Rothirschjagd in Weißrussland

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Denkt man an Rothirschjagd im Ausland, kommen einem meist Länder wie Ungarn, Bulgarien, Polen oder Schottland in den Sinn. Weißrussland ist in der Regel nicht dabei. Die folgende Geschichte könnte das ändern …

Von Markus Lück

Rothirschjagd in Weißrussland mit Markus Lück

Da, etwa 60 Meter vor uns steht er. Diesen Hirsch hat mein Jagdführer Waldemar gesucht und jetzt auch gefunden. Doch es gibt ein Problem: Nicht nur wir haben den Recken aus unserem Geländebus heraus im Blick, sondern auch der gesuchte Geweihte hat uns Jäger mitbekommen.

Ganz allein verhofft er auf einer offenen Grasfläche direkt vor uns. Das bullige Haupt lässt eine erste Vorahnung bzgl. seines Alters zu: Für Waldemar, unseren Fahrer und mich steht fest: dieser oder keiner! Doch als wir die Tür des Busses so leise wie möglich öffnen, ist die Chance vertan. Der Hirsch dreht sich blitzschnell um und zieht mit ein paar kräftigen sowie raumgreifenden Schritten spitz von uns weg. Waldemar und ich verfolgen ihn noch etwa 600 Meter. Hinter einer Straße ist dann Schluss.

Der Recke hat sich in ein riesiges mit Erlen bestocktes Sumpfgebiet zurückgezogen. Da gibt’s für uns keine Chance. Frust kommt in mir hoch. Doch wir werden uns wiedersehen!

Rückblick: Es ist Ende September. Nach etwa 3,5 Stunden holpriger Autofahrt erreichen wir endlich am späten Abend unser Ziel, das Jagdgebiet Krasny Bor. Wir stehen vor einem riesigen eisernen Tor. Unser Fahrer gibt mit einem Handzeichen den Befehl, und dann öffnet es sich. Sofort schießt mir der Spielberg-Film „Jurassic Park“ in den Kopf. Nur die berühmte Musik fehlt, ansonsten ist es genau dasselbe — ich muss schmunzeln.

Traumhafte Szenen: Während einer Kutschfahrt bestaunen wir das Brunftgeschehen (Fotos: Markus Lück)

Österreich anstatt Belarus

An der Rezeption die nächste Überraschung: Unsere Reisegruppe — bestehend aus Jagdreiseveranstalter Jörg Eberitzsch, seinem Vater Klaus, meinem Kollegen Peter und mir — wird von einer jungen Frau im Dirndl begrüßt. Auch die Ausstattung des Empfangsgebäudes erinnert eher an einen österreichischen Gasthof als an ein Jagdhotel in Belarus. Nach herzlicher Begrüßung mit zahlreichen Leckereien werden rasch alle Formalitäten erledigt, und wir Jäger begeben uns zu Bett.

Die Morgenpirsch am folgenden Tag lassen wir aus, auch wenn es schwer fällt. Doch wir wollen fit sein, für alles was in den kommenden Tagen auf uns zukommt. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit vielen weißrussischen Spezialitäten geht’s endlich los. Wir sind ja schließlich nicht nur zum Essen hier. Der Rundgang über die großzügige Anlage Krasny Bor bestätigt noch einmal den am Empfangsabend gewonnenen Eindruck: Alle Gebäude sind im österreichischenStil gebaut. Die Fassaden sind allesamtmit großflächigen Bildern von Wisent, Wolf und zahlreichen anderen Wildtieren verziert. Die Lüftl-Malereien geben der Anlage ihren ganz eigenen Charme.

Jagdführer Waldemar bringt die junge Elchkuh mehrfach mit einem nasalen Brunftlaut zum Verhoffen: Hier die Fotobeute von Markus

Dann am Nachmittag geht’s endlich los. Wir Jäger, Klaus, Peter und ich, bekommen unsere Leihwaffen. Alle Gewehre haben nur wenige Jahre auf dem Buckel und sind von namhaften Herstellern. Auch die Optik auf den Büchsen kann sich sehen lassen.

