fallen dort kurz hintereinander zwei Schüsse. Helmut ist sauer wegen des unwegsamen Geländes und der Art der Führung – alle paar Meter markiert der Guide den Weg mit einem roten Band als Orientierung für den Rückweg. Doch bei uns allen herrscht hoffnungsvolle Spannung.
Längst ist es dunkel, und erst um halb Zehn hören wir Motorengeräusch auf dem See. Dann sind sie auch schon am Landungssteg. Im Boot liegt das Haupt eines Elchschauflers: vielleicht drei Jahre alt. Trotzdem: Ilse ist happy.
Den Elchbullen zwischen den Baumstämmen entdecken und schießen sind bei ihr eins. Und weil er nicht sofort fällt, bekommt er auch noch die zweite Kugel. Und zwar so schnell, daß Chuck – auch kein langsamer Schütze – völlig verblüfft ist. Das Versorgen des Stückes, das Abtrennen des Hauptes und der an die zwei Kilometer lange Rückweg zum Boot dauern ihre Zeit. Ilse, jetzt auf „Wolke 7“ schwebend, verkündet: „Und morgen gilt es dem Wolf!“
Samstag, 2. Oktober
Am Morgen übernimmt Chuck die Führung von Helmut. Sie bleiben an diesem Morgen lange draußen, doch außer weiblichem Elchwild kein weiterer Anblick. Meiner Prognose, daß auch Helmut noch zu seinem Jagderfolg kommen wird, traut er nicht. Schon gar nicht, nachdem auch der Nachmittag ohne Erfolg bleibt.
Sonntag, 3. Oktober
Mit beginnender Dämmerung fahren Chuck und Helmut auf den See. Der Himmel ist bedeckt, die Luft aber klar und kalt. Der Frost hat die Äste der Bäume und das Gras mit Rauhreif überzogen. Nach langsamer Pirschfahrt entlang des Ufers gehen beide an Land. Ihr Ziel ist eine Cutline.
Chuck weiß, daß hier ein alter Elchwechsel verläuft. Er hat sich nicht verrechnet. Sein Elchruf hat Erfolg. Starkes Wild nähert sich. Ein mittelalter Bulle ist es und passabel dazu. Längst ist Helmut im Voranschlag. Als der Elch auf die Cutline herauszieht, schießt Helmut. Das Stück zeichnet auf das 16,5 Gramm schwere High Power-Geschoß aus der Blaser (.300 Win. Mag.) und torkelt. Sofort schießt Chuck nach. Am Rande der Cutline, unmittelbar vor sumpfigem Gelände, bricht der Elch zusammen.
Chuck macht sich gleich an das Versorgen und Zerwirken des Wildkörpers. Haupt und Wildbret werden die fast 1 000 Meter bis zum Seeufer getragen. Dann geht’s zurück. Mitten auf dem See fällt der Motor aus.
Montag, 4. Oktober
Es ist bitter kalt geworden. Der See droht langsam zuzufrieren. Chuck muß zu seinem auf der höchsten Erhebung der Birch Mountain installierten Funktelefon. Einmal, um Kontakt mit der Leitstelle in Fort McMurray aufzunehmen und für den morgigen Abflugtag ein zweites Flugzeug zum Abtransport des Elchwildbrets zu ordern, zum anderen, um das Gerät samt Batterie zu bergen. Der Versuch, mit Fort McMurray Kontakt aufzunehmen, bleibt ohne Erfolg.
Ich nutze die Zeit, um ein letztes Mal auf Hechte zu angeln. Kein Erfolg! Auch später nicht, als Chuck am „besten Fangplatz“ im See versucht, ebenfalls Hechte zu fangen. Die Sippe Esox scheint ausgewandert. Mich wundert es nicht, schließlich ist das Seewasser gegenüber früheren Jahren zwar klar, aber doch bräunlich gefärbt. Vermutlich sind wegen der Waldbrände viele Schadstoffe in den See gespült worden, so daß ein großer Teil der Fische – kleinere sah man gelegentlich springen – eingegangen ist.
Dienstag, 5. Oktober
Schon früh am Morgen ist Hektik angesagt. Chuck drängt die Guides zur Eile. Die Schlafzelte werden abgebaut und alles, was im nächsten Jahr wieder verwendet werden kann, in der fertiggestellten Cabin verstaut. Wir „Germans“ werden gemeinsam nach Fort McMurray hinausgeflogen und sind neugierig, wie es den anderen ergangen ist.
