6/2011
Wer die Blattjagd auf Böcke liebt, hat zwei Chancen im Jahr, wenn er Reisen in ferne Länder liebt: Einen Monat nach unseren Böcken treiben es die großen Sibirier ganz wild. Nicht nur die Gehörne haben gewaltige Dimensionen, auch Reviere und Landschaft sind großartig.
Von Frank Rakow
Ein echter Klopper“ im ersten Morgenlicht. Nicht besonders hoch, aber was für Stangen! Es reichte nur für einen Foto-Schnappschuss. Foto: F. Rakow |
Meine Freunde lästerten: Schon wieder Kurgan? Du fährst wohl nur noch wegen der hübschen Dolmetscherinnen dahin! Sie haben recht wenn man das nur streicht. Es ist ungewöhnlich, dass es mich immer wieder in diese Region gleich hinter dem Ural zieht. Jahrzehntelang hatte ich bei Auslandsreisen Wert darauf gelegt, neue Länder, neue Wildarten und neue Leute kennenzulernen. Und dafür bietet unser Globus reisewilligen Jägern reichlich Auswahl. Fast jeder Punkt der Erde lässt sich innerhalb 24 Stunden erreichen. Abenteurer in Sachen Jagd vor 100 Jahren haben teilweise Monate gebraucht, bis sie am Ziel ihrer Wünsche waren.
Also warum gerade zum wiederholten Mal Kurgan? Nach anfänglichen Versuchen im Raum Tscheljabinsk am Rande des Ural-Gebirges und Kustanai im Norden von Kasachstan führte mich der Weg in die bekannteste Region für Sibirische Rehböcke: dem Oblast Kurgan. Von Anfang an hatte mich diese Wildart fasziniert. Unserem Rehwild sehr ähnlich und doch ganz anders. Doppelt so groß, doppelt so schwer und auch in den Gehörngewichten zweimal so stark. Obwohl Capreolus pygargus im asiatischen Teil Russlands weit verbreitet ist, findet sich für Westler nur wenig zugängliche Literatur über den großen Vetter des Europäischen Rehwildes. Auch mit Bildern sieht es eher mau aus.
Stärker, aber in vielem unserem Reh ähnlich
Ein alter Kämpfer. Foto: F. Rakow |
Als bekennender Fan des heimischen Rehwildes reizte es mich, mehr über dieses sibirische Super-Reh zu erfahren. Wie kann man das besser als durch Praxis? Und das ist der wirkliche Grund, der mich nun schon über mehrere Jahre in die Region Kurgan führt, dem Mekka des asiatischen Rehs. Hier ist die Wilddichte so hoch, dass genügend Chancen auf Anblick und Fotobeute besteht. Auf über 3 Million Hektar Fläche, die dort für ausländische Jagdgäste zur Verfügung steht, läuftEin gewaltiger Vorteil ist aus meiner Sicht für den jagenden Gast, dass er nicht wie ein Blinder hinter seinem Jagdführer hertapern muss. Die Ansprechmerkmale, die ein erfahrener deutscher Rehwildjäger von der hiesigen Jagd kennt, lassen sich fast deckungsgleich auf den Sibirier übertragen. Die Figur des Großen ist natürlich athletischer und nicht von der grazilen Eleganz unserer heimischen zierlicheren Rehe.
Aber auch beim Sibirier lässt sich ein starker von einem dünnen Träger unterscheiden, ein jugendlich straffes Gebäude von einem richtigen Kasten. Ebenso die Stellung der Rosenstöcke: Wandern sie nach außen und sitzen die Stangen direkt auf der Decke, deutet das auf einen älteren Herren hin. Bei den Rosen gibt es einen der wenigen Unterschiede zwischen Ost- und Westreh: Auf ausgeprägte Rosen verzichtet der Sibirier normalerweise. Die Stangen wachsen überwiegend ohne schmückenden Kranz eher schlicht in Höhen bis über 40 Zentimeter.
Auch die Verhaltensweise ist überwiegend ähnlich. Im Sommer sind die Sibirier eher Individualisten, im Winter schließen sie sich zu großen Sprüngen zusammen, um den dortigen harten Wintern gemeinsam besser zu trotzen. Frost und Schnee (besonders Harsch) sorgen für die größten Verluste. Wohl auch ein Grund dafür, dass die Ricken sehr häufig 3 Kitze setzen. Gefahren durch große Räuber sind in der Region Kurgan eher gering. Die Bären halten Winterschlaf, und Wölfe gibt es nur in ausgesprochen geringer Zahl. Wenn der Fuchs zulangt, ist das Reh meistens schon so geschwächt, dass es sowieso eingehen würde.
Blatten funktioniert
Bewegte Brunft: Die Böcke standen aufs Blatten gut zu, waren aber genauso schnell wieder weg, wenn sie Wind von dem Schwindel bekamen. Foto: F. Rakow |
Die Brunft des Sibirischen Rehwildes ist ziemlich genau einen Monat später als bei uns, also von Mitte August bis Mitte September. Für einen Rehwildfan ist es also möglich, die Blattzeit in Europa und in Sibirien zu erleben. Auch der Ablauf ist ähnlich. Zuerst wird markiert und das Territorium abgegrenzt, dann stehen die Böcke bei den brunftigen Ricken, und wenn die meisten Geißen beschlagen sind, suchen die Böcke intensiv nach den letzten heißen Stücken.
