Im Land des Kondors

1837

Wenn Jäger über Argentinien schwärmen, ist die Rede von unzähligen Tauben und blauen Schultern, von reifen Hirschen und kapitalen Geweihen, und natürlich darf der Tango nicht fehlen. Kurz: traumhafte Verhältnisse. Und dieser Traum ging für mich in diesem Frühjahr in Erfüllung.

Dieter mit einem seiner Kapital-Hirsche aus dem wunderschönen Anden-Revier.

Hast Du eigentlich im März schon etwas vor?“, fragte mich Dieter während eines Schüsseltreibens in der Eifel im vergangenen Dezember. „Nö, bis jetzt noch nichts.“ Für die Antwort brauchte ich nicht lange zu überlegen, denn der März ist auch für einen Jagd-Redakteur ein eher ruhiger Monat. „Möchtest Du dann mit uns nach Argentinien kommen?

Wir wollen eine Woche auf Tauben und eine weitere auf Hirsche jagen, und Darüber habt ihr doch schon lange nicht mehr berichtet.“ Dieters unverhoffte, freundliche Einladung schlug bei mir ein wie eine Bombe, und sofort fingen meine Gedanken an zu schwirren: „Tausende Tauben und Hirschbrunft schon im nächsten Frühling ? was für eine Jagd, was für ein Artikel!“ schoss es mir durch den Kopf. „Klar, bin dabei“, sagte ich spontan zu, fest entschlossen, Himmel und Hölle in Bewegung zu versetzen, damit es auch wirklich klappt.

Kaum wieder zu Hause, überprüfte ich in Windeseile den Kalender sowie das Jagdkonto. Soweit war alles in Ordnung. Jetzt musste nur noch die geplante Dienstreise von der Geschäftsführung akzeptiert werden. Auch das bereitete keine Probleme, und so konnte es am 13. März, begleitet von Marco, einem von Dieters Söhnen, sowie einem kräftigen Waidmannsheil der Kollegen, los gehen.

Wie weit Argentinien von den heimischen Gefilden entfernt ist, bekamen Gesäß und Bandscheiben auf dem langen, 13-stündigen Hinflug deutlich zu spüren, zumal für einen jungen Redakteur nur die „Bretterklasse“ in Frage kommt. Als wir aber bei herrlichem, sommerartigem Wetter in Buenos Aires landeten und nach der Passkontrolle von einer äußerst attraktiven Argentinierin begrüßt wurden, waren die Strapazen schnell vergessen.

Gabriela, die Schwester des Outfitters, bei dem wir auf Tauben jagen sollten, übernahm souverän die Deklaration unserer Waffen. Danach wurden wir zu unserem Hotel gefahren. Dort warteten bereits Dieter und sein ältester Sohn Christian auf uns, die einen früheren Flug genommen hatten. Nun war die Jagdcorona fast komplett. Leopold, der fünfte im Bunde, sollte Tags darauf im Taubenrevier zu uns stoßen.

Einen ersten Eindruck von der Größe Argentiniens konnte ich am nächsten Morgen während des wolkenlosen Inlandflugs nach Cordoba gewinnen. Unter mir breitete sich eine weitgehend ebene Kulturlandschaft mit riesigen Feldern und Weiden aus. Wolfgang, der Jagdvermittler und Organisator für diese Reise, hatte mir im Vorfeld erklärt, dass die intensive landwirtschaftliche Nutzung und das milde Klima die Gründe für die immensen Besätze der Ohrtaube in der Provinz Cordoba sind. Angesichts dessen, was wir überflogen, war ich sehr gespannt auf die kommenden Tage.

In Cordoba empfing uns zunächst unerwartete Hitze – welch ein Kontrast zu den noch winterlichen Temperaturen in der Heimat. Ich trug meine geliebte Lederhose, die bei diesen Verhältnissen natürlich völlig deplaziert war, und geriet dadurch mächtig unter Dampf. Glücklicherweise hatte der Bus, mit dem wir dann zum Quartier im Jagdgebiet gefahren wurden, eine Klima-Anlage.