Besser könnten die Voraussetzungen doch gar nicht sein! Mir wird Waldemar als Jagdführer zugeteilt. Schon nach kurzer Begrüßung ist der Mitte Dreißigjährige mir sympathisch. Wenige Augenblicke später sitzen wir im Geländebus und machen uns auf in das knapp 100.000 Hektar große Jagdgebiet.

Kein Vergleich zu Deutschland

Jagdgebiet

Vorbei am neu errichteten Forschungszentrum, lenkt unser Fahrer das robuste Gefährt über die Schotterpiste. Nach einer schier endlosen Fahrt, bei der wir in Deutschland vermutlich schon zahlreiche Reviere durchquert hätten, erreichen wir endlich unser Ziel. Das ist auch gut so, denn ich bin heiß auf Jagd! Den Blaser-Repetierer hänge ich über meine Schulter, Waldemar drücke ich die Foto-Ausrüstung in die Hand. Langsam pirschen wir über einen Sandweg an einem Kiefernbestand entlang. Schon von Weitem sehe ich eine große offene Fläche direkt vor uns.

Für mich sieht es so aus, als würden wir direkt auf einen großen Acker zupirschen. Doch von wegen! Als wir an der mit kurzen Pflänzchen bestellten Fläche ankommen, erklärt mir Waldemar, dass das alles Wildacker sei. Mit deutschen Verhältnissen ist das gar nicht zu vergleichen, denn wir stehen vor etwa 300 Hektar Äsung fürs Wild. Obwohl überall auf dem Sandweg und dem nebenliegenden Acker Rotwild- sowie Elchfährten zu sehen sind, steht auf dem Acker kein einziges Stück Wild. Waldemar gibt mir durch Handzeichen zu verstehen, dass er hier auf dem Weg erst einmal warten will, um eventuell meldende Hirsche in der näheren Umgebung zu verhören. Ich zünde mir eine Zigarette an.

Bei diesen Ansitzeinrichtungen darf getrost von Hochsitz gesprochen werden. Die Kanzeln sind im Schnitt 12 Meter hoch

Dann nach ein paar Zügen das erlösende tiefe Melden. Pirschstock, Waffe und Foto-Kamera sind schnell gegriffen. Es geht weiter. Von der offenen Fläche tauchen wir in einen Birkenbestand ein. Schon beim Auftreten bemerke ich, dass der Untergrund immer feuchter wird. Um uns herum dann die Bestätigung. Vereinzelt liegen überall im Bestand verteilt kleine Tümpel zwischen den Bäumen. Auch der Weg entwickelt sich mit jedem weiteren Meter zunehmend zu einem Feuchtbiotop. Es riecht geradezu nach Elch!

Zum Glück halten die vor der Reise gut imprägnierten Schuhe der Nässe stand. Die Pirsch geht weiter. Nach ein paar hundert Metern erkenne ich direkt vor uns wieder eine offene Fläche. Diesmal ist es jedoch kein Acker, sondern eine nicht gemähte Grasfläche. Langsam pirschen wir durch das etwa hüfthohe Gras, als es plötzlich direkt neben uns in einem Erlenbusch mächtig rumpelt. Zu Hause in Deutschland hätte ich ohne zu Zögern auf Sauen getippt. Doch hier im Norden von Weißrussland gibt es nach dem Seuchenzug der Afrikanischen Schweinepest so gut wie keine Schwarzkittel mehr. Es muss also was anderes sein.

Waldemar gibt mir zu verstehen, wohin ich gucken soll. „Elch, Elch. Da, da“, raunt er und zeigt mit einem Finger auf den Rand des Gebüsches. Gespannt erwarte ich den Anblick des mächtigen Wildes. Und da ist es dann auch. Mit lautem Krachen zieht ein weiblicher Elch aus den Erlen, etwa 60 Schritt von uns entfernt.

Mit dem nasalen Brunftlaut bringt Waldemar das Stück mehrfach zum Stehen. Zahlreiche gute Fotos bekomme ich in den Kasten. Doch damit soll mit dem Bilderknipsen auf dieser Pirsch noch lange nicht Schluss sein. Kurze Zeit später stoßen wir auf Birk- sowie Rehwild. Mit der Knipse habe ich meine Beute schonmal im Sack.

Als wir im weiteren Verlauf dieser Pirsch mehrere weit entfernt stehende Stücke Rotwild angehen, sackt mein Jagdführer auf halber Strecke plötzlich auf die Knie. Er hat einen Fuchs erspäht. Der Rotrock mäuselt rund 200 Meter vor uns auf einer raspelkurzen Wiese. Sofort gibt mit Waldemar zu verstehen, dass ich schießen soll. Für ihn gibt es da anscheinend nichts zu überlegen. Überall in dem großen Revier wird dem Raubwild sowohl mit der Waffe als auch mit Fallen intensiv nachgestellt. Gute Birk- sowie Auerwildbesätze sind der Erfolg dieser ausgeprägten Hegebemühungen.

Ohne Auflage auf 200 Meter? Nein!

Ich traue mir den weiten Schuss ohne jegliche Auflage jedoch nicht zu. Auch an einen Schuss im Liegen ist aus der jetzigen Position nicht zu denken, denn das Gelände ist kupiert. Es hilft alles nichts, wir müssen näher ran. In tiefster Gangart geht es stets weiter Richtung Fuchs. Immer wieder vergewissern wir uns mit Blicken durch die Ferngläser, ob Reineke uns nicht mitbekommen hat. Doch alles geht gut. Als wir eine kleine Hügelkuppe überquert haben, besteht endlich die Möglichkeit zum liegenden Schuss. Das Swarovski bietet unter dem Vorderschaft eine gute Auflage. Ruhig ziehe ich am Abzug, und die .30-06 wirft den Rotrock auf die Seite. Mein 1. Weidmannsheil dieser Jagdreise.

Direkt nach dem Schuss fordert mich Waldemar erneut auf, die Waffe sprechen zu lassen. Doch was hat er im Blick? Ich kann nichts erkennen. Immer wieder fordert mich der Weißrusse zum Schuss auf. Ich sehe nichts und ärgere mich darüber. Nach etwa 30 Sekunden ist die Situation vorbei. Mein Jagdführer steht auf und fordert mich auf, dasselbe zu tun. Auf mehrfaches Nachfragen erklärt mir Waldemar schließlich seinen vorherigen Anblick: Direkt nach meinem Schuss zogen 2 Marderhunde auf etwa 250 Meter vor uns am Rande eines Gebüschs entlang. Auch Enok vergreift sich gern an Raufußhühnern und steht deshalb bei den Berufsjägern auf der Beuteliste ganz oben.

Elchbergung ist Schwerstarbeit: Mittels einer Seilwinde wird der Bulle auf die Ladefläche des geländegängigen Minilasters gezogen

Als wir später mit meiner 1. Beute für diese Reise im Hotel eintreffen, berichten uns die anderen Jäger von ihren Erlebnissen. Kollege Peter hat zwar viel Rotwild gesehen, ein passender Hirsch war jedoch nicht dabei. Jörgs Vater war als einziger jedoch schon am 1. Tag erfolgreich. Ein braver Elch kam zur Strecke.

Am folgenden Morgen spielt sich das eingangs Erzählte ab. Enttäuscht fahren wir zurück zur Unterkunft. Kollege Peter war an diesem Morgen deutlich erfolgreicher. Unter der Führung von Berufsjäger Jurek hat er einen reifen Hirsch erlegt. Das Wildbretgewicht des Recken ist schier unglaublich: Ohne Läufe, Decke und Haupt bringt er aufgebrochen mehr als 230 Kilogramm auf die Waage. Wahnsinn! So einen will ich auch!

Die folgenden Stunden bis zur Abendpirsch vergehen gefühlt nur wie in Zeitlupe. Doch irgendwann ist es soweit: 16 Uhr. Wir treffen uns am Auto. Wieder bin ich mit Berufsjäger Waldemar unterwegs. Unser Ziel: Der Hirsch vom Morgen. Langsam rollen wir mit dem Geländebus über einen Sandweg, als plötzlich vor uns im Gebüsch ein mächtiger Rothirsch wegbricht. Nur schemenhaft ist der massige Wildkörper zu erkennen. Waldemar hat ihn jedoch längst erkannt. Es ist der Hirsch, den wir Stunden zuvor an der Sumpffläche verloren haben. Jetzt gilt’s!

Ganz langsam steigen Waldemar, Kameramann Jörg und ich aus dem robusten Bus aus. Waffe und Pirschstock sind rasch parat. Meine Kamera bleibt im Auto. Mein Fokus liegt jetzt ganz klar auf der Jagd mit der Waffe. Wir pirschen den Sandweg, auf dem wir gefahren sind, weiter. Der Fahrer bleibt im Auto zurück. Ganz langsam geht es Meter für Meter vorwärts. Der Gesuchte könnte im Wald um uns herum überall sein. Wir müssen die Augen offen halten.

Nach etwa 100 Metern erreichen wir den Waldrand. Vor uns öffnet sich eine riesige, offene Fläche. Und da am Horizont ist er: Im Gegenlicht steht der gesuchte Hirsch auf dem Grat eines Hügels und zieht nach ein paar Augenblicken von uns weg den Hang hinunter. Dann ist er für uns verschwunden. Etwa 600 Meter trennten uns an diesem Punkt vom Gesuchten. Jetzt geht die Jagd erst richtig los!

Der Wind ist perfekt. Mit mäßiger Stärke steht er direkt auf uns drauf. Waldemar zieht bei den nun folgenden Schritten das Tempo an. Er will schnell an den Hirsch. Beinahe im Laufschritt überqueren wir die große Freifläche und streben direkt einer Baumgruppe auf dem Grat zu, auf der Minuten zuvor der verfolgte Hirsch verhofft hatte. Oben angekommen, macht sich Enttäuschung breit: Die große vor uns liegende Freifläche ist leer. Vom Hirsch keine Spur. Das kann doch nicht wahr sein!

Es ist zum Verzweifeln!

Im Laufschritt eilen wir weiter. Irgendwo müssen wir „meinen Hirsch“ doch wiederfinden. Und tatsächlich: Als wir erneut oben auf einer Anhöhe ankommen, sehen wir ihn. Der Gesuchte ruht mitten auf einer Wiese. Der Entfernungsmesser zeigt eine Distanz von 280 Meter. Na super, um uns herum keine Deckung. Wie sollen wir da näher rankommen?

Rückzug ist angesagt. Wir schlagen einen kleinen Bogen um die Anhöhe, von der wir Minuten zuvor den Hirsch ausgemacht haben. Ganz langsam schiebt sich Waldemar über den Grat. Ein Daumen hoch signalisiert mir: Der Hirsch ist noch da und hat uns bislang nicht mitbekommen. Kameramann Jörg und ich schieben uns langsam den Hügel hoch. Und tatsächlich: Der mächtige Hirsch ruht noch immer mitten auf der Wiese. Wieder zücke ich meinen Entfernungsmesser und peile den Recken an. Die roten Zahlen im Display zeigen etwas, womit von uns Jägern niemand gerechnet hat:

Die Auflage auf dem Dreibein ist perfekt. Ich hatte mich für einen Schuss auf 200 Meter eingerichtet. Doch dann drehte der Hirsch

Der Hirsch wendet sich zu uns und zieht raschen Schrittes direkt auf uns zu. Jetzt geht alles rasend schnell. Meter um Meter kommt der Geweihte näher. Als er etwa 70 Meter vor uns quer zieht, lasse ich fliegen. Schon während des Repetierens sehe ich den roten Fleck auf dem Blatt des abgehenden Hirsches. Der Schuss sitzt perfekt. Auf der freien Fläche können wir Jäger die Flucht des Stückes gut verfolgen. Nach etwa 70 Metern weiter kommt er zum Stehen und fällt schließlich beginnt der Hirsch zu wanken. Wenige Meter auf die Seite, und mir fällt ein Stein vom Herzen. Freude macht sich breit.

Der Hirsch vom etwa 10. Kopf ging nach 100 Metern zu Boden. 24 Stunden nach dem Abkochen wog die Trophäe 9,6 Kilogramm

Nach ein paar Minuten des Besinnens gehen wir Richtung Hirsch. Als wir dort ankommen, erkennen wir erst seine Stärke. Die Dicke der Stangen ist gewaltig. Obendrein ist die rechte Stange abnormal entwickelt. Ein ungerader 26-Ender liegt vor uns. Ich bin überglücklich. Das Wiedersehen hat sich gelohnt!

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