Diana Lake
Das Trumpf-As im jagdlichen Verteilungsspiel der Gäste auf die Camps haben Franz, Margarethe, Thomas und Andreas gezogen. Franz und Margarethe werden von Lennert geführt. Er ist mit Roi, dem Guide von Thomas und Andreas, bereits seit drei Tagen im Camp. Tage, die sie nicht nur zur Vorbereitung des Lagers, sondern vor allem zur Erkundung des Umfeldes und Ermittlung des Wildes nutzen.
Als die vier Jäger im Lager eintreffen, können Lennert und Roi ihnen insgesamt zehn Standorte von Elchbullen, darunter mehrere Kapitale, bestätigen. Sie alle werden in den ersten drei Tagen der Jagd gesichtet. Nicht immer ist Schußgelegenheit gegeben: Entweder ist die Deckung zu dicht oder die Entfernung zu weit. Dennoch, dessen sind sich alle nach dem ersten Jagdtag sicher: Jeder wird innerhalb weniger Tage einen guten Elchbullen erlegen.
Bereits am zweiten Jagdtag erlegt Andreas mit drei Schuß aus der Waffe des Guides, einem Vorderschaft-Repetierer im Kaliber .270 Winchester, auf rund 80 Meter einen kapitalen Schaufler.
Die Schüsse haben ungeahnte Wirkung: Wenige Stunden später tauchen im Camp kanadische Jäger auf. Sie erklären, Angehörige von Fish- and Wildlife zu sein, kontrollieren das am Elchwildbret angebrachte Tag, wollen wissen, wer der für das Camp am Diana Lake verantwortliche Outfitter ist und interessieren sich für die Jagdlizenzen.
Im Verlauf der nächsten Tage stellt es sich heraus, daß im näheren Bereich des Camps zwölf Angehörige der Behörde auf Waldbison und Elchwild jagen. Outfitter Chuck hat sein Camp mitten in die „jagdliche Schatztruhe“ der Fish- and Wildlife-Leute gesetzt. Späterer Ärger scheint programmiert, das ist jedenfalls der Eindruck, den die deutschen Jäger haben.
Dienstag, 28. September
Franz beschießt auf 50 Meter einen hochkapitalen Elchbullen. Ein Geschoß aus der .30-06 Heckler & Koch reicht, um den König der kanadischen Wildnis zu fällen. Am gleichen Tag kommt auch Thomas mit der von seinem Guide geliehenen Waffe (.270 Win.) auf einen starken Schaufler und auf eine Entfernung von etwa 80 Meter erfolgreich zu Schuß. Der Elch bricht in der Fährte zusammen.
Franz und Margarethe jagen weiter. Doch keiner der in Anblick kommenden Elche hat mehr auf dem Haupt als der bereits erlegte. So bleibt die Lizenz die nächsten Tage ungenutzt. Das bringt Lennert dazu, Franz zu bitten, doch ihn den Elchbullen schießen zu lassen. Er habe Familie und Kinder und benötige das Wildbret.
Franz lehnt das entschieden ab. Schließlich erhält er bei Nichtabschuß des zweiten Elches vom Jagdreisevermittler in Deutschland 1 000 US-Dollar zurück. Gleiches erhofft er sich für die 500 US-Dollar, die er, aber auch Thomas, Andreas und Peter, für die Schwarzbärlizenz bezahlt haben.
Archer Lake
Hans-Jörg und Ralf, die mit ihrem Guide Pieter, einem Vollblutindianer, am Archer Lake ihr Glück auf Elche versuchen müssen, finden dort ein Gemeinschaftszelt vor. Kochstelle und Eßbank stehen im Freien. Gegen Schnee in der Suppe schützt eine über Stangen gezogene Plane. Pieter läßt es gemütlich angehen. Gejagt wird morgens und abends jeweils zwei Stunden. Die Rufjagd erfolgt entlang des Sees auf einer Strecke von etwa 300 Meter. Weiter mag Pieter seine Gäste nicht führen.
Mittwoch, 29. September
Ralf kommt am späten Nachmittag auf einen mittelalten Elchbullen zu Schuß. Das Stück bleibt am Anschuß. Pieter läßt den Bullen unaufgebrochen bis zum nächsten Tag liegen, obwohl noch ausreichend Zeit gewesen wäre, wie Hans-Jörg und Ralf später berichten.