Auch das Ost-Reh lässt vom lockenden Jäger mit dem Blatter verführen. Ebenso wie in unseren Revieren scheint es mehr auf den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort anzukommen als unbedingt auf den richtigen Ton. 2011 standen uns allein an einem Abend 8 Böcke zu. Gelockt mit dem Buttulo-Blatter auf eine Art, die jedem Experten die Haare zu Berge stehen lassen würden. Den Böcken schiens egal gewesen zu sein.
Für die russischen Jäger waren ihre Rehe primär als Fleischlieferant wertvoll. Daran hat sich grundsätzlich nicht viel geändert. Doch die dortigen Organisatoren haben erkannt: Die Begeisterung (zahlender) ausländischer Gäste an der Jagd auf die Reh-Giganten und ihre Trophäen lässt sich mit ihren Interessen gut verbinden. Das Fleisch bleibt trotzdem im Land, die Jäger bringen Devisen für Jagdführung und Trophäen.
Hege durch Pacht
2011 gab es auffällig viele Einstangenböcke. Ob der extrem heiße Sommer 2010 und der sehr harte Winter danach für poröses Gehörne gesorgt haben? Foto: F. Rakow |
Das steigert die Bereitschaft, durch gute jagdliche Infrastruktur (Hege, Jagdführung, Fahrzeuge, Unterkunft) diese Einkommensquelle zu stärken. Seit 2 Jahren ist es möglich, dass Reviere durch Privatpersonen oder Organisationen auf 25 Jahre gepachtet werden. So lohnt es sich für betuchte Einheimische, in diese Reviere zu investieren. Beste Voraussetzungen für nachhaltige Hege. Erkennbar an großzügigen Wildäckern, Maßnahmen für Winterfütterung oder sogar Hochsitzen.
In diesem Jahr waren wir in zweifacher Mission unterwegs: Ralf Bonnekessen (DJZTV) sollte Landschaft, Leute und die Jagd mit der Filmkamera festhalten, während ich neue Erkenntnisse über die Wildart sammeln und fotografisch festhalten wollte. Damit war jeder von uns gut ausgelastet, so dass die Jagd mit dem Gewehr eher zur Nebensache geriet. Die Ergebnisse hat Ralf in 2 jeweils 25-Minuten-Abschnitten auf der Abo-DVD der Deutschen Jagdzeitung (November- und Dezemberausgabe) festgehalten.
Es wäre beinahe geglückt, dass wir beide am selben Wildacker unseren Bock erlegten. Ralf gelang es noch gerade, mit einem Fast-Krellschuss seines Sibiriers habhaft zu werden, während ich nur eine Stunde später meinen glatt überschoss. Wie sich herausstellte, hatte die Büchse erheblichen Hochschuss. Vielleicht ein Opfer der manchmal unglaublichen Autofahrten durchs Gelände. Nach Neujustierung durfte aber auch ich stolz meinen Bock in einem der dort typischen Birkenwälder in Besitz nehmen.
Asiatische Impressionen: Viehherde in der Steppe, von einem reitenden Hirten bewacht. Foto: F. Rakow |
Für uns filmende und fotografierende Jäger war ein Höhepunkt die Morgenpirsch ohne Führer nach erstem Bodenfrost an einer großen Offenfläche. Insgesamt 11 verschiedene Böcke präsentierten sich uns mit weiblicher Begleitung oder suchend. Als Höhepunkt zog ein junger Elch im großen Boden um uns herum in den Einstand. Ein Rausch der Farben und der Sinne.
Mit Monatsende August wurde der Zuspruch durchs Blatten, der vorher eher zäh verlief, immer besser. Das Glück hatten wir im Jahr davor nicht. Die große Hitze sorgte 2010 für wenig Regung bei den Böcken, obwohl mit Klaus Demmel ein ausgesprochener Spezialist für diese Jagdart dabei war. Auch in Sibirien lässt sich nicht automatisch aus den Ergebnissen der Vorjahre eine sichere Ableitung für den Verlauf des nächsten Jahres begründen.
Grundsätzlich ist für den aktiven Blattjäger die Zeit um die Monatswende August/September die sicherste. Brunftgeschehen ist bereits ab Beginn der Jagdzeit am 25. August. Die stärkeren Böcke sind dann jedoch wie bei uns noch so mit den Rehdamen beschäftigt, dass sie nur wenig Ohr für neue Verlockungen haben. Sowie der Vorrat an willigen Geißen knapp wird, erhöhen sich die Chancen für den Blattjäger deutlich.
Die Größe der Landschaft erzieht zur Geduld. Die ersten Galane folgten den Tönen mitunter erst nach einer Stunde. Aber dann häufig in einer Frequenz, dass man das Gefühl hatte, jemand habe einen Vorhang aufgezogen, und die ganze männliche Bock-Sippschaft der Umgebung will schauen, ob es hier noch etwas zu bestellen gibt.
Wer also am Groß-Rehwild hinterm Ural Interesse hat, wer es liebt, in weiter Landschaft, in großen Revieren eine Jagd abseits aller Zivilisation zu erleben, der ist in Kurgan richtig aufgehoben. Man ist zu Gast bei herzlichen Menschen, guten Jägern in komfortablen Unterkünften. Wer russisch kann, erfährt noch mehr. Aber ansonsten gibt es ja noch sehr sympathische Dolmetscherinnen.
Weitere Impressionen der Jagd in Kurgan
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