Die Wildnis beginnt gleich nebenan

2028


Der Weg ist das Ziel – oder warum muss am Ende einer Jagdreise immer die Beute im Vordergrund stehen? Jagen heißt Natur erleben, heißt die Jagdbräuche eines fremden Landes kennenlernen und bedeutet aber auch, einmal als Schneider abreisen zu müssen, wie hier in Ontario

Von Ottokar Wagner

Schwarzbär
Die Wälder und der Busch Ontarios sind ideale Einstände für den Schwarzbären.
Das Wetter hat sich endlich ausgetobt, aber es ist recht frisch. Nur schemenhaft ist der angrenzende Wald zu erkennen. Unter dem Sternenhimmel schimmert die seidenglatte Fläche des Sees. Zarter Dunst verhüllt die Konturen von Steg und Fischerboot unterhalb meiner Hütte. Nur ab und zu hallt der melodische Ruf des Eistauchers – dem Wappenvogel Ontarios – über die weite Fläche. Mit der dampfenden Kaffeetasse in der Hand stehe ich im Türrahmen und genieße diese einzigartige Stimmung.
Es ist kurz vor sechs Uhr morgens – in Deutschland jetzt bereits zwölf Uhr mittags. Mal sehen, ob es heute mit der Jagd auf den Schwarzbären besser klappt. Schon am Abend habe ich alles für einen langen Ansitz hergerichtet: die für mich hinsichtlich Schusspräzision und -wirkung sensationelle Armbrust – den „compound cross-bow“ mit 150 Pfund Spannkraft. Das Leuchtpunktabsehen ermöglicht hier selbst für einen Durchschnittsschützen bei freihändigem Schuss auf 20 Meter Entfernung, Treffer in ein Zweimarkstück. Als unverzichtbares Pendant dazu der etwa 50 Zentimeter lange Aluminiumpfeil mit einer rasierklingenscharfen dreikantigen Jagdspitze, die jeden Bären durchschlägt und nach kurzer Todesflucht verenden lässt.
Judy, Billys Mutter, hat mir diese Armbrust in die Hand gedrückt, damit ich unbedingt auch am Sonntag auf die Jagd gehen kann. An Sonntagen nämlich dürfen Weiße – im Gegensatz zu den Dokis-Indianern in dem angrenzenden etwa 150 Quadratkilometer großen Reservat – nicht mit dem Gewehr jagen.
Nach anfänglich starkem Zögern bin ich von der Waffe begeistert und nehme die Armbrust jetzt sogar auch an den Werktagen. Doch rein vorsorglich, falls ich einen zweiten Schuss brauchen sollte, kommen auch noch der Remington-Halbautomat im Kaliber .308 Winchester und zwei volle Magazine mit auf den Hochstand. Eine hervorragend schießende Büchse für den Schuss über Kimme und Korn. In der Hemdtasche steckt meine Lizenz, die ich bei jedem Ansitz unbedingt dabei haben muss. Und schließlich gehört auch noch das frisch aufgeladene Handfunkgerät aus dem Camp zur Pflichtausstattung.
Ein vergrämter Bär
In ein paar Minuten wird mich Billy, mein Bären-Jagdführer, mit dem Außenborder abholen und rund acht Kilometer über den zauberhaft schönen und 6 700 Hektar großen, buchten- und inselreichen Me-Me-Sagamesing-See zum Kirrplatz, dem Bait, in die Wildnis bringen. „Bush“ sagen die Kanadier treffend zu diesem Urwald, denn das dichte Unterholz mit Ahorn-, Linden-, Birken- und Eschenanflug bietet auf höchstens 30 Meter Sicht- und Schussfeld. Und genau dieser Umstand hat vor sechs Tagen dem für mich unsichtbaren und leise anwechselnden Meister Petz die Decke gerettet.
Da hatte es etwa gegen halb zwölf Uhr mittags so kräftig zu regnen begonnen, daß ich gezwungen war, meinen Gummimantel umzuhängen. Ein für eine hochempfindliche Bärennase leider grauenhaft stinkendes Utensil. Hinzu kam, wie schon bei den vorherigen Ansitzen, wieder dieser ständig küselnde Wind.
Eine Viertelstunde später, knapp 20 Meter links von mir in der Verjüngung, urplötzlich ein gewaltiges Krachen, Prasseln und Brechen, vermischt mit undefinierbaren Brummlauten: der Bär! Herrschaft, durchzuckt es mich, warum musste dieser elende Regen ausgerechnet jetzt kommen. Trotzdem hoffe ich mit der entsicherten Büchse in der Hand immer noch, dass der geheimnisvolle Schwarze irgendwie sichtbar wird. Vergeblich. Nach etwa fünf Minuten, die Meister Petz, sich wahrscheinlich endgültig vergewissernd, tatsächlich noch gewartet hat, ein leises Knacken – und der ganze Spuk hat ein Ende. Friedrich von Gagern hätte dieses Erlebnis sicherlich dem Genius loci und den schützenden Waldgeistern des Bären zugeschrieben. Aber was wissen wir schon…