Es ist gleichzeitig der Tag, ab dem weder Eier, noch Schinken und Kaffee – Grundnahrungsmittel für jeden Kanadier – verfügbar sind. Auch an anderen Dingen mangelt es. Auf dem Anflug zum See haben sie eine Cabin gesehen. Zu ihr, die Forst- und Feuerwehrleuten Unterkunft bietet, schlagen sie sich durch. Dort finden sie noch eine halbe Dose Kaffee und, was für Ralf und Hans-Jörg überaus wichtig ist, einen zum Abkochen der Trophäe geeigneten Topf.
Hans-Jörg und Ralf sind die einzigen Jäger unserer Gruppe, die Bären in Anblick bekommen. Am Freitagmorgen am Kill des Elches einen Schwarzbären und am Samstagabend, ebenfalls am Kill, einen starken Braunbären. Da beide keine Schwarzbärlizenz gelöst haben, bleibt der Bär unbeschossen.
Geradezu gesegnet ist der Archer Lake mit Hechten. Insgesamt fangen sie an die 60 Hechte, von denen die Kapitalsten eine Länge von mehr als 90 Zentimeter aufweisen. Als ihnen die Blinker ausgehen, befestigen sie probeweise einen Haken an einer Patrone vom Kal. .338, die als Blinkerersatz dient: ein überaus fängiger Köder.
Montag, 4. Oktober
Am Morgen des letzten Jagdtages kommt auch noch Hans-Jörg auf einen jungen Elchbullen erfolgreich zu Schuß. Als sie am nächsten Tag ausgeflogen werden, bringen beide ihre abgekochte und professionell gereinigte Elchtrophäe mit nach Fort McMurray. Allerdings: Die Hoffnung, diese auch mit nach Hause nehmen zu können, erfüllt sich nicht.
Suzan Lake
Jungfräuliches Gelände erwarten Peter und seinen Guide Brian am Suzan Lake. Mit im Flieger ist das komplette Equipment, so daß sie ihr kleines Camp erst einmal errichten müssen. Peter hat neben der Elch- und Wolflizenz zusätzlich Lizenzen auf Enten und Gänse, auf Rauhfußhühner und Hasen, auf Schwarzbär und zum Fischen beim Outfitter eingekauft.
Brian ist erstmals an diesem See, den er nicht kennt und für dessen Umgebung er keine Karte besitzt. Da ihm Chuck eingeschärft hat, sich keinesfalls vom Seeufer ins Landesinnere zu begeben, um sich nicht zu verirren, wird nur vom Boot die Rufjagd ausgeübt. Daß es heutzutage für billiges Geld GPS-Geräte gibt, die die Orientierung in unbekanntem Gelände zum Kinderspiel machen, hat sich wohl noch nicht herumgesprochen. Die Chancen auf Rauhfußhühner und Hasen zu jagen, sind daher gleich Null.
Auf die regelmäßig auf dem See einfallenden neun Enten mag Peter nicht schießen, weil das sich auf die Elchjagd störend auswirken würde. Auch die Chance, auf einen Wolf zu pirschen, wird ihm nicht gegeben: Sein Guide erklärt, daß er eine Bejagung von Wölfen grundsätzlich ablehnt. Da weder ein Luder angelegt, noch Möglichkeiten dazu im Lager gegeben sind, unterbleibt auch die Jagd auf den Schwarzbär.
Nach sieben Jagdtagen ist der Guide der festen Überzeugung, daß sich die Elche aus dieser Gegend verabschiedet haben, zumal bei kurzen Landgängen auch keine Elche gefährtet werden. Es herrscht am Suzan Lake im übertragenen Sinne „tote Hose“. Peter fühlt sich regelrecht verschaukelt. Daß ihm am letzten vollen Jagdtag doch noch ein kleines Jagdglück in der Gestalt eines Jungbullen zuteil wird, den er mit seiner .375 Holland&Holland aus dem Boot auf eine Entfernung von über 250 Meter streckt, kann das gegebene jagdliche Desaster kaum mindern. Das Einzige, das am Suzan Lake wirklich und reichlich vorhanden ist, das sind Hechte …

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[Heathrow: Bermuda-Dreieck ]

Hansgeorg Arndt

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