Während der Fahrt bot sich das gleiche Bild wie aus dem Flieger, nur mit ebenerdiger Perspektive: Felder und Weiden so weit das Auge reicht. Feldgehölze, Brachflächen und zu dieser Jahreszeit ausgetrocknete Flussbetten lockerten hin und wieder die recht monotone Agrarlandschaft auf. Am westlichen Horizont konnte man einen Gebirgszug erkennen.

Und da waren sie, die Tauben. Wegen der Mittagshitze zwar nicht besonders zahlreich, doch immerhin ein kleiner Vorgeschmack. An diesem Nachmittag sollte aber noch nicht gejagt werden, denn wir wollten uns erst von der Anreise erholen. Und wo könnte man das besser als auf einer klassischen Estancia?

Unsere Unterkunft, die Estancia „La Loma“, beeindruckte mich sehr: Kein übertriebener Luxus, sondern zeitlose Eleganz prägt das Ambiente. 1908 erbaut, strahlt dieses Herrenhaus Geschichte und Flair des gediegenen argentinischen Landlebens aus. „Herrlich im wahrsten Sinne des Wortes“, dachte ich mir. Und genauso ging es weiter, denn zum Abendessen gab es selbstverständlich „Lomo“ – argentinisches Steak – und Rotwein: Welch ein Genuss! Völlig satt und hundemüde fiel ich kurz darauf ins Bett.

Unsere Unterkunft während der Taubenjagd, die Estancia „La Loma“, versprühte Eleganz und Gemütlichkeit.

 

1.000 und eine Taube

1.000 und eine Taube

Noch vor Sonnenaufgang klopft es an meine Tür, denn für den Morgenstrich der Tauben muss man zeitig aus den Federn. Nach einem kleinen Imbiss fragt mich Oliver, einer der acht Brüder der Outfitter-Familie und unser zuständiger Guide für die Taubenjagd, nach dem Kaliber meiner Flinte zwecks Zuteilung der Munition. Meine Antwort „Zwölf“ erntet ein mitleidiges Grinsen. Was hat das nun zu bedeuten?

Im ersten Dämmerlicht fahren wir etwa eine halbe Stunde, bis wir an ein riesiges Hirse-Feld gelangen. Dort warten bereits die „Bird Boys“, die unsere Stände fachkundig vorbereitet haben. Dieter, Christian, Marco und ich werden an den zugewiesenen Plätzen abgesetzt. Pedro, mein Jagdgehilfe, lädt meine Flinte und reicht sie mir mit einem aufmunternden Lächeln. In mir breitet sich aber ein nervöses Kribbeln aus. Werde ich mich in diesem illusteren Kreis erfahrener Argentinien-Taubenjäger bewähren können?

Und dann geht es los: Tauben überall, um mich herum flattert es wie wild. Bumm, Bumm – keine Trefferbeobachtung. Pedro „stopft“ blitzschnell die Flinte nach. Ein Schwarm von links. Ziel aufnehmen, mitschwingen, vorhalten, Doppelschuss: Wieder fällt keine Feder, geschweige denn eine Taube, vom Himmel. „Mist“, fluche ich vor mich hin.

Die vergleichsweise kleinen Ohrtauben sind verdammt schnelle Flieger. Dazu kommt noch, dass sie ähnlich einer Schnepfe unverhofft ihre Flugrichtung ändern. Aus diesem Grund lasse ich zunächst Schwärme in mehr als 25 Meter Entfernung passieren und konzentriere mich auf anfliegende Tauben. Bei diesen relativ leichten Zielen habe ich dann auch zunehmend Erfolg, wodurch Selbstvertrauen und Treffsicherheit zurückkehren.

Angespornt durch die Kanonade meiner Nachbarschützen gebe ich nun alles. Jetzt gelingen mir auch schwierigere Schüsse wie Überkopf- sowie Links- und Rechts-„Swing“ auf Distanzen von mehr als 30 Metern. Pedro munitioniert nach wie eine Maschine, und um uns herum bildet sich ein stattlicher Haufen abgeschossener Patronenhülsen. Es ist wie ein Rausch. Als dann die ersten Doubletten zu Boden stürzen, schwillt mir vor Stolz die Brust, aber auch – noch unbemerkt – der Bluterguss in der rechten Schulter.