Zwischendurch jedoch war mein „bushghost“, so habe ich dieses heimliche Buschgespenst mittlerweile genannt, bereits wieder zweimal am Bait – natürlich immer dann, wenn ich abwesend war.
50 Kilometer im Quadrat
Das nahende Motorboot reißt mich aus dem Sinnieren. Billy, mein 34jähriger Guide, legt am Steg an und kommt noch kurz auf einen Kaffee in die Hütte. Seit 15 Jahren führt Billy nun schon Jäger in dem etwa 50 Quadratkilometer großen Regierungsgebiet, dem sogenannten „Crownland“, erfolgreich auf Schwarzbären.
Für ihn ist wichtig, dass – trotz des großen Areals – alljährlich höchstens fünf gute, jagdbare Bären erlegt werden, damit auch im nächsten Jahr für die anreisenden Jäger wieder genügend Petze vorhanden sind. Sein Prinzip: kein Massenjagdbetrieb, wie in den zahlreichen erheblich größeren Jagdcamps, sondern individuell erlebtes Jagen mit sehr viel Zeit für die Betreuung der Jäger.
Die anreisenden Jäger, meist aus den USA, sind im Regelfall Stammgäste, die schon seit Jahrzehnten hierher zur Jagd auf Bär oder Elch kommen und dann jeweils in „ihrem“ gut ausgestatteten Cottage wohnen. Sie nehmen Pfeil und Bogen oder die Armbrust, selten die Feuerwaffe. Und so sind denn auch die Hochstände darauf ausgerichtet, dass der Individualist dort stehend auf sehr kurze Entfernung das Wild erlegt.
Für mich als deutschen Jäger hat Billy, zusammen mit seinem Schwager Heinz, einem eingewanderten Schweizer und bekannten Simmental-Viehzüchter, extra an sieben Kirrplätzen neue Leitern mit Plattformen im Busch gebaut. Fünf der Baits in etwa zwölf bis 15 Metern Entfernung wurden von den Bären in den letzten Tagen auch angenommen. Allerdings fehlen hinsichtlich Tag und Zeit genauere Erkenntnisse. An einen der Plätze kommen unregelmäßig sogar zwei verschiedene Bären. Für Billy deutlich erkennbar an der unterschiedlichen Art, wie sie mit dem Bait umgehen.
Auf diesen erfolgversprechendsten Platz habe ich meine Ansitze konzentriert. „Du hast wirklich gute Chancen“, erklärt mir mein Jagdführer, „denn ab diesem Jahr wurde die Jagdzeit im Mai verboten, weil zu viele führende Bärinnen erlegt worden sein sollen, und Du dieses Jahr im weiten Umkreis auch der einzige Bärenjäger bist“. Hinzu kommt, dass die Dokis-Indianer in dem angrenzenden Reservat kaum Bären schießen.
Kurz nach sechs Uhr fahren wir los. Es dämmert langsam. Die Fahrt allein ist schon ein Erlebnis. Mit einem rosa Schimmer spiegelt sich die aufziehende Sonne auf den leichten Wellen des Sees. Durch die starken Regenfälle war es gestern nicht möglich, länger als drei Stunden zu sitzen. Heute plane ich neun Stunden ein, um meine Chancen zu erhöhen. Billy wird alle drei Stunden auf dem See etwas heranfahren und auf Funkempfang gehen. Sollte ich zu Schuss kommen, brauche ich dann nicht bis zum späten Nachmittag im Busch auf ihn zu warten. Gegen halb sieben Uhr, in der ersten Morgendämmerung, legen wir am Waldrand an.
Billy nimmt vorsorglich noch einen Reserveköder mit, falls einer der Bären in der Zwischenzeit am Bait gewesen sein sollte: Sandwiches mit Ahornsirup und Honig sowie andere süße Leckereien, wie sie der Bär im Herbst bevorzugt. Nach etwa 200 Metern sind wir am Platz. Die Kirrung ist noch unberührt. Dann klappt es heute bestimmt, denke ich so bei mir, während mir mein Guide die Armbrust hochreicht. „George´s bear“ steht hinten auf der Befiederung des Pfeiles, und vorn hat Billy eine nagelneue Jagdspitze eingesetzt. Nun fehlt nur noch der heimliche Petz.
Allein im Busch
Es ist ein Traum, hier allein die Stille zu genießen und einfach mitten in dieser Wildnis zu sein. Abseits und unbehelligt von Joggern und jugendlichen Moped-Randalierern, von quietschenden Autobremsen und dröhnenden Hubschraubern. Fernab auch von Radio und Fernseher, von Zeitung und Telefon.
Gleich zum ersten Ansitz hatte mir Billy ein Feuerzeug zugesteckt. Auf mein erstauntes Gesicht als Nichtraucher erklärte er mir, dass es vielleicht irgendwann einmal plötzlich Sturm geben und er dann nicht mit dem Boot kommen und mich abholen könnte. Ich sollte mir dann über Nacht ein Feuer machen, um mich aufzuwärmen. „Du bist aber auch verpflichtet“, fuhr er fort, „anderen, die sich im Busch verirrt haben oder sonstwie in Not geraten sind, zu helfen und ihnen Nahrung und Getränke abzugeben.“
Kurz nach sieben Uhr habe ich volles Büchsenlicht. Mit lautem Gick-Gack rudern vier Schneegänse über mich hinweg. Und durch den aufsteigenden klaren Morgen dringt der Ruf mehrerer Raben, die sich irgend etwas zurufen. Vermutlich hat einer von ihnen Fraß entdeckt und teilt das jetzt den Artgenossen mit. Die Sonne kommt immer mehr durch, es wird auch milder. Und der Himmel zeigt sich in einem fast unwirklichen, tiefdunklen Blau.
Trotzdem bin ich sehr froh, dass mir Billy seinen doppelten, wollenen Jagdanzug in Tarnfarbe und dessen Schwager Heinz seine Trapperstiefel mit dem wärmenden Futtereinsatz zur Verfügung gestellt haben. Denn meine deutsche herbstliche Jagdkleidung, die ich jetzt unterziehen kann, erwies sich hier als völlig unzureichend. Zum einen, weil die Kühle im Busch hängenbleibt, und man zum anderen bei derart langen Ansitzen einfach stark auskühlt.
Mein etwa fünf Meter hoher Sitz auf dem Hochstand ist an einer alten Linde angeschraubt. Dadurch habe ich eine gute Rückenlehne. Nach den heftigen Regenfällen hat mir Billy an den unmittelbar angrenzenden Bäumen mit Stricken auch eine alte Plane als Dach angebracht und die Stricke mit Hemlocktannenöl verwittert.
Der Kirrplatz, nur knapp 15 Meter entfernt, bietet gute Sicht und freies Schussfeld. In einem alten, halbierten Faß befindet sich die Kirrung für den Bär. Und an den direkt angrenzenden Bäumen lockt süßer Honigduft. Doch es mangelt auch nicht an kleineren Nahrungskonkurrenten, wie den zahlreichen putzigen Streifenhörnchen, den Chipmunks, aber auch Eichhörnchen, Mardern und anderen Buschbewohnern.
Damit diese nun dem Bär nicht alles wegfressen können, wird das Bait mit einem breiten Blechdeckel abgedeckt und dieser mit einem dicken Rindenstamm oder großen Steinen beschwert. Doch Billy hat auch an die kleinen hungrigen Mägen gedacht und ihnen obenauf den Tisch gedeckt.
Plötzlich sind die Hörnchen wie vom Boden verschluckt. Zwei Marder buckeln heran, untersuchen zunächst alles gründlich und machen sich dann über die Schleckereien her. Der Balg der kanadischen Art variiert stark, geht vom helleren Braun bis fast ins Schwarze. Die für Stein- und Edelmarder charakteristischen deutlich ausgeprägten Kehlflecken fehlen; die Halspartie ist lediglich etwas heller. Auch sind die kanadischen Marder, hier jedenfalls, deutlich kleiner als ihre beiden deutschen Verwandten.
Es ist das reinste Waldtheater, das diese lustigen Gesellen hier vor mir aufführen. Einer reagiert auf meine Handbewegung, indem er direkt zu mir unter die Leiter huscht und unbekümmert hochäugt. Ein anderer klettert auf einen Nachbarbaum und begutachtet von dort aus die sonderbare Gestalt. Und ein dritter schließlich ist – ohne dass ich es bemerkt habe – plötzlich bei mir auf der Plattform, bewindet meinen linken Stiefel und äugt dann neugierig zu mir hoch.
Diese Kurzweil an diesem klaren und auch nicht allzu frischen Spätsommertag mit einem unwirklich anmutenden, tiefdunkelblauen Himmel lassen sogar neun Ansitzstunden problemlos vorüberziehen. Pünktlich um 16.30 Uhr höre ich das Boot, das mich abholt. Billy will es einfach nicht in den Kopf, daß in dieser langen Zeitspanne wieder keiner der beiden Bären am Kirrplatz erschienen ist. Hinzu kommt, daß dies nun schon mein neunter Ansitz ist. Im Normalfall, so Billy, kommt der Jäger beim zweiten, spätestens aber dritten Ansitz zu Schuss. Allerdings sei diese Schlechtwetterphase unnormal.
Anteilnahme
Am Abend bin ich von Billys Mutter in der Lodge zum Essen eingeladen. Die Gespräche bei einem Glas Rotwein, den Judy selbst ansetzt, gehen bis in den späten Abend und beziehen sich auf die Lebensinhalte dieser Menschen im Jahreszyklus: auf das Fallenstellen unter extremsten Bedingungen, die harte Arbeit bei der Ahornsirup-Herstellung, die Fischzucht, auf das Eisfischen, die Jagd und Fischerei in allen Facetten und das Camp. Auffallend für mich als Europäer sind die echte Anteilnahme an meiner Jagd und die ausgestrahlte Herzlichkeit dieser Menschen hier im Norden.
Judy ist nicht nur Hausfrau, erfolgreiche Fischzüchterin, Hirschjägerin, Schlüsselfigur bei der Ahornsirup-Herstellung und von Dezember bis einschließlich Februar auch noch bei minus 40 Grad Celsius eine bewährte Fallenstellerin. Sie wird vielmehr auch als Jagdführerin unter den Elchjägern hochgeschätzt und ist als Angelführerin eine absolute Größe, an der hier niemand vorbeikommt. Ihre große Leidenschaft aber ist das Eisfischen im Dezember und Januar. Ihre ausgestrahlte Herzlichkeit ist bestechend.
„George“, sagt sie, denn so nennen mich hier alle im Camp, „you must get the bear“, und ist ganz aufgelöst, daß es nicht klappen will. Johnny, ihr Mann, ebenfalls ein hervorragender Fallensteller und guter Jäger, verrichtet tagsüber all die schweren Arbeiten im Camp.
Hüttenleben
Meine urgemütliche Hütte – eine von insgesamt sieben – steht unter Hemlocktannen und Ahornbäumen direkt am See und ist für sechs Personen ausgelegt. Ich aber darf hier allein wohnen, habe Strom, fließendes warmes und kaltes Wasser, verfüge über Kühlschrank, Elektroherd und Geschirr. Es ist alles einfach, aber tadellos sauber. Draußen, gleich daneben, beginnt der Busch, eine ideale Symbiose zwischen Wildnis und Zivilisation.
Die Türen bleiben beim Verlassen der Hütte, aber auch nachts unverschlossen. Der ovale, gusseiserne Ofen wird mit riesigen Ahornscheiten beheizt. Das Knistern und Knacken, die anheimelnde Wärme, der leichte Holzrauch und das abendliche Flackerspiel an der Decke wecken Erinnerungen an ferne Kindertage. Am Abend, wenn ich mit dem Boot zurückkomme, leuchtet schon von weitem Licht aus den Fenstern, das mir Johnny angemacht hat. Und wenn ich eintrete, strahlt der Ofen dem ausgekühlten Jäger wohlige Wärme entgegen.
Ein paar einfache Lebensmittel habe ich vor dem Bezug der Hütte in einem Lebensmittelgeschäft eingekauft. Und Judy hat mir dazu von ihren Hühnern eine Packung Eier in den Kühlschrank gestellt. Mehr brauche ich nicht.
Mein jagdlicher Spielraum schrumpft zusehends. Die zweieinhalb Tage Sturm und Regen haben mich ins Hintertreffen gebracht. Dabei ist auch mein Motorboot am Steg, das mir zum Fischen zur Verfügung steht, in der zweiten Sturmnacht gesunken. Kein Problem für Judy, der ich darüber entsetzt in der Lodge berichte. Sie lacht nur und meint: „George, let´s drink a coffee.“ Johnny und Billy heben das Boot dann am Vormittag und richten es wieder her.
Billy wird immer nervöser und versucht alles, um mich zu Schuss zu bringen. Ab und zu gibt es auch einen schönen Tag, insgesamt aber schlägt das Wetter Kapriolen. Das Laub hat sich in den letzten September- und ersten Oktobertagen prachtvoll verfärbt. Zum Fotografieren brauche ich aber dringend sonniges Wetter – und Zeit, die ich aber lieber in lange Ansitze investiere.
Alles auf eine Karte
Inzwischen habe ich meine Ansitze auf acht bis zehn Stunden ausgedehnt. Eine Herausforderung auch für mich. Ich muß mich gewaltig in die Pflicht nehmen. Der eine Bär zumindest bevorzugt die späten Vormittags- und frühen Nachmittagsstunden. Das Bait jedenfalls wurde in dieser Spanne immer wieder angenommen. Mit Billy stimme ich überein, in diesen letzten Tagen alles auf eine Karte zu setzen. An diesem Tag will ich von morgens halb sieben bis abends halb acht Uhr, geschlagene 13 Stunden, im Busch ausharren.
Das Bait ist bei unserer Ankunft noch unberührt. Erfreulich ist auch das trockene Wetter. Leider kommt aber am Vormittag wieder mehr Wind auf, der zeitweilig küselt. Die Marder geben sich am Kirrplatz wieder ein Stelldichein. Kurz vor zehn ein vorsichtiges Tappen und Rascheln – wieder links von mir in dem Fichtenanflug. Die Armbrust in der Hand erwarte ich mit rasender Pumpe den Bär. Endlich. Doch was sich da aus dem Grün auf etwa acht Meter herausschält, ist kein Bär – sondern ein riesiger graugestichelter Timberwolf, der zum Bait hinwindet. Im nächsten Augenblick dreht auch schon wieder dieser miserable Wind – natürlich genau in Richtung Isegrim. Blitzartig erfasst er die Situation, und schon ist der graue Spuk im schützenden Busch verschwunden. Gegen Mittag eine ähnliche Begebenheit, nur mit einem anderen Statisten. Da huscht ein schwarzes Etwas in doppelter Mardergröße hinter dem Bait von rechts nach links: Ein Fischotter, wie ihn mir Heinz, der Trapper, deutlich beschrieben hat. Auch er schiebt sich nach rund zwei Minuten, ausgerechnet wieder links, aus dem grünen Dschungel, bekommt denn auch prompt meine volle Wittrung und verschwindet.
Die weiteren Stunden verlaufen zäh. Viertel nach sieben holt mich Billy ab. Ich bin ganz steif vom Sitzen und trotz der guten Kleidung ziemlich durchgekühlt. Außerdem habe ich den ganzen Tag noch nichts gegessen. In meiner warmen Hütte jedoch sieht die Welt schon bald wieder rosiger aus. Wir unterhalten uns ausgiebig über die Notwendigkeit wind- und wetterunabhängiger Kanzeln, über deren Aussehen und bautechnische Details. Entnervt durch das abnorme Wetter steht es für Billy fest, daß er mehrere davon an den Baits errichten wird.
Auch der letzte Ansitz von „nur“ fünf Stunden am Tag vor der Rückreise lockte meinen „bushghost“ – bei ausgesprochen mildem und sonnigem Wetter – nicht zum Bait. Aber der Bär ist auch bei einer jagdlichen Kanadareise nur das I-Tüpfelchen. Ich habe 15 herrliche erlebnisreiche Jagdtage mit 14 Ansitzen in insgesamt 74 Stunden erlebt, dabei prachtvolle Menschen kennengelernt und dazu eine Bilderbuchlandschaft mit einer paradiesischen Natur genossen.
Doch am Abend, ich hatte meine kanadischen Freunde zu einem Abschiedsessen in ein Restaurant eingeladen, gab es für mich noch eine große Überraschung: Judy überreichte mir einen gestickten Aufnäher vom Ministerium mit dem Emblem eines Schwarzbären und der Aufschrift „Bearhunter 1999“. Und das hat mich – auch ohne erlegten Bären – riesig erfreut.
„George, you must come back again and shoot your bushghost“, legte mir Judy noch ans Herz. Mal sehen, denn im Little Portage Camp liegt schließlich noch mein Bärenpfeil, den kein anderer Jäger bekommt, wie mir Billy, mein exzellenter Jagdführer, ausdrücklich versicherte.
Hansgeorg Arndt

Hansgeorg Arndt

Fischender Schwarzbär
Nicht nur Grizzlies, auch Schwarzbären können fischen.


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[Reiseplanung]
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[Im Jagdcamp]

Foto: Ottokar Wagner

Hansgeorg Arndt

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