Die Sonne steht nun hoch am Firmament und es wird unangenehm heiß. Deshalb fahren wir zum Mittagessen zurück zu unserer Estancia. Endlich ist auch unser fünfter Mitjäger Leopold eingetroffen, dessen Ankunft sich durch eine abenteuerliche bürokratische Odyssee verzögert hatte. Nach dem obligatorischen „Lomo“ und ein wenig Rotwein halten wir für zwei Stunden Siesta. „An diesen Tagesrhythmus könnte ich mich glatt gewöhnen“, denke ich zufrieden.

Kurz vor unserer Abfahrt zum Abendstrich fragt mich Oliver mit einem breiten Grinsen: „Everything fine?“ und tippt mir dazu auf die rechte Schulter. „Autsch“, entfährt es mir durch zusammengepresste Lippen, denn jetzt sind die Folgen des Schieß-Marathons vom Vormittag deutlich zu spüren. Als – noch – uneinsichtiges „Greenhorn“ bestehe ich weiterhin auf meiner 12er-Flinte, akzeptiere aber dankbar das angebotene Gel gefütterte Schulterpolster.

Wir werden nun auf der gegenüberliegenden Seite des Hirseschlags vom Vormittag angestellt, mit dem Rücken zu einem bürstendichten Feldgehölz. In solchen Waldinseln übernachten und brüten die Tauben. Wir stehen also in der „Einflugschneise“ zu einem Einstand. Bis zum Sonnenuntergang streicht ein „Geschwader“ nach dem anderen über unsere Köpfe. Wir schießen, was das Zeug, beziehungsweise die Schulter hält. Ich muss mittlerweile bei jedem Schuss die Zähne zusammen beißen und bin erleichtert, als Oliver die Jagd für heute beendet.

Die „Bird Boys“ und herbei gelaufene Einheimische sammeln darauf die Patronenhülsen und die Tauben auf, die nicht gerade in einen Dornenbusch gestürzt sind. Meine Bilanz des Tages: 500 Schuss verfeuert und zirka halb so viele Tauben erlegt. Obwohl durchgebeutelt wie ein Preisboxer, bin ich überglücklich.

Die nächsten Tage vergingen wie im Fluge. Oliver und sein sehr professionelles Team präsentierten uns an den jeweiligen Vor- und Nachmittagen immer neue Stände. So jagten wir an Mais-, Soja- und Sonnenblumenfeldern, standen mal in trockenen Bachläufen und mal in Tälern, wodurch kein „Outing“ dem anderen glich.

Ich hatte inzwischen meine 12er-Flinte gegen einen 20er-Halbautomaten eingetauscht ? hätte auch vorher drauf kommen können, denn meine Mitjäger sowie die meisten „Argentinien-Veteranen“ bevorzugen aus Erfahrung dieses rückstoßschwächere Kaliber. So oder so ist die argentinische Taubenjagd eine durchaus athletische Übung: zwischen 500 und 1.000 Schuss pro Tag, jedesmal die Flinte anschlagen – da kommt der Puls in Wallung! Um so mehr wuchs von Tag zu Tag mein Respekt vor Dieter und Leopold, denn diese honorigen älteren Herren standen den jüngeren Semestern – Christian, Marco und mir – in nichts nach. Zudem hatte ich erfahren, dass Leopold schwer krank war.

Die Anzahl der Tauben ist einfach unbeschreiblich – man muss das mit eigenen Augen gesehen haben – und die „Gefahr“ groß, sich in einen Rausch zu schießen. Deshalb hatte ich mir vor der Reise das Limit von 1.000 Tauben gesetzt, um nicht durch Munitionskosten „zu verarmen“. Mit der Munition wird nämlich das eigentliche Geschäft gemacht, und so glaubte ich nicht selten bei unseren Kanonaden, in Olivers seligen Augen das Dollar-Zeichen aufblitzen zu sehen. Ich konnte ihm das aber nicht übel nehmen, denn die Taubenjagd ist ein hartes Geschäft, das ohne Pause über das ganze Jahr läuft. Mir würden da über kurz oder lang die Tauben aus den Ohren heraushängen – kommt daher vielleicht die Bezeichnung Ohrtaube?

Am letzten Jagdtag wurden wir mittags mit einem Gaucho-Barbecue verwöhnt. Im Jagdgebiet unter einem Schatten spendenden Baum grillte uns Oliver allerlei Rindfleisch-Köstlichkeiten. Nach dem üppigen Mahl hielten wir, dem Ambiente angemessen, unsere Siesta in Hängematten – so konnte man es aushalten. Als krönenden Abschluss des Taubenjagd-Abschnitts unserer Argentinien-Reise erlegte Marco an diesem Tag 1.000 Tauben. Dann hieß es Abschied nehmen. Tags darauf landeten wir wieder in Buenos Aires.

Der Langstangige und der Blumenkohl

Der Langstangige und der Blumenkohl

Nach einer Übernachtung in Argentiniens gigantischer Metropole flogen wir, bis auf Christian, der leider schon zurück nach Deutschland musste, gen Süden. Wieder war der Flug wolkenlos, aber das Panorama unter mir gänzlich anders, denn nun wurde das Gelände zunehmend gebirgiger, bis schließlich die majestätischen Anden am Horizont auftauchten. Im kleinen Flughafen von San Martin de los Andes begrüßte uns Beat, ein immigrierter schweizer Berufsjäger, der das große Hirschrevier leitet, in dem wir die nächsten Tage jagen sollten. Seine ruhige Art und sein furztrockener Humor waren mir auf Anhieb sympathisch.

Während des knapp einstündigen Transfers ins Jagdgebiet wurde mir schnell klar, dass ich in einem Paradies gelandet war, denn die Landschaft, durch die wir fuhren, schlug mich sofort in ihren Bann. Berge, Seen und ausgedehnte Wälder – Gebirgsjägerherz, was willst du mehr! Unsere Unterkunft im Revier setzte noch eins drauf, denn wir wurden in urgemütlichen, komfortablen Blockhäusern einquartiert, die in einem gepflegten Park von stilsicherer Hand erbaut worden waren.

Nachdem wir unsere Häuser bezogen hatten, versammelten wir uns im Hauptgebäude der Wohnanlage zum Abendessen und zur Lagebesprechung. Jetzt war auch Sepp mit von der Partie, ein kerniger österreichischer Berufsjäger, der Beat während der Brunftwochen aushilft. Unseren Wünschen entsprechend, sah der Plan für die nächsten Tage vor, dass Marco auf einen Puma, Leopold auf einen starken alten Hirsch und ich auf einen Abschusshirsch jagen sollten. Dieter, der bereits einige hochkapitale Hirsche in diesem Revier gestreckt hatte wollte „nur“ die Hirschbrunft erleben und gegebenenfalls auf einen abnormen Hirsch waidwerken.

Während des Abendessens erzählten Beat, Dieter und Sepp eine Geschichte, die man, gäbe es nicht so viele Augenzeugen, als Jägerlatein belächeln müsste: In der vergangenen Hirschbrunft saß die Jagdgesellschaft, wie eben jetzt, zum Abendessen zusammen, als ohne Vorwarnung mit einem lauten Knall die Panorama-Fensterscheibe vor dem Kopfende des Esstisches explodierte. Herein gestürmt kam ein starker Brunfthirsch, umrundete die verdutzte Jagdcorona und verschwand genauso plötzlich wie er gekommen war. Was war passiert? Hinter dem Esstisch „prangt“ über dem Kamin ein Kopf-Schulter-Präparat eines Kapitalhirschs. Angesichts dieses vermeintlichen Nebenbuhlers muss der Hirsch wohl „ausgerastet“ sein. Die Kratzspuren seiner Schalen sind übrigens noch heute auf dem Parkett zu sehen.

So ganz konnte ich diese kuriose Geschichte noch nicht glauben, als ich am späten Abend durch den Park zu meinem Häuschen lief. Doch plötzlich wurde ich durch einen markigen Brunftschrei aus nächster Nähe auf den Platz gebannt. Und dann antwortete ein weiterer Hirsch, der auch nicht viel mehr als 200 Meter entfernt sein konnte. „Phantastisch, das Rotwild brunftet tatsächlich auch um die Häuser herum“, dachte ich verzückt. Über mir strahlte am wolkenlosen Sternenhimmel das Kreuz des Südens – einfach himmlisch!

In den folgenden zwei Tagen begleitete ich zunächst Marco auf seiner erfolgreichen Pumajagd und sammelte dann unter Sepps kundiger Führung reichlich Revier- und Brunfteindrücke. Die Qualität der Hirsche war wirklich beeindruckend. Zudem versetzte mich das offensichtlich hohe Durschnittsalter der Platzhirsche in Begeisterung. „Hier wird noch vorbildlich gehegt und gejagt“, sinnierte ich ein wenig wehmütig in Anbetracht so mancher Verhältnisse in der heimischen Wildbahn.

Dann ist endlich meine Zeit gekommen: Beat, Dieter und ich brechen in der Morgendämmerung mit einem Geländewagen auf, um nach einem Abschusshirsch für mich zu suchen. Der vordere Teil des Reviers ist ein breites Tal, in dem ein Fluss in einen großen See mündet. Links und rechts des Flussbettes ist die Landschaft mit Föhren aufgeforstet worden. In diesem lückigen Bestand wollen wir bevorzugt unser Glück versuchen, denn die Hirsche haben etliche Bäume übel zugerichtet. Ferner ist dort seit Beginn der Brunft ein uralter, zurückgesetzter Recke bestätigt, der für mich in Frage kommen würde.

Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Wir haben gerade die ersten Föhren passiert, als ich in einer langen Schneise rechts vom Auto im Augenwinkel eine Bewegung erkenne: Rotwild ? alter Hirsch mit zwei Stück Kahlwild. „Stopp“, zische ich zu Beat. Gläser hoch, und sofort schießt mir Adrenalin ins Blut, denn ich höre Beat in seiner unnachahmlich ruhigen Art murmeln: „Der passt, ganz alter Bursche. Müsste zu kriegen sein, aber das kannst Du ja alleine. Ich fahre einfach weiter, Du steigst im Sichtschutz der Bäume aus und pirschst ihn an. Waidmannsheil.“ Kaum ausgesprochen, gleite ich aus dem langsam rollenden
Wagen.

Ich muss mich beeilen, denn der Hirsch stand beim letzten Anblick kurz vor dem Bestandesrand. Im Laufschritt eile ich zurück zur Schneise, der sandige Boden dämpft, Hubertus sei Dank, die Geräusche meiner Schritte. Als ich dann die Schneise wieder einsehen kann, ist das Kahlwild bereits eingezogen, der Hirsch aber verhofft unmittelbar vor den Randbäumen. Ohne zu zögern backe ich an und schieße stehend freihändig. Hochblatt getroffen, bricht der Hirsch in seiner Fährte zusammen. Ich kann mein Glück kaum fassen und zittere vor Jagdfieber wie Espenlaub. Kurz darauf stehe ich andächtig vor dem wirklich alten Recken, einem zurückgesetzten ungeraden Zwölfer mit langen aber für diese Revierverhältnisse dünnen Stangen. Dem Abschliff der Molaren nach hat er seinen 13ten Kopf sicherlich überschritten. „Was für ein Hirsch, was für eine Jagd“, jubiliere ich.

Beat und Dieter kommen herangefahren und gratulieren mir herzlich zu meinem Waidmannsheil. Dazu gibt es stilvoll einen Schluck Single Malt Whiskey aus Beats Flachmann und einen Zigarillo. Als dieser bestens ausgerüstete Berufsjäger zusätzlich ein Plesshorn aus dem Kofferraum des Geländewagens zaubert, kennt meine Begeisterung keine Grenzen, denn nun kann ich meinen Hirsch auch noch verblasen. Als „Hirschtot“ und „Halali“ von den Andenbergen hallen, bin ich nicht wenig gerührt – eine solche Stimmung hatte ich in meinen kühnsten Träumen nicht erwartet.

Am folgenden Abend konnte Leopold, obwohl durch seine schwere Krankheit sichtlich leidend, seinen Hirsch strecken. Auch dieser kapitale Zwölfer war uralt und hatte armdicke Stangen.

Die verbleibenden Jagdtage

Die verbleibenden Jagdtage verbrachte ich mit Sepp und Marco, die versuchten, im hinteren Revierteil an einen wahren Urwaldhirsch heranzukommen. Das war eine sehr anstrengende Gebirgsjagd, bei der ich, quasi als Belohnung, zum ersten Mal einen Kondor beobachten konnte. Während einer Hinfahrt zu dieser Revierecke sahen wir plötzlich in dem Föhrenbestand, in dem ich meinen Hirsch gestreckt hatte, bei bestem Licht einen steinalten Recken. „Das ist der Hirsch, den Du eigentlich schießen solltest“, bedeutete mir Sepp, worauf ich das Geweih näher durchs Spektiv betrachtete. Es war ein zurückgesetzter Zwölfer mit einer auffälligen Abnormität. „Die rechte Krone sieht aus wie ein Blumenkohl“, dachte ich mir, sprach´s, und damit hatte der Hirsch seinen Namen.

Am Abend vor unserer Abreise fragte ich Beat, ob ich am nächsten Morgen noch eine Pirsch auf den „Blumenkohl“ versuchen dürfte, denn dieser Hirsch ging mir nun nicht mehr aus dem Kopf. Beat willigte ein, da Marcos und mein Abflug erst nachmittags anstand.

Nach dem Abendessen bat mich Leopold, ihn zu seinem Quartier zu geleiten. Geschwächt durch die grausame Krankheit, musste er sich auf meinen Arm stützen. Vor der Tür seines Hauses verabschiedeten wir uns, denn er und Dieter hatten einen früheren Flug gebucht. Ich sagte noch zu Leopold, dass es mich sehr gefreut hat, ihn kennengelernt zu haben und dass ich ihn gerne einmal wiedersehen wolle, worauf er mich nur wortlos anlächelte. Als er mir dann die Hand drückte, lief es mir eiskalt den Rücken herunter.

Bei Sonnenaufgang beziehen Sepp, Marco und ich „Stellung“ in dem Flussbett, das den besagten Föhrenwald durchschneidet. Überall melden Hirsche, denn die Brunft ist noch im vollen Gange. Wir sehen zwar eine Menge Rotwild, aber der Gesuchte ist nicht darunter. Die Zeit vergeht schnell, und unser Abflugtermin rückt gnadenlos näher. Sepp mahnt zum Aufbruch. Ich bin deswegen nicht unglücklich, denn ich habe ja bereits ein grandioses Waidmannsheil gehabt. Auf dem Rückweg zum Geländewagen muss ich mich aber durch ein instinktives Gefühl unwillkürlich umdrehen. Ich wage kaum, meinen Augen zu trauen, denn in 100 Meter Entfernung verhofft in einer Bestandeslücke der „Blumenkohl“!

Wie in einem Traum lasse ich die Waffe von der Schulter gleiten, streiche an einer kleinen Föhre an und schieße. Den Hirsch reißt es von den Läufen, Sepp und Marco nehmen mich freudig in ihre Arme und in mir breitet sich ein unbeschreibliches Glücksgefühl aus. Welch ein Abschluss für eine wundervolle Jagdreise!

Der „Blumenkohl“ war noch älter als Leopolds und mein erster Hirsch. Die breiten Rosen des knuffigen Geweihs schienen direkt aus der Stirn zu wachsen, die Kniegelenke waren arthritisch geschwollen – wahrscheinlich hätte dieser Methusalem den nächsten Winter nicht überlebt.

Epilog

Nach der langen anstrengenden Rückreise und mit dem Kopf voller unvergesslicher Erinnerungen war es schwer, sich wieder in den Alltagstrott einzufinden. Nach zwei Wochen rief mich Marco in der Redaktion an und teilte mir mit, dass Leopold verstorben ist. Einerseits war ich durch diese traurige Botschaft erschüttert, andererseits empfand ich Respekt und Bewunderung für diesen großartigen Mann und Jäger. Er hatte bei unserem Abschied in Argentinien sein Ende schon vor Augen gehabt. Sein dennoch entspanntes, freundliches Lächeln werde ich nie vergessen.

In memoriam Leopold und mit herzlichem Dank an Dieter, Christian, Marco, Beat und Sepp für die herrliche gemeinsame Zeit